Die Bibel — Zielscheibe erbitterter Angriffe
WIE kann man ein Buch vernichten? Auf verschiedene Weise. Als Veranschaulichung diene ein Glas klares Wasser. Wie könnte man ein Glas Wasser unbrauchbar machen? Indem man das Glas zerschlägt oder indem man das Wasser verunreinigt, so daß es ungenießbar wird.
Ähnlich ist man mit der Bibel umgegangen, um sie zu vernichten: Einerseits hat man sie zur Zielscheibe erbitterter Angriffe gemacht, um das Buch als solches aus der Welt zu schaffen, und andererseits hat man versucht, ihren Inhalt zu verfälschen, um die Botschaft dieses Buches zu verändern. Wäre die eine oder die andere dieser Angriffsmethoden erfolgreich gewesen, hätte das Buch seinen Zweck nicht mehr erfüllen können. Auch hätte das gezeigt, daß Gott sein Wort nicht zu bewahren vermag.
Warum die Verfolgung?
Vielleicht findest du es merkwürdig, daß die Bibel so erbittert bekämpft wurde. Wer hat ein Interesse daran, das Buch zu vernichten, das die Menschen lehrt, nach hohen sittlichen Maßstäben zu handeln und einander zu lieben? Außerdem kam es häufig vor, daß gerade diejenigen, die sie angeblich hoch einschätzten, sie am erbittertsten bekämpften. Es hat den Anschein, als wäre alles von einer übermenschlichen Macht gesteuert worden.
Genauso verhält es sich, wie es die Bibel zeigt: Ein böses Geistgeschöpf setzt alles daran, um zu verhindern, daß das Wort Gottes in die Hände der Menschen gelangt, die sich damit beschäftigen möchten. Dieser Feind Gottes, Satan, der Teufel, ist zweifellos für alles verantwortlich, was bisher zur Unterdrückung der Bibel unternommen worden ist (2. Kor. 4:4).
Der eine oder andere unserer Leser mag mit dieser Schlußfolgerung nicht einverstanden sein. Doch wie wäre sonst zu erklären, warum im Verlauf der Jahrhunderte ein anhaltender Kampf geführt wurde, um zu verhindern, daß das Volk in den Besitz der Bibel kam und daß sie eine lebendige Kraft in seinem Leben wurde? Kein anderes Buch ist so bekämpft worden wie die Bibel.
Die Bibel im Römischen Reich
Jahrelang waren die Christen im Römischen Reich verfolgt worden, doch erst im Jahre 303 u. Z. gab Kaiser Diokletian einen Erlaß heraus, nach dem alle christlichen Bücher abgegeben und verbrannt werden sollten. Wer sie nicht ablieferte, sollte mit dem Tode bestraft werden. Betrüblicherweise wurden in dieser Zeit Dutzende von kostbaren Bibelhandschriften öffentlich verbrannt. Es gab aber auch Christen, die sich weigerten, die Schriften herauszugeben. Einer von ihnen war Felix von Tibiuca (Afrika). Er sagte: „Es ist besser, daß ich mit Feuer verbrannt werde und nicht die göttlichen Schriften.“ Er wurde hingerichtet.
Fast zehn Jahre lang wütete der Kampf gegen die Bibel. Aber trotz seiner Macht gelang es Rom nicht, dieses Buch aus der Welt zu schaffen. Abschriften der Bibel wurden sorgfältig versteckt, bis die Verfolgung abebbte. Das war indessen nur ein Vorgeschmack des Vernichtungskampfes, der noch gegen die Bibel geführt werden sollte.
Das lebendige Wort unter den ersten Christen
Die ersten Christen bewahrten die Bibel davor, ein totes Buch zu werden, indem sie in ihren Zusammenkünften und zu Hause häufig darin lasen. Über einige Juden, die Christen wurden, wird lobend gesagt, daß sie „täglich in den Schriften sorgfältig forschten“. Im 2. Jahrhundert äußerte Irenäus von Lyon die Ermahnung: „Man lese also, wie gesagt, die Schriften.“ Und Clemens von Alexandria spricht von dem „Lesen der Heiligen Schriften vor der Mahlzeit“ (Apg. 17:11; 1. Tim. 4:13; 2. Tim. 3:15).
Alle wurden ermuntert, sich eine eigene Abschrift zu beschaffen. Wohlhabende Christen machten anderen Bibelabschriften zum Geschenk; so berichtet der Geschichtsschreiber Eusebius über Pamphilus, Presbyter in Cäsarea:
„Auch Bibeln hat er andern nicht blos zum Lesen geliehen, sondern auch mit größter Bereitwilligkeit nicht nur an Männer, sondern auch an Weiber geschenkt, wenn er sah, daß sie Lust zum Bibellesen hatten; deswegen hatte er immer viele Abschriften in Vorrat, um sie denen schenken zu können, die ihn darum baten.“
Doch dann trat eine Entwicklung ein, die zur Folge hatte, daß der Einfluß der Bibel auf das Leben derer, die angeblich ihrer Botschaft glaubten, immer mehr zurückging.
Abtrünnigkeit wird der Bibel beinahe zum Verhängnis
Der Apostel Paulus sagte voraus, daß ein Abfall vom wahren Christentum eintreten und daß die religiöse Klasse des „Menschen der Gesetzlosigkeit“ aufkommen und sich selbst erhöhen werde (2. Thess. 2:3, 4). Er wies darauf hin, daß sich dieser „Mensch der Gesetzlosigkeit“ aus einer Gruppe von Ältesten bzw. von Aufsehern („Bischöfen“, Herder-Bibel) entwickeln werde, die „aufstehen und verdrehte Dinge reden“ würden, „um die Jünger hinter sich her wegzuziehen“ (Apg. 20:28-30).
In Erfüllung dieser Prophezeiung trat nach dem Tod der treuen Apostel Jesu das „Unkraut“ in Erscheinung, d. h. die falschen oder Scheinchristen (Matth. 13:24-30, 36-43). Einige bildeten Splittergruppen und verdrehten die Heilige Schrift (2. Petr. 3:16). Daraus resultierte ein Schachzug, den der eine oder andere als unbedeutend abtun mag, aber für die Bibel war er verderblich.
„Die Heilige Schrift, die Glauben in uns pflanzt, den Vorläufer der Erkenntnis, nützt dir nichts, es sei denn, du würdest sie richtig verstehen“, sagte Augustinus, ein Kirchenlehrer des 4. Jahrhunderts. Auch in dem Werk De Principiis lesen wir:
„Doch bleibt dabei die kirchliche Verkündigung erhalten, die in der Ordnung der Nachfolge von den Aposteln her überliefert ist und bis heute in den Kirchen fortdauert; und so darf man denn nur das als Wahrheit glauben, was in nichts von der kirchlichen und apostolischen Überlieferung abweicht.“
Die „kirchliche Verkündigung“ und die „kirchliche und apostolische Überlieferung“ wurden der Heiligen Schrift gleichgestellt, um das Aufkommen von Häresien oder das Lehren angeblicher Irrtümer zu verhindern.
Gleichzeitig wurde den kirchlichen Zeremonien und Riten große Aufmerksamkeit geschenkt. Diese seien für den Gläubigen von größerem Nutzen, meinte man, als wenn er versuche, in die „Tiefen der Heiligen Schrift“ einzudringen, weil er dadurch nur verwirrt würde. Der an den Wänden der prachtvollen Kirchen angebrachte Bilderschmuck, Szenen aus der Bibel, und die Steinskulpturen, die biblische Gestalten darstellten, galten als eine Art „Bibel der Armen“.
Doch Kirchenlehrer wie Chrysostomus (4. Jahrhundert) traten immer noch dafür ein, daß jeder einzelne die Bibel lesen sollte. Aber die Würfel waren bereits gefallen. Die große Mehrheit der „Christen“ legte keinen Wert mehr auf das persönliche Lesen und Erforschen der Bibel. Einige hielten Chrysostomus entgegen:
„Ich treibe ein Handwerk; ich habe Frau und Kinder zu ernähren; ... ich bin ein Weltlicher; mein Geschäft ist es nicht, in der Schrift zu lesen; sondern das gehört für Leute, welche der Welt entsagt haben.“
Mit der Zeit glaubte man, es sei nur die Aufgabe von Geistlichen und Gelehrten, die Bibel zu lesen und zu erforschen.
Eine heilige Reliquie?
Die Bibel wurde auch in die damalige Volkssprache, das Lateinische, übertragen. Doch dann erklärte die religiöse Obrigkeit das Lateinische zur heiligen Sprache. Die Bibel durfte deshalb in keine andere Sprache mehr übersetzt werden. Zufolge der Sprachentwicklung verstanden sich mit der Zeit nur noch die Gebildeten und der Klerus auf das Lesen lateinischer Texte. Viele der „Laien“, die es sowieso nicht mehr für notwendig hielten, die Bibel zu erforschen, fanden es nun bequemer, sie nur noch zu verehren. So kam es, daß sie zu abergläubischen Zwecken mißbraucht wurde: Vor einem wichtigen oder gefährlichen Unternehmen schlug man aufs Geratewohl die Bibel auf und schloß aus der Stelle, auf die das Auge zuerst traf, auf die Zukunft. Prachtvoll gebundene Handschriften, für die man purpurgefärbtes Pergament benutzte, auf das man mit Gold- oder Silbertinte schrieb, wurden hergestellt. Diese Prachthandschriften wurden kaum gelesen; sie waren lediglich eine Art Schaustücke. Allmählich wurde aus der Bibel, dem lebendigen Buch, das das Denken der Menschen zu beeinflussen vermochte, eine Art „heilige Reliquie“.
Das zeigt, daß die Bibel in großer Gefahr war. Selbst unter den Priestern gab es einige, die der lateinischen Sprache nicht mächtig waren und die Bibel nicht lesen konnten. Es hätte der Bibel ergehen können, wie es gewissen altrömischen „heiligen“ Schriften erging. In dem Werk The New Catholic Encyclopedia wird berichtet:
„Im heidnischen Rom wurden gewisse alte heilige Texte jahrhundertelang aufbewahrt, obwohl der Priester nichts mehr damit anfangen konnte“ (Kursivschrift von uns).
Ja, niemand konnte sie mehr lesen. Heilig und hochgeschätzt, aber tot! Würde die Bibel vom gleichen Geschick ereilt werden?
Übersetzungen in die Volkssprachen
Wohl stellte die katholische Kirche im Verlauf von mehreren Jahrhunderten Bibelübersetzungen in den Landessprachen her, doch diese waren nicht für das Volk bestimmt. Über die Einstellung der Kirche im Mittelalter heißt es in dem Buch The Lollard Bible:
„Wurde eine solche Übersetzung für einen König oder für einen anderen hohen Herrn angefertigt oder wurde sie von einem Gelehrten in seiner Klause geschaffen, damit sie als heiliges, aber sozusagen nie gelesenes Buch eine königliche oder eine Klosterbibliothek bereichere, hatte niemand etwas gegen solche Übersetzungen einzuwenden; wurde eine solche Übersetzung aber benutzt, um Laien zu einer Kenntnis der Bibel zu verhelfen, wurde sofort ein Verbot erlassen.“
Eine Übersetzung für Laien wurde erst im 12. Jahrhundert hergestellt. Und als das geschah, brach ein Sturm los.
Die Waldenser
In der Dauphiné (Frankreich) gab es eine religiöse Gemeinschaft, die man Waldenser nannte. Um das Jahr 1180 ließ Petrus Waldes, ein führendes Mitglied der Bewegung, von zwei Klerikern Teile der Heiligen Schrift in das Provenzalische, die Mundart Südfrankreichs, übersetzen. Die Leser der Bibel änderten ihren Lebenswandel. Selbst einer ihrer schlimmsten Feinde gab zu, daß sie ganz anders lebten als die übrigen Leute. Er sagte:
„Sie [die Ketzer, besonders die Waldenser] sind ordentlich und bescheiden in ihren Sitten ...; um Eid, Lügen und Betrug zu vermeiden, treiben sie keinen Handel ... Sie sind auch keusch ... Sie besuchen keine Schenken, keine Tänze und andere Eitelkeiten. Sie enthalten sich des Zorns.“
Angespornt von ihrer Kenntnis der Heiligen Schrift, zogen sie zwei und zwei als Wanderprediger durchs Land. Wie groß ihr Eifer war, zeigte sich darin, daß, wie der Inquisitor Petrus schrieb, „ein Mann im Winter durch das eiskalte Wasser eines reißenden Flusses schwamm, um jemanden zu bekehren“. Was sie in der Heiligen Schrift gelesen hatten, wurde für sie eine „lebendige Kraft“.
Sie schickten sogar Abgeordnete nach Rom und baten Papst Alexander III., ihre Tätigkeit — andere in der Bibel zu unterweisen — zu autorisieren. Die Sache wurde auf dem damals tagenden Laterankonzil verhandelt, und die Bitte wurde abgelehnt. Der Franziskaner Walter Mapes, der ebenfalls auf diesem Laterankonzil zugegen war, rief aus:
„Soll die Kirche da die Perlen den Schweinen geben, das Wort den Idioten überantworten, die wir unfähig wissen, es aufzunehmen?“
Welch ein Standpunkt, zu sagen, man würde die Perlen vor die Säue werfen, wenn man es dem einfachen Volk ermögliche, die Bibel in seiner Sprache zu lesen!
Papst Innozenz III. predigte einen Kreuzzug, um die Ketzer „auszurotten“. Aus den Berichten derer, die den Kreuzzug leiteten, geht hervor, daß Hunderte von Männern, Frauen und Kindern brutal niedergemetzelt und ihre Bibeln verbrannt wurden, einzig und allein aus dem Grund, den der Inquisitor Petrus dem Bischof von Passau wie folgt mitteilte:
„Sie haben das Alte und das Neue Testament in die Volkssprache übersetzt und benutzen es zum Lehren und Lernen. Ich habe einen einfachen Bauern kennengelernt, der das Buch Hiob auswendig kannte. Und viele dieser Leute können das ganze Neue Testament aufsagen.“
Verbreitung von Bibeln in der Volkssprache
Die grausame Verfolgung der Waldenser zwang diese, in andere Länder zu fliehen. Kurz danach erschienen Bibelübersetzungen für die Laien in Spanien, Italien, Deutschland und in anderen Ländern. Wo diese Bibeln auftauchten, kam es gewöhnlich zu Verboten und zu brutaler Verfolgung. Auf der gegenüberliegenden Seite sind einige der amtlichen Bibelverbote abgedruckt. Wer diese von der Kirche oder von der weltlichen Obrigkeit erlassenen Bestimmungen nicht befolgte, mußte damit rechnen, auf den Scheiterhaufen zu kommen.
Um 1382 vollendeten John Wyclif und seine Mitarbeiter die erste vollständige Bibel in englischer Sprache. Aber viele vom Volk konnten nicht lesen. Deshalb sandte er junge Männer aus, Lollarden genannt, die den Leuten die Bibel vorlasen.
Grausame Verfolgung
Diese Wanderprediger erregten großes Aufsehen. Die Kirche reagierte mit einer furchtbaren Verfolgung. Im Jahre 1401 gelang es ihr, beim englischen Parlament ein Gesetz durchzusetzen, wonach jeder, der die Bibel in der Landessprache besaß, „öffentlich auf einem erhöhten Platz zur Abschreckung für die anderen verbrannt“ werden sollte.
Und viele wurden tatsächlich abgeschreckt. Aus Furcht vor dieser Strafe sagte ein Besitzer einer englischen Bibel, lieber wolle er seine Bücher verbrennen, als wegen seiner Bücher verbrannt zu werden. Doch viele ließen sich nicht so leicht vom Lesen des Wortes Gottes abhalten. Wie aus Gerichtsakten hervorgeht, starben Hunderte auf dem Scheiterhaufen, nur weil sie „ein bestimmtes kleines Bibelbuch in der englischen Sprache besaßen“. Oft hängte man diesen Leuten „die Bücher ihrer Lehre [die Heilige Schrift] um den Hals“ und verbrannte sie dann auf dem Scheiterhaufen.
Diese blutige Verfolgung griff von einem Land auf das andere über. Es gab Länder, in denen ganze Dörfer ausgerottet wurden, weil die Bevölkerung nicht aufhörte, die Bibel in ihrer Muttersprache zu lesen. Niemand war vor seinen Nachbarn, seinem Arbeitgeber, ja nicht einmal vor seinen eigenen Kindern sicher, denn jeder, der Personen, die die Bibel in ihrer Muttersprache lasen, nicht anzeigte, mußte mit einer schweren Strafe rechnen. Natürlich wurde die Bibel von vielen nachts gelesen.
Wie hättest du unter solchen Umständen gehandelt? Wäre dir die Botschaft des Wortes Gottes so viel wert gewesen, daß du unter Gefahr deines Lebens darin gelesen hättest?
Doch es wurden mehr Bibeln in den Landessprachen vernichtet, als hergestellt werden konnten, weil sie damals noch durch Abschreiben vervielfältigt werden mußten. Diese mühsam erstellten Handschriften der Bibel waren so kostspielig, daß sich nur Begüterte eine Bibel leisten konnten. Eine vollständige deutsche Bibel soll 70 florentinische Goldgulden gekostet haben. Damals konnte man für ein bis zwei Goldgulden einen fetten Ochsen kaufen. Eine Bibel stellte daher den Gegenwert einer stattlichen Rinderherde dar. Arme Leute tauschten gegen ein paar Kapitel aus dem Jakobusbrief oder aus den Paulusbriefen in englischer Sprache ein ganzes Fuder Heu ein, wie der Historiker John Fox berichtet.
Die Bibel drohte als lebendige Kraft für das Volk unterzugehen — jedenfalls sah es so aus. Aber in der dunkelsten Stunde geschah etwas, was eine große Änderung herbeiführte.
Druckpresse mit beweglichen Lettern
Dank der Druckpresse war es nicht mehr möglich, mehr Bibeln zu vernichten, als hergestellt wurden. Die erste Bibel, die gedruckt wurde, war eine lateinische. Doch bald wurden auch Bibeln in der Volkssprache gedruckt.
Da man nun die Bibel in Massen herstellen konnte, wurde sie so billig, daß auch der Durchschnittsbürger sich eine leisten konnte. Die von Martin Luther und William Tyndale angefertigten Übersetzungen waren außerdem leichter verständlich, denn beide hatten nicht aus dem Lateinischen, sondern aus dem Hebräischen und dem Griechischen, den Ursprachen der Bibel, übersetzt.
Aber der Kampf gegen die Bibel in der Landessprache war damit noch nicht zu Ende. Nachdem die erste Bibel die Druckpresse verlassen hatte (1456), wurde noch jahrzehntelang alles unternommen, um die Bibeln in den Landessprachen zu vernichten. In England beschlagnahmte der Bischof von London alle Tyndale-Bibeln, deren er habhaft werden konnte, und verbrannte sie. Es wird berichtet, daß er so darauf erpicht war, Tyndales Bibeln zu vernichten, daß er sie sogar aufkaufte, um sie zu verbrennen. Einmal verkaufte ihm Tyndale durch einen Freund einige beschädigte Exemplare und verwendete den Erlös zur Fertigstellung seiner Bibelrevision. Das hatte zur Folge, daß danach noch mehr Bibeln nach England gelangtena.
Jahrelang hatte Tyndale unter der Verfolgungswut seiner Feinde zu leiden. Schließlich wurde er verraten und eingekerkert. Später wurde er öffentlich gehängt und dann verbrannt.
Warum der Kampf gegen die Übersetzungen?
Findest du es unbegreiflich, daß viele Verantwortliche der Kirche die Übersetzung der Bibel in die Sprache des Volkes bekämpften? Nicht alle von ihnen waren Feinde der Bibel. Einige hatten sogar große Wertschätzung dafür. Doch sie vertraten die irrige Auffassung, daß Personen, die nicht autorisiert waren, die Bibel zu übersetzen, fehlerhafte Übersetzungen anfertigen und dadurch Gottes Wort verfälschen würden. Sie waren darauf bedacht, die Bibel nur in dem würdigen, unveränderlichen Latein herauszugeben, um sie vor einer „Profanation“ durch das Übersetzen in die sich verändernden Volkssprachen zu schützen.
Warum ließen sie denn keine „autorisierte“ Übersetzung anfertigen? Nach einiger Zeit taten sie das. Im Jahre 1527 erschien in Deutschland ein von Hieronymus Emser übersetztes „Neues Testament“ und im Jahre 1582 ein in Reims (Frankreich) hergestelltes „Neues Testament“ in englischer Sprache. Warum man so hinterherhinkte, geht aus folgenden Worten des katholischen Theologen und Volkspredigers Johannes Geiler von Kaysersberg hervor, der um 1500 sagte:
„Es ist gefährlich, Kindern das Messer in die Hand zu geben, um sich selbst Brot zu schneiden; denn sie können sich verwunden. So muß auch die Heilige Schrift, die das Brot Gottes enthält, gelesen und erklärt werden von solchen, die an Kenntnis und Erfahrung schon weiter sind und den unzweifelhaften Sinn herausbringen. Das unerfahrene Volk wird an ihrer Lesung leicht Ärgernis nehmen. ... da es den bloßen Buchstaben erfaßt, nimmt es das, was Nahrung des Glaubens sein soll, leicht zu seinem eigenen Verderben.“
War die Furcht, daß das Lesen der Bibel dem Laien zum „Verderben“ werden könnte, wirklich der einzige Grund dafür, daß man das Bibellesen nicht forderte? Nein, denn Erasmus, der bekannte katholische Gelehrte, wies ganz offen noch auf andere Gründe hin:
„Die Frau, die sich damit beschäftigt, die heiligen Bücher zu lesen, vernachlässigt ihre häuslichen Pflichten, ... und der Soldat wird vielleicht nicht so begeistert in den Kampf ziehen. Das wäre eine große Gefahr ... An vielen Stellen der Heiligen Schrift werden die Laster der Geistlichen und Fürsten getadelt, und wenn das Volk diese Stellen lesen würde, finge es an, gegen die Obrigkeit zu murren.“
Was immer der Grund gewesen sein mag, jedenfalls kam es soweit, daß die Bibel als lebendige Kraft im Leben des Volkes so gut wie verschwand. Hätte sich an dieser Einstellung — sie mochte noch so guten Beweggründen entsprungen sein — nichts geändert, so wäre aus der Bibel tatsächlich eine „heilige Reliquie“ geworden.
Wie dankbar können wir sein, daß es durch die Bemühungen treuer Männer und durch die Benutzung der Druckpresse möglich wurde, die Bibel in den Landessprachen zu einem für die meisten Leute erschwinglichen Preis herauszubringen, so daß sie auch dem einfachen Volk zugänglich wurde! Ja, die Bibel hat einem erbitterten Kampf erfolgreich widerstanden.
Aber wie steht es mit der anderen Angriffsmethode: dem Verfälschen ihres Inhalts? Wenn man das Wasser in einem Trinkglas verschmutzt, wird es ungenießbar. Wie erging es der Bibel bei diesem heimtückischen Angriff?
[Fußnote]
a Da Tyndale die Veröffentlichung im eigenen Lande verwehrt war, flüchtete er auf das Festland.
[Herausgestellter Text auf Seite 8]
Wie ist es zu erklären, daß im Verlauf der Jahrhunderte ein anhaltender Kampf geführt wurde, um zu verhindern, daß das Volk in den Besitz der Bibel kam?
[Herausgestellter Text auf Seite 12]
Hättest du es gewagt, unter Gefahr deines Lebens in der Bibel zu lesen?
[Herausgestellter Text auf Seite 13]
„Das unerfahrene Volk wird an ihrer [der Bibel] Lesung leicht Ärgernis nehmen“, erklärte ein katholischer Theologe. Doch Erasmus schrieb: „An vielen Stellen der Heiligen Schrift werden die Laster der Geistlichen und Fürsten getadelt, und wenn das Volk diese Stellen lesen würde, finge es an, gegen die Obrigkeit zu murren.“
[Kasten auf Seite 10]
BIBELVERBOTE
„Niemand darf Bücher des Alten oder Neuen Testaments in der Volkssprache besitzen“ (JAKOB I., KÖNIG VON ARAGONIEN, 1223)
„Wir verbieten, daß Laien Bücher des Alten und Neuen Testaments besitzen dürfen ... Aber auch diese vorgenannten Bücher sollen sie nach unserer strengsten Anordnung nicht in einer Übersetzung in der Vulgärsprache besitzen“ (SYNODE VON TOULOUSE, 1229)
„... befiehlt geistlichen und weltlichen fürsten und obrigkeiten, die inquisitoren bei der aufsuchung und einforderung von predigten, abhandlungen und anderen büchern, die, in der volkssprache geschrieben, in Deutschland verbreitet sind, von den laien viel gelesen werden und ... zu irrthümern verführt haben, zu unterstützen“ (KÖNIG KARL IV., DEUTSCHER KAISER, 1369)
[Bild auf Seite 8]
Der römische Kaiser befahl, die Bibeln einzusammeln und zu verbrennen.
[Bild auf Seite 9]
Mit der Zeit hielt man nur die Geistlichen für berechtigt, die Bibel zu lesen.
[Bild auf Seite 9]
Prachtvolle Bibeln wurden hergestellt, aber wie „heilige Reliquien“ behandelt.
[Bild auf Seite 12]
Die Obrigkeit ordnete an, jeden, der im Besitz einer Bibel war, öffentlich zu verbrennen.