Frauen suchen Arbeit
HÄTTE man vor rund fünfzig Jahren ein kleines Mädchen gefragt, was es werden wolle, wenn es groß sei, hätte es wahrscheinlich geantwortet: „Eine Mutti!“ Würde man heute einem kleinen Mädchen diese Frage stellen, würde es möglicherweise sagen: „Bundeskanzler!“ oder: „Weltraumfahrerin und eine Mutti!“
Früher wurden Frauen, die kleine Kinder hatten und erwerbstätig waren, entweder bemitleidet oder kritisiert. Heute dagegen denkt man in diesem Punkt so ganz anders, daß sich immer mehr Frauen, die „nur Hausfrau“ sind, deshalb entschuldigen.
In der Bundesrepublik ist in fast 50 % aller Ehen die Frau berufstätig. Ähnlich ist es in den USA. Dort gehen jetzt über 47 % der Frauen einer außerhäuslichen Berufsarbeit nach. Und die Tendenz ist steigend. Der Anteil der Frauen an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen in den USA beträgt etwa 40 %. Allein im Jahre 1976 suchten und fanden dort 1,5 Millionen Frauen einen Arbeitsplatz.
Wirtschaftsfachleute und Experten des US-Arbeitsministeriums, die sich mit der Entwicklung des Arbeitsmarktes beschäftigen, sind überrascht zu sehen, daß immer mehr Frauen Arbeit suchen. Sie sagen, dieser Trend sei „ganz ungewöhnlich“, er sei ein „einzigartiges Phänomen dieses Jahrhunderts“. Man hatte nicht erwartet — jedenfalls nicht vor 1985 —, daß der Anteil der Frauen an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen über 40 % ausmachen würde.
In vielen anderen westlichen Ländern ist es ähnlich. Ein Beamter des belgischen Gesundheitsministeriums macht die berufstätigen Ehefrauen dafür verantwortlich, daß es, wie ein Bericht gezeigt hat, wieder mehr Ungeziefer — Läuse, Flöhe und Kakerlaken — gibt. „Heutzutage gehen viele Ehepaare morgens gemeinsam zur Arbeit“, sagte er, „und wenn sie abends nach Hause kommen, sind sie oft zu müde, um die Wohnung noch zu putzen.“
In der israelischen Armee sind Frauen als Ausbilder beschäftigt. „Die Männer reißen sich mehr zusammen“, erklärte eine solche Ausbilderin. „Wenn ich an der Spitze meines Zuges einen Dreikilometerlauf absolviere, gibt von den Männern keiner auf.“
Aber nicht nur die Zahl, sondern auch die Altersgruppe der Frauen, die plötzlich arbeiten gehen möchten, hat die Experten überrascht. In den vergangenen zwei Jahren haben besonders Frauen im Alter von 25 bis 44 Jahren Arbeit gesucht, also gerade die Frauen, die bisher traditionsgemäß zu Hause geblieben sind und sich der Pflege und Erziehung der Kinder gewidmet haben. Viele dieser Frauen gehen nicht arbeiten, weil sie keinen Mann haben, der sie ernähren würde, sondern weil sie eine außerhäusliche Berufsarbeit dem Leben einer „Nurhausfrau“ vorziehen.
Der Umfang der Frauenarbeit
Die Erwerbstätigkeit der Frau hat bald zu-, bald ab- und dann wieder zugenommen. Vor dem Ersten Weltkrieg gingen die Frauen selten einer außerhäuslichen Tätigkeit nach. Wenn sie erwerbstätig waren, verrichteten sie gewöhnlich nur Arbeiten, die man als für Frauen geeignet erachtete. Bis Ende der 1880er Jahre waren sogar Arbeiten wie das Schreibmaschinenschreiben und Arbeiten, die heute Sekretärinnen erledigen, ausschließlich Männern vorbehalten. Im Ersten Weltkrieg nahm die Frauenarbeit stark zu. Aber zur Zeit der Weltwirtschaftskrise im Jahre 1929 entließ man, als die Arbeit knapp wurde, die Frauen zuerst.
Im Zweiten Weltkrieg stieg die Erwerbsquote der Frauen sprunghaft an. Die Frauen halfen überall aus, auch in den Berufen, die früher nur Männerberufe waren. So arbeitete z. B. ein Heer von Frauen in den Rüstungsbetrieben. Aber als der Krieg zu Ende war und solche Betriebe geschlossen wurden, hörte eine große Zahl von Frauen auf zu arbeiten, und in anderen Betrieben wurden viele entlassen, um für die Millionen ins Zivilleben zurückkehrenden Soldaten Platz zu machen.
Manche Frauen waren dankbar, nicht mehr berufstätig sein zu müssen, und in den Vereinigten Staaten herrschte der Trend, die Frauen nicht zu ermuntern, einer außerhäuslichen Berufsarbeit nachzugehen. Auf die Kriegszeit — in der eine beispiellose Zahl von Frauen erwerbstätig gewesen war (rund 37 % aller Frauen) — folgte der größte Heirats- und Kinderboom des Jahrhunderts. Aber um das Jahr 1950 nahm die Erwerbstätigkeit der Frauen wieder stark zu, und 1962 hatte sich die Zahl auf 36 % erhöht. Das entsprach fast der Höchstzahl an weiblichen Erwerbstätigen im Zweiten Weltkrieg. Gegenwärtig beträgt diese Zahl 47 %, und sie steigt weiter.
Das hat eine hitzige Debatte über die Fragen ausgelöst: Soll die Frau zu Hause bleiben, oder soll sie arbeiten gehen? Läßt sich beides vereinigen? Aber ehe wir uns diesen Fragen zuwenden, möchten wir ergründen, warum immer mehr Frauen Arbeit suchen.
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Der Kinderpsychologe Urie Bronfenbrenner berichtete vor kurzem: „Jetzt sind über 50 % der Frauen mit schulpflichtigen Kindern und mehr als ein Drittel der Frauen mit Kindern unter 6 Jahren erwerbstätig. Sogar ein Drittel der Frauen mit Kindern unter 3 Jahren geht arbeiten“ („Psychology Today“, Mai 1977).