Ist das „Sonnenhaus“ eine Lösung?
Vom „Awake“-Korrespondenten in Japan
DIE hellrote Scheibe auf weißem Untergrund ist das japanische Nationalsymbol und erinnert auch insgeheim an die Zeit, in der die Sonne in diesem Land als die Göttin Amaterasu Omikami angebetet wurde. Seit einiger Zeit richtet sich die Aufmerksamkeit der Japaner wieder „gen Himmel“, doch geht es diesmal um die Suche nach einer preisgünstigen Energiequelle.
In Wirklichkeit kann man in Japan bereits seit Jahren auf Zehntausenden von Hausdächern Sonnenkollektoren für die Hausheizung sehen. Aber erst seit der Ölkrise von 1973 und der damit verbundenen Gefahr der Energierationierung macht man sich ernsthaft Gedanken darüber, die Verwendung von Sonnenkollektoren auch auf öffentliche Gebäude auszudehnen.
Einen bemerkenswerten Schritt in diese Richtung unternahm man in der Stadt Numasu (Japan), die mehr als 203 000 Einwohner hat und zwischen dem Fudschijama und dem Meer liegt. Beamte und Ingenieure entschieden sich dafür, durch Nutzbarmachung der Sonnenenergie den Ölverbrauch der Stadt zu senken. Das erste praktische Ergebnis war die Errichtung des neuen Gebäudes, das die Kanaoka-Halle und die Stadtverwaltung faßt und passenderweise als Taiyo no Ie, „Haus der Sonne“ oder „Sonnenhaus“, bezeichnet wird. Dadurch, daß die Sonnenstrahlen, die auf das Dach treffen, nutzbar gemacht werden, sparte die Stadt Numasu bereits im ersten Jahr Ausgaben in Höhe von 5 000 Dollar. Würdest du gern mehr über die Einzelheiten kennenlernen, durch die das „Sonnenhaus“ zum Erfolg wurde?
Die Sonnenenergie nutzbar machen
Man sagt, daß die Erde 20 000mal soviel Sonnenenergie auffängt, wie der Mensch nutzbar macht. Somit ist das große Potential dieser Energiequelle offensichtlich. Bei der Verwertung der Sonnenenergie stößt man auf zwei Hauptschwierigkeiten: 1. ist sie nicht gleichbleibend (Erdumdrehung und Bewölkung bewirken Unterbrechungen), und 2. erfordert die geringe Intensität große Kollektorflächen, damit man die Energie nutzbar machen kann.
Die vielen verschiedenen Systeme, die man sich ausgedacht hat, um sich die Sonnenenergie dienstbar zu machen, reichen von einfachen Reflektorkochern, die innerhalb von zwanzig Minuten einen Liter Wasser zum Sieden bringen können, bis zu Solarzellen (gewöhnlich aus Silizium hergestellt), die die Sonnenenergie direkt in Elektrizität umwandeln. Ein großer Sonnenofen in Südfrankreich, der mit 3 500 kleinen Spiegeln arbeitet, die auf einen zentralen Punkt gerichtet sind, erzeugt Temperaturen bis zu 2 980 °C. Einige Wissenschaftler treten für ein Sonnenkraftwerk ein, das im Weltraum stationiert werden und die Energie (in Form von Mikrowellen) zu einem großen Empfänger auf der Erde schicken soll. Andere meinen, daß man den Strombedarf der Vereinigten Staaten decken könnte, wenn man in einem großen Wüstengebiet Sonnenkollektoren aufstellen und diese Energie verwenden würde, um für den Antrieb von Turbinen Dampf zu erzeugen.
Obwohl es viele Möglichkeiten gibt, die Sonnenenergie nutzbar zu machen, bedürfen die meisten dieser Systeme noch intensiver Forschungsarbeit, bevor man sie in großem Umfang einsetzen kann. Doch das System auf dem „Haus der Sonne“ ist bereits in Betrieb und spart dank der verschmutzungsfreien Sonnenenergie Kosten und Bodenschätze. Diese Methode hat sich als so erfolgreich erwiesen, daß Kyohiko Watenabe, der in Numasus Umweltschutzbüro stellvertretender Leiter der Abteilung für Neubauten und Restaurationen ist, die Meinung vertritt, man sollte innerhalb von drei Jahren für alle Regierungsneubauten ähnliche Systeme vorschreiben.
Statt zu warten, bis ein umfassendes Sonnenenergiesystem vollkommen entwickelt wäre, entschieden die Beamten der Stadt Numasu, das zu verwenden, was bereits entwickelt war. Das System ist einfach, hat aber einen Wirkungsgrad von 30 Prozent. An einem sonnigen Tag fängt es genügend Energie auf, um das zweistöckige Gebäude mit 716 Quadratmeter Bodenfläche zu heizen oder zu kühlen und mit Heißwasser zu versorgen, das man zum Waschen oder zur Teezubereitung verwenden kann. Ist es regnerisch oder bewölkt, kann es notwendig werden, daß an einem von drei Tagen ein Zusatzboiler aushilft. Doch daß in einem Land, das 98 Prozent seines Ölbedarfs mit Importen decken muß, zwei Drittel der Heizenergie durch die Sonnenstrahlung gedeckt werden, ist sicherlich ein bemerkenswerter Fortschritt. Wie macht das „Haus der Sonne“ diese Energie nutzbar?
Auf dem Dach sind 224 Kollektoren in Reihen angeordnet, und zwar in einem Winkel von 25 °, damit sie die Sonnenstrahlen direkt einfangen können. Jeder Kollektor ist mit Glas abgedeckt, so daß die Sonnenstrahlen durchscheinen können. Das Wasser durchströmt kleine schwarze Röhren und wird dadurch aufgeheizt. Dieses aufgeheizte Wasser fließt in einen 20-Tonnen-Vorratstank, wo es Siedetemperatur erreichen kann. Wird dieses aufgespeicherte Wasser kühler als das Wasser in den Dachkollektoren, treibt es eine kleine Pumpe durch die Heizkörper im Gebäude, und Ventilatoren verteilen die Wärme. Das Wasser ist nicht trinkbar, da es mit Chemikalien durchsetzt ist, die Rost- und Schlammbildung verhindern sollen. Allerdings wird im Innern des großen Vorratsbehälters ein getrennter 5-Tonnen-Behälter aufgeheizt, damit zum Waschen und für die Teezubereitung Wasser vorhanden ist.
Nach dem Prinzip, das in gasbetriebenen Kühlanlagen verwirklicht ist, kann die Sonnenenergie auch zum Kühlen des Gebäudes verwendet werden. Je heißer es also draußen wird, um so mehr Kühlenergie steht zur Verfügung. Wenn man sich an einem sehr heißen Sommertag im „Sonnenhaus“ aufhält und dabei feststellt, daß die Innentemperatur 25 °C beträgt, hat man einen überzeugenden Beweis dafür, daß die Sonnenenergie auf sehr nutzbringende Weise eingesetzt werden kann.
Das „Sonnenhaus“ in Numasu ist ein praktisches Beispiel für die Nutzung einer Super-Energiequelle, von der man am besten zwischen dem 35. Grad nördlicher und dem 35. Grad südlicher Breite Gebrauch machen kann. Die Stadtverwaltung von Numasu ist so davon überzeugt, sich für das Richtige entschieden zu haben, daß in einem neuen Altersheim in dem Stadtviertel Ashitaka ebenfalls ein Sonnen-Heiz-Kühl-System installiert wurde.
Dieses neue Gebäude hat eine doppelt so große Bodenfläche wie das „Sonnenhaus“, und somit ist die Kapazität seines Sonnenenergiesystems doppelt so groß. Auf dem Dach sorgen 522 Kollektoren für Energie, die zum Heizen und Kühlen des Hauses und auch für das Heißwasser ausreicht, das man für die Teezubereitung und zum Baden braucht. Da man für eine eventuelle Gebäudeerweiterung zusätzlich eine Kollektorenfläche von 100 Quadratmetern gebaut hat, hat diese Anlage einen Wirkungsgrad von 37 Prozent und kann noch für späteren Gebrauch Energie aufspeichern.
Lösung künftiger Energieprobleme?
Sind die Sonnenenergiesysteme mit Schwierigkeiten oder Nachteilen verbunden? Ja. Das größte Problem bestand darin, für eine geregelte Strömung des Wassers innerhalb der Röhren der zwei Quadratmeter großen Kollektoren zu sorgen. Doch das wurde überwunden, und das System des „Sonnenhauses“ hat bisher relativ wenige Instandhaltungsarbeiten erfordert. Was wahrscheinlich die meisten zurückhält, sind die Anschaffungskosten, die die eines herkömmlichen Gas- oder Ölheizungssystems bei weitem überschreiten. Aber dank der Energieeinsparungen werden die zusätzlichen Kosten für das System des „Sonnenhauses“ in sieben Jahren abbezahlt sein oder sogar noch eher, sofern die Ölpreise weiterhin steigen. Das Altersheim in Ashitaka hatte zusätzliche Baukosten in Höhe von 61 667 Dollar, doch schätzt man, daß diese Aufwendungen nach 4,2 Jahren Betriebszeit gedeckt sein werden. Wie kommt das? Für das Heizen und Kühlen des Gebäudes müssen jährlich 2 500 Dollar ausgegeben werden, wogegen eine vergleichbare Einrichtung, die ebenfalls fünfzig Personen beherbergt und herkömmliche Heizungssysteme hat, jährlich 17 333 Dollar erfordert.
Welchen Eindruck haben wir also vom „Haus der Sonne“? Erstens hilft es uns, die Sonnenenergie realistischer einzuschätzen. Es ist kein umfassendes Energiesystem. Für Leuchtkörper und Büromaschinen ist Strom erforderlich, ebenso für die Pumpen und Ventilatoren, die zum Sonnenheizsystem gehören. Außerdem muß man, wenn es regnet oder bewölkt ist, den Zusatzboiler einschalten. (Es handelt sich dabei nicht um ein unabhängiges System, sondern er heizt nur das im Sonnenheizsystem befindliche Wasser auf.) Scheint aber die Sonne, was ungefähr während zwei Drittel der Tageslichtdauer der Fall ist, dann wird die Energie, die sonst in die Atmosphäre reflektiert oder vom Dach aufgenommen wird, durch ein praktisch verschmutzungsfreies System genutzt.
Zweitens wird uns durch die Tatsache, daß eine Stadt bereit war, den üblichen Heiz- und Kühlsystemen den Rücken zu kehren, die Notwendigkeit vor Augen geführt, die Verwendung unserer Bodenschätze zu überdenken. Viele Leute befürchten, daß beim gegenwärtigen Verbrauch das Erdöl in verhältnismäßig kurzer Zeit versiegt sein wird. Freilich, wegen der bequemeren Handhabung der daraus gewonnenen Brennstoffe zögern die Leute, neue Methoden zu übernehmen, die eine Umstellung in ihrem Energieverbrauch oder höhere Ausgaben für die Anschaffung erfordern könnten, obwohl diese Verfahren, auf lange Sicht gesehen, überlegen sind.
Drittens fördert die Abhängigkeit von der Sonnenenergie die Wertschätzung für Alltagserscheinungen und für vieles, was wir vielleicht als selbstverständlich hingenommen haben. Der Ingenieur von der Stadtverwaltung, der uns das „Sonnenhaus“ zeigte, machte interessanterweise die Bemerkung, daß er vor dem Bau dieses Gebäudes nie echte Wertschätzung dafür hatte, daß jeden Morgen die Sonne aufgeht. Denke nur einen Augenblick darüber nach. Wenn die Sonne nicht scheinen würde, würde überall auf der Erde eine Temperatur von minus 240 °C herrschen.
Auch ohne Sonnenkollektoren auf dem Dach beeinflußt die Sonnenenergie unser Leben auf vielfältige Weise. Durch das Sonnenlicht können die Pflanzen das Kohlendioxyd aus der Luft und den Wasserstoff aus dem Grundwasser in Kohlenhydrate verwandeln, die wir durch die Nahrung zu uns nehmen. Ebenfalls eine Wirkung der Sonnenenergie ist der Wind, da er durch das Aufheizen und Abkühlen der Landmassen und der Atmosphäre verursacht wird. Die Sonnenwärme läßt auf der Erde jeden Tag Mengen von Wasser verdampfen, das später als Regen oder Schnee niedergeht. Durch das fließende Wasser in Flüssen oder in Staubecken kann sich der Mensch indirekt die durch die Sonne entstandene Energie mit Hilfe von Wasserrädern und Wasserkraftwerken dienstbar machen.
Die Sonne „schickt“ jedes Jahr eine Energie von 700 Billiarden Kilowattstunden auf die Erde. Allerdings ist dieser phantastische Betrag nur ein winziger Bruchteil der gesamten Energie, die die Sonne ringsherum in alle Richtungen abstrahlt. Bis zu welchem Umfang der Mensch künftig diese praktisch unbegrenzten Energievorräte nutzen kann, wird sich noch herausstellen. Doch daß er — wenn er sich dazu entschließt — sich die Sonnenenergie dienstbar machen kann, wird offenkundig, wenn wir an moderne Gebäude wie das „Haus der Sonne“ denken.