Die Kalahari und ihre Bewohner
Vom „Awake!“-Korrespondenten in Südafrika
„WO DAS Wasser eingetrocknet ist“ — das ist sicherlich ein treffender Name für eine Wüste. Von einigen wird angenommen, daß das Tschwana-Wort Kgalagadi oder Kalahari diese Bedeutung hat.
Wenn man das Wort „Wüste“ hört, denkt man vielleicht unwillkürlich an ein ödes Land, in dem kein Leben möglich ist. Aber diese Vorstellung trifft auf die Kalahari nicht zu, eine Landschaft, die einen großen Teil der nördlichen Kapprovinz umfaßt, das östliche Südwestafrika sowie Mittel- und West-Botswana.
Gewisse Teile dieser Landschaft sind flach und sandig und mit Sträuchern, großen Dornbäumen und Gras bewachsen. Anderswo, zum Beispiel in dem Gebiet, das zu Südwestafrika gehört, kann man meilenweit Dünenketten mit mehr oder weniger gleichen Pflanzen sehen. Einige dieser Dünen sind über 30 Meter hoch. Sie sind im Gegensatz zu den Dünen der Namibwüste an der Küste Südwestafrikas nicht spitz und unregelmäßig, sondern lang und gerundet wie riesige Wellen. Die Dünen sind 100 bis 300 Schritt und mehr voneinander entfernt. Die dazwischenliegenden „Täler“ werden von den Einheimischen „Straßen“ genannt.
Wenn man durch die Kalahari fährt — was häufig bedeutet, ausgetrocknete Flußbetten zu überqueren —, hat man das Gefühl, in einem Wildpark zu sein. Man bemerkt nicht nur Mäuse, Geckos, Fuchsmangusten (eine Schleichkatze) und Mungos, sondern manchmal auch zufällig einen kleinen Großohrfuchs oder einen Schakal, ein oder zwei Geparde, sogar eine kleine Gruppe Kuhantilopen oder auch andere Antilopen. Gelegentlich kann man mehrere Strauße ausmachen. Nicht überrascht darf man sein, wenn ein solcher Vogel mit dem Tempo des Fahrzeuges (55 km/st) mithalten kann. Auch Leoparden und Löwen gibt es noch in der Kalahari.
Predigen in der Kalahari
Den Zeugen Jehovas in dieser Gegend bereitet es die größte Freude, anderen die biblische Wahrheit zu verkündigen. Die Leute sind hier im allgemeinen sehr gastfreundlich und haben große Achtung vor der Bibel. Wenn ein Zeuge Jehovas von Haus zu Haus geht, mag er Gelegenheit erhalten, in einer Wohnung ein bis zwei Stunden über biblische Themen zu diskutieren. Obschon eine solche Diskussion manchmal stürmisch verläuft, laden die Leute den Zeugen dennoch zum Essen ein, wenn es gerade Essenszeit ist. Während des Essens unterhält man sich dann ganz friedlich über alles mögliche. Nach dem Essen jedoch wird das Thema, das vorher Gegenstand einer heißen Debatte war, wieder aufgegriffen und weiter diskutiert.
Zu einigen der Farmen zu gelangen ist gar nicht so einfach. Die Häuser liegen oft 15 bis 25 Kilometer voneinander entfernt, und eine Farm ist gewöhnlich rund 50 Quadratkilometer groß. Der Weg führt über Dünen. Es gibt keine richtigen Straßen, sondern man folgt einfach den Spuren anderer Fahrzeuge. An einem Tag kann man manchmal höchstens drei bis vier Farmen besuchen.
Farmwirtschaft in der Kalahari
Wovon ernähren sich die Leute in diesem Steppengebiet? Die meisten treiben Rinder- und Schafzucht. Besonders einträglich ist der Verkauf von Karakulschaffellen. Das Vlies der neugeborenen Lämmer setzt sich aus festgeschlossenen tiefschwarzen, glänzenden Locken zusammen. Um des Felles willen tötet man die Lämmer schon wenige Stunden nach der Geburt. Diese Lammfellchen liefern ein hochwertiges Pelzwerk, den weltberühmten „Persianer“, aus dem Mäntel und andere Kleidungsstücke verfertigt werden.
Ein großes Problem in diesem Gebiet ist die Wasserarmut. Gewöhnlich werden über 300 Meter tiefe Schächte in den Sand gegraben. Mit Hilfe von Windmühlen oder Motorpumpen zieht man das Wasser hoch.
Anpassung an das Leben in der Wüste
Es ist wohl überflüssig, zu erwähnen, daß der Mensch sich dem Leben in der Wüste anpassen muß. Als sich die ersten Farmer in der Kalahari ansiedelten, errichteten sie provisorische Hütten aus Wellblech. Am Tag war es in diesen Hütten unerträglich heiß und nachts ungemütlich kalt. Aber die Leute gewöhnten sich offenbar daran. Doch in neuerer Zeit sind auf vielen Farmen große Wohnhäuser gebaut worden, in denen kaum eine der modernen Errungenschaften fehlt. Allerdings wirken sie in dieser Umgebung etwas deplaziert.
Für das Vieh ist das Leben in der Wüste ebenfalls nicht unproblematisch. Wenn die Ziegen von der Weide zurückkommen, sieht man manchmal einige auf den Knien der Vorderbeine rutschen. Warum? Diese Tiere gehen nie auf hartem Boden. Deshalb können sich die Klauen nicht abnutzen und werden für normales Gehen zu lang. Dasselbe Problem besteht bei Rindern und Schafen. Die Farmer müssen aus diesem Grund das Horn an den Klauen von Zeit zu Zeit zurückschneiden.
Ältere Mutterschafe haben häufig nicht die Kraft, in der sengenden Sonne den ganzen Tag auf der Weide zu bleiben. Das bedeutet, daß sie zu Hause gefüttert werden müssen. Futter zu kaufen wäre sehr kostspielig. Wie wird dieses Problem gelöst?
Die verlassenen Nester der Siedelsperlinge (Webervögel) liefern Gras von hohem Nährwert. Diese Vögel errichten in den Baumkronen riesige Dächer aus Gras, unter denen jedes Paar seine eigene Nestkammer hat. Schließlich geben sie die Nester jedoch auf und suchen sich anderswo Unterschlupf.
Findige Autofahrer
Es kann für die Insassen eines Autos den Tod bedeuten, wenn ihr Auto im Sand steckenbleibt. Die Bewohner der Kalahari sind aber häufig beängstigend gleichgültig, indem sie weder Wagenheber noch Ersatzrad, noch Flickzeug mitnehmen. Doch sie verstehen es meisterhaft, zu improvisieren, und bekommen das Auto, wenn sie eine Panne haben, immer wieder flott.
Wenn man auf Sand fährt, muß der Luftdruck in den Reifen unter der Normalgrenze sein. Das schadet zwar den Reifen, ermöglicht aber ein Fahren auf sozusagen jedem Sandboden, ohne einzusinken.
Was tun die Einheimischen, wenn sie eine Reifenpanne haben? Den Wagen mit einem normalen Wagenheber anzuheben ist praktisch unmöglich, weil dieser im Sand versinkt. Ein Fahrer hat deshalb stets ein Brett mit, das er unter den Wagenheber legt. Doch der Kalaharifarmer ist auch nicht ratlos, wenn er vergessen hat, ein Brett mitzunehmen. Er klemmt dann einfach einen harten Gegenstand — einen Werkzeugkasten aus Blech, einen Baumstumpf oder einen Stein — in der Nähe des defekten Rades fest unter die Achse. Darauf schaufelt er den Sand unter dem Rad weg. Das ermöglicht es ihm, das Rad abzunehmen, um es entweder zu reparieren oder auszuwechseln. Dann preßt er wieder soviel Sand wie möglich unter das Rad und schaufelt den Sand unter dem Gegenstand, den er unter die Radachse geklemmt hat, weg, worauf der Wagen wieder auf die Räder zu stehen kommt.
Was tut ein Kalaharibewohner aber, wenn er weder Ersatzrad noch Flickzeug mit hat? Nachdem er den Schlauch herausgenommen hat, nimmt er das Stück, in dem das Loch ist, zwischen Daumen und Zeigefinger und zieht es hoch, während er mit der anderen Hand den Schlauch festhält. Ein Mitfahrer kann dann ein Stück Schnur oder Lederriemen um das auseinandergezogene Schlauchstück wickeln und mehrmals verknoten. So wird das Loch abgebunden. Die andere Möglichkeit, den Schlauch einfach mit Sand zu füllen, hat sich nicht bewährt.
Auch wenn ein Fahrzeug nicht anspringt, wissen sich die Kalaharifarmer zu helfen. Es ist unmöglich, ein Auto im Sand anzuschieben. Deshalb machen sie es anders. Sie heben den Wagen hinten auf einer Seite an, damit ein Rad frei wird, so als wollten sie das Rad wechseln. Dann drehen sie den Zündschlüssel und legen den höchsten Gang ein. Nun müssen sie nur noch das in der Luft hängende Hinterrad kräftig drehen. Bald springt der Motor an.
Spuren- und Fährtenlesen
Diese Steppenbewohner besitzen die faszinierende Fähigkeit, Fährten und Spuren zu lesen. Ein älterer Farmer blieb stehen, um eine Tierspur zu untersuchen. Dann sagte er zu seinen Begleitern, sie stamme von einem Schakal. Als er genauer hinsah, fügte er hinzu, es handle sich um die Spur zweier Tiere, eines Rüden und eines Weibchens, und das Weibchen sei trächtig und werde bald werfen. Die Besucher lachten. Aber der Farmer erklärte dann: „Schaut bitte genau hin. Die einen Tritte sind groß und die anderen klein. Es ist vernünftig, anzunehmen, daß die großen von einem Rüden und die kleinen von einem Weibchen stammen, die nebeneinander gelaufen sind.“ Die Besucher mußten ihm beipflichten. Der Farmer fuhr dann fort: „Wenn ihr euch die Abdrücke ganz genau anseht, könnt ihr feststellen, daß die kleineren tiefer in den Sand eingedrückt sind. Das bedeutet, daß das kleinere Tier, offenbar das Weibchen, schwerer ist als das größere. Und wenn ein Weibchen trächtig ist, dann ist es eben schwerer.“ Das sahen die Besucher ein. Drei Tage danach fand der Farmer das Schakalweibchen mit Jungen, die es eben geworfen hatte.
Tips für das Überleben
Die Kalaharifarmer sind höchst erstaunt, wenn sie erfahren, daß sich Leute verirren und man sie dann halb verschmachtet in ihrem Auto auffindet. „Komisch, daß man neben einem Kühler voller Wasser nahezu verdursten kann“, sagen sie. Natürlich darf im Kühlwasser kein Frostschutzmittel sein, weil man sich sonst vergiften könnte.
Um sich vor der Mittagshitze zu schützen, sollte man sich nicht in den Wagen, sondern darunter legen. Warum nicht unter einen schattigen Baum, sofern einer in der Nähe ist? Weil man dann Gefahr läuft, von einer giftigen Zecke gestochen zu werden.
Am Tag, wenn die Sonne herniederbrennt, sollte man keine längeren Wanderungen unternehmen. Es wäre besser, am Tag zu schlafen und abends sowie nachts zu wandern. Bei Nachtwanderungen kann man sich nach einem helleuchtenden Stern orientieren.
Erinnerungen
Fast alle, die die Kalahari schon einmal besucht haben, denken sehnsüchtig an dieses Erlebnis zurück. Sie können die scharfen Gegensätze nicht mehr vergessen: die sengende Hitze am Tag und die grimmige Kälte nachts und, so weit das Auge reicht, grasbewachsene Dünen, wo es von Tieren nur so wimmelt, während man glaubt, es gebe dort kein einziges Lebewesen.
Wenn die Sonne allmählich untergeht und die Hitze des Tages abklingt, kehrt ein unbeschreiblicher Friede ins Herz ein. Die Sonnenuntergänge, die den Himmel abwechselnd rot, orange und lila färben, sind einfach großartig. Unvergeßlich ist auch das durchdringende Quaken eines Geckos, dem tausend andere antworten. Die Luft ist erfüllt von ihren Rufen. Das Blöken der Schafe, das Muhen der Kühe und das Schnarren einer Trappe — hier „Knorrhahn“ genannt —, die Flugkunststücke vorführt, vollenden die Sinfonie.
Das Leben in der Kalahari ist alles andere als leicht, aber es befriedigt. Eigentlich ist die Kalahari gar keine Wüste, sondern ein Land voll faszinierenden Lebens.
[Bild auf Seite 11]
Verlassene Vogelnester aus Gras dienen den älteren Mutterschafen, die nicht mehr die Kraft haben, den ganzen Tag zu weiden, als Futter.