Hormone als Medizin
„FRAU aus Denver bringt Sechslinge zur Welt“, so lautete am 18. September 1973 eine Schlagzeile auf der ersten Seite der New York Times. Der Artikel enthielt Bilder vom Vater und von der Mutter, die beide lächelten. Worauf war es zurückzuführen, daß sie Sechslinge bekommen hatten? Auf Hormonspritzen!
Vier Jahre vorher hatte die Mutter einen Sohn zur Welt gebracht, aber danach konnte sie nicht mehr empfangen. Ihr Arzt experimentierte mit verschiedenen Hormonen, und schließlich halfen der Frau die Injektionen eines Hormons, das aus dem Urin von Frauen, die die Wechseljahre hinter sich hatten, gewonnen worden war. Sie wurde wieder schwanger. Eine Nebenwirkung der Injektionen war jedoch, daß ihr Gewicht kurz vor der vorzeitigen Geburt der Sechslinge von 59 auf 89 Kilogramm stieg.
Der Versuch, Frauen, die nicht empfangen konnten, zu helfen, schwanger zu werden, ist nur einer der vielen Bereiche, in denen Ärzte heute Hormone anwenden. Und das ist keineswegs überraschend, wenn wir erfahren, daß alle biologischen Vorgänge im Körper zumindest teilweise durch Hormone beeinflußt werden. Da du oder ein Verwandter oder jemand aus deinem engeren Bekanntenkreis aufgefordert werden mag, unter medizinischer Aufsicht Hormone zu nehmen, wäre es gut, wenn du etwas darüber Bescheid wüßtest. Dadurch wirst du besser in der Lage sein, zu verstehen, welche Faktoren dabei eine Rolle spielen, und wirst eine vernünftige Entscheidung treffen können.
Was sind Hormone?
Menschliche Hormone sind chemische Wirkstoffe, die vom Körper auf natürliche Weise erzeugt werden. Wenn sie im richtigen Gleichgewicht sind, üben sie eine wichtige physiologische Wirkung auf den fein abgestimmten menschlichen Organismus aus. Eine besonders wichtige Rolle spielen Hormone bei der Anpassung des Körpers an Veränderungen seiner Umwelt, und diese Anpassung ist oft lebenswichtig. Zum Beispiel muß die Körpertemperatur von 37 °C, von kleinen Abweichungen abgesehen, konstant bleiben, während die Außentemperatur zwischen 70 ° unter Null und 55 ° über Null schwanken kann. In einem anderen Fall kann durch anstrengende Arbeit so viel Wärme erzeugt werden, daß unsere Muskeln buchstäblich kochen würden, wenn der Körper kein Mittel hätte, um sich abzukühlen. Diese Erhaltung des inneren Gleichgewichts im Körper trotz der Veränderungen der Umwelt wird als „Homöostase“ bezeichnet.
Zu den verschiedenen Vorgängen im Körper, die die Homöostase ermöglichen, gehören die von den Hormonen bewirkten. Hormone (deren buchstäbliche Bedeutung „Antreiber“ oder „Erreger“ ist) sind außerordentlich wirksame winzige Teilchen einfacher oder zusammengesetzter Substanzen, von denen bereits unvorstellbar geringe Mengen ihren Auftrag erfüllen können. Einige Hormonpartikeln sind so klein, daß für eine Unze drei Milliarden Partikeln erforderlich wären.
Daß Hormone von acht verschiedenen Arten endokriner Drüsen im menschlichen Körper erzeugt werden, ist allgemein bekannt. Es handelt sich dabei um die Hypophyse, die Schilddrüse, die Nebenschilddrüsen, die Nebennieren, die Thymusdrüse, die Zirbeldrüse, die Langerhansschen Inseln und die Gonaden oder Geschlechtsdrüsen. Nicht so gut bekannt hingegen ist die Tatsache, daß viele weitere Organe und Körperteile ebenfalls Hormone erzeugen. So bildet zum Beispiel der Hypothalamus, ein Teil des Gehirns, verschiedene Hormone, die die Absonderung von Hormonen in der Hypophyse und in anderen endokrinen Drüsen anregen und auch eine Vielzahl metabolischer Vorgänge beeinflussen. Der Dünndarm, die Nieren und besonders die Plazenta schwangerer Frauen sondern ebenfalls Hormone ab.
Damit die verschiedenen Organe des Körpers harmonisch zusammenwirken können, muß eine Verbindung zwischen ihnen bestehen. Das eine Hauptmittel zur Übermittlung von Botschaften von einem Organ zum anderen ist das Nervensystem. Das andere ist das Hormonsystem. Die Nerven funktionieren wie ein Telefon. An jedem Ende ist eine Schaltung erforderlich sowie eine Leitung, über die sich die Botschaft oder der Impuls fortpflanzt. So ähnlich ist es auch mit den Nerven: In der Haut zum Beispiel befinden sich kleine Rezeptoren, die Empfindungen wie Hitze, Kälte und Schmerz aufnehmen und sie an das Gehirn weiterleiten.
Hormone dagegen sind mit einem Radio verglichen worden. Eine Radiostation sendet ihre Botschaften in alle Richtungen aus, und es ist ein Empfänger erforderlich, der auf die entsprechende Wellenlänge eingestellt werden muß, wenn man die Botschaft empfangen möchte. So ist es auch mit den Hormonen. Die hormonerzeugenden Drüsen oder Organe senden die Hormone über den Blutkreislauf in alle Körperzellen aus, aber jedes Hormon beeinflußt nur die Zellen, die darauf eingestellt sind. Vor kurzem haben Nachforschungen ergeben, daß die Gene bei dieser Reaktion eine wichtige Rolle spielen.
Ein anderes interessantes Merkmal hinsichtlich der Funktion der Hormone ist das Prinzip der Rückkopplung. Eine Drüse wird so lange ihr Hormon ins Blut absondern, bis das Organ, für das es bestimmt ist und das die Rezeptoren für dieses bestimmte Hormon hat, eine ausreichende Menge empfangen hat. Dann wird dieses Organ ein Signal an die Drüse zurücksenden, damit sie aufhört, ihr Hormon abzusondern.
Hormontherapie
Die Erforschung und Anwendung der Hormone wird als „Endokrinologie“ bezeichnet. Der Name ist darauf zurückzuführen, daß sich diese Lehre mit der Hormonsekretion der endokrinen Drüsen beschäftigt. Besonders heute besteht großes Interesse an der Hormontherapie. Hierzu können natürliche, aber auch synthetische Hormone verwandt werden. Natürliche Hormone werden hauptsächlich aus den Drüsen von Rindern, Schweinen und Schafen gewonnen. Andere natürliche Quellen gewisser Hormone sind der Urin trächtiger Stuten und die mexikanische Süßkartoffel. Synthetische Hormone werden aus synthetischen Aminosäuren, aus Natriumsalzen und aus anderen anorganischen Substanzen gewonnen.
Weißt du, wofür Hormone wahrscheinlich am häufigsten gebraucht werden? Für die Antibabypille, die zwei Geschlechtshormone, nämlich Progesteron und Östrogen, enthält. Die am häufigsten verwandten oralen Verhütungsmittel, die Kombinationspille und die Sequentialpille, sollen die Empfängnis durch eine Unterdrückung der Ovulation, des Eisprungs, verhindern. Eine Frau, die sie ständig nimmt, wird nicht schwanger, weil es nicht zum Eisprung kommt und daher kein Ei befruchtet werden kann.a Aber selbst darüber sind sich die Mediziner uneinig. So wurde in der Zeitschrift Natural History für August/September 1972 erklärt: „Gegenwärtig wissen wir beispielsweise besser über den Fortpflanzungsvorgang bei der Sau Bescheid als bei der Frau.“
Die in diesen Pillen enthaltenen Hormone sind trotz ihrer geringen Menge sehr wirksam. Daher ist es nicht überraschend, daß einige Frauen, die sie nehmen, unangenehme Nebenwirkungen verspüren, wie zeitweilige Übelkeit und Harnverhaltung. Auch Nebenwirkungen ernsterer Natur sind beobachtet worden, zum Beispiel Probleme mit der Blutgerinnung und hoher Blutdruck. Das ist jedoch verständlich, denn mit dem Einnehmen jeder Arznei ist eine potentielle Gefahr verbunden, selbst wenn es sich um so übliche Medikamente wie Kopfschmerztabletten oder Penizillin handelt. Ob es gerechtfertigt ist, das damit verbundene Risiko auf sich zu nehmen, muß jeder einzelne selbst entscheiden.
Und was ist wahrscheinlich das am zweithäufigsten gebrauchte Hormon? Das Insulin, das viele Ärzte Patienten verschreiben, die an Diabetes leiden. Es wird aus der Bauchspeicheldrüse von Rindern, Schafen und Schweinen gewonnen, denn die Bauchspeicheldrüse enthält die winzigen „Langerhansschen Inseln“, die das Insulin erzeugen. Man glaubte einmal, daß durch Insulin alle Probleme des Diabetikers gelöst werden könnten. Aber heute weiß man, daß richtige Ernährung und körperliche Bewegung ebenso wichtig, wenn nicht noch wichtiger sind.
Bist du eine Frau, die von prämenstruellen Spannungen geplagt wird, oder machst du gerade die schwierige Phase im Leben der Frau durch, die als Menopause (Wechseljahre) bekannt ist? Wenn ja, dann kann es sein, daß dir dein Arzt Hormone für deinen Zustand verschreibt. Ärzte empfehlen besonders das weibliche Hormon Östrogen. In den letzten Jahren hat man auch festgestellt, daß geringe Mengen des männlichen Hormons Androgen eine Hilfe sein können. Einige Mediziner jedoch geben zu, daß Hormone bösartige Geschwülste verursachen können, wenn eine Frau gegen solche Hormone empfindlich ist. Aus diesem Grund ist eine sorgfältige ärztliche Überwachung ratsam, wenn diese Art der Hormonbehandlung nötig erscheint.
Es ist bereits erwähnt worden, daß bestimmte Hormone zur Empfängnisverhütung verwandt werden. Andere Hormone hingegen werden benutzt, um Frauen, die kein Kind austragen konnten, zu helfen, Kinder zu bekommen. Und es gibt Hormone, die von anderen Menschen gewonnen werden und die Frauen, die nicht empfangen können, helfen mögen, schwanger zu werden, wie dies bei der eingangs erwähnten Frau aus Denver der Fall war. Einige Frauen mögen es jedoch grundsätzlich ablehnen, ein Hormon anzunehmen, das von einem anderen Menschen stammt.
Zu den bekannteren Hormonen gehört DES. Es wurde häufig verwendet, um das Wachstum von Vieh zu beschleunigen. Aber als man feststellte, daß im Fleisch enthaltene Rückstände dieses Hormons bei Versuchstieren Krebs erzeugten, wurde es vom Landwirtschaftsministerium der Vereinigten Staaten verboten.
Jedoch hat die amerikanische Behörde für Arzneimittel dieses Hormon jetzt für Notfälle als Pille für den „Morgen danach“ freigegeben, zum Beispiel zur Behandlung vergewaltigter Frauen. Falls die Schwangerschaft schon eingetreten ist, wird diese Pille verhindern, daß sich die befruchtete Eizelle in der Schleimhaut der Gebärmutter einnistet, wenn sie innerhalb von zweiundsiebzig Stunden nach dem Geschlechtsverkehr eingenommen wird. Die Zeitschrift National Observer lenkte jedoch die Aufmerksamkeit auf einen wichtigen ethischen Aspekt der Sache, indem sie erklärte: „DES verhütet nicht die Schwangerschaft. Die populäre Bezeichnung Verhütungsmittel ist irreführend. DES führt eine Schwangerschaftsunterbrechung herbei. ... Wie wirkungsvoll es ist, wird in der gegenwärtigen Debatte über die Richtigkeit seiner Verwendung diskutiert.“ Ein weiterer Gesichtspunkt ist, daß Töchter von Frauen, die dieses synthetische Hormon nehmen, als Erwachsene leichter anfällig für Gebärmutterkrebs sein sollen. Aus diesem Grund wird vor dem Gebrauch dieses Hormons gewarnt.
Leidest du an Heuschnupfen oder an einer ähnlichen Krankheit? Wenn ja, dann kann es sein, daß dir dein Arzt Cortison verschreibt, das in seiner natürlichen Form von den Nebennieren erzeugt wird. Vor einigen Jahren wurde Cortison als „Wunderdroge“ gepriesen. Besonders bei der Behandlung von Arthritis setzte man darauf große Hoffnungen. Jetzt wird allerdings allgemein anerkannt, daß dieses Hormon nur e i n e Möglichkeit ist, Arthritis zu behandeln, und einige sind der Meinung, daß ein einfaches Analgetikum genauso wirkungsvoll ist, weniger Nebenwirkungen verursacht und viel weniger kostet.
Das Hormon Oxytocin bewirkt bei einer Schwangeren die Uteruskontraktion und hilft ihr dadurch, ihr Kind zur Welt zu bringen, und es regt die Bildung von Milch in den Brüsten an. Heute wird es synthetisch hergestellt, und einige Geburtshelfer verwenden es, um die Wehen einzuleiten, damit die Mütter ihr Baby dann zur Welt bringen, wenn sie es wünschen, statt warten zu müssen, bis ihr Körper selbst die Wehen einleitet. Aber ist das vernünftig? Experten wie Dr. E. De Costa von der Northwestern University Medical School heißen es nicht gut, wenn nur aus Gründen der Bequemlichkeit die Wehen künstlich herbeigeführt werden; sie vertreten die Ansicht, daß dieses Mittel nur dann angewendet werden sollte, wenn das Leben der Mutter oder des Kindes in Gefahr ist.
Hormone werden auch als Medizin verwendet, um andere Krankheiten und Störungen zu behandeln. Bei Diabetes insipidus zum Beispiel erzeugen die Nieren große Mengen Wasser und bewirken dadurch, daß der Patient an starkem Durst leidet. Oft wird ein Hormon verwendet, um diese Krankheit zu behandeln. Und Myxödeme und ein Kropf sind auf einen Mangel an Schilddrüsenhormonen zurückzuführen; es können daher Hormone verabreicht werden, die aus der Schilddrüse von Schweinen gewonnen werden. In Anbetracht der Wirksamkeit dieser und anderer Hormone ist es natürlich ratsam, daß ihre Verwendung von kompetenten Ärzten sorgfältig überwacht wird.
Aus dem Vorangehenden kann man ersehen, daß Hormone immer häufiger verschrieben werden, um einen Mangel an natürlichen Hormonen im Körper eines Patienten auszugleichen. Und die Hormontherapie wird von Ärzten immer mehr als ein Mittel angewandt, um besondere Krankheiten zu bekämpfen oder um bestimmte physische Wirkungen zu erreichen. Aber da Hormone so wirksam sind und da sie so zahlreiche Nebenwirkungen hervorrufen können, sollten sie nicht nach Belieben genommen werden oder ohne andere Möglichkeiten der Behandlung zu berücksichtigen. Und ein Christ sollte besonders auf die moralischen Aspekte achten, die sich in bestimmten Fällen ergeben. Wenn du hinsichtlich der Hormone diese Faktoren beachtest, wird es dir leichter fallen, eine ausgeglichene Ansicht über ihre Verwendung als Medizin zu haben.
[Fußnote]
a Eine neu entwickelte Hormonpille kommt jetzt immer mehr in Gebrauch. Sie enthält nur eine winzige Dosis Progesteron und wird daher als „Minipille“ bezeichnet. Die Zeitschrift Newsweek vom 15. Januar 1973 berichtete darüber: „Man glaubt, daß die Minipille ihre Wirkung auf die Gebärmutterschleimhaut beschränkt; sie verhindert nicht die Ovulation, sondern bewirkt anscheinend, daß sich das befruchtete Ei nicht in der Gebärmutterschleimhaut einnisten kann.“ Das heißt, daß sie offensichtlich die Befruchtung zuläßt. Christliche Frauen müssen daher den moralischen Aspekt berücksichtigen, wenn ihnen ein Arzt die „Minipille“ empfiehlt.