Was sind Menschenrechte?
„HEUTE beschäftigt man sich in der ganzen Welt, und zwar sowohl in den freien als auch in den totalitären Ländern, mit dem Thema ,Freiheitsrechte‘ bzw. ,Menschenrechte‘.“ Diese Behauptung stellte Patricia Dering auf, Mitarbeiterin des US-Amtes für Menschenrechte und humanitäre Angelegenheiten.
Es stimmt, daß heute sehr viel über Menschenrechte gesagt und geschrieben wird. Vor kurzem wurde auf einer Juristenkonferenz, die von 140 Ländern beschickt war, erklärt: „Die Respektierung der Menschenrechte ist eine wichtige Garantie und wesentlich für die Verwirklichung der höchsten Aufgabe des Menschen: die Schaffung einer friedlichen Welt, in der es für alle Gerechtigkeit und Gleichheit gibt.“ Die Juristen forderten deshalb die Politiker auf, „die Würde des Menschen zu respektieren ... und in den Ländern, in denen sie regieren, dafür zu sorgen, daß die fundamentalen Grundrechte nicht verletzt und niemandem vorenthalten werden“.
Aber nicht nur auf solch hoher Ebene wird das Thema „Menschenrechte“ besprochen, sondern auch einzelne sowie Gruppen in den verschiedenen Ländern kämpfen für Rechte, die sie als Menschenrechte ansehen. So erfährt man, daß ältere Personen das „Recht auf Arbeit“ beanspruchen; andere Bürger kämpfen für die „Gleichberechtigung der Frau“, Abtreibungsgegner für das „Recht auf Leben“ des Kindes im Mutterleib; Todkranke fordern das „Recht, in Würde zu sterben“, und Homosexuelle kämpfen um das „Recht“, gleich behandelt zu werden wie Heterosexuelle.
Da so viel über sogenannte Menschenrechte gesagt und geschrieben wird, hat sich der eine oder andere vielleicht schon einmal gefragt: „Was sind eigentlich ,Menschenrechte‘? Warum nennt man sie so? Wer entscheidet, was ein ,Menschenrecht‘ ist? Werden die Menschenrechte je verwirklicht werden?“
Was sind Menschenrechte?
Nach der Brockhaus Enzyklopädie (Band 12) sind Menschenrechte unter anderem „die angeborenen und unveräußerlichen Rechte, die dem einzelnen unabhängig von staatl. Verleihung und von seiner Staatsangehörigkeit kraft seines Mensch-Seins zustehen“. Mit anderen Worten: Weil wir als Menschen geboren wurden, haben wir Anspruch auf die Erfüllung gewisser Mindestanforderungen und auf gewisse Freiheiten.
Über die Frage, warum den Menschen diese Rechte zustehen, ist schon viel diskutiert worden. Manche sagen, sie seien einfach Tradition. Andere stehen auf dem Standpunkt, sie gehörten zur „Natur“ des Menschen, seien ein Bestandteil seines Mensch-Seins. Zumindest ein Philosoph vertrat die Auffassung, daß sich die Menschen- oder Naturrechte aus den Geboten Gottes ergeben. Zum Beispiel gebietet Gott dem Menschen, nicht zu morden. Ein Recht des Menschen besteht somit darin, nicht ermordet zu werden.
Zu den umfassendsten Menschenrechtskatalogen gehört die von den UN im Jahre 1948 verkündete „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“. Darin wird unter anderem gesagt, daß jeder Mensch das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person hat; daß niemand in Sklaverei gehalten werden darf; daß niemand gefoltert oder erniedrigender Behandlung unterworfen werden darf; daß jeder Mensch überall Anspruch auf Anerkennung als Rechtsperson hat; daß niemand willkürlichen Eingriffen in sein Privatleben ausgesetzt werden darf; daß jeder Mensch Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit hat; daß jeder Mensch Anspruch auf eine Lebenshaltung hat; die ihm und seiner Familie Gesundheit und Wohlbefinden gewährleistet. Das sind nur einige der in diesem Dokument verkündeten Rechte.
Die Menschenrechte und der Staat
Beim Lesen der Liste muß man unwillkürlich an gewisse Probleme denken, die zeigen, daß die Menschenrechte kein einfaches Thema sind. Beispielsweise kämen die meisten Menschen nicht in den Genuß dieser Rechte, wenn sie nicht durch eine Obrigkeit gesichert würden, zum Beispiel durch eine Zentralbehörde, ausgestattet mit ausreichender Gewalt.
In der Vergangenheit sind die Schwachen meist von den Starken bedrückt worden, wenn keine starke Regierung ihre Rechte schützte. Es verhielt sich dann so, wie der niederländische Philosoph Spinoza schrieb: „Jeder hat so viel Recht, wie er Macht hat.“ Eine starke Regierung kann dafür sorgen, daß in einem Land Ruhe herrscht und geordnete Rechtsverhältnisse bestehen, so daß alle Bürger die Möglichkeit haben, in den Genuß einiger der in der Erklärung der Menschenrechte erwähnten Rechte zu kommen.
Gegenwärtig soll es mehr als 70 Länder geben, in denen die Menschenrechte der Bürger in einer Urkunde verankert sind. Bedeutet das, daß praktisch in allen diesen Ländern eine Regierung besteht, die die Menschenrechte schützt? Ein führender Staatsmann bemerkte vor kurzem: „Bills of Rights, Erklärungen der Menschenrechte, Verfassungen und Satzungen sind in den meisten Fällen das angestrebte Ideal, aber sie werden nicht realisiert.“ Mit anderen Worten: Sehr häufig kommt in diesen Urkunden das Wunschbild der Politiker zum Ausdruck, aber die Wirklichkeit sieht in ihrem Land jeweils ganz anders aus.
Menschenrechte und die Gemeinschaft
Ferner gilt es, daran zu denken, daß der Mensch die eigenen Rechte nicht so wichtig nehmen darf, daß er die Rechte anderer übersieht. In der Erklärung der Menschenrechte wird beispielsweise das Recht auf freie Meinungsäußerung verkündet. Aber was geschieht, wenn jemand aufgrund dieses Rechts einen anderen verleumdet? Er greift auf die Rechte seines Nächsten über.
Oder man denke an die in Indien praktizierte religiöse Sitte der Witwenverbrennung. Nach dieser Sitte wurde die Witwe mit dem Leichnam ihres Mannes verbrannt. Da in Indien Kinderehen üblich waren, konnte es sich bei einer solchen Witwe auch um ein zehnjähriges Kind handeln! Diese Sitte wurde dann verboten. Doch dadurch wurde die Religionsfreiheit verletzt. Verheiratete Frauen, die mit einem solchen Tod rechnen mußten, waren aber zweifellos froh, daß diese Sitte abgeschafft wurde. Das zeigt, wie genau alles durchdacht sein will, wenn es darum geht, den verschiedenen Gruppen Rechte zu gewähren. Dazu ist wiederum eine Obrigkeit oder Regierung erforderlich.
Schließlich können Menschenrechte auch durch soziale Verhältnisse beeinflußt werden. Ein philippinischer Politiker namens Jose Leviste sagte: „In der Erklärung der Menschenrechte wird das Recht auf Nahrung genauso betont wie das Recht, daß niemand willkürlichen Eingriffen in seinen Briefwechsel ausgesetzt werden darf. Die meisten Menschen, die Probleme mit dem Briefgeheimnis haben, kennen keine Probleme in Verbindung mit der Ernährung, während die Millionen ..., die jeden Abend hungrig zu Bett gehen, wahrscheinlich keinen Eingriff in ihren Briefwechsel — wenn sie überhaupt einen solchen führen — zu befürchten haben. Das läßt erkennen, daß nicht alle Menschenrechte zu allen Zeiten für alle Menschen die gleiche Bedeutung haben.“
Die Frage der Menschenrechte ist daher recht kompliziert. Die Menschen sind indessen überzeugt davon, daß sie gewisse Rechte besitzen, und in Ländern, in denen der Lebensstandard steigt, werden von der Bevölkerung immer mehr Rechte gefordert. Viele teilen die Meinung von Dr. Keith D. Suter, Vorsitzender einer UN-Menschenrechtskommission in Australien, der sagte: „Die Zeit ist reif für den Gedanken, daß die Menschenrechte unbedingt geschützt werden müssen. Diese Idee ist aus der Vorstellung der heutigen Menschen nicht mehr zu tilgen.“
Ist dem so? Werden die Menschenrechte in dem gegenwärtigen System der Dinge jemals verwirklicht werden? Es wird lehrreich sein, einen kurzen Rückblick auf die Geschichte der Menschenrechte zu halten.