Sind deine Kinder großzügig?
„GIB das her! Das gehört mir!“ Kommen dir diese Worte bekannt vor? Drücken sie Empfindungen aus, die deine Kinder haben, wenn sie gebeten werden, mit anderen zu teilen? Bei einem Kleinkind, das eifersüchtig über seine Habseligkeiten wacht, kann das durchaus der Fall sein.
Es ist natürlich, daß sich Eltern Sorgen machen, wenn die Kinder solche unerwünschten Neigungen entwickeln und offenbaren. Doch was können die Eltern tun, um diesen Eigenarten entgegenzuwirken? Wie kann man Kinder dazu erziehen, weitherzig, freigebig und großzügig zu werden?
Kinder müssen zur Großzügigkeit erzogen werden
Das wichtigste für ein Neugeborenes sind seine Wünsche und Bedürfnisse. Es merkt nicht einmal, wie viele schlaflose Nächte seine Eltern wegen der vielen Arbeit haben, die erforderlich ist, damit es satt und trocken ist und die Aufmerksamkeit erhält, nach der es verlangt. Natürlich nimmt das Kind im Laufe der Zeit immer mehr Kenntnis von anderen. Zur Großzügigkeit dagegen muß es, wie auch zu allen anderen wünschenswerten Eigenschaften, erzogen werden.
Ein Kind ist nicht unbedingt im gleichen Alter für eine solche Unterweisung empfänglich wie ein anderes Kind. Kinder sind, wenn sie ins schulpflichtige Alter kommen, gesellig, aufgeschlossen für Freundschaften und alles, was dazugehört. Andere Kinder gleichen Alters dagegen haben sich vielleicht noch nicht so angepaßt. Sie haben immer noch viel Säuglinghaftes an sich. Ein solches Kind zu erziehen ist eine schwierigere Aufgabe, besonders wenn es ein Einzelkind ist.
Häufig lernen die Kinder in großen Familien zwangsläufig, daß ihre persönlichen Bedürfnisse und Wünsche nicht das wichtigste sind. Sie lernen sehr früh, mit ihren Brüdern, Schwestern und anderen Familienangehörigen das Essen, die Nahrung, die Kleidung und andere materielle Güter zu teilen und ihnen ihre Gedanken mitzuteilen. Gewöhnlich werden solche Kinder anpassungsfähige, ausgeglichene und reife Menschen.
Wie steht es mit deinen Kindern? Sind sie großzügig oder selbstsüchtig, freigebig oder besitzgierig, gütig oder geizig? Wann hast du sie zum letzten Mal objektiv beobachtet? Vielleicht meinst du: „Wie ist das denn möglich, da sie ja noch jung und formbar sind?“ Eine einfache Möglichkeit besteht darin, sie zu beobachten, während sie mit anderen Kindern spielen. Kinder mit selbstsüchtigen Neigungen sind vielfach sehr geizig mit ihren Spielsachen und erlauben anderen Kindern nicht einmal, sie zu berühren. Das Spielzeug der anderen dagegen möchten sie schon haben, werden vielleicht sogar zornig, wenn sie es nicht bekommen. Im Gegensatz dazu ist ein großzügiges Kind gewöhnlich bereit, andere an seinen Sachen teilhaben zu lassen. Einige legen es sogar darauf an. Sie sehen, was weniger begüterten Kindern fehlt, und teilen bereitwillig mit ihnen, ohne von den Eltern dazu aufgefordert worden zu sein.
Es ist interessanterweise schon oft festgestellt worden, daß solche Kinder im allgemeinen Eltern haben, deren Gebefreudigkeit beispielhaft ist. Sie erhalten zu Hause auch viel Liebe. Demzufolge beruht ihr Gefühl der Geborgenheit nicht auf materiellen Gütern, an die sie sich klammern können. Sie fühlen sich geborgen aufgrund der Liebe ihrer Eltern und wissen, daß sie innerhalb der liebevollen Familieneinrichtung sicher sind. Trifft das auf deine Kinder zu?
Was die Eltern tun können
Ein wichtiger Faktor, der dem Kind hilft, großzügig zu werden und aus sich herauszugehen, ist die ständige Anregung durch die Eltern. Betrachte bitte das Beispiel einer Mutter von vier Kindern, die damit Erfolg hat. Sie setzt sich mit ihren Kindern hin und spricht mit ihnen, sobald es das Auffassungsvermögen zuläßt. Liebevoll hilft sie jedem einzelnen, zu verstehen, daß die Familie, zu der ja die Geschwister gehören, eine wertvolle von Gott stammende Einrichtung ist und daß sich, während sie so heranwachsen, der eine um den anderen kümmern sollte. Die Älteren helfen dann den Jüngeren in dem Maße, wie sie Fortschritte machen. Sie weist auf die lieblose und gewalttätige Einstellung der Kinder ihrer Umgebung hin und zeigt ihnen, was sie tun können, um anders zu sein. Wenn ihre Kinder vom richtigen Weg abweichen, erinnert sie sie geduldig. Diese junge Mutter überläßt es so oft wie möglich ihren Kindern, die Unstimmigkeiten, die unter ihnen bestehen, selbst auszugleichen. Sie sagt: „Ich glaube nicht, daß Eifersucht unter Geschwistern etwas Natürliches ist. Ich sehe nicht ein, warum Geschwister ständig miteinander streiten und zanken sollten. Ich habe versucht, in unserer Familie solche Vorkommnisse auszumerzen, indem ich jedem Kind die Liebe und Aufmerksamkeit gebe, die es braucht. Das ist nicht einfach, aber es hat zu guten Ergebnissen geführt.“ Ihre Methode ist bestimmt erfolgreich, denn wie bekannt ist, gibt es in dieser Familie nicht die Kämpfe, die sonst bei Geschwistern vorkommen.
Ein anderes Ehepaar zieht seine vielen Kinder, zu denen auch ein zurückgebliebenes Kind gehört, in einer liebevollen und großzügigen Atmosphäre groß und erzielt damit gute Erfolge. Von dem zurückgebliebenen Kind wird — anders, als das vielleicht in ähnlichen Fällen üblich ist — erwartet, daß es seinen älteren und jüngeren Geschwistern gegenüber großzügig ist, und es wird auch dazu ermuntert. Es bildet jedoch nicht den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Aber es wird auch nicht vernachlässigt, und man gibt ihm nicht das Gefühl, anderen unterlegen zu sein. Es wird einem warm ums Herz, wenn man das liebevolle Wesen dieses Jungen und vor allem das Interesse sieht, das er sogar Kindern entgegenbringt, mit denen er zum erstenmal zusammen ist. Wie die Mutter sagte, erwarten sie und ihr Mann von den Kindern, daß sie liebevoll miteinander umgehen. Anstatt sich überrascht zu zeigen, wenn die Kinder eine solche Liebe bekunden, und sie zu belohnen oder sogar zu bestechen, geben diese Eltern ihrer Überraschung und Bestürzung nur dann Ausdruck, wenn ihre Kinder nicht nett zueinander sind. Diese Haltung färbt auf die Kinder ab, ohne daß man ihnen lange Vorträge hält oder sie ausschimpft.
Verfährst du mit deinen Kindern ebenso? Oder gehst du davon aus, daß alle Anzeichen von Selbstsucht, die du bei ihnen bemerkst, nur eine Phase sind, die sie durchmachen und dann hinter sich lassen werden? Zu viele Eltern haben das gedacht und mußten dann feststellen, daß sie zu dem Zeitpunkt, wo sie etwas gegen die Selbstsucht ihrer Kinder unternehmen wollten, nichts mehr daran ändern konnten, weil sie bereits zu tief verwurzelt war.
Die Eltern können schon beim erstenmal, wenn sie eine solch schlechte Neigung feststellen, darauf hinarbeiten, sie unverzüglich auszumerzen. Vor allem die Mutter muß sich darum bemühen, da sie gewöhnlich mehr mit dem Kind zusammen ist als der Vater. Doch muß zwischen Vater und Mutter Einheit bestehen, wenn sich die Kinder geborgen fühlen sollen. Nichts kann ein Kind mehr beunruhigen oder besitzgieriger machen als die Ungewißheit darüber, ob sich die Eltern lieben. Bemerkt das Kind ihre Uneinigkeit, wird es wahrscheinlich immer mehr zu materiellen Gütern Zuflucht nehmen — Gegenstände, bei denen es sich sicher fühlt und an die es sich klammern kann. Außerdem wird das Kind eine ziemlich in sich gekehrte Persönlichkeit entwickeln, was sich dann im Umgang mit anderen bemerkbar machen wird.
Manchmal fühlen sich Eltern entmutigt, weil sich keine guten Ergebnisse zeigen, ganz gleich, was sie tun. Zumindest scheint es so. Dessenungeachtet wird das, was die Eltern tun, beim Kind Eindrücke hinterlassen. Zum Beispiel erinnerte sich ein Mann, während er so an seine Kindheit zurückdachte, schmunzelnd an einen Vorfall, der sich ereignete, als er ungefähr acht Jahre alt war. Er sagte: „Soweit ich noch weiß, sparte ich einige Pfennige zusammen und kaufte mir meine Lieblingssüßigkeiten. Eigentlich wollte ich mich verdrücken und mich unter einen Baum setzen, um alles ganz allein zu essen. Doch kaum hatte ich mir die Süßigkeiten gekauft, da kam mir ausgerechnet meine Mutter in den Weg gelaufen. Wie nicht anders zu erwarten, sagte sie mir, ich solle meinen Geschwistern etwas anbieten. Ich weiß noch, wie empört ich bei diesem Gedanken war, da ich weit mehr Geschwister als Süßigkeiten hatte. Für einen kurzen Moment schwebte ich in tausend Ängsten, da es den Anschein hatte, als würden sie alle meine Süßigkeiten verschlingen, doch schließlich gaben sie mir fast alles zurück, und ich ging wieder. Doch soweit ich mich erinnere, habe ich seit dieser Zeit jedesmal, wenn ich etwas kaufte, mehr meine Geschwister berücksichtigt.“
Er erinnerte sich auch noch daran, wie er sich einmal mit einem jüngeren Bruder um das größere Stück einer Torte stritt. Sein Vater brachte Ordnung in die Angelegenheit, indem er eine Regel aufstellte. Von da an sollte jeweils einer die Stücke abschneiden und der andere dann die erste Wahl haben. Was war die Folge? Sie entwickelten beide große Geschicklichkeit darin, gleich große Stücke abzuschneiden. Im Laufe der Zeit sahen sie einander nicht mehr so genau auf die Finger, und es setzte sich ein großzügigerer Geist durch.
Das Einzelkind
Da ein Einzelkind keine Brüder und Schwestern hat, mit denen es zusammen sein und Dinge teilen kann, wird es oft ziemlich habgierig und egozentrisch. Wenn nichts dagegen unternommen wird, wird diese selbstsüchtige Neigung auch im Erwachsenenalter zutage treten. Solche Kinder können zu Personen heranwachsen, die immer den besten Sitzplatz, beim Essen die erste Wahl und auch sonst immer das Beste haben wollen.
Was kann man tun, um einem Einzelkind zu helfen? Eine besorgte Mutter wandte gegen die zunehmende Selbstsucht ihres sechsjährigen Sohnes ein Verfahren an, das manch einer als etwas drastisch betrachtete. Alles Zureden hatte bei ihm nichts geholfen. Also verlegte sie sich auf eine andere Methode. Sie und ihre Mutter (die drei wohnten zusammen) nahmen sich vor, ihm zu Bewußtsein zu bringen, wie sehr er von ihnen abhängig war, was Nahrung, Wohnung, Kleidung und all das andere anbelangt. Jedesmal, wenn er etwas benutzte, was ihr und seiner Großmutter gehörte, machte sie ihn darauf aufmerksam, daß es nicht sein Eigentum war. Bald kam er zu der Erkenntnis, daß das, was „ihm“ gehörte, eigentlich ein Geschenk von seiner Mutter und seiner Großmutter war. Es war ihr Eigentum, und es war ihm lediglich gestattet, es zu benutzen. Der Kleine schien es in kurzer Zeit begriffen zu haben. Ohne daß sie ihn dazu drängten, fing er an, sie mehr an dem teilhaben zu lassen, was „ihm“ gehörte. Das übertrug sich auch auf den Umgang in seinem Freundeskreis, der dann größer wurde. Seine Mutter konnte beobachten, wie — anfänglich etwas zögernd — seine neue Einstellung beim Spiel mit seinen Spielkameraden sichtbar wurde. Innerhalb kurzer Zeit wurde die Großzügigkeit immer mehr zum Bestandteil seiner Persönlichkeit, vor allem deshalb, weil er sah, wie er dadurch bei seiner Mutter, seiner Großmutter und bei anderen Wohlwollen fand. Sehnen sich denn nicht alle Kinder nach Zuneigung und Anerkennung? Gewiß, und Einzelkinder bilden dabei keine Ausnahme.
Richtige Einstellung wichtig
Es erübrigt sich zu sagen, daß wohl kein Elternpaar seine Kinder zur Selbstsucht erziehen möchte. Doch tragen Eltern manchmal, so seltsam es auch erscheinen mag, zur Selbstsucht ihrer Kinder bei. So manche Einstellung, die man bei Eltern findet, kann bei den Söhnen und Töchtern die Habsucht fördern. Einige Eltern möchten gern, daß ihre Kinder alles haben, was sie in ihrer eigenen Kindheit entbehren mußten. Mußten sie als Kind hart arbeiten, so möchten sie, daß ihre Kinder ein angenehmes Leben führen. Hast du schon einmal solche Äußerungen gehört? Zugegeben, diese Denkweise scheint oberflächlich betrachtet an sich nicht schlecht zu sein. Eine genauere Betrachtung dagegen enthüllt einige schwerwiegende Fehler einer derartigen Überlegung. Eltern, die diese Einstellung haben, übersehen, daß die harte Arbeit, die Opfer und die Entbehrungen, die zu ihrer eigenen Kindheit gehörten, im großen und ganzen Faktoren waren, die sie zu selbstbewußten und reifen Menschen machten. Geben sie ihren Kindern nicht die Möglichkeit, wenigstens einige dieser Erfahrungen zu machen, dann kann dadurch die Entwicklung ähnlicher guter Eigenschaften eingeschränkt sein.
Zweifellos werden Kinder, deren Eltern ihnen jederzeit ihre Wünsche erfüllen, in dem Glauben aufwachsen, sie könnten das gleiche auch von allen anderen erwarten. Gibt man Kindern soviel Taschengeld, wie sie haben möchten, werden sie es niemals für notwendig erachten, sich selbst etwas zu verdienen. Sie werden auch nicht geneigt sein, anderen etwas zu geben. Kinder, deren Eltern alles für sie tun, werden selten die Initiative ergreifen. Vielmehr werden sie erwarten, daß andere ihnen ihre Verpflichtungen abnehmen. All das hängt davon ab, wie Eltern ihre Kinder schulen und in Zucht nehmen, und zwar während diese noch klein sind. Bist du auch dieser Meinung?
Eltern, die materielle Güter mit Glück gleichsetzen, lehren ihre Kinder, genau nach dem Gegenteil zu streben — Unglück und Frustration. Welch trauriges Erbe doch dadurch den Kindern hinterlassen wird!
Andererseits möchten liebevolle Eltern, daß ihre Kinder zu selbstgenügsamen, zuverlässigen, liebevollen und gütigen Männern und Frauen heranwachsen. Es hängt sehr von den Eltern ab, ob dieses Ziel erreicht wird oder nicht. Gewöhnlich tun Kinder eins von beiden: was sie gelehrt wurden zu tun oder was ihnen zu tun erlaubt wurde. Sie werden nicht selbstsüchtig und werden nicht verzogen, wenn sie Liebe, Zuneigung und wohlüberlegte Zucht erfahren. Kinder werden gewöhnlich dann egozentrisch und egoistisch, wenn ihnen zu wenig oder gar kein Interesse dieser Art entgegengebracht wird.
Im allgemeinen werden sie als Erwachsene das Produkt der Schulung, Zucht und Liebe sein, die sie von ihren Eltern erfahren haben. Wenn alles gut verläuft, haben die Eltern sozusagen den „Beifall“ dafür verdient. Im anderen Fall müssen sie leider einen großen Teil der Schuld auf sich nehmen. Werden schon Anstrengungen unternommen, wenn die Kinder noch klein sind, werden sich gute Ergebnisse einstellen. Die Bibel sagt: „Erziehe einen Knaben gemäß dem Wege für ihn; auch wenn er alt wird, wird er nicht davon abweichen“ (Spr. 22:6). Natürlich trifft dieser Grundsatz auch auf Mädchen zu.
Sicher möchten besorgte Eltern, daß ihre Kinder gut erzogen werden. Unternimm daher als Vater oder Mutter die nötigen Anstrengungen, und deine Kinder werden sehr wahrscheinlich großzügig werden. Ihnen wird dann bewußt werden, daß ‘Geben beglückender ist als Empfangen’ (Apg. 20:35).
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Unser Vater brachte uns bei, wie man gerecht teilt