Ich war ein „Aladura“
EIN BERICHT, WIE ER DEM „AWAKE!“-KORRESPONDENTEN IN NIGERIA ERZÄHLT WURDE
ES WAR früh an einem Morgen. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, und ich wurde durch das Läuten einer Glocke geweckt. Der Glockenklang und die Botschaft, die ausgerufen wurde, fesselten meine Aufmerksamkeit. „Wacht auf und betet! Wacht auf und betet!“
Draußen stand ein Mann, mit einem langen, weißen Gewand bekleidet und mit einem roten Gurt um den Leib. In seiner Hand hatte er eine alte Bibel. Er ging auf ein Gebäude zu, das etwa fünf Meter im Quadrat maß; das war seine Anbetungsstätte. Die Lieder, die von dort zu hören waren, rührten irgend etwas in meinem Inneren an. Ich wollte mehr über diese Menschen wissen und schloß mich ihnen daher an. So wurde ich ein Aladura.
Bald zog auch ich in der Morgendämmerung durch die Straßen und erinnerte die Menschen an unsere Grundlehre — das Gebet. Doch entgegen unseren Aufforderungen wachten die meisten Menschen nur auf und gingen an ihre Arbeit. So kam es, daß wir für sie nur so etwas wie Zeitmesser waren. Doch wir ließen uns dadurch nicht abhalten, sondern bedauerten ihre Weltlichkeit und beteten für sie.
Drei Monate nachdem ich diesen Glauben angenommen hatte, geschahen merkwürdige Dinge: Ich fing an, Visionen zu haben, und begann Voraussagen zu machen und Ereignisse vorherzusagen. Bald wurde ich ein Prophet, der in fremden Sprachen sprechen und sie übersetzen konnte. Es kam auch dazu, daß ich von Geistern besessen war. Nun konnte ich unsichtbare Hände und einen Geist spüren, der in mir wirkte und mich zur Tat antrieb. Dadurch wurde ich beliebt, und bald kannte mich jeder in Ilesha und in den Vororten. Die Leute kamen zu mir, um sich die Zukunft vorhersagen zu lassen.
Später zog ich nach Lagos, wo ich noch berühmter wurde. Ich wurde geehrt und sehr geachtet, und die Menschen verbeugten sich vor mir und huldigten mir. Was war das für eine Religionsgemeinschaft, der ich mich angeschlossen hatte?
Kirche der Cherubim und Seraphim
Man nannte uns Aladuras. Adura ist ein Wort in Joruba, das Gebet bedeutet. Die Vorsilbe Ala („jemand, der“) wird dem Wort Adura hinzugefügt, um jemand zu bezeichnen, der betet. Der Name Aladura wird von den Joruba im westlichen Teil von Nigeria gebraucht, während die Bewegung im östlichen Teil einfach als die „Kirche der geistigen Heilung“ bezeichnet wird. Den meisten ist jedoch der längere Name „Der ewige heilige Orden der Cherubim und Seraphim“ geläufig.
Der Mann, der als Gründer dieser Religionsgemeinschaft betrachtet wird, war der im Westen Nigerias geborene Moses Orimolade. Etwa zur Zeit des Ersten Weltkrieges begann er zu predigen, obwohl er lahm und ein Analphabet war. Er behauptete, Visionen zu haben. Sein ständiges Thema war die Macht des Gebetes. Später beschloß man, eine Gesellschaft zu gründen, und nach drei Tagen des Betens und Fastens behauptete eine Frau, sie hätte eine Vision, in der sie die Buchstaben SE sehe. Ein Geistlicher deutete sie als SERAFU (Seraphim). Später wurde der weitere Name KERUBU (Cherubim) hinzugefügt. So wurde der Name Cherubim und Seraphim zur Bezeichnung der Gesellschaft.
Beliebtheit und Ausbreitung
Nachdem ich ein Aladura geworden war, konnte ich sehr gut verstehen, wodurch diese Religionsgemeinschaft so beliebt war. Einige sind so wie ich damals von der Musik und dem Gesang angezogen worden. Andere kommen aufgrund der Behauptungen über Heilungen durch Gesundbeten zu den Erweckungsversammlungen, die gewöhnlich auf öffentlichen Plätzen abgehalten werden. Personen, die Schwierigkeiten haben oder wissen wollen, was die Zukunft bringt, oder sonstwie Hilfe suchen, werden auf das Gebet aufmerksam gemacht. Ja, Gebete werden für alles, was man sich denken kann, dargebracht: damit unfruchtbare Frauen Kinder bekommen, damit Marktfrauen einen blühenden Handel haben, damit Arbeitslose eine Stelle bekommen, um Unglück auf „Feinde“ herabzurufen usw. Viele sind stolz darauf, daß es sich hier um eine Bewegung der „Eingeborenen“ handelt und daß sie keiner ausländischen Gesundbeterbewegung angeschlossen ist.
Diese Religionsgemeinschaft hat sich schnell ausgebreitet. Sie ist aber keineswegs eine geeinte Organisation. Es haben sich viele Splittergruppen gebildet, so daß es heute sehr schwer ist, die genaue Zahl der verschiedenen Gruppen der Bewegung anzugeben. Einige Gruppen haben in anderen westafrikanischen Ländern Niederlassungen gründen können, zum Beispiel in Kamerun und sogar in entfernteren Ländern wie Sierra Leone.
Wie ich die Wahrheit der Bibel fand
Von Zeit zu Zeit hatte ich tief in meinem Sinn unbeantwortete Fragen. Aber ich ließ mich dadurch nicht von meiner Laufbahn als Prophet dieser Religionsgemeinschaft zurückhalten. Dann traf ich eines Tages einen christlichen Zeugen Jehovas. Ich war dem gegenüber, was er sagte, skeptisch und hätte nicht einen einzigen Augenblick gedacht, daß er mir zeigen könnte, daß die Bibel all meine Fragen beantworten würde. Doch tief in meinem Inneren hatte ich das Verlangen, die Wahrheit kennenzulernen.
„Nein“, sagte ich zu ihm, „ich möchte keines von Ihren Büchern haben.“ Aber ich erklärte mich einverstanden, regelmäßig mit ihm zusammenzukommen, um über die Bibel zu sprechen. Drei Monate lang gab es für mich einen Schlag nach dem anderen, als ich feststellte, daß das Höllenfeuer, die der Menschenseele innewohnende Unsterblichkeit, die Dreieinigkeit, Ostern, Weihnachten und viele andere Lehren unserer Kirche keine Glaubenslehren Jesu Christi und seiner Jünger waren. Diese Dinge werden, wie ich feststellte, in der Bibel nicht gelehrt.
Nun gab es in meinem Sinn viele Zweifel hinsichtlich des Glaubens der Aladuras. Ich kam mit vielen der anderen Propheten zusammen, aber ich erhielt auf meine Fragen keine befriedigenden Antworten. Zum Beispiel sagte ich zu einem von ihnen: „Ich erinnere mich, in einer Zeitschrift gelesen zu haben, daß ein früheres Mitglied unserer Kirche uns beschuldigt hat, ‚weibliche Anbeter zu verführen, die Arglosen um ihr Geld zu betrügen und andere Menschen auf jede Weise geistig irrezuführen‘. Derselbe Mann hat auch erklärt: ‚Der Geist Gottes beunruhigt die Menschen nicht und wirft sie nicht zu Boden, so daß sie sich in Krämpfen winden.‘ Ich weiß, daß einiges davon wahr ist. Was hast du dazu zu sagen?“
Meine Frage wurde mit unklaren Äußerungen beantwortet, und es wurden keine Bibelstellen angegeben. Ich kam zu der Überzeugung, daß die christlichen Zeugen Jehovas die Wahrheit haben müßten.
Gegensatz in den Zusammenkünften
Welch eine Überraschung war für mich doch die erste Zusammenkunft, der ich im Königreichssaal der Zeugen Jehovas beiwohnte! Zweiundzwanzig Jahre lang war ich die Gebetsversammlungen gewohnt, in denen wir Gebete sprachen, Stellen aus der Bibel lasen und dann sangen, tanzten, in die Hände klatschten und Trommeln rührten. Wenn all das ein Krescendo erreicht hatte, sprach jemand mit Donnerstimme in einer fremdartigen Zunge oder in einer Fremdsprache. Dann geriet er in Ekstase, in der sich sein Körper verrenkte. Wenn er „Halle-liu“ schrie, erwiderten alle Anwesenden „Halleluja“. Entweder übersetzte er seine „Zunge“, oder jemand anders von den Anwesenden behauptete, es zu tun. Dann folgte ein langes Gebet, das nach jedem kurzen Satz von einem lauten „Amin“ (Amen) der Anwesenden unterbrochen wurde.
Im Königreichssaal sah ich nun wahren Frieden. Dort erfuhr ich wirklich, daß Gott ein Gott der Ordnung und des Friedens und nicht der Verwirrung ist. (1. Kor. 14:33) Alle, die von der Bühne aus sprachen oder aus der Zuhörerschaft Kommentare gaben, redeten in unserer alltäglichen Sprache. Es war niemand zum „Übersetzen“ nötig. Am Anfang und am Schluß der Zusammenkünfte wurde auf würdevolle, doch aufrichtige, bescheidene Weise ein Gebet gesprochen. Niemand unterbrach. Niemand geriet durch den Gesang oder durch das Gesprochene in Ekstase. Doch wie wunderbar für das Ohr war der Gesang der Königreichslieder!
Weitere Gegensätze
Als ich die christlichen Zeugen Jehovas kennenlernte, stellte ich fest, daß viele früher Aladuras gewesen waren. Eine Erfahrung, die mir erzählt wurde, zeigt weitere Gegensätze zwischen Jehovas Zeugen und den Aladuras.
Ein Mann und seine Frau waren, bevor sie Jehovas Zeugen kennenlernten, sehr betrübt, da sie keine Kinder haben konnten. Sie entschlossen sich, einen Arzt aufzusuchen, wurden aber in letzter Minute überredet, zu einem Propheten der Aladuras zu gehen. Dieser Prophet betete und sagte, er sehe drei Sterne, was bedeute, daß die Frau in drei Monaten schwanger werden würde. Sie gaben dem Propheten 10 Pfund (etwa 28 Dollar) und ein Bett, aber nach drei Monaten tat sich nichts.
Sie bezahlten noch mehr Geld, es wurden weitere Gebete gesprochen, und weitere drei Monate vergingen. Dann sagte der Prophet, er sehe in einer Vision die Schwiegermutter mit umgekehrtem Kopf durch die Kirche gehen. „Sie ist eine Hexe“, sagte er, „und an ihr liegt es, daß deine Frau nicht schwanger wird.“ Er sagte dem Mann, seine Frau müsse sich von ihrer Mutter fernhalten. Daher besuchten sie ihre Mutter zweieinhalb Jahre nicht, obwohl sie nicht einmal dreihundert Meter entfernt wohnte! Trotzdem kam kein Kind.
Dann sagte ihnen ein anderer Prophet, sie sollten umziehen, und sie zogen nach Lagos. Sie gaben noch mehr Geld aus, damit ein anderer Prophet jeden Monat sieben Tage mit der Frau am Strand betete. Nach fünf Monaten kam das enttäuschte Ehepaar zu dem Entschluß, daß es töricht gewesen sei und vier Jahre lang Zeit und Geld verschwendet hätte. Daher gingen die beiden zu dem Arzt, den sie anfangs hatten aufsuchen wollen. Dann wurde die Frau nach drei Monaten schwanger und brachte später eine Tochter zur Welt. Danach kamen die beiden mit den christlichen Zeugen Jehovas zusammen und lernten die Wahrheit der Bibel kennen. Und das war kostenlos.
Ich hatte nun das Gefühl, als ob ich ans Licht käme, nachdem ich in eine finstere Wolke gehüllt gewesen war. Ich war nun frei von bösen Geistern, denn Jehovas Zeugen halten sich von jeder Art des Spiritismus fern, da sie wissen, daß er in der Bibel verurteilt wird. (Gal. 5:19-21; 5. Mose 18:10-12) Es fiel mir nicht schwer, mich von der falschen Religion zu trennen und die Kirche der Cherubim und Seraphim zu verlassen. Obwohl ich von vielen meiner früheren Freunde sehr verspottet wurde, war ich nun kein Aladura mehr.
Ich war frei, und die Wahrheit der Bibel hatte mich frei gemacht. Dann kam einer der glücklichsten Tage meines Lebens, als ich mich 1966 taufen ließ, um meine Hingabe an Jehova zu symbolisieren. Welch ein Vorrecht ist es doch für mich seither gewesen, auf die richtige Weise als wahrer Diener Jehovas Gottes tätig zu sein!