Das Schneefest von Sapporo
Vom „AWAKE!“-KORRESPONDENTEN IN JAPAN
WELCH ein Spaß! Sind Kinder nicht immer wieder entzückt, wenn sie einen Schneemann bauen können? In Sapporo, auf der japanischen Nordinsel Hokkaido, werden riesengroße Schneemänner gebaut. Einige davon wiegen über tausend Tonnen und sind richtige Kunstwerke. Aber man formt auch Tiere aus Schnee, ferner Götter, Eisenbahnzüge, Jumbojets, Häuser, Pagoden und Schlösser — sozusagen eine ganze Welt!
Doch es ist eine kurzlebige Welt; sie besteht jeweils nur etwa vier Tage, und zwar Ende Januar oder Anfang Februar. Danach wird sie zerstampft, und der Schnee wird wieder weggefahren.
Sapporo, die Stadt, in der dieses Schneefest abgehalten wird, gilt als „Japans Stadt der Jugend“. Diese Stadt ist erst vor etwa hundert Jahren gegründet worden, hat sich aber zu einer blühenden Metropole entwickelt, in der 930 000 Menschen wohnen. Vor kurzem wurde „Sapporos millionster Bürger“ als Schneemann mit ständig tränenden Augen und nur zwei unteren Zähnen dargestellt. Doch der größte Teil der abgehärteten Bevölkerung dieser Stadt sieht gesünder aus!
Die japanischen Städte haben sich gewöhnlich aus einer Gruppe von Dörfern, die aus der Zeit des Feudalsystems stammten, entwickelt. Diese Dörfer hatten schmale gewundene Gassen. Aber Sapporo ist anders. Es wurde von britischen und amerikanischen Städteplanern entworfen und hat breite, gerade Straßen, einen 100 Meter breiten Park, der sich in Ostwestrichtung mitten durch die Stadt zieht. Dieser Park ist eingerahmt von Flieder und Akazien; im Sommer bilden sie einen schönen Hintergrund für den grünen Rasen und die bunten Blumenbeete. Im Winter sieht der Park indessen ganz anders aus, insbesondere während des Schneefestes.
Das Schneefest vergrößert sich lawinenartig
Das Schneefest wurde 1950 zum erstenmal durchgeführt. Um den langen Winter auf der Nordinsel etwas zu unterbrechen, wurden die Kinder aufgefordert, aus Spaß und um sich Bewegung an der frischen Luft zu verschaffen, allerlei aus Schnee zu formen. Als das Fest immer größer wurde, erkannten die Stadtväter die Möglichkeit, Sapporo durch dieses Fest bekanntzumachen. Jetzt hat das Fest gewaltige Ausmaße angenommen.
Für jeden Schaugegenstand wird aus Schnee eine massive Plattform gestampft und darauf ein Holzgerüst errichtet, das auf diesem Untergrund fest verankert wird. Die Gerüste müssen stabil sein, denn eine Schnee- und Eislawine von tausend Tonnen kann für die Festbesucher gefährlich werden. Vor einigen Jahren stürzte eine Arche Noah, die man aus Schnee baute, während die Arbeiten im Gange waren, zusammen, so daß man nochmals von vorn beginnen mußte. Wäre man beim Bau den Angaben der Bibel gefolgt, wie sie im ersten Buch Mose zu finden sind, anstatt sie der Arche nachzubauen, wie sie in dem Film „Die Bibel“ gezeigt wurde, wäre die Schnee-Arche bestimmt ein festeres Bauwerk geworden. Aber die Tiere waren wenigstens ganz naturgetreu dargestellt.
Für die Ausstellung vom Jahre 1970 wurde ein altägyptisches Bauwerk aus Schnee dargestellt: der Abu-Simbel-Felsentempel, der eine Höhe von über dreizehn Metern und eine Breite von dreißig Metern hatte; dieser Tempel soll von Ramses II. gebaut worden sein, nachdem er den Sudan erobert hatte. Außer dem Tempel waren auch Figuren des Pharaos, geflügelte Löwen und Hieroglyphen vorhanden, die für die Japaner genauso verwirrend sind wie die japanische Schrift für Fremde.
In einer anderen Ecke des Parks konnte der Besucher die „ersten Schritte“ auf dem Mond tun, doch unter seinen Füßen knirschte nicht der Mondstaub, sondern Schnee. Die zwei aus Schnee geformten Astronauten, neben denen eine Mondlandefähre sowie das Raumschiff Apollo 11 aus Schnee standen, machten die Sache noch realistischer.
Eine Eis- und Schneewelt für Kinder
Das Fest ist indessen in erster Linie für die Kinder. Daher sieht man hier aus Schnee viele Gestalten aus Märchen dargestellt, die man den Kindern in Japan und Europa seit Jahrhunderten erzählt, z. B. das Schneewittchen, wie es im „funkelnden Schloß des Prinzen“ eintrifft. Es kommt mit dem „Super“-Expreßzug und in Begleitung der Zwerge, von denen zwei rittlings auf dem Zug sitzen. Quer über den Park erstreckt sich eine Figur, die Gulliver darstellt. Aus Schnee geformte Kinder treiben rings um seine Hüfte Wintersport, während Kinder aus Fleisch und Blut mit bunten Mützen und Jacken sich um seine Füße gruppieren, um fotografiert zu werden.
In einer anderen Ecke des Parks sieht man einen Uraschima Taro mit weißem Haar und weißem Gesicht, den Rip Van Winkle der Japaner, wie er, gemäß der Sage, auf einer hundert Tonnen schweren ganz weißen Schildkröte reitet.
Neben diesen großen Figuren sind viele kleinere zu sehen: Haustiere, Füchse, Dachse und Bären. Mit großem Entzücken legen die Kinder die Arme um diese Tiere, die in natürlicher Größe dargestellt sind, und klettern sogar auf ihren vereisten Rücken!
An einer anderen Stelle des Parks sind die ausgestellten Gegenstände ganz aus durchsichtigem Eis. Besonders schön ist eine siebenstöckige Pagode; dieser eiszapfenähnliche Bau ist nachts beleuchtet und funkelt in den schönsten Farben. Daneben sieht man ein Bauernhaus, eine Scheune sowie verschiedene Haustiere, die alle meisterhaft aus Eisblöcken gemeißelt sind. Auch ein Schatzschiff ist zu sehen und eine ganze Menagerie aus Eis: Frösche, ein Pinguin, ein Kamel, eine Kobra, ein Schwan, eine „schwarze“ Katze, ein Bär (vorsorglich am Zaun festgebunden), eine Krabbe, eine Schildkröte und Polarhunde.
Die Zerstörung der Schneegötter und Schneemänner
Japan ist ein buddhistisches Land; mitten im Park steht daher ein zehn Meter hohes Buddhabild, der Bosatsu-Hanka-Buddha. Aber selbst „Buddha“, obgleich er äußerlich kunstvoll geformt ist, unterscheidet sich im Innern nicht von anderen von Menschen geschaffenen Bildern — dieser Buddha in Sapporo ist nur etwas kälter. Der Schnee-Buddha ist so solid gebaut, daß er den meisten Stürmen zu trotzen vermag; für seine Bewunderer kann ein fubuki (Schneesturm) allerdings unangenehm sein. Und wenn weicher Schnee sich auf seinen Augen und Ohren ansammelt, werden die bereitstehenden Löschwagen und Feuerleitern eingesetzt, und der Schnee wird mit Hilfe von Schläuchen und Bürsten entfernt. Nur vier Tage und vier hellerleuchtete Nächte lang regiert Buddha zusammen mit den anderen aus Schnee geformten Göttern und all den übrigen Gebilden aus Schnee oder Eis.
Nach den vier glanzvollen, doch kurzen Tagen werden diese Schneegötter und Schneemänner sowie alle übrigen Schaugegenstände zerstört, denn sie könnten für die Kinder und andere, die hier vorbeigehen, zur Gefahr werden, wenn man sie stehenließe, bis sie von selbst verfallen würden. Schon am Morgen nach dem Fest fehlte „Buddha“ ein Finger. Bald begannen die Arbeiter ihr Zerstörungswerk mit Pickel und Schaufel. Manchmal wird diesen „Göttern“ zum Abschied etwas Reiswein, das Nationalgetränk der Japaner, zwischen die Zähne aus Eis gegossen, damit sie die Schläge der mit Pickel und Schaufel bewaffneten Männer ruhiger über sich ergehen lassen.
Diese Zerstörung des „Buddhas“ veranschaulicht in einem gewissen Sinne etwas, was viele logisch denkende Bürger von Sapporo jetzt tun. Diese Stadt sowie die ganze übrige Insel Hokkaido, bekannt für ihr rauhes Klima, erweist sich für die Verkündigung der Königreichsbotschaft als eines der fruchtbarsten Felder Japans. Als Jehovas Zeugen diesen bescheidenen Menschen die Botschaft der Bibel überbrachten, erkannten viele, daß „Buddha“, es mag ein noch so schön gemeißeltes Bild sein, nur ein Götze ist und daß „ein Götze nichts ist in der Welt“, wie die Bibel sagt. (1. Kor. 8:4; Ps. 115:4-8) In ihrem Herzen zerstören sie die „Buddha-Idee“ ebenso gründlich wie die Arbeiter die Schneegötter des Schneefestes.
Obwohl man auf dem Schneefest viele bestechende und reizvolle Kunstwerke sieht, sind es doch Dinge, die von Menschenhand geschaffen sind und die nur wenige Tage bestehenbleiben. Hält eines dieser Kunstwerke jedoch einen Vergleich mit der prachtvollen Schneelandschaft aus, die als Geschenk Jehovas jeden Winter neu bewundert werden kann? Seit Jahrtausenden entzückt die Pracht des Winters das menschliche Auge. Die Schneegötter wie die Götter, die sie darstellen, werden geschaffen und vergehen, aber der wunderbare Wechsel der Jahreszeiten, den Jehova herbeiführt, wird für immer bestehen, zur Freude aller, die Jehova lieben. Es wird so sein, wie er vor vielen Jahren, zur Zeit Noahs, verheißen hat: „Forthin, alle Tage der Erde, sollen nicht aufhören Saat und Ernte, und Frost und Hitze, und Sommer und Winter, und Tag und Nacht.“ — 1. Mose 8:22.