Wenn ein Hindu Christ wird
Vom „Awake!“-Korrespondenten in Indien
AUSGEMERGELTE Gestalten — Bettler — säumen die Straße. Purshotham Patel vergleicht diesen Anblick unwillkürlich mit der Pracht des Gebäudes, das er im Begriff ist zu betreten. Er taucht seinen Finger in das Gefäß an der Tür und legt ihn dann auf die Stirn. Das Innere des Gebäudes ist düster. Doch im Schein der flackernden Kerzen kann man heilige Statuen erkennen, vor denen die Leute ihre Andacht verrichten. Die Luft ist mit Weihrauch geschwängert. Man hört, allerdings nur ganz leise, geistliche Musik.
Patel schreitet zu den Statuen, vor denen er seine Andacht verrichten will. Zum Teil sind es bildliche Darstellungen von Frauen und Männern. Patel fällt neben anderen Gläubigen vor diesen Statuen nieder. Er betet inbrünstig. Bei seinen Anliegen, die er vorbringt, handelt es sich gewöhnlich um persönliche Probleme. Dreimal berührt er mit der Hand eine Statue und darauf seine Stirn und seine Brust. Er ist ohne Zweifel ein gläubiger und frommer Mensch.
Möchtest du wissen, welcher Religion Patel angehört? Vielleicht denkst du, er sei Katholik. Ein Hindu dagegen würde sagen, er sei ein Anhänger des Hinduismus. Überrascht es dich, zu erfahren, daß obige Schilderung auf beide Religionen paßt?
In Indien gleichen sich der katholische und der hinduistische Kultus so sehr, daß die Hindus gewöhnlich sagen, es bestehe kein Unterschied, nur die Namen der Götter seien anders. Patel besuchte gewöhnlich sowohl den Hindutempel als auch die katholische Kirche. Diese Gewohnheit haben viele Hindus.
Ähnlichkeit im Kultus
Der Hinduismus, zu dem sich über 400 Millionen Inder bekennen, hat einen starken Einfluß auf die 10 Millionen „Christen“ in Indien ausgeübt. Die Kirchen behaupten, sie hätten ihre Gottesdienste „indisiert“, doch Kirchenmitglieder sagen oft, die Gottesdienste seien „hinduisiert“ worden.
Die in Südindien erscheinende Zeitung Malayala Manorama schrieb über die Einführung von Hinduriten in einer katholischen Kirche: „Die Messe wurde nach dem Muster des Hindukultus zelebriert. Die Hymnen und Lieder glichen in Wort und Melodie den Beschwörungen der Hindus. Man verwandte die gleichen Symbole wie in den Hindutempeln.“ In Deepika, dem offiziellen Organ der katholischen Kirche in Kerala, wurden die folgenden Worte eines führenden Geistlichen zitiert: „Wir halten uns immer noch an die Sitten und Bräuche der Brahmanen, die allerdings der Zeit angepaßt worden sind.“
Die Hindus veranstalten ihre Prozessionen und tragen ihren Gott durch die Straßen — ähnlich wie die Katholiken ihre Heiligenbilder —, wobei sie laute Musik machen und unermüdlich tanzen. In einigen Kirchen tragen die Priester safrangelbe Gewänder und haben langes Haar. Während des wichtigsten Festes der Hindus, Diwali genannt, spielen Lampen und „Sterne“ eine wichtige Rolle. Kurz danach, zu Weihnachten, verwenden die „Christen“ diese dekorativen Lichter bei ihrer Feier.
„Christliche“ Frauen tragen auf der Stirn einen roten Kreis, „Kum Kum“ genannt, das Abzeichen einer Hindukaste. Vor dem Gnadenbild Unserer Lieben Frau von Vailankanni in Südindien lassen sich Katholiken, die ein Gelübde abgelegt haben, wie die Hindus, die in ihrem Tempel etwas gelobt haben, Haar und Bart abrasieren. In diesem Heiligtum werden auch Zeremonien wie das Durchbohren des Ohres und andere Riten, mit denen der Eintritt der Reife bei Mädchen gefeiert wird, durchgeführt. Um das Datum für die Hochzeit und andere wichtige Ereignisse festzulegen, läßt man sich gemäß dem Hindubrauch mit Hilfe des Horoskops den „Glückstag“ dafür ermitteln.
Diese und viele weitere Ähnlichkeiten im Kultus veranlassen die Hindus zu sagen, wenn ein Prediger der Zeugen Jehovas an ihre Tür kommt: „Wir haben den gleichen Glauben. Ihr Christen bezeichnet euren Gott Jesus, und wir haben für den gleichen Gott andere Namen.“
Dieser Meinung war auch Purshotham Patel. Er wurde als Hindu erzogen, trat aber dann zum Katholizismus über. Den Grund dafür erklärte er wie folgt: „Ich hatte den Wunsch, in den Himmel zu kommen. Wäre ich Hindu geblieben, hätte ich unendlich lange darauf warten müssen, aber als Katholik hatte ich die Aussicht, wie der Priester mir sagte, bei meinem Tod in den Himmel zu kommen. Ich trat zum Katholizismus über, um mein Ziel, in den Himmel zu kommen, möglichst schnell zu erreichen.“ Sein Religionswechsel hatte aber keine Änderung seiner Lebensweise zur Folge. Er sagte sogar: „Als Katholik hatte ich noch weniger Hemmungen, weltlich zu leben.“
Die biblische Wahrheit bewirkt eine Änderung der Lebensweise
Anders aber ist es, wenn jemand ein wahrer Christ wird. Gewöhnlich hat das große Änderungen in seinem Leben zur Folge. Ein Beispiel dafür ist Latha, eine dreißigjährige fromme Inderin, die bei Ernakulam (Kerala) wohnte.
Sie war der Göttin Kali so ergeben, daß sie zeitweise vollständig besessen war. Neun Tage im voraus wurde ihr angekündigt, daß die Göttin von ihr Besitz ergreifen werde. In der Zwischenzeit aß sie nur Obst. Gegen Ende dieser Zeit kaute sie jeweils etwas Betelnuß, worauf Kali sofort von ihr Besitz ergriff.
Da Kali eine blutrünstige Göttin war, machten Lathas Schwestern Einschnitte an ihren Beinen, bis Blut floß. Sie war jeweils eine Stunde lang besessen, und in dieser Zeit brachte man ihr Kranke, auch Geisteskranke, zum Heilen. Sie konnte in dieser Zeit auch richtige Angaben über Gestohlenes machen. Achtzehn Jahre lang waren diese übernatürlichen Fähigkeiten für sie und ihre Angehörigen der Hauptverdienst gewesen, obwohl sie auch eine bekannte Tanzlehrerin war.
Doch dann begannen Jehovas Zeugen mit einer ihrer Schwestern ein Studium der Bibel. Nach einiger Zeit nahm auch Latha an dem Studium teil und erwarb sich schnell eine gute Erkenntnis der biblischen Wahrheit. Sie erkannte, daß nicht eine Göttin aus Ton von ihr Besitz ergriffen hatte, sondern daß es unsichtbare böse Geistermächte waren (Eph. 6:11, 12).
Sie warf die Steine weg, die um den Nimbubaum (ein den Hindus heiliger Baum) in ihrem Garten aufgestellt und in Verbindung mit der Kaliverehrung benutzt worden waren. Danach verdorrte der Nimbubaum sofort, und die Nachbarn wußten, daß Kali sie verlassen hatte. Die ganze Familie wurde von einem schweren Druck befreit, der auf ihr gelastet hatte.
Latha hörte auf, Tanzstunden zu geben, um mehr Zeit zu haben, sich mit der Bibel zu beschäftigen, vor allem mit der Verheißung Gottes, eine neue Ordnung zu schaffen — und zwar bald —, in der Gerechtigkeit wohnen wird (2. Petr. 3:13). Jetzt verdient sie sich ihren Lebensunterhalt, indem sie aus der harten Schale von Kokosnüssen Löffel verfertigt. Sie ist dankbar, den wahren Gott kennengelernt zu haben und dadurch glücklich geworden zu sein.
Familiäre Angelegenheiten in Ordnung gebracht
Zu den Personen, die in ungeordneten Verhältnissen lebten und die ihre Verhältnisse in Ordnung brachten, gehören V. T. Devasia aus Südindien und seine Freundin namens Savitri, eine Anhängerin des Hinduismus. Nachdem mit beiden eine Zeitlang die Bibel studiert worden war, empfanden sie den Wunsch, sich Jehova Gott hinzugeben. Devasia war jedoch vorher mit einer Katholikin namens Maria verheiratet gewesen, die ihm zwei Kinder geschenkt hatte. Auch Savitri, mit der er, nachdem er Maria verlassen hatte, zusammen lebte, gebar ihm zwei Kinder.
Als die Ältesten der Ortsversammlung der Zeugen Jehovas Devasia den biblischen Grundsatz erklärten, nach dem ein Mann nur eine Frau haben darf, beschloß er, zu seiner Frau Maria zurückzukehren. Das bedeutete, daß er Savitri verlassen mußte, obschon auch sie zu einem Verständnis der Wahrheit des Wortes Gottes gelangt war. Beide, Devasia und Savitri, beteten inbrünstig zu Jehova um Führung und Leitung in dieser Sache.
Dann suchten die Ältesten Maria auf und erklärten ihr die Lage. Sie war überglücklich, als sie erfuhr, daß sie ihren geliebten Mann zurückerhalten würde. So etwas hätte sie sich niemals träumen lassen, denn weder der katholische Priester noch die Polizei hatten ihr helfen können, als er sie verlassen hatte.
Nachdem Devasia und Savitri beschlossen hatten, sich zu trennen, schrieb Savitri Maria einen Brief. Darin erklärte sie ihr, daß sie sich von Devasia aus freien Stücken trenne, weil sie ein Zeuge Jehovas werden wolle, und es sei ihr Wunsch, daß er zu seiner rechtmäßigen Frau zurückkehre. Dann kam der Zeitpunkt der Trennung. Es war ein bewegter Augenblick, als Maria und Savitri sich in herzlicher Liebe umarmten.
Mit Maria, die nun begann, mit ihrem Mann und den Kindern die Zusammenkünfte der Zeugen Jehovas zu besuchen, wurde vereinbart, ein Bibelstudium durchzuführen. Man kann sich gut vorstellen, wie Savitri empfindet, wenn sie den Mann, mit dem sie zusammen gelebt hat, mit seiner rechtmäßigen Frau im gleichen Saal sitzen sieht. Die biblische Wahrheit vermag tatsächlich, den Menschen zu adeln und zerstörte Familien durch Liebe wieder zu vereinen.
Religionswechsel ist mit Schwierigkeiten verbunden
Die Angehörigen üben oft auf einen Hindu, der seinen Glauben wechseln möchte, einen starken Druck aus. So erging es Y. N. Bushan von Bangalore. Als Hindu glaubte er, daß alle Bösen in eine „Hölle“ kämen, in der sie leiden müßten. Einige dieser Qualen waren, über Feuer zu gehen, in einen Kessel mit kochendem Wasser gesteckt und von oben bis unten entzweigeschnitten zu werden. Aber Bushan begriff einfach nicht, daß man solche körperlichen Qualen erdulden könnte, nachdem man verbrannt worden ist und zum Staub zurückgekehrt ist.
Diese verwirrenden hinduistischen Lehren veranlaßten Bushan, ein Bibelstudium zu betreiben, um die Wahrheit zu erfahren. Das, was er in der Bibel las, war klar, verständlich und einleuchtend. Deshalb wechselte er seinen Glauben, obwohl er dadurch bei seinen Angehörigen in Ungnade fiel (Pred. 9:5, 10; Joh. 5:28, 29).
Auch Veeramani Iyer bekam Schwierigkeiten mit seinen Angehörigen, als er seinen Glauben wechseln wollte. Er stammte aus einer Brahmanen-(Priester-)Familie, und der Vater seiner Frau war ein Hindupriester. Er erzählte, daß sein Übertritt zum wahren Christentum seinen Eltern Kummer bereitet habe. „Aber die biblischen Grundsätze bedeuteten mir mehr als die Gunst meiner Angehörigen“, sagte er.
Religiöse Sitten und Bräuche aufgeben
Besonders schwierig ist es oft, religiöse Sitten und Bräuche, die allgemein gepflegt werden, aufzugeben. Eine verheiratete Inderin trägt zum Beispiel ein Halsband mit einem „Tali“ daran. Das hat eine nicht geringe Bedeutung.
Das Wort „Tali“ kommt von dem Wort, das „binden“ bedeutet. Dieses Halsband wird zur Zeit der Eheschließung überreicht und ist das sichtbare Zeichen dafür, daß die Trägerin verheiratet ist. Es abzulegen könnte bedeuten, daß die betreffende Frau nicht mehr tugendhaft lebt oder daß die Ehe gescheitert ist. Auf dem Tali sind außerdem Linien eingraviert, die erkennen lassen, welchen Gott die Trägerin verehrt. Trägt die Frau das Tali nicht mehr, so bedeutet das, daß sie aufgehört hat, diesen Gott zu verehren. Dieses Tali wird auch von Angehörigen der „christlichen“ Kirchen getragen, aber bei ihnen ist anstatt des Symbols eines Hindugottes ein Kreuz eingraviert.
Da das Tali eine religiöse Bedeutung hat, muß die Frau, die eine wahre Christin werden möchte, entscheiden, ob sie das Tali noch tragen will oder nicht. Deshalb bemühen sich Jehovas Zeugen, wenn sie in einer hinduistischen Familie ein Heimbibelstudium durchführen, auch den Mann zur Teilnahme daran zu gewinnen. Er versteht dann, daß seine Frau nicht die Absicht hat, die Ehe zu brechen, wenn sie das Tali, nachdem sie dessen religiöse Bedeutung kennengelernt hat, nicht mehr tragen möchte. Wenn sie es ablegt, so bedeutet das lediglich, daß sie jetzt Jehova anbetet und den Götzendienst ablehnt.
Eine Frau, die eine wahre Christin werden möchte, gibt noch einen weiteren religiösen Brauch auf. Es ist der Brauch, sich mit Farbe, gewöhnlich mit roter Farbe, ein „Kum Kum“ auf die Stirn zu malen. Ursprünglich war es das Kastenzeichen, aber heute tragen es viele Inderinnen zum Schmuck. Wegen seiner Verbindung mit dem Hinduismus ziehen es aber viele Christinnen vor, es nicht mehr aufzumalen.
Volkstümliche Sitten und Bräuche beibehalten
Sitten und Bräuche, die nicht im Widerspruch zur Bibel stehen, brauchen jedoch nicht aufgegeben zu werden, wenn man ein Zeuge Jehovas wird. In Indien ist es Sitte, daß zuerst der Mann ißt und erst danach die Frau. Die meisten Christinnen in Indien halten sich an diese Sitte. Ferner ist es Sitte, daß die Frauen ihren Sari über den Kopf ziehen, wenn sich ihnen Männer nähern.
Es gibt viele weitere Landessitten, die in christlichen Familien beobachtet werden. Betritt man zum Beispiel eine Wohnung, sei es die eigene, sei es eine fremde, so zieht man die Schuhe aus und läßt sie vor der Tür stehen. Beim Essen sitzen die Familienglieder gewöhnlich auf dem Boden und essen mit den Fingern, aber nur mit den Fingern der rechten Hand. In gewissen Gebieten Indiens, zum Beispiel in Tamil Nadu (neuer Name für den indischen Staat Madras), wird kein Rindfleisch gegessen. Wird jemand von dieser Bevölkerung ein Christ, so zeigt er gewöhnlich weiterhin eine Abneigung gegen das Essen von Rindfleisch. Auch die in Indien übliche Grußformel „Namastay“, wobei man beide Hände faltet, als würde man beten, ist allgemein gebräuchlich. Der Christ, der diese und viele andere volkstümliche Sitten und Bräuche befolgt, behält so seine indische Individualität.
Eine neue Lebensweise
Äußerlich kann man im allgemeinen keinen Unterschied zwischen einem Hindu und einem wahren Christen sehen, wohl aber in der Lebensweise. Das hat auch Purshotham Patel festgestellt, als sein Freund begann, mit ihm regelmäßig die Bibel zu studieren.
Patel erfuhr bald, daß seine weltlichen Gewohnheiten — um Geld zu spielen und sich zu betrinken —, die für ihn kein Hindernis gewesen waren, Hindu oder Katholik zu sein, mit der Anbetung Jehovas Gottes unvereinbar waren. Diese Erkenntnis führte zu einer neuen Lebensweise, neuen Freundschaften, aber auch zu einem guten Verhältnis zu dem wahren Gott, Jehova. Jetzt hofft er nicht mehr auf das Nirwana oder die Auflösung des Seins, sondern ewig auf der Erde zu leben, die in Übereinstimmung mit dem liebevollen Vorsatz Jehovas Gottes bald in ein Paradies umgewandelt werden wird (Ps. 37:29; Offb. 21:3, 4).
Die Hindus sind gegen „Bekehrungen“ allergisch. Sie wissen, daß die „christlichen“ Kirchen in der Vergangenheit Hindus gewaltsam bekehrt haben. In neuerer Zeit haben sie arme, hungernde Menschen oft veranlaßt, sich einer dieser Kirchen anzuschließen, indem sie sie mit Nahrungsmitteln wie Käse und Milchpulver bestochen haben. Es ist verständlich, daß die Hindus gegen solche Methoden protestieren. Wer jedoch ein Zeuge Jehovas wird, wird das aus dem Wunsch heraus, den wahren Gott anzubeten, und nicht aus Zwang oder aus selbstsüchtigen Gründen.
Heute werden Hindus in vielen Gebieten Indiens sowie in anderen Teilen der Welt christliche Zeugen des wahren Gottes, Jehovas. Das ist wegen des Widerstandes ihrer Angehörigen und ihrer Volksgenossen oft nicht leicht, aber die Freude, die es bereitet, den erhabenen Schöpfer, der seinen Anbetern ewiges Leben verheißen hat, zu kennen und ihm zu dienen, veranlaßt sie, das zu werden (Joh. 17:3).