Sicherheit — das vage Ziel
„SEIT Jahren einer der größten Meisterstreiche gegen die Sicherheitssysteme in Botschaftsgebäuden“, so lautete die Beschreibung des elektronischen Abhörgerätes, das man im vergangenen Mai in der amerikanischen Botschaft in Moskau entdeckte. Diplomaten können nur Vermutungen darüber äußern, wie viele Geheiminformationen von dem tellerförmigen Empfangsgerät, das eine unbekannte Zeit lang in einem alten Kamin versteckt war, mitgehört wurden.
Für die große Mehrheit der Bürger sind natürlich solche Vorkommnisse im Bereich der staatlichen Sicherheit keine alltäglichen Probleme. Von der persönlichen Sicherheit dagegen kann man das schon sagen. Wie wirkt sich das Streben nach Sicherheit auf dein Leben aus?
Persönliche Sicherheit
Vielleicht hast du eine Lebensversicherung abgeschlossen, damit deiner Familie im Falle deines Todes ein gewisses Maß an Sicherheit geboten wird. Du kennst auch Leute, die ihr Geld in Grundstücken oder anderem wertvollen Vermögen — Edelmetalle, Edelsteine, alte Münzen, Kunstwerke oder sogar Briefmarken — als Sicherheit gegen die Inflation anlegen. Man sieht überall’ wie Leute hart arbeiten, um auf jede erdenkliche Weise für sich und ihre Familie finanzielle Sicherheit zu erlangen, aber dabei nicht immer Erfolg haben.
Außerdem tun wir jeden Tag vieles, was unserem Sicherheitsbewußtsein entspringt. Überprüfe einmal für einen Augenblick deinen eigenen Alltag.
Wie viele Schlösser und Riegel mußt du betätigen, bevor du deine Wohnung verläßt? Sie sind nur ein Teil grundlegender Vorsichtsmaßnahmen. Dennoch wird die Zahl der jährlichen Einbrüche allein auf den Britischen Inseln auf eine viertel Million geschätzt.
Dein Auto, das vielleicht in einer Garage eingeschlossen ist, mußt du erst aufschließen, bevor du losfahren kannst. Als Fußgänger versteckst du so gut wie möglich deine Brieftasche oder dein Portemonnaie, um Diebe abzuhalten. Mußt du wie viele andere, bevor du an deinen Arbeitsplatz kommst, erst einen Ausweis vorzeigen, um das Firmengelände oder -gebäude betreten zu dürfen?
Möglicherweise fährst du deine Kinder lieber selbst zur Schule und holst sie auch wieder ab, weil das deiner Meinung nach sicherer ist. Würdest du ohne Schutzmaßnahmen nachts alleine nach draußen gehen oder, ohne vorher nachzusehen, die Tür öffnen, um festzustellen, wer geklingelt hat?
In Nigeria und anderen afrikanischen Ländern haben Leute aus allen Lebensbereichen entweder sichtbar oder versteckt eine Art Juju, einen Fetisch für ihren persönlichen Schutz. Diese Talismane sollen ein Schutz vor Zauberkräften oder Gefahr sein und den Erfolg im Geschäftsleben, in der Landwirtschaft und bei der Jagd sichern.
Touristen werden bemerken, daß in Nigeria die meisten Gastgeber Getränkeflaschen in Gegenwart ihrer Gäste öffnen, da kaum ein Nigerianer bereit sein wird, aus einer Flasche zu trinken, die schon vorher geöffnet wurde. Aus welchem Grund? Man befürchtet, daß der Inhalt durch einen Zauber vergiftet wurde. Hat jemand dagegen ein Juju, fühlt er sich vor derartigem Unheil völlig sicher. Sein Juju wird ihm tatsächlich ein größeres Sicherheitsgefühl vermitteln als eine Schar von Leibwächtern.
Diese Beispiele (und dir fallen bestimmt noch viel mehr ein) gehören zum Alltagsgeschehen und werden heute als selbstverständlich betrachtet. Dennoch bleibt die Tatsache bestehen, daß persönliche Sicherheit nicht allzuleicht gewahrt werden kann.
Ein neuer blühender Industriezweig
In den letzten Jahren hat man erkannt, daß das Sicherheitsbedürfnis einem neuen Industriezweig zu großen Wachstumsaussichten verhilft. Der Boom hat alle erfaßt, angefangen von den immer zahlreicher werdenden Geschäften, die Sicherheitsschlösser, Türriegel und Sicherheitsketten anbieten, bis hin zu den Firmen, die kompliziertere Alarm- und Überwachungssysteme, beispielsweise Einrichtungen gegen Ladendiebstahl, vertreiben. Und falls du dir nicht einen von den vielen speziell dressierten Wachhunden erwerben möchtest, kannst du dir jetzt eine Tonbandkassette kaufen, auf der ein fürchterliches Gebell aufgenommen ist. Der an die Türklingel angeschlossene Kassettenrecorder schaltet sich sofort ein, sobald der Klingelknopf gedrückt wird.
Zudem sind weltweit Sicherheitsunternehmen, die ausgebildete (und häufig bewaffnete) Leibwächter beschäftigen, wie Pilze aus dem Boden geschossen. Das englische Parlament sah sich dadurch veranlaßt, eine besondere Gesetzgebung für diesen Bereich der Wirtschaft vorzuschlagen, der jetzt fast zweimal so viele Männer und Frauen beschäftigt wie die Polizei. Man hat den Eindruck, daß dieser Industriezweig in der Bekämpfung von Verbrechen und bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit eine Schlüsselrolle spielt.
Verbrechen, die manchmal international organisiert und mit Raub sowie Entführungen verbunden sind, haben auch in ganz besonderer Weise die Versicherungsgesellschaften alarmiert.
Nachdem 1932 in den USA das Baby von Charles Lindbergh gekidnappt worden war, bot zum erstenmal eine Versicherungsgesellschaft, nämlich Lloyd in London, Versicherungsschutz gegen Kidnapping und Lösegeldforderungen an. Durch die in den letzten Jahren verübten Anschläge des internationalen Terrorismus ist bei Lloyd die Summe der jährlichen Prämien von 16 000 000 £ (30 000 000 $) vor vier Jahren auf 55 000 000 £ bis 110 000 000 £ (100 000 000 $ bis 200 000 000 $) gestiegen. Das bedeutet, daß der Londoner Versicherungsmarkt allein für Kidnapping und Lösegeldforderungen eine Deckungssumme von nicht weniger als 5 500 000 000 £ (10 000 000 000 $) hat. Wirklich ein stolzer Preis für das Bedürfnis nach „Sicherheit“!
„Nicht durch eine Gefahr bedroht“, so lautet die Definition von „sicher“ gemäß dem Bedeutungswörterbuch des Großen Dudens. Kannst du heute in unserer Welt zunehmender Verbrechen dein Leben wirklich in diesem Sinne als „sicher“ bezeichnen? Oder verspürst du trotz aller Maßnahmen, die du ergreifen kannst, immer mehr ein Gefühl der Unsicherheit? In diesem Zusammenhang sollte man folgende Frage stellen: