Das Leben eines Wals
Vom „Awake!“-Korrespondenten auf Hawaii
WAS haben teures Parfüm, Kosmetika, Tierfutter und Margarine gemeinsam? Sie alle können — zumindest teilweise — Produkte des Wals sein. Ja, der Wal hat so viel zur Herstellung solcher Dinge beigetragen, daß er von der Ausrottung bedroht ist.
Die Bewohner Hawaiis heißen Wale aus einem anderen Grund willkommen. Für sie ist das Auftauchen von Walfamilien ein Zeichen dafür, daß es viele Fische geben wird. Jeden Dezember oder Januar kehren die großen Buckelwale für vier Monate hierher zurück und bieten vor der Küste der Hawaii-Insel Maui ein eindrucksvolles Schauspiel. Die 12 bis 15 Meter langen Wale spielen, pusten Wasser aus ihrem Atemloch und tollen herum wie Kinder auf einem Spielplatz.
Die Wale kommen nach Maui, um ihre Jungen in einem sicheren, wärmeren Klima auszutragen und um den Babys den ersten Unterricht zu geben. Warum Mutter Wal die felsigsten Küsten von Maui aussucht, um dort ihr fünf Meter langes Baby zur Welt zu bringen, ist nicht bekannt. Aber während sie in den Wehen liegt, führt Papa Wal eine ganz schöne gymnastische Schau auf. Einige sagen, daß er die Haie von der „Entbindungsstation“ fernhalte.
Die Eigenarten verschiedener Wale
Der eben beschriebene Wal hat einen leicht gekrümmten Rücken, und auf dem Kopf hat er eigenartige Höcker. Die Schwanzflosse und die Brustflossen haben einen gezackten Rand. Seine Brustflossen, die bis zu dreieinhalb Meter lang sind, sind länger als die irgendeiner anderen Walart. Der Buckelwal hält sich in der Nähe von Küstengebieten auf und kann — nach den Maßstäben der Wale gemessen — nicht besonders tief tauchen. Doch da er soviel Öl enthält und leicht zu töten und zu verarbeiten ist, sagen Experten, seine Art sei als erste von der Ausrottung bedroht.
Andere Wale weisen vielleicht charakteristischere Merkmale auf oder sind besser bekannt. Zum Beispiel ist da der Blauwal, das größte bekannte Tier auf Erden. Er wird durchschnittlich 25 bis 30 Meter lang und wiegt 120 Tonnen. Dann gibt es auch den Grönlandwal, der wegen des Fischbeins für die Industrie früher der wichtigste Wal war. Aber der berühmteste und am heftigsten verfolgte Wal ist der Pottwal, von dem das bekannte Buch und der ebenso bekannte Film Moby Dick handeln.
Den Pottwal kann man leicht an seinem großen, massigen Kopf, der fast ein Drittel seiner Körperlänge ausmacht, erkennen und daran, daß er nur ein einziges „Spautloch“ (Nasenöffnung) hat. Der massive Kopf enthält gewaltige Mengen hochwertigen flüssigen Walrats, für das man heute 31 bis 35 Cent pro Pfund zahlt. Die Eingeweide des Pottwals enthalten häufig Ambra. Diese eigenartige weiche Masse ist ein geschätzter Bestandteil teurer Parfüme. Ambra ähnelt weichem Pech, aber sie ist nicht klebrig, wenn sie kalt ist, und sie ist auch nicht schmierig, wenn man sie anfaßt. Ambra kann einen muffigen Geruch haben und kann schwarz, braun oder sogar weißlich sein. Heute bringt Ambra pro Unze 7.50 $ bis 12 $ ein.
Das Leben des Pottwals
Eines der Gebiete, in denen die Pottwale ihre Jungen zur Welt bringen, befindet sich ungefähr 200 Seemeilen westlich von Mexiko, im Wendekreis des Krebses. Hier wird gerade ein Walkälbchen geboren. Nur zwei andere Säugetiere werden auf die gleiche Weise, nämlich unter Wasser, geboren: die Seekuh und das Flußpferd. Mit dem Schwanz voraus, kommt es rückwärts zur Welt. Bei der Geburt ist es etwa vier Meter lang und wiegt eine Tonne!
Doch denke nicht, daß das Baby lächelt, wenn es sein rosafarbenes, zahnloses Maul öffnet. Da es seine Stirn nicht runzeln kann wie Menschen, bleibt sein Gesicht starr und ausdruckslos. Es kann nur mit den Augen rollen und die Kiefer auf- und zuklappen. Selbst wenn das Kälbchen lächeln könnte, würde es das nicht tun, denn das Wasser ist kalt. Sechzehn Monate lang hat es bei einer Temperatur von 35 °C im warmen Mutterleib gelegen, und nun schnappt es nach Luft, während seine Mutter es mit ihrem breiten Gesicht an die Oberfläche stupst. Das Baby kann nämlich nicht instinktiv schwimmen. Seine Mutter muß es ihm beibringen. Doch da es fett ist, kann es ganz gut auf der Oberfläche treiben. Der größte Vorteil, bei der Geburt groß zu sein, besteht darin, daß man warm bleibt. Je größer das Körpervolumen ist, desto langsamer geht die Körperwärme an das kalte Meer verloren. In den nächsten zwei Jahren wird es an den Brüsten seiner Mutter (zwei Zitzen, die an jeder Seite des Körpers in einem tiefen Schlitz versteckt liegen) saugen — eine dicke Milch, die zu über 33 Prozent aus reinem Fett besteht. Die übliche Kuhmilch enthält nur 4 Prozent Fett.
Die einen Zoll dicke Speckschicht des Pottwalkälbchens wird im Laufe der Jahre wachsen, bis sie eine über 30 Zentimeter dicke feste Hülle ist. Das Walkälbchen wird jeden Tag durchschnittlich drei Kilogramm zunehmen, während es seiner Mutter wie ein Schatten folgt. Wegen seiner Fettreserven im Körper wird es später wochenlang ohne Nahrung auskommen können. Wenn es jedoch anfängt, sich von seiner späteren Lieblingsnahrung, von Tintenfischen, zu ernähren, wird es einige Probleme mit der Verdauung haben. Man sagt, daß die Tintenfische für die Bildung von Absonderungen im Darm verantwortlich sind, die dann wachsen und sich mit Gallenflüssigkeit und anderen organischen Verbindungen, die im Darm zu finden sind, vermischen und die begehrte Ambra bilden.
Etwas Außergewöhnliches bei Walen ist ihre große Sorge füreinander. Wenn ein Wal in Not ist, stößt er einen wilden Ruf aus, und seine Gefährten kommen herbeigeschwommen. Sie werden ihre Schulter unter einen verletzten oder kranken Gefährten schieben und ihm an die Oberfläche helfen. Walfänger nutzten diese liebevolle Eigenart zu ihrem Profit aus. Gewöhnlich verletzten sie auf grausame Weise ein Walkälbchen, da sie wußten, daß die Mutter ihm zu Hilfe kommen würde, und dann töteten sie die Mutter und ihr Junges.
Wenn der Pottwal seine frühe Ausbildung abgeschlossen hat, ist er ein Experte im Tauchen. Ein Pottwal tauchte einmal 980 Meter tief, verfing sich in einem Unterseekabel und ertrank. Wissenschaftlern ist es ein Rätsel, wie diese Säugetiere schnell in solche Tiefen tauchen und dann genau zur richtigen Zeit wieder auftauchen können, um Atem zu holen, ohne sich dabei die Caissonkrankheit zuzuziehen, wie dies beim Menschen der Fall wäre.
Mit neun Jahren hat der Pottwal seine Geschlechtsreife erreicht. Seine volle Größe von 15 bis 20 Metern wird er zwischen dreißig und fünfundvierzig Jahren erreichen, und er kann fünfundsiebzig Jahre alt werden.
Die Wissenschaft der Cetologie
Während Meeresforscher erklären, es sei unmöglich, tief in die Geschichte irgendeines Wals einzudringen, ist die Wissenschaft der Cetologie (oder Walkunde) auf Tatsachen aufgebaut, die von Walbiologen sorgsam zusammengetragen worden sind. Biologen können zum Beispiel aufgrund der Art der Algenschicht, die sie vom Rücken eines harpunierten Tieres kratzen, vermuten, daß das Tier kurz vorher in kalten Gewässern gelebt hat. Oder sie schneiden die Eierstöcke eines Wals auf und zählen die Schwangerschaftsnarben, um sich ein Bild von seiner Fortpflanzungsgeschichte machen zu können.
Die Wissenschaft der Cetologie befaßt sich auch mit den nahen Verwandten des Wals: den Delphinen und den Tümmlern. Sie alle sind Säugetiere, sind warmblütig, geben Milch und atmen Luft. Die größeren Arten sind als Wale bekannt. Die kleineren Arten mit spitzer Schnauze werden Delphine genannt, die mit einem runden Kopf Tümmler. Und dann gibt es eine ungewöhnliche Art, Narwal genannt, die nur einen Zahn hat, nämlich einen schraubenförmig gedrehten Stoßzahn, der bis zu zweieinhalb Meter lang wird.
Die Walfangindustrie und ihre Geschichte
Die nordischen Siedler Grönlands waren bereits Walfänger, aber die Basken, die im elften und zwölften Jahrhundert am Golf von Biskaya lebten, werden als die ersten professionellen Walfänger bezeichnet. Sie kamen schon früh nach Neufundland und hatten im Jahre 1522 eine gut ausgerüstete Fischereiflotte. In jener Zeit jagte man den Wal nicht mehr seines Fleisches wegen, sondern wegen seines Öls und seines Fischbeins. Das Öl wurde in erster Linie als Beleuchtungsmittel verwendet, und das Fischbein wurde für Peitschen, Regenschirme und verschiedene Kleidungsstücke für Frauen benutzt. In den 1890er Jahren brachte ein Kilogramm Fischbein 11 $ ein.
Die Suche nach der Nordwestpassage führte Seeleute in kalte Gewässer, wo es von Walen wimmelte, und nun erhielt das Walfanggeschäft einen großen Aufschwung. Durch die jahrelange Jagd in leicht zugänglichen Gewässern waren die Wale sehr dezimiert worden, und so war die Nachricht von dem unberührten Meeresreichtum der Arktis eine willkommene Botschaft.
Während die Zahl der Wale immer mehr reduziert wurde, mußten die Walfänger ihre Tätigkeit auf das offene Meer ausdehnen. Am Anfang wurde der „Blubber“, die Speckschicht, in Fässer gepackt und in die Heimat gebracht, wo dann das Öl aus dem Speck ausgekocht wurde. Im Jahre 1680 hatten die Niederländer im Walfanggeschäft 260 Schiffe eingesetzt und 14 000 Mann beschäftigt. Danach fing man an, das im Speck enthaltene Öl an Bord auszukochen. Dadurch konnten die Schiffe ihren Wirkungsbereich beträchtlich ausdehnen.
Die Indianer und die frühen europäischen Siedler hatten an den Küsten Amerikas schon lange Wale gefangen, aber erst im Jahre 1712 begann der große Pottwalhandel für die Vereinigten Staaten. Bald wurden amerikanische Schiffe auf jedes Meer geschickt.
Ein hartes Leben
Vom Gesichtspunkt des Wals aus betrachtet, ist das Leben nicht einfach. Der Rücken vieler Wale ist von hellen kreisförmigen Narben übersät, die die kräftigen Saugnäpfe der Fangarme des Tintenfisches oder des Kraken hinterlassen haben. Alle älteren Wale sind wiederholt von den Schnäbeln der Riesentintenfische am Kopf verletzt worden. Der Schwertfisch ist ein weiterer Feind, und sein 75 Zentimeter langes Schwert bleibt manchmal in der Speckschicht des Wals stecken.
Aber bei weitem der schlimmste Feind dieser verspielten Ungetüme der Tiefe ist der Mensch. Doch der Wal wird nur dann Menschen angreifen, wenn er gereizt wird. Dann hat er mit seiner gewaltigen „Fluke“ oder Schwanzflosse schon manches Mal die alten Walfangboote in Stücke geschlagen. Manch ein „Fang“ war erfolglos, selbst nachdem das Tier schon harpuniert worden war, weil es in seinen Qualen mit seinem Schwanz auf das Boot einhieb oder es sogar zwischen seinen Kiefern zermalmte.
Durch die Habgier des Menschen sind die Wale jedoch fast ausgerottet worden. Im Jahre 1850 erkannte der König von Hawaii diese Gefahr und erließ eine Verordnung, durch die der Massenvernichtung der Wale vor Maui Einhalt geboten wurde. Das war die erste Einschränkung, die Walfängern irgendwo auf der Erde auferlegt wurde.
Mit der Einführung der Harpunenkanone im Jahre 1865 und der leistungsfähigen schwimmenden Kochereien ist das Abschlachten der Wale intensiviert worden. Jetzt setzen Japan und Rußland auch Echolote und Hubschrauber ein, um diese Tiere, deren Zahl rasch abnimmt, weiter zu verfolgen. Meeresbiologen schätzen, daß weniger als 300 Glattwale wie der Grönlandwal in den Meeren übriggeblieben sind. Der Blauwal ist auf schätzungsweise 6 000 Tiere dezimiert worden, und es gibt nur noch etwa 10 000 Grauwale. Der Finnwal, der Seiwal und der Pottwal sind praktisch die einzigen Wale, die noch in größerer Zahl vorkommen.
Hat der Wal Zukunft?
Wie kann die völlige Ausrottung des Wals verhindert werden?
Auf der Umweltschutzkonferenz der Vereinten Nationen, die vergangenen Juni in Stockholm stattfand, forderten die Vereinigten Staaten eine zehnjährige Unterbrechung des kommerziellen Walfangs, und die Resolution wurde verabschiedet. Die Internationale Walfangkommission weigerte sich jedoch, das Verbot anzuerkennen. Einige Gruppen setzen sich dafür ein, daß gegen Walfang treibende Nationen direkte wirtschaftliche Sanktionen verhängt werden.
Verschiedene Nationen, wie Großbritannien, Kanada und die Vereinigten Staaten, haben das Walfanggeschäft völlig aufgegeben. In einem Land zog eine Gesellschaft, die einmal 40 000 Seeleute und 750 Schiffe hatte, ihre letzten 4 Schiffe und 40 Seeleute aus dem Dienst, als sich das Wirtschaftsministerium dieses Landes weigerte, die Walfanglizenz zu erneuern. Außerdem haben einige Länder die Einfuhr von Walprodukten verboten. Anhänger des Naturschutzgedankens erklären, daß für alle gegenwärtigen Verwendungszwecke des Wals andere Möglichkeiten vorhanden seien.
Wie bei anderen Formen tierischen Lebens hängt die Zukunft des Wals hauptsächlich vom Menschen ab. Und gewiß ist es ermutigend, wenn Menschen Maßnahmen ergreifen, um diese wunderbaren Geschöpfe Gottes zu schützen.