„Streß“ — Was ist das?
DEIN Chef schreit dich an, obwohl der Fehler von einem anderen gemacht wurde.
Dein Lehrer lacht dich vor der ganzen Klasse aus.
Während du beim Essenkochen bist, wirft dein Kind eine Vase um, und das Telefon beginnt zu klingeln.
Ja, du weißt, was Streß ist — zumindest bis zu einem gewissen Grad.
Wenn wir von Streß reden, denken viele von uns an Belastungen dieser oder noch schlimmerer Art, wie zum Beispiel der Verlust des Ehepartners oder überfällige Rechnungen. Aber wie viele von uns wissen, was beim Streß in unserem Körper vor sich geht? Wie können sich diese körperlichen Veränderungen auf unsere Gesundheit auswirken? Was sind die Symptome schädlichen Stresses? Und wie können wir mit dem Streß, dem wir ausgesetzt sind, am besten fertig werden, so daß wir mehr Glück und Frieden finden?
Was ist es?
„Streß“ bedeutet nicht für jeden das gleiche. Bei vielen ruft dieses Wort den Gedanken an Spannung oder Druck hervor. Aber das ist nur ein Teil des Bildes.
Vielleicht hast du schon einmal in einem Zeitungsbericht über ein Flugzeugunglück gelesen, daß eine ständige Belastung zu einer Metallermüdung führte, so daß ein Teil versagte und das Flugzeug abstürzte. Bei dieser Belastung handelte es sich um eine Kraft, die so an einem Metallteil wirkte, daß es überdehnt oder verdreht wurde. Schließlich brach es. Das Flugzeug stürzte ab.
Ähnlich verhält es sich mit Belastungen oder Streß im menschlichen Leben. Es ist eine physische oder emotionale Erscheinung, die unseren Körper beeinträchtigt und auf die wir uns einstellen müssen, wenn wir nicht Schaden nehmen wollen. Ein paar Beispiele: Du bist an einem heißen Tag draußen in der Sonne. Dein Körper wird stark aufgeheizt. Das ist eine Form von Streß. Oder du verausgabst dich bei einem Ballspiel oder bei der Gartenarbeit. Deine Muskeln ermüden, da sich in ihnen vorübergehend ein chemisches Ungleichgewicht einstellt. Auch das ist Streß. Doch du verfügst über Regeleinrichtungen, die solchem Streß entgegenwirken und ein gesundes Gleichgewicht wiederherstellen können. Man denke nur an die Körperausdünstung, die für Kühlung sorgt. Nicht zu vergessen ist auch eine gute Nachtruhe, durch die sich deine Muskeln erholen können. Der Streß ist vorüber.
Doch heute denkt man in Verbindung mit Streß meist an emotionalen Druck, der auch körperliche Veränderungen hervorrufen kann. Wenn uns nicht klar ist, welche Veränderungen in uns auftreten, wissen wir nicht, wie wir mit unserem Körper in dem Bemühen um Anpassung zusammenarbeiten können.
„Kampf oder Flucht“
Ohne dich einer Anspannung aussetzen zu wollen, laden wir dich ein, dich in folgende Situation zu versetzen: Du gehst eines Abends auf einer schwach beleuchteten Straße. Vor dir siehst du drei junge Rowdys die Straße überqueren und auf dich zugehen. Was geht in dir vor sich?
Da du eine Gefahr witterst, spürst du, wie dein Körper Alarm schlägt. Du spannst die Muskeln an und beginnst tiefer zu atmen. Das Hormon Adrenalin strömt in die Blutbahn. Deine Leber gibt gespeicherten Zucker frei. Der Zucker und der Fettspiegel (Cholesterin) in deinem Blut steigen an und befähigen dich zu Höchstleistungen. Dein Herz schlägt schneller. Deine Muskeln werden besser durchblutet. Du bist auf der Hut und zu einer schnellen Handlung oder Entscheidung bereit. Die Reaktion „Kampf oder Flucht“ wird durch Emotionen wie Furcht oder Zorn ausgelöst.
Diese Reaktion an sich ist jedoch nicht schlecht oder schädlich. Sie ermöglicht es dir in diesem Falle, schneller zu rennen, als du vorher für möglich hieltst. Oder sie hilft dir, dich zu beherrschen und eine milde Antwort zu geben, falls du beleidigt wurdest (Spr. 15:1; Matth. 5:39). Doch dieselbe Reaktion versetzt dich auch in die Lage, produktive Arbeit zu verrichten oder gut zu reagieren, wie zum Beispiel bei einem Ballspiel. Plötzlich fliegt der Ball zu dir! Du mußt ihn auffangen und schnell zurückwerfen. Du bist angespannt und reaktionsfähig.
Was geschieht jedoch, wenn du unter einer anhaltenden emotionalen Belastung stehst, so daß du ständig in diesem angespannten, erregten Zustand bist, ohne die erlösende Reaktion auszuführen, auf die sich dein Körper vorbereitet hat?
Vielleicht muß ein Mann Teile auf einem schnellaufenden Fließband kontrollieren, oder er hat das Empfinden, sein Chef mag ihn nicht, oder er muß einer langweiligen oder frustrierenden Aufgabe nachgehen. Eine Frau wurde vielleicht von ihrem Ehepartner verlassen. Sie fühlt sich verstoßen und obendrein muß sie jetzt die Belastungen an einem Arbeitsplatz auf sich nehmen und sich abends noch um die Kinder und den Haushalt kümmern.
Wenn sich jemand regelmäßig in einem solch angespannten Zustand befindet, ohne eine Erleichterung zu erfahren oder zu wissen, wie er damit fertig werden soll, dann ist Streß die Folge. Einige Fachleute bezeichnen diesen Zustand als „Distreß“, da es ein schädlicher, anhaltender, schwerwiegender Streß ist, der leicht den Körper schädigen kann.
Dieser fortdauernde, übermäßige Streß bedroht das normale Gleichgewicht des Körpers. Er kann beispielsweise bewirken, daß sich in den Arterien Cholesterin ansammelt und sie sich verhärten. Das Lymphsystem und die weißen Blutkörperchen können beeinträchtigt werden und somit die Fähigkeit des Körpers, Krankheiten zu bekämpfen und auf Fremdkörper zu reagieren.
Symptome, auf die du achten könntest
Du magst denken, daß dir niemand zu sagen braucht, wann du unter Streß stehst. Bist du dir jedoch sicher? Es stimmt, daß du manchmal die Anspannung oder den Druck selbst spüren kannst. Doch viele Leute kommen nicht auf den Gedanken, bestimmte Symptome mit Streß in Verbindung zu bringen. Daher unternehmen sie vielleicht nur etwas gegen das Symptom, ohne die wahre Ursache zu berühren. Das könnte jedem von uns so ergehen.
Ein 39jähriger Mann beispielsweise erhielt eine besonders anspruchsvolle Arbeitszuteilung, die über Monate Konzentration und Überstunden an Abenden und Wochenenden erforderte. Er hatte dann einen schlechten Schlaf und verspürte im unteren Bereich seines Rückens Schmerzen, die sich auch nicht durch besondere Behandlungen und Übungen lindern ließen. Waren die Schlafstörungen auf die Erscheinungen im Rücken zurückzuführen oder umgekehrt? Als die Zeit vermehrter Arbeit vorüber war, verschwanden beide Symptome. Was war die Ursache?
Im folgenden sind einige der üblichen Symptome übermäßigen Stresses aufgeführt:
Übermäßige Reizbarkeit: Andere bemerken und sagen, daß du dich schneller über Kleinigkeiten aufregst.
Schlafstörungen: Du brauchst länger als normal, um einzuschlafen, oder du wachst zwischendurch auf und kannst dann stundenlang nicht wieder einschlafen.
Veränderte Atmung: Du ertappst dich dabei, wie du ohne offensichtlichen Grund in kurzen, flachen Zügen atmest.
Steife Muskeln: Nicht aufgrund vernünftiger körperlicher Arbeit oder sportlicher Betätigung.
Druck oder schmerzhaftes Gefühl im Magen: Könnte mit Appetitlosigkeit oder der Erscheinung verbunden sein, daß du nur kleine Mengen auf einmal essen kannst.
Nervosität: Veränderte Verhaltensweise; man redet andauernd und fängt bei dem geringsten Anlaß sofort an zu zittern.
Natürlich sollten wir nicht meinen, das Auftreten eines dieser Symptome beweise, daß wir das Opfer eines extremen Stresses wären, der unserer Gesundheit schade. Rückenschmerzen könnten auch auf mangelnde körperliche Bewegung oder darauf zurückzuführen sein, daß man sich verhoben und dadurch Muskeln verspannt hat. Jemand könnte unter Schlafstörungen leiden, weil er immer kurz vor dem Zubettgehen etwas ißt oder abends Kaffee oder Tee trinkt. Doch wenn bei dir einige dieser Symptome ohne erklärlichen Grund auftreten, solltest du überlegen, ob du nicht ein Opfer schädlichen Stresses bist.
Überprüfe die Ursachen
Niemand denkt gern über die verschiedenen Belastungen nach, denen er ausgesetzt ist. „Warum sollten wir nicht einfach unsere Sorgen vergessen?“ meinen viele. Da der Streß jedoch so schädliche Folgen hervorrufen kann, täten wir gut daran, einige der üblichen Ursachen des heutigen Stresses zu untersuchen. Wenn wir uns ihrer bewußt sind und vielleicht erkennen, daß einige davon uns betreffen, sind wir besser gerüstet, dem Streß entgegenzuwirken oder damit zu leben.
In der nebenstehenden Tabelle sind die Probleme oder Situationen des Lebens aufgeführt, die von Forschern als die „streßreichsten“ ermittelt wurden. Trifft das eine oder andere auch auf dich zu? Dann bist du wahrscheinlich einem Streß ausgesetzt.
Viele empfinden, daß ihre Umwelt Streß hervorruft. Sie wohnen vielleicht in einer dichtbesiedelten Stadt, in der sie ständig in Verteidigungsposition leben und sich eingeengt oder bedrängt fühlen. Ständiger extremer oder unangenehmer Lärm kann auch Streß hervorrufen. Das ist vor allem für Personen von Bedeutung, die in einer lärmerfüllten Umgebung leben oder arbeiten müssen und sich dann „entspannen“, indem sie ihre Ohren mit schriller, hämmernder Musik „bestrafen“. Schlechte Luft kann ebenso die Bürde des Stresses erhöhen.
Wir haben bereits einige Streßsituationen vieler Berufe angesprochen. Was für viele das Problem noch erschwert, ist der Konkurrenzgeist, der nur darauf aus ist, „vorwärtszukommen“ oder sich den Luxus zu leisten, den auch andere haben. (Vergleiche Prediger 2:22-24; 4:4.) In der Bundesrepublik Deutschland führen Ärzte einen großen Teil des Stresses, unter dem die Bevölkerung leidet, auf die „Leistungsgesellschaft“ zurück, in der der Erwerb materieller Güter oder eine aufwendige Lebenshaltung, geboren im deutschen „Wirtschaftswunder“, immer noch das Bild beherrscht.
Mangelnder Schlaf kann zwar ein Symptom von Streß sein, aber bei einigen ist es die Ursache davon. Sie setzen sich selbst unter Druck, indem sie versuchen, in ihren Alltag zuviel hineinzustopfen, und berauben sich dadurch selbst des nötigen Schlafes. Auch wenn man sehr lange aufbleibt, um sich im Fernsehen Nachrichten oder Filme anzusehen, vor allem solche, die spannend sind, kann man auf zweierlei Weise Schaden nehmen — die Schlafzeit wird verkürzt und der gesunde Schlaf beeinträchtigt.
Angespanntes, konzentriertes Fahren im dichten Verkehr; ständiger häuslicher Unfrieden oder Schwierigkeiten mit den Schwiegereltern; Sorgen über die Inflation oder die schwindende Kaufkraft des Geldes; Schulwechsel oder Umzug in ein anderes Wohngebiet; eine ständige, doch unterdrückte Verdrossenheit über kleine Unannehmlichkeiten des Lebens — das sind bei vielen Personen zusätzliche Ursachen für Streß.
Wir sind physisch und emotional so geschaffen, daß wir uns von Streß erholen können, doch die Auswirkungen des Stresses häufen sich eher an. Komplizierter wird das noch dadurch, daß durch den Alterungsprozeß (der durch den Streß womöglich noch beschleunigt wird) unsere Fähigkeit schwindet, auf Streß zu reagieren.
Aber es besteht kein Grund, daß du verzweifelst — als ob Streß eine Bürde wäre der man nicht entgehen oder die man nicht überwinden könnte. Studien zeigen, daß bei etwa 25 Prozent der Personen, die jahrelang in nationalsozialistischen Konzentrationslagern inhaftiert waren und überlebt haben — sicher ein extrem anhaltender Streß —, keine streßbedingten physischen Probleme zurückblieben.
Du kannst also gegen Streß etwas unternehmen. Und es gibt sogar Gründe dafür, daß du einer Zukunft entgegenblicken kannst, in der du von den negativen Auswirkungen des Stresses für immer befreit sein wirst.
[Kasten auf Seite 7]
DIE WICHTIGSTEN STRESS-SITUATIONEN
1 Tod des Ehepartners
2 Scheidung
3 Trennung vom Ehepartner
4 Gefängnisstrafe
5 Tod eines nahen Angehörigen
6 Unfall oder Krankheit
7 Hochzeit
8 Entlassung vom Arbeitsplatz
9 Versöhnung mit dem Ehepartner
10 Pensionierung
11 Erkrankung eines Angehörigen
12 Schwangerschaft
13 Sexuelle Schwierigkeiten
14 Zuwachs in der Familie
15 Berufliche Veränderung
Gestützt auf Untersuchungen von Dr. T. Holmes und Dr. R. H. Rahne („Modern Maturity“).
[Diagramm auf Seite 5]
(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)
DEIN KÖRPER REAGIERT AUF STRESS
Furcht oder Zorn lösen die Reaktion „Kampf oder Flucht“ aus
HERZ
schlägt schneller
LUNGE
atmet schneller
LEBER
Zucker und Fette ins Blut
MAGEN
verlangsamt Verdauung
AUGEN
Pupillen erweitern sich
MUSKELN
angespannt, bereit zu reagieren
NEBENNIERENDRÜSEN
beträchtliche Hormonabgabe