Du kannst sie beruhigt gehen lassen!
WIE wir gesehen haben, ist es nicht leicht, den Drang, seine erwachsenen Kinder zu bevormunden, in den Griff zu bekommen. Sie gehen zu lassen kann schwerfallen. Als Mutter oder Vater mag man den Atem anhalten (und sich auf die Zunge beißen müssen), wenn sich die Kinder selbständig machen. Die Zeit der „süßen Babys“ ist vorbei; man muß sich damit abfinden, daß die Kinder erwachsen sind. Es gilt jetzt, sie selbst entscheiden und sie ihre Fehler machen zu lassen; gleichzeitig muß man ihnen aber auch zu verstehen geben, daß man stets für sie da ist, wenn sie einen brauchen.
Du bist immer noch ein Vater oder eine Mutter und wirst nie aufhören, dich um deine Kinder zu kümmern oder dir ihretwegen Sorgen zu machen. Aber wenn du dir bewußt bist, daß sie jetzt selbständig sind und daß du sie gut erzogen und ihnen sittliche Werte eingeprägt hast, wirst du etwas ruhiger sein. Du kannst die Zuversicht haben, daß sie ihren Weg machen werden.
Der Gedanke an das leere Nest darf dich nicht nervös machen. Wenn du deine Kinder gehen läßt, eröffnen sich dir neue Perspektiven, neue Möglichkeiten, ja sogar die Gelegenheit, deine Ehe aufzufrischen. Eine Zeitlang wird dir das Haus leer vorkommen. Da du jahrelang mit deiner Familie beschäftigt warst, wirst du dich jetzt etwas umstellen müssen.
Aber das Leben ist nicht zu Ende. Du bist lediglich wieder an den Ausgangspunkt zurückgekehrt. Zuerst warst du mit deinem Ehegefährten allein. Dann kam ein Kind nach dem anderen. Die Jahre vergingen unbegreiflich schnell. Und nun ist ein Kind nach dem anderen volljährig geworden und aus dem Haus gegangen. Du bist also wieder da angelangt, wo du angefangen hast — allein mit dem Menschen, mit dem du, wie du gelobt hast, das Leben teilen wolltest. Dein Ehepartner war vor den Kindern da, und er sollte dir immer noch lieb und wert sein.
Bemühe dich, noch vertrauter mit ihm zu werden. „Man kann jetzt einfach hingehen und seiner Frau einen Kuß geben, während sie am Spülstein steht. Das konnte man, solange die Kinder da waren, nicht ohne weiteres tun“, meinte ein Vater. Nun habt ihr auch mehr Zeit für Gespräche, für Reisen — einfach füreinander. Vielleicht könnt ihr sogar mehr Zeit auf euren Gottesdienst verwenden.
Selbst wenn man als Vater oder als Mutter verwitwet oder geschieden ist, braucht man nicht unter Einsamkeit zu leiden. „Beschäftige dich, indem du etwas für andere tust“, empfiehlt Carmen. „Als mein Mann starb, hätte ich mich am liebsten in eine Ecke verkrochen und geweint, aber dann habe ich gelernt, die Initiative zu ergreifen. Ich freue mich, wenn ich Besuch einladen oder andere ermuntern kann.“
Vielleicht wirst du jetzt kummervoll sagen: „Ich befürchte nur, daß mich meine Kinder vergessen werden!“ Diese Befürchtung ist grundlos. Wenn deine Kinder auf sich gestellt sind und sich mühsam durchschlagen, denken sie bestimmt oft an das Elternhaus und die Liebe, mit der sie dort umgeben wurden. Von Zeit zu Zeit werden sie anrufen und dich wissen lassen, wie es ihnen geht. Vielleicht fragen sie dich sogar um einen guten Rat. Und gelegentlich werden sie auch zu Besuch nach Hause kommen; nicht so oft, wie du es gerne hättest, aber häufig genug, um dir die Gewißheit zu geben, daß sie dich immer noch lieben.
Du hast deine Kinder nicht verloren, weil deine Liebe so groß war, daß du sie gehen ließest. Das Feuer der Liebe, das du in ihrem Herzen entzündet hast, wird nicht verlöschen — es sei denn, du machst es selbst aus. Selbstlose Liebe ist unzerstörbar und wird wachsen, auch wenn ihr weit voneinander entfernt seid. „Die Liebe versagt nie“ (1. Korinther 13:8).
Ein dankbarer Sohn, der nicht in der Nähe seiner Eltern wohnt, schrieb ihnen kurz vor seiner Hochzeit folgenden Brief: „Ich möchte Euch wissen lassen, daß ich Euch innig liebe und Euch vermisse. Aber in der Bibel heißt es, daß ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen wird. Ich werde mich bemühen, unserem Familiennamen Ehre zu machen. Wenn Kelly und ich verheiratet sind, werden wir Euch regelmäßig besuchen.“ Und so sollte es sein.
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Besuche sind dazu da, sich gegenseitig seine Liebe zu bekunden.
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Bemüht euch, jetzt, wo ihr mehr Zeit für euch habt, noch vertrauter miteinander zu werden.