Die Musik vieler Völker
DIE Musik wird häufig als eine internationale Sprache bezeichnet. Ein Beweis dafür ist die Volksmusik der verschiedenen Völker. Die Volksmusik, die für ein bestimmtes Land charakteristisch ist, gefällt auch in anderen Ländern. Volksweisen aus fremden Ländern werden von vielen gern gehört. Die Musik fremder Völker kennenzulernen kann zu einem Erlebnis werden.
Würdest du eine Weltreise machen, könntest du feststellen, daß jedes Volk oder jede Volksgruppe ihre eigenen charakteristischen Lieder und Tänze hat. Jedes Volk hat seinen besonderen „Akzent“ zur „Sprache der Musik“ beigesteuert. Und dieser „Akzent“ ist meist so charakteristisch, daß man sofort erkennt, aus welchem Land ein Lied oder ein Tanz stammt, ähnlich wie man an der Aussprache eines Ausländers erkennen kann, welches seine Muttersprache ist.
Der größte Teil der Volksmusik ist nicht von professionellen Komponisten geschaffen worden. Sie ist teilweise schon Tausende von Jahren alt. In der Antike verfaßten musikalische Personen Lieder, die von Generation zu Generation überliefert wurden. Besungen wurden unter anderem die Liebe, der Frieden, der Krieg, das Trinken, Helden und lustige Begebenheiten. Das Volk tanzte zu den Melodien, und jede Volksgruppe entwickelte dabei ihren eigenen Stil.
Bei Festen wurde auf dem Dorfplatz, in den Wohnungen oder am Lagerfeuer zu der Musik gesungen und getanzt, die man von den Vorfahren ererbt hatte. Natürlich wurden diese Lieder und Tänze zum Teil durch die Natur des Landes und sein Klima sowie das Schicksal des Volkes, seine Sprache, sein Brauchtum und seine Wesensart beeinflußt. Und das gibt der Volksmusik jedes Stammes oder jeder Volksgruppe den besonderen „Akzent“, der verrät, woher diese Musik stammt.
Die europäische Musik
Ein großer Teil der schönsten abendländischen Musik ist in Europa geschaffen worden. Vom 17. Jahrhundert an haben namhafte Komponisten viele Werke für Orchester und Singstimmen geschrieben. Ihre Instrumentalmusik verlangte viele Saiteninstrumente sowie Blas- und Schlaginstrumente. In ihren großartigen Konzerten trat ein Soloinstrument allein dem Orchester gegenüber. Andere ergreifende Kompositionen verlangten einen großen Chor und ein Orchester.
Europa ist auch bekannt für seine Opern. Diese mit musikalischen Mitteln gestalteten Bühnenstücke sind noch eindrucksvoller, weil die Worte gewöhnlich nicht gesprochen, sondern gesungen werden. Zu der dramatischen Wirkung trägt auch das Orchester bei, das die Sänger begleitet. Auch Operetten haben eine Handlung, nur ist sie nicht so dramatisch, und die Musik ist leichter.
Das Oratorium entstand ebenfalls in Europa. Diese Kompositionen behandeln gewöhnlich biblische Themen. Bühnenausstattung und Kostüme werden dabei nicht verwendet. Es sind Werke für Chor, Solisten und Orchester. G. F. Händel schrieb großartige Oratorien über Themen wie Joseph und seine Brüder, Israels Befreiung aus Ägypten, Josua, Debora, Jephtha, Samson, Saul, Salomo, Athalia, Belsazar, der Sturz Babylons, Esther und der Messias. In vielen dieser ergreifenden Meisterwerke kommt der Name Gottes, Jehova, vor.
Gelegentlich schöpften diese Komponisten aus dem Schatz der europäischen Volksmusik. Entweder gliederten sie ein Volkslied direkt in ihr Werk ein, oder sie lehnten sich bei der Komposition einer Melodie an ein Volkslied an. Aus welcher Volksmusik sie geschöpft hatten, deuteten sie oft in der Überschrift an.
Von den europäischen Völkern haben wohl die Spanier die charakteristischste Volksmusik. Die Maurenherrschaft in diesem Land vom 8. bis 15. Jahrhundert u. Z. sowie die Zigeuner haben die spanische Volksmusik stark beeinflußt. Wahrscheinlich gibt es kein anderes Volk, das so viele verschiedene Tänze kennt wie die Spanier. Doch alle zeichnen sich durch den feurigen spanischen „Akzent“ aus. Dieser „Akzent“ wird durch die Volksmusikinstrumente, die Gitarre, das Tamburin und die Kastagnetten mit ihrem Schlaggeräusch, verstärkt.
Die deutsche Volksmusik darf als Hauptvertreter der westeuropäischen Volksmusik angesehen werden. Sie zeichnet sich aus durch die fröhliche Dur-Skala und durch ihre Harmonie. Die italienische Volksmusik ist im allgemeinen melodischer als die deutsche und auch vielbeschwingter. Die französische Volksmusik ist ebenfalls sehr melodisch, doch liegt bei ihr das Schwergewicht mehr auf dem Rhythmus.
Die Volksmusik der Russen verrät mehr als die irgendeines anderen europäischen Volkes den orientalischen Einfluß. Das mag mit dem Einfall der Mongolen im 13. Jahrhundert in jenes Land zusammenhängen. Das harte Los des russischen Volkes unter seinen despotischen Zaren trug zweifellos dazu bei, daß die russischen Volksweisen so schwermütig sind. Der melancholische „Akzent“ mag auch teilweise auf die langen, strengen Winter, die es in jenem Land gibt, zurückzuführen sein.
Die skandinavische Volksmusik steht etwa in der Mitte zwischen der deutschen und der russischen. Die finnische Musik verrät einen orientalischen Einschlag. Viele dänische und niederländische Volkslieder haben indessen große Ähnlichkeit mit deutschen Volksliedern. Die polnische Volksmusik spiegelt den Einfluß der russischen und französischen Musik wider.
In Europa ist es heute gewöhnlich nur noch die Landbevölkerung, die Volkslieder singt und zu Volksmusik tanzt. Die städtische Bevölkerung hört sich vorwiegend Musik im Konzertsaal an oder Musik, die der Rundfunk sendet.
Der lateinamerikanische „Akzent“
Die lateinamerikanische Musik ist eine Mischung von spanischer und afrikanischer Musik und je nachdem, um welches Land es sich handelt, auch von indianischer Volksmusik. Der afrikanische Einfluß zeigt sich besonders in der häufigen Verwendung der Trommel, der besonderen Betonung des Rhythmus und der Verschiedenartigkeit der Rhythmen. Diese charakteristischen Merkmale weisen zum Beispiel Tänze wie die Conga, die Rumba, die Samba und die Beguine auf. Diese Tänze zeichnen sich aus durch punktierten, gebrochenen Rhythmus, der durch Trommeln und andere Schlaginstrumente hervorgehoben wird. Dadurch wird diese Musik so schmissig, daß man tanzen möchte.
Viele Lateinamerikaner hören gerne die ganze Zeit Musik, und zwar laute Musik. Daher lassen sie den ganzen Tag, und häufig auch bis tief in die Nacht hinein, das Radio laufen, und zwar mit voller Lautstärke. Die Groschengrammophone in den Cafés und die Radios vieler Geschäfte hört auch ein großer Teil der Nachbarschaft. Für familiäre Feste wird eine Kapelle gemietet, oder man sorgt für Unterhaltung durch einen Plattenspieler der auf volle Lautstärke eingestellt wird. Natürlich haben nicht alle den gleichen Geschmack. In manchen Gegenden spielen viele Gitarre oder Akkordeon, und zu dieser Musik singt oder tanzt man dann gemeinsam.
Afrikanische Musik
Bei den Afrikanern dient die Musik hauptsächlich als Begleitung zum Gesang und Tanz. Auf diesem Kontinent sind verschiedene Singstile vorherrschend; in einigen Gegenden ist der Gesangston näselnd; es wird mit hoher Stimme gesungen, und die Melodien werden stark variiert. Doch ist die Musik gewöhnlich nicht harmonisch. Die Begleitrhythmen sind ziemlich einfach. In einigen Teilen Afrikas werden aber auch einfache Melodien in der Art gesungen, wie es der Europäer gewohnt ist. Diese Melodien sind dann harmonisch. Der dabei verwandte Rhythmus ist oft recht kompliziert, ja manchmal wird sogar mehr als ein Rhythmus gleichzeitig verwendet. Der Rhythmus ist das charakteristischste Element eines großen Teils der afrikanischen Volksmusik.
In einer Zeitung Tansanias (Afrika) wurde die Behauptung, die Bevölkerung Tansanias habe nichts mit der modernen „Soul-Musik“ zu tun, denn „Soul“ sei westlich und dekadent, widerlegt. Wie der Verfasser schrieb, ist es ganz anders: „Soul ist ein Tanz, der aus Afrika stammt. ... Die schwarze Bevölkerung entwickelte den Soul zu dem, was er jetzt ist, aus den Spirituals.“ Der Artikelschreiber fügte noch hinzu: „Kein weißer Sänger vermag Soul so zu singen wie ein Schwarzer.“
Das wichtigste afrikanische Musikinstrument ist die Trommel. Vielfach handelt es sich dabei lediglich um einen Holzzylinder, der auf der einen Seite mit einem Fell bespannt ist. Zu den Instrumenten, die bei den Afrikanern ebenfalls beliebt sind, gehören Xylophon, Musikbogen, Harfe und Blasinstrumente wie die Flöte aus Rohr und das Horn aus Tierhörnern.
Die subtile Musik des Orients
Es gibt so viele verschiedene Arten orientalischer Musik wie islamische Völker. Die Musik aus diesem Teil der Welt unterscheidet sich vor allem durch ihren zarten Charakter. Westlichen Ohren mag sie fremd klingen, weil Vierteltöne und sogar noch kleinere Tonstufen verwendet werden. Die Rhythmen sind weit komplizierter als die Rhythmen in der westlichen Musik. Im großen und ganzen setzt sich die orientalische Musik über Akkorde und Harmonie hinweg. Konzerte werden in der Regel von Solisten bestritten, die nur von einem Musiker oder von einer Gruppe von drei Musikern begleitet werden, also nicht wie in Europa von einem aus etwa hundert Musikern bestehenden Symphonieorchester. Die orientalische Musik ist in Indien am höchsten entwickelt.
Die orientalische Volksmusik unterscheidet sich stark von der orientalischen Kunstmusik. Die Kunstmusik ist jedoch typischer und bekannter. Musiker, die klassische indische Musik interpretieren, müssen auch gleichzeitig Komponisten sein. Improvisation (aber nur nach bestimmten Regeln) ist die Hauptleistung des Musikers.
Die orientalische Musik soll einen Einfluß auf das Geschick der Menschen haben und steht in enger Beziehung zu ihrer Religion, ihrer Philosophie und sogar zur Magie. Es werden Saiteninstrumente verwendet wie der Sitar, der mit einem Elfenbein- oder Metallplättchen, Plektron genannt, gezupft wird, und verschiedene Flöten aus Rohr sowie verschiedene Trommeln.
Amerikas musikalisches Idiom
Was ist amerikanische Volksmusik? Sie setzt sich aus verschiedenerlei Volksmusik zusammen, so, wie sich Amerikas Bevölkerung aus Personen verschiedenster Nationalität zusammensetzt. Es besteht kein Zweifel, daß die amerikanische Volksmusik von der europäischen beeinflußt worden ist. In vielen amerikanischen Liedern und Tänzen tauchen die verschiedenen „Akzente“ europäischer Volksmusik auf. Hier und da kann man sogar Spuren orientalischer Musik heraushören.
Der Einfluß der Negermusik ist sehr stark; sie ist vertreten durch das Negro Spiritual, den „Blues“ und den Jazz mit ihren scharf herausgehobenen Synkopen oder der Betonung einer ihrer Taktstellung nach unbetonten Note und einem gewissen harmonischen Stilmittel, dem verminderten Septakkord. Die Negermusik hat ihre Anregung hauptsächlich aus Afrika empfangen, wie in dem bereits erwähnten Artikel, der in einer Zeitung von Tansania erschien, gezeigt wurde.
Wie die Musikliebhaber in Europa, so suchen auch diejenigen Amerikas die Konzertsäle auf, um den Darbietungen von Symphonieorchestern zu lauschen. Und sie füllen diese Säle auch, wenn Gäste aus Rußland, aus Afrika, Mexiko, Indien, den Philippinen und anderen Ländern zu Besuch sind und Volksmusik aus ihrem Land darbieten. Viele Amerikaner besitzen eine Stereo-Anlage und genießen Stereo-Musik von Schallplatten oder eines FM-Senders.
Am populärsten ist heute in Amerika die „Rock“-Musik. Schallplatten mit solcher Musik werden zu Millionen verkauft. Die Herstellung von Schallplatten mit klassischer Musik macht gegenwärtig in den Vereinigten Staaten eine Krise durch; sie ist für die Musikindustrie ein Verlustgeschäft, während Rock ’n’ Roll außerordentlich populär ist.
Vom Rock ’n’ Roll kann man sagen, daß er sich durch seinen Rhythmus auszeichnet, während die Melodien nicht ansprechen. Der Rhythmus sowie die Liedtexte imponieren vor allem Jugendlichen mit rebellischem Geist. Viele seiner Lieder spornen zum Rauschgiftgenuß an. Ferner ermuntert der „Rock“ auch zur freien Liebe. Nicht nur in Amerika, sondern auch in vielen anderen Ländern ist die Jugend von dem stampfenden Beat des „Rock“ begeistert.
Die amerikanische Musik umfaßt auch die sogenannte „Western“- oder Cowboymusik, eine charakteristische Form der amerikanischen Volksmusik. Sie entwickelte sich in Verbindung mit der Besiedlung des Westens der Vereinigten Staaten. Die Themen dieser Lieder sind dem Cowboyleben im Westen Amerikas entnommen sowie der Geschichte dieses Gebietes. Diese Musik, zu der gesungen und getanzt wird, ist außerordentlich populär.
Unser Geschmack in der Musik hängt zu einem großen Teil von der Umgebung ab, in der wir aufgewachsen sind, und von der Art der Musik, die wir immer gehört haben. Aber wenn man sich die Zeit nimmt, mit der Musik anderer Völker vertraut zu werden, wird man feststellen, daß sie ebenfalls fesselnde Eigenarten hat. Und man wird bemerken, daß sie viel Interessantes über die Lebensweise eines Volkes aussagt, das ein anderes Gebiet der Welt bewohnt.