Welche Bedeutung hat das „Markus-Fragment“?
NEUN Fragmente aus der Sammlung der Schriftrollen vom Toten Meer sind nach der Ansicht des spanischen Jesuitengelehrten José O’Callaghan Teile der Griechischen Schriften. Ein Fragment, das kaum größer ist als ein Daumenabdruck, wird von ihm auf das Jahr 50 u. Z. datiert. Da man von diesem Fragment annimmt, daß es einen Teil von Markus 6:52, 53 enthält, hat es große Beachtung gefunden.
Bekannte Zeitungen und Zeitschriften haben O’Callaghans Arbeit als „die biblische Entdeckung des Jahrhunderts“ und als den „sensationellsten biblischen Fund der letzten Jahre“ bezeichnet und die Meinung vertreten, sie könne „die Erforschung des Neuen Testaments revolutionieren“. Vorsichtige Gelehrte und Verlagshäuser wollten jedoch weiteren Aufschluß abwarten, bevor sie sich einer solch entschiedenen Ansicht anschließen würden. Was zeigen nun die Tatsachen über diesen angeblichen Teil des Markusevangeliums?
Das Fragment mit der Bezeichnung 7Q5 — eine Fotokopie ist hier abgedruckt — enthält nicht einmal ein Dutzend gut erkennbare griechische Buchstaben. Der Teil von Markus 6:52, 53, der nach O’Callaghans Ansicht bruchstückhaft in dem Fragment erscheint, verlangt über hundert Buchstaben. Wir haben die Zeilen dieser Verse so aufgeteilt, wie es seine Theorie erfordert, und haben angegeben, wie sie aus den meisten griechischen Texten übersetzt werden.
Wie man leicht erkennen kann, muß offensichtlich ein sehr großer Teil der Verse ergänzt werden. Was enthüllt ein Studium dieses Fragments?
Wie aus der Abbildung hervorgeht, ist Zeile 1 praktisch nicht vorhanden.
In Zeile 2 sind ungefähr die Hälfte der Buchstaben für das Wort, das mit „ihr“ übersetzt werden soll, unversehrt; der Rest der Zeile muß größtenteils rekonstruiert werden.
In Zeile 3 soll dann das einzige vollständige Wort des Fragments, KAI (das übliche griechische Wort, das „und“ bedeutet), erscheinen. Wenn man annimmt, daß es sich bei dem Fragment um diese Verse aus dem Markusevangelium handelt, würden die nächsten beiden Buchstaben den Anfang ‘des griechischen Ausdrucks bilden, der mit „hinübergefahren“ übersetzt wird. Obwohl diese beiden Buchstaben DI lauten sollten, wie das in fast allen griechischen Bibelmanuskripten der Fall ist, scheinen sie in diesem Fragment TI zu lauten. Der Rest der Zeile ist verlorengegangen.
In Zeile 4 sind nur zwei vollständige Buchstaben zu finden, die die Buchstaben NE aus „Genezareth“ (griechisch: Gennesarét) sein sollen. Die anscheinend unvollständigen Striche zweier weiterer Buchstaben rechts und links davon sind nach der Ansicht O’Callaghans als N und S zu deuten. Die anderen Buchstaben der Zeile sind abgerissen.
In Zeile 5 erscheint ein vollständiges E und ein Teil eines anderen Buchstabens, der groß genug ist, um als S gedeutet zu werden; der Rest der Zeile fehlt.
So, wie sich O’Callaghan die Anordnung der Zeilen vorstellt, würde der Ausdruck in Zeile 3, der mit „ans Land“ übersetzt wird und praktisch in allen griechischen Texten zu finden ist, in dem Manuskript fehlen, von dem dieses Fragment stammt.
Außerdem ist das Datum, 50 u. Z., das aufgrund des Schriftstils angenommen wurde, zweifelhaft. Andere Gelehrte datieren das Fragment in das Jahr 100 und sogar 150 u. Z. Aus den obengenannten und anderen Gründen ist es nicht überraschend, daß viele Gelehrte O’Callaghans Theorie nicht anerkennen.
Zum Beispiel untersuchte Pierre Benoit, Direktor der École Biblique et Archéologique Française in Jerusalem, die Originalfragmente (O’Callaghans Arbeit stützte sich auf Fotokopien). Benoits Meinung wurde in der New York Times veröffentlicht: „Die Schrift auf den Papyrusfetzen sei undeutlich, sagte Vater Benoit in einem Interview, aber selbst wenn er seine Phantasie anstrenge, sei er nicht in der Lage, die Buchstaben auf dem Fragment als die zu identifizieren, die nötig seien, um Vater O’Callaghans Vermutung zu stützen. Ja, eine Stelle, die auf den Fotokopien als ein möglicher Teil eines griechischen Buchstabens in der Lesart von Vater O’Callaghan erschien, erwies sich in dem Originalfragment lediglich als ein Loch im Papyrus“ (30. Juli 1972, Seite 14).
Es ist lobenswert, daß einige, die das Fragment auf einen frühen Zeitpunkt datieren, diejenigen zum Schweigen bringen möchten, die behaupten, das Markusevangelium sei erst lange nach Jesu Tod zusammengestellt worden. Aber ist dazu ein kleiner, obskurer Fetzen Papyrus nötig? Wie wäre es, wenn man einmal untersuchen würde, was das Markusevangelium selbst zu sagen hat?
Wie steht es zum Beispiel mit dem prophetischen Ausspruch Jesu über den Sturz Jerusalems? Die Römer zerstörten Jerusalem erst im Jahre 70 u. Z. Doch Markus zitiert Jesu Worte, um zu zeigen, was die Zukunft bringen würde. Wenn Markus seinen Bericht erst nach dem Jahre 70 u. Z. geschrieben hätte, warum hat er dann nicht die Erfüllung aufgezeichnet? Hätte das nicht gezeigt, daß Jesus ein wahrer Prophet gewesen war? Schon dieser eine Punkt im Markusbericht zeigt, daß dieses Evangelium vor den Ereignissen des Jahres 70 u. Z. niedergeschrieben wurde (Mark. 13:14-20; vergleiche Lukas 21:20-23).
Doch selbst wenn sich das 7Q5 (oder ein anderes Fragment, das später gefunden werden mag) einmal als das erweisen sollte, wofür man es hält, würde es dann diejenigen beeinflussen, die nicht an die Bibel glauben? Bedenke, daß im Jahre 1947 in einer Höhle in der Nähe der Stelle, von der diese Fragmente stammen, die hebräische Schriftrolle des gesamten Buches Jesaja gefunden wurde. Diese Buchrolle hat bewiesen, daß der überlieferte (massoretische) Text im wesentlichen korrekt ist.
Aber glauben jetzt, nachdem 27 Jahre vergangen sind, wenigstens in der Christenheit die meisten Menschen, daß das Buch Jesaja von Gott inspiriert ist? Haben sich Religionswissenschaftler bemüht, den Kirchgängern diese wichtige Tatsache einzuprägen?
Nein! Statt dessen haben sich die meisten von ihnen mit dem Schriftstil der Buchrolle befaßt. Oder sie haben Haarspaltereien wegen der geringen Abweichungen vom überlieferten Text betrieben. Wenn sich die Menschen nicht durch eine vollständige Schriftrolle von der Glaubwürdigkeit des Bibeltextes überzeugen lassen, wie sollen sie dann durch den bruchstückhaften Text eines Fragments überzeugt werden?
Zwar verfolgen wahre Christen solche Entdeckungen mit Interesse, aber sie vergessen nicht, daß ihr Glaube nicht auf ein paar fragwürdigen Papyrusfetzen beruht, sondern auf der deutlichen Botschaft der Bibel und ihres lebendigen Urhebers (2. Tim. 3:16, 17).
[Bild auf Seite 9]
1. „Bedeutung der Brote nicht erfaßt,
2. sondern ihr Herz blieb
3. im Verständnis abgestumpft. Und als sie ans Land hinübergefahren waren,
4. kamen sie nach Genezareth und
5. gingen nahe dabei vor Anker.“