Erfüllen Gefängnisse ihren Zweck?
NEIN, die Auffassung, eine Gefängnisstrafe hindere Menschen daran, Verbrechen zu begehen, erwies sich nicht als richtig. Die Verbrechen nahmen sogar zu.
Auch war eine Gefängnisstrafe denen, die sie verbüßt hatten, nicht zum Nutzen. Gewöhnlich hatte das Gefängnis eine negative Wirkung. Das war eine Ironie, denn die Gesellschaft sperrte den Straffälligen ein, weil er für die betreffende Gesellschaft ein schlechter Mensch war, aber die bedauernswerte Umgebung machte den Straffälligen gewöhnlich noch schlechter. Dann wurde er entlassen und kam in die Gesellschaft zurück, und oft gelangte er schließlich wieder ins Gefängnis, und zwar für eine noch längere Zeit!
In neuerer Zeit erfuhr der Grundgedanke hinsichtlich der Gefängnisse einen weiteren bedeutenden Wechsel. Der neue, von aufrichtigen Reformern geförderte Gedanke war der, die Wiedereingliederung, die Besserung der Gefangenen, zu einem Hauptziel im Gefängnisleben zu machen.
James Bennett, siebenundzwanzig Jahre lang Direktor von Bundesgefängnissen in den Vereinigten Staaten, sagte über die Abschaffung der körperlichen Züchtigung gemäß dieser neuen Auffassung: „Den Beamten in den Bundesstrafanstalten ist es jedoch streng verboten, irgend etwas anzuwenden, was einer eigenmächtigen Handlungsweise gleichen oder was als körperliche Züchtigung ausgelegt werden könnte. Sie tun es nicht, teils, weil es unerwünscht ist, und auch, weil es nicht so wirkungsvoll ist wie der Entzug von Vergünstigungen, ein Arbeitsplatzwechsel oder das Absagen geschätzter Besuche.“
Gefangene, die nicht zur Zusammenarbeit bereit waren, konnten auch „Punkte für gute Führung“ verlieren, durch die sie zu einem früheren Zeitpunkt für eine bedingte Entlassung in Frage gekommen wären.
Aber worauf sollte sich die Wiedereingliederung — außer auf die Abschaffung von Brutalität und auf verbesserte Lebensbedingungen — noch stützen? Angeblich sollte sie einen Gefangenen durch eine richtige Ausbildung lehren, sich von seinem eigensinnigen Lauf abzuwenden. Dazu sollte gehören, ihm neue Fachkenntnisse beizubringen, damit er ein nützlicheres Glied der Gesellschaft würde.
Ist dies tatsächlich geschehen? Werden diese Ziele durch die heutigen Gefängnisse erreicht?
Verhältnisse in den Gefängnissen
Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die Verhältnisse in den Gefängnissen im allgemeinen viel besser sind, wenn man sie mit den Schrecken vor einigen Jahrhunderten vergleicht. Sind die Verhältnisse aber so, daß sie sich gut auf die Menschen auswirken, indem sie ihre geistige Einstellung verbessern?
Senator Edward Brooke aus Massachusetts erklärte, die Verhältnisse in den Gefängnissen seien fast überall beklagenswert und führten zur Entmenschlichung. William Anderson, ein Mitglied des amerikanischen Repräsentantenhauses aus Tennessee, erklärte: „Das amerikanische System der Bestrafungen ist für die ganze Nation eine Schande.“
Bundessachverständige, die einen Rundgang durch ein Zuchthaus im westlichen Teil des Staates Virginia machten, nannten es „eine vollständige Katastrophe“ und, „was die Haft betrifft“, einen „bösen Traum“. Gewalttat war weitgehend unkontrolliert. Rauschmittel und Alkohol waren verbreitet. Ein Staatsanwalt sagte über das Gefängnis: „Es ist völlig sinnlos, einen Mann in dieses Gefängnis zu schicken, denn er wird noch schlimmer herauskommen.“
Die in San Francisco erscheinende Zeitung Chronicle berichtete über den Fall eines Zeugen Jehovas, der als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen im Gefängnis war. Eines Tages beobachtete dieser friedliebende Mann eine Unruhe in einer anderen Zelle. Später kamen die Wärter und schlugen die Gefangenen, auch den Zeugen Jehovas! In der Zeitung hieß es: „Sie würgten und schlugen ihn auf den Hals und brachten ihn dann ans Ende des Ganges, wo ,die anderen Gefangenen so brutal und unmenschlich geschlagen wurden, daß er es nicht mit ansehen konnte‘ und er den Kopf abwandte.“ Er erhob die Beschuldigung, daß ihn ein Wärter auch mit einem Knüppel ins Auge und an die Schläfe geschlagen habe. Dann kam er in Einzelhaft und erhielt keine ärztliche Betreuung. Doch hatte er mit der ursprünglichen Unruhe gar nicht einmal etwas zu tun gehabt.
Da keine Angehörigen des anderen Geschlechts da sind, greift ferner in Männergefängnissen die Homosexualität und in Frauengefängnissen die lesbische Liebe um sich. Massenangriffe durch Homosexuelle sind häufig. In dem Buch I Chose Prison (Ich wählte das Gefängnis) erklärt ein ehemaliger Bundesgefängnisbeamter hierüber: „Niemand hat gezeigt, wie das Problem gelöst werden kann.“
In Kanada berichtet die in Windsor erscheinende Zeitung Star, nach einer Untersuchung des Problems seien dreiundzwanzig Richter über das, was sie festgestellt hätten, „entsetzt“ gewesen. In der Zeitung hieß es: „Ehemalige Insassen haben vor offiziellen Kommissionen berichtet, es sei einem jungen Mann in den meisten Gefängnissen im ganzen Land fast unmöglich, unzüchtigen Belästigungen dauernd zu entgehen. ,Es geschieht ständig‘, sagt John Tennant, der 13 Jahre hinter Gittern verbracht hat. ,Ich habe gesehen, wie junge Burschen Nacht für Nacht von drei oder vier Insassen angegriffen wurden.‘“
Auch für Frauen kann das Gefängnisleben verderblich sein. Die beschränkte Bewegungsfreiheit, die Kleinigkeiten des Gefängnislebens, die strenge Zeiteinteilung, der seltene Kontakt mit Personen, die sie lieben, die Gefahr sexueller Unsittlichkeit, all das ist äußerst bedrückend.
Krishna Nehru Hutheesing, die Schwester des früheren indischen Premierministers, sagte über ihren Aufenthalt in einem indischen Gefängnis aufgrund politischer Anklagen vor einigen Jahren: „Das Fehlen menschlicher Kontakte, die unverschämte Art, wie man mit uns sprach, und die dort herrschende bedrückende Atmosphäre wurden für mich manchmal unerträglich.“ Sie sprach von einem Leben „voller Drohungen, Gewalttat, Gemeinheit und Korruption, und stets fluchten die einen und verhielten sich die anderen kriecherisch. Jemand, der überhaupt empfindsam war, befand sich in einem Zustand ständiger Verkrampfung, in dem seine Nerven aufs äußerste gespannt waren.“
Über Kinder, die von Familiengerichten in Besserungsanstalten geschickt wurden, berichtete die New York Times vom 27. Juli 1971: „In der Besserungsanstalt wird es mit Kindern eingesperrt, die jemand getötet, ausgeraubt oder überfallen haben und andere Verbrechen verübt haben. Homosexualität ist verbreitet. In dem Versuch, ein Problem zu lösen, hat das Gericht das Kind in eine Situation gebracht, die nur zu weiteren Problemen führen kann.“
Wie steht es mit der Besserung?
Es ist klar, daß all diese Verhältnisse nicht zu jemandes Besserung beitragen. Aber wie steht es mit Programmen der Wiedereingliederung, zum Beispiel mit der Aneignung neuer Fachkenntnisse? Können sie jenen anderen, negativen Einflüssen entgegenwirken?
Selbst unter Gefängnisbeamten lautet die übereinstimmende Antwort nein. Sie geben offen zu, daß wenige nützliche Kenntnisse erworben werden, daß die Arbeit langweilig und eintönig ist und daß es wirklich kein vernünftiges Programm zur Verbesserung der Geistesverfassung des Gefangenen gibt, die der Schlüssel zur Besserung wäre.
In der New York Post vom 18. September 1971 wurden folgende Worte des Oberrichters Burger vom Obersten Bundesgericht der Vereinigten Staaten angeführt: „Nur wenige Gefängnisse haben heute ein Mindestprogramm für den Unterricht oder die Berufsausbildung, um den Gefangenen vorzubereiten, damit er als nützlicher, sich selbst versorgender Mensch wieder in die Gesellschaft zurückkehrt.“
Die in England erscheinende Wochenzeitung Guardian Weekly brachte einen Brief eines Gefangenen, der dort kurze Zeit zuvor aus dem Gefängnis entlassen worden war. Er schrieb: „Es war so überfüllt, daß es ungesund war, und die sanitären Einrichtungen waren so unzureichend, daß man es nur mit dem Wort ,Dreck‘ in seiner schlimmsten Bedeutung beschreiben kann. ... Eine Gefängnisstrafe mag eine Demütigung, eine Erniedrigung und ein Schimpf für jemandes Stolz und Charakter sein ... Keineswegs und in keiner Art oder Form ist sie jedoch eine Besserungszeit für den Verbrecher oder eine Schutzmaßnahme gegen weitere Verbrechen.“
Diese Bewertung wird überall durch Beweise unterstützt. Die heutigen Gefängnisse sind kein Abschreckungsmittel gegen Verbrechen, da diese in fast jedem Land der Erde explosionsartig zunehmen. Und die Gefängnisse bewirken nicht das, was die Reformer erwartet hatten; sie bewirken nicht, daß Verbrecher nach ihrer Rückkehr in die Gesellschaft ein nützlicheres Leben führen. In dem Nachrichtenmagazin U.S. News & World Report vom 27. September 1971 hieß es: „Das Versagen der Gefängnisse, Verbrecher zu bessern, wird durch die Statistik bewiesen, die zeigt, daß etwa 80 Prozent aller schweren Verbrechen von ,Rückfälligen‘ begangen werden.“
[Bild auf Seite 7]
Kinder, die in Besserungsanstalten geschickt werden, werden oft in eine Situation gebracht, die nur zu weiteren Problemen führen kann.