Computer — Gehilfe oder Tyrann?
ÜBER Computer erzählt man eine Anekdote, die vielen ein Schmunzeln entlockt und andere in Schaudern versetzt: Mehrere Großmächte kommen überein, ihre modernsten Computer miteinander zu verbinden, damit ihnen bei der Lösung ihrer komplizierten Probleme geholfen wird. Den riesigen Computerzentren stehen umfangreiche Speicher mit unzähligen Informationen zur Verfügung. Um die Anlage zu testen, wird die grundlegende Frage „GIBT ES EINEN GOTT?“ eingegeben.
Magnetbänder werden abgespult und Anzeigelampen leuchten auf, während die komplizierteste Computeranlage, die je entwickelt wurde, enorme Datenspeicher abtastet, Fakten aufnimmt und auswertet und alle Informationsquellen heranzieht, die für die Frage von Bedeutung sind. Nach einigen Minuten kommt das Ganze zum Stillstand, und plötzlich bringt das Druckwerk laut hämmernd das endgültige Ergebnis Milliarden logischer Schlüsse zu Papier. Vor den Augen der schweigenden Anwesenden prangt die lakonische Antwort: „JA, JETZT!“
So, wie man sich über Geschmacksfragen streiten kann, hängt auch die Reaktion auf diese Geschichte vom Standpunkt des einzelnen ab. Vielleicht bewunderst du die Fähigkeiten der Computer aufgrund der persönlichen Erfahrungen, die du mit ihnen gemacht hast. Oder du zeigst eine ganz andere Reaktion, die sich auf eine Mischung aus Entsetzen und Besorgnis gründet.
Für manche ist der Computer das elektronische Genie, das in der Lage ist, jemand unverzüglich die Reservierungen für eine 15 000 Kilometer weite Reise zu bestätigen, und einem Rechtsanwalt bei der Suche nach einschlägigen Daten für einen schwierigen Fall behilflich ist und sich in Augenblicken der Entspannung beim Schachspiel oder bei anderen Spielen als unerbittlicher Gegner erweist. Andere sehen im Computer die verständnislose, fehlerhafte Maschine, die ihr Bankkonto in Unordnung bringt, sie immer noch mit längst bezahlten Rechnungen belästigt und verleumderische Informationen über sie speichert, die auf Knopfdruck der Öffentlichkeit preisgegeben werden können.
Wie denkst du über den Computer? Wollen wir nicht dieses viel umstrittene elektronische Wunder etwas näher untersuchen?
Warum wurde er entwickelt?
Der Mensch hat immer versucht, seine eigenen Fähigkeiten zu erweitern, um monotone Arbeiten zu beschleunigen oder zu umgehen. Schon seit Jahren werden viele körperliche Betätigungen wie das Pflügen, das Gehen und die Herstellung von Waren durch mechanische arbeitssparende Einrichtungen erleichtert. Doch Denkvorgänge — selbst wenn sie sich ständig wiederholten — hielt man lange Zeit für nicht automatisierbar.
Betrachte beispielsweise den Fabrikanten, der eine ganze Reihe von Zahlen addieren muß, um seinen gegenwärtigen Bestand zu errechnen. Ursprünglich war dieser Rechenvorgang dem menschlichen Gehirn vorbehalten. Dann wurde mit der Einführung der Addiermaschine und moderner Rechengeräte der eigentliche Rechenvorgang automatisiert, obwohl man die Daten noch von Hand eingeben mußte. Bei dem gesamten Vorgang beanspruchte die Fingerbewegung des Angestellten den größten Teil der Zeit. Beeinträchtigt wurde der Vorgang durch Langeweile und Nachlässigkeit.
Könnte man eine Maschine entwerfen, die Zahlen „lesen“, sozusagen selbst die „Zifferntasten drücken“, zwischen Addieren und Subtrahieren entscheiden und dann das Ergebnis drucken könnte? Ja, es war möglich. Man konnte Daten von Lochkarten, Magnetbändern oder mit Hilfe eines optischen Lesegeräts sogar direkt vom Quellenmaterial abtasten und dann damit den Computer füttern. Aber woher sollte die Maschine wissen, wie sie die Informationen zu verarbeiten hat?
Der Datenspeicher war die Antwort. Die Addiermaschine oder das Rechengerät konnte bei jedem Knopfdruck nur eine oder zwei Rechenoperationen ausführen, aber ein Computer mit einem gespeicherten Programm könnte die eingegebenen Daten verwerten und auf eine Reihe von Anweisungen hin auf mehreren unabhängigen Wegen bearbeiten. Je mehr die Kapazität und die Schnelligkeit der Computerspeicher erhöht wurde, um so vielfältiger wurden die Möglichkeiten.
Anwendung der Computer erweitert
Kannst du dir vorstellen, was ein Fabrikant mit diesen Möglichkeiten machen kann? Er wird sich vielleicht überlegen: „Wenn die Maschine unsere Produktionszahlen addieren und die Verkaufszahlen subtrahieren kann, müßte sie doch auch unseren Bestand überwachen und uns ,Bescheid sagen‘ können, wann ein Artikel zur Neige geht. Noch besser wäre es, sie könnte uns informieren, sobald wir von den Artikeln, die öfter verkauft werden, weniger als 200 Stück und von den Artikeln, die seltener verkauft werden, weniger als 20 Stück auf Lager haben. Moment mal! Zu bestimmten Zeiten des Jahres haben wir erhöhten Absatz. Füttern wir die Verkaufszahlen vom vergangenen Jahr ein, und wir werden für jede Woche eine Absatzvoraussage erhalten. Wir wissen? wieviel die einzelnen Filialen unserer Firma letztes Jahr benötigten. Mit Hilfe dieser Information könnte der Computer automatisch für dieses Jahr Lieferungen gleichen Umfangs einteilen. Könnte er einen Auftrag ,lesen‘, ihn in seine Bestandteile aufgliedern und uns mitteilen, wann wir mit der Produktion beginnen müssen, um rechtzeitig liefern zu können? Könnte er ...?“
Natürlich könnte er das. Diese und viele andere Aufgaben bewältigt der Computer bereits heute. Die Möglichkeiten sind nur durch die verfügbare Zeit, durch die Leistung und Ausstattung des Computersystems und die Vorstellungskraft und Vielseitigkeit des Bedienungspersonals begrenzt.
Schnell und immer schneller
Um die Schnelligkeit moderner Computer zu veranschaulichen: Stelle dir vor, ein Angestellter müßte 100 000 siebenstellige Zahlen addieren. Diese Zahlen würden 150 Schreibmaschinenseiten mit je zehn Spalten (kleinster Zeilenabstand) füllen. Würde unser Mann die sieben Stellen jeweils in eine Rechenmaschine „eintippen“ und jede Sekunde einmal die Addiertaste drücken, müßte er sich fast 28 Stunden lang abmühen. Wie entmutigend, wenn zur gleichen Zeit ein Computer mit der Aufgabe beginnen würde! Bevor der Angestellte die Addiertaste für den ersten Zahlensatz drücken könnte, hätte der Computer schon das Gesamtergebnis ausgedruckt.
Wie jede andere Maschine leidet unser blitzschneller Computer während des Betriebs nicht unter Ermüdungserscheinungen oder Langeweile. Sofern er richtig programmiert ist, rechnet er mit fast unheimlich anmutender Genauigkeit. Und die Kostenfrage? Nun, während Anfang der fünfziger Jahre 100 000 Rechenvorgänge noch 1.26 Dollar kosteten, betragen die Kosten für den gleichen Rechenumfang heute weniger als ein Cent. Neuartige „Magnetblasenspeicher“ könnten eine tausendfache Verkleinerung der Speichergeräte ermöglichen, und Techniker spielen bereits mit dem Gedanken, die komplette Speicheranlage eines Computers auf einem Metallplättchen mit einem halben Zentimeter Seitenlänge unterzubringen.
Versetzt dich das in Schrecken? Hast du das gleiche Empfinden wie ein Forscher, der schlußfolgerte, in einigen Jahrhunderten bliebe uns nur noch die Hoffnung, daß die Computer bereit wären, uns als Haustiere zu halten? Werden sich die Computer über uns als Tyrannen aufspielen? Bei der Suche nach einer Antwort ist es jetzt sicher an der Zeit, sich der Grenzen der Computer bewußt zu werden.
Grenzen der Computer
So sehr auch die Fähigkeiten des Computers unsere Bewunderung verdienen, bleibt er doch nur eine Maschine. In der Encyclopædia Britannica heißt es treffenderweise: „Der Computer hat weder Urteilsvermögen noch gesunden Menschenverstand, und im Programm muß peinlich genau festgelegt werden, wie mit jeder Eventualität zu verfahren ist.“ Ja, beim Entwickeln des Computerprogramms werden vom Programmierer Vorstellungskraft und Denkfähigkeit erwartet. Der Computer dagegen kann — wie jede andere Maschine — nicht mehr und nicht weniger, als dem Weg folgen, den der Programmierer vorgegeben hat. Er kann (falls er dafür ausgelegt ist) entscheiden, ob eine bestimmte Aussage gemäß den Regeln der Programmsprache falsch ist. Aber er kann nicht entscheiden, ob die Aussage für das Erreichen des gewünschten Ergebnisses logisch oder unlogisch ist.
Die Hauptarbeit des Programmierers besteht darin, Fehler aufzudecken, das heißt Fehler und logische Mängel, die dem Computer nicht „auffallen“. Er bewerkstelligt das, indem er das Programm mit Hilfe besonders vorbereiteter Daten testet und die vom Computer ausgegebenen Ergebnisse mit bereits vorher errechneten korrekten Ergebnissen vergleicht. Wahrscheinlich erkennst du, daß das Computersystem völlig vom Programmierer abhängig ist, da der Anlage jedes Urteilsvermögen fehlt. Ein Unterweiser für Programmieren bezeichnete dieses elektronische Wunder passenderweise als einen „mit hoher Geschwindigkeit arbeitenden Idioten“.
Der Computer folgt blindlings den Anweisungen und befürchtet nicht, einen Fehltritt zu begehen. Somit könnte ein Programmierer einem Computer „Vorurteile“ einfüttern, indem er veranlaßt, daß er auf bestimmte Buchstabenkombinationen im Vor- oder Nachnamen der Kandidaten unterschiedlich reagiert. Skrupellosen Programmierern stehen Möglichkeiten offen, Computer für ihre Zwecke einzusetzen. Wie die New York Times vom 3. Juli 1977 verlauten ließ, werden jetzt Verbrechen, bei denen Computer mitwirken, auf einen jährlichen Gesamtwert von 300 Millionen Dollar und einen Durchschnittswert von 500 000 Dollar geschätzt.
Offensichtlich ist der Computer weder vielseitiger noch klüger als der Mensch; er kann lediglich gewisse Vorgänge schneller abwickeln. Es ist interessant, was in der Zeitschrift Natural History über den Vergleich zwischen Mensch und Computer gesagt wurde: „Würde man sich die heute üblichen Computer entsprechend vergrößert denken, dann würde eine Anlage, die mit der Gedächtniskapazität des menschlichen Gehirns konkurrieren könnte, bis zu tausend Megawatt elektrische Energie verbrauchen — die Hälfte der Kraftwerksleistung des Grand Coulee Dam — und den Raum des Empire State Building zum größten Teil ausfüllen. Die Herstellungskosten würden etwa bei 10 Milliarden Dollar liegen. Diese Anlage wäre ein verschwenderischer künstlicher ,Intelligenzprotz‘, doch nur eine plumpe Nachahmung des menschlichen Gehirns.“ In der Zeitschrift hieß es zudem: „Die gewaltigsten Elektronengehirne der Welt sind der nur 1,3 Kilogramm schweren Masse des menschlichen Gehirns hoffnungslos unterlegen.“
Im Gegensatz zum Menschen läßt der Computer nicht einmal die geringste Abweichung von einem vorgegebenen Programm zu. Würdest du das gerne besser verstehen? Ein kleines einfaches Computerprogramm mag zur Klärung genügen.
Das Computerprogramm
Das Programm enthält alle Anweisungen über die Art der Daten, die in den Computer eingegeben werden, über den Rechenweg und über das Format der Datenausgabe. Wir wollen zu dem Beispiel des Fabrikanten zurückkehren und ein kleines Programm aufstellen, das nach einem Produktions- und Verkaufstag die Aufzeichnungen über den Lagerbestand auf den neuesten Stand bringt. Als Programmsprache wurde die Common Business Oriented Language (COBOL) verwendet. Die Programmanweisungen sind teilweise in Englisch, da der verwendete Computer einige Ausdrücke nur in dieser Form „versteht“.
TRANSAKTIONEN
00012HERGEST.0120
00150HERGEST.0032
00201HERGEST.0088
00201VERKAUFT0035
00208HERGEST.1134
00301HERGEST.0078
00301VERKAUFT0012
00404HERGEST.1234
ALTE HAUPTDATEI (VON GESTERN)
00012GUMMIDICHTUNG 00700150
00150METALLSCHARN. 01201200
00201TUERKLINKE 00320030
00208HOLZSCHR. 3 CM00980500
00301FENSTERGRIFF 04300090
00404NAGEL 5 CM 15600999
Obenstehende Daten können im Programm wie folgt definiert werden (die Anzahl der „X“ oder „9“ gibt die jeweilige Anzahl der Stellen in den Daten an):
01 TRANSAKTIONSKARTE. 01 HAUPTINVENTURBERICHT.
05 TRANSAKT-ARTIKEL-NR PIC XXXXX. 05 ARTIKEL-NR PIC XXXXX.
05 VERKAUFT-ODER-HERGEST PIC X(8). 05 ARTIKELBEZEICHN PIC X(14).
05 STUECKZAHL PIC 9999. 05 LAGERBESTAND PIC 99999.
05 MIND-STUECKZAHL PIC 999.
Nachdem jede Transaktion mit dem entsprechenden Posten der alten Hauptdatei verglichen worden ist, werden folgende Programmanweisungen in der „COBOL“-Programmsprache gegeben:
IF VERKAUFT-ODER-HERGEST IS EQUAL TO ‘HERGEST.’
ADD STUECKZAHL TO LAGERBESTAND.
IF VERKAUFT-ODER-HERGEST IS EQUAL TO ‘VERKAUFT’
SUBTRACT STUECKZAHL FROM LAGERBESTAND.
Dadurch entsteht die neue Hauptdatei:
00012GUMMIDICHTUNG 00820150
00150METALLSCHARN. 01233200
00201TUERKLINKE 00373030
00208HOLZSCHR. 3 CM02114500
00301FENSTERGRIFF 04366090
00404NAGEL 5 CM 16834999
Der Computer kann in Wirklichkeit nicht durch diese deutsch/englischen Programmanweisungen gesteuert werden, sondern wandelt sie zuerst mit Hilfe eines speziellen Programms, „Compiler“ genannt, in eine für ihn lesbare Sprache um. Wörter wie „ARTIKELNR“ und „STUECKZAHL“, die im Computerprogramm vorkommen, bedeuten dem Gerät absolut nichts. Sie werden nur gebraucht, um zwischen den Rechenschritten und bestimmten Datenspeichereinheiten eine Verbindung zu schaffen. Man könnte auch im gesamten Programm diese Wörter durch die Namen „HANS“ und „MARIA“ ersetzen, und es würde genau derselbe Code der Maschinensprache wirksam werden. Bei der Ausarbeitung der COBOL-Programmsprache dachte man an den Leser.
Mögliche Probleme
Obwohl das eingegebene Programm funktionsfähig ist, bestehen viele Fehlerquellen, die noch nicht ausgemerzt wurden. Was würde passieren, wenn auf einer Lochkarte „VERGAUFT“ statt „VERKAUFT“ stehen würde? Was würde geschehen, wenn die Zahl eine Stelle nach rechts gerückt oder „12X4“ statt „1234“ zu lesen wäre? Die Situation wäre für unseren präzisen Freund „Computer“ wirklich aussichtslos. Wie würde der Computer reagieren, wenn der Lagerbestand (irrtümlicherweise oder richtigerweise) die Zahl 99 999 überschreiten würde oder wenn die Zahlen zwar korrekt, aber drei Tage im Rückstand wären? Ohne gute Eingabe kann die Ausgabe keine guten Ergebnisse bringen. Daher hat man in Computerfachkreisen den vielsagenden Ausdruck „Garbage in — Garbage out“ („Unsinn rein — Unsinn raus“) geprägt.
Der Programmierer muß sowohl die Fähigkeit haben, an jeden möglichen Fehler im voraus zu denken, als auch die Ausdauer, jeden einzelnen zu beseitigen. In der Veröffentlichung The Mythical Man-Month wird das so ausgedrückt: „Großartige Konzepte zu entwerfen macht Spaß; kleine Fehler aufzuspüren ist nichts weiter als Arbeit. Jede schöpferische Tätigkeit ist mit stundenlanger ermüdender, langweiliger und gewissenhafter Arbeit verbunden, und das Programmieren bildet keine Ausnahme.“ Selbst wenn sich der Programmierer noch so große Mühe gibt, muß bei jedem Computersystem die Ausgabe noch einmal überprüft und, wenn nötig, korrigiert werden. Man sollte weder den Computer noch den Programmierer als unfehlbar betrachten.
Richtige Ansicht über Computer
Der elektronische Computer mit seinen unermeßlichen Möglichkeiten an Schnelligkeit und Genauigkeit ist ein hervorragender Sklave, der auf Befehl des Menschen arbeitet. Richtig angeleitet, kann er den Menschen in großem Maße von Langeweile und Frustration befreien, die mit monotonen Aufgaben verbunden sind. Er kann ihn auch davor bewahren, seine Geisteskräfte zu überfordern. Allerdings können menschliche Eigenschaften wie Mitgefühl, Mitleid, Initiative, Einsicht und Ideenreichtum in keine Maschine programmiert werden. Da der Mensch der Gebieter des Computers ist, muß er ihn überwachen, seine Arbeit überprüfen und nötigenfalls seine Arbeitsvorgänge abändern. Maschinen wie der elektronische Computer können enorme technische Aufgaben bewältigen. Dennoch sind sie keine Verbesserung der Schöpfung Gottes, sondern nur eine Erweiterung. Der Computer ist ein Gerät, das der Mensch weder fürchten noch verehren, sondern so einsetzen sollte, daß es ihm bestimmte Bürden abnimmt und die Freiheit gewährt, sich mehr des Lebens zu erfreuen.