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g82 8. 7. S. 9-11

„Hätte ich doch nur ein Tagebuch geführt!“

WIE oft habe ich das in den vierzehn Jahren, die ich in Peru als Missionarin tätig bin, gedacht!

Ich erinnere mich noch gut an das erste Jahr in diesem Land: eine Ratte in der Klosettschüssel, ein Skorpion in der Badewanne, Flöhe im Bett. Glücklicherweise wußten jedoch die meisten Tiere, wohin sie gehörten, und nach kurzer Zeit gewöhnten wir uns an ein äußerst interessantes Leben.

DAS ERLERNEN EINER SPRACHE. Ich weiß noch genau, wie ich mich insgeheim freute, wenn ich hörte, daß manche Kinder die unregelmäßigen Verben auch nicht richtig beugten, und dann bei mir dachte: „Wir sind also nicht die einzigen!“

ALS DIE ERDE BEBTE. Erdbeben waren für mich eine neue Erfahrung. Am besten erinnere ich mich noch an das Beben von 1974. Meine Partnerin und ich wohnten in einem alten Adobenhaus am Ende eines schmalen Durchgangs. Als das Beben begann, liefen wir zum Durchgang, weil wir dachten, dort am besten geschützt zu sein. Er war 75 cm breit, aber unglücklicherweise entsprach das Maß genau dem unserer Vermieterin. Da sie den ganzen Durchgang ausfüllte, konnten wir zwei nur noch unseren Kopf hineinstecken. Wir waren froh, daß nichts auf uns herabfiel.

ÄUSSERE ERSCHEINUNG. Es beeindruckte mich, wieviel Wert die Lateinamerikaner darauf legen, daß sie adrett aussehen, wenn sie auf die Straße gehen — man sieht niemand mit Wicklern im Haar oder in Shorts. Es kostet natürlich Geld, immer gepflegt zu erscheinen, und nicht alle haben die Mittel dazu. Ein Mann mittleren Alters, den ich einmal im Bus gesehen habe, wird mir unvergeßlich bleiben. Ich schaute ihn immer wieder an und dachte: „Sein Haar sieht so merkwürdig aus.“ Für ihn war das offenbar gar nicht merkwürdig, denn er wirkte sehr zufrieden. Schließlich kam ich, durch die Fahrgäste geschoben, neben ihn zu stehen, Ellbogen an Ellbogen, und nun sah ich, daß es gar keine Haare waren, sondern daß er sich den kahlen Kopf mit schwarzer Schuhwichse eingeschmiert hatte!

IHRE TIERE. Wer ist nicht tierliebend? Da viele der Stadtbewohner in Peru auf dem Lande aufgewachsen sind, werden auch in der Stadt auf den Dächern und in den Hinterhöfen Kaninchen, Hühner oder Meerschweinchen gehalten. Als ich mich einmal in einem kleinen Lebensmittelladen mit einer korpulenten Frau unterhielt, sagte ich, ich würde immer Küken piepen hören, könne sie aber nicht sehen. Wo waren sie? Ganz stolz griff die Frau in ihren Ausschnitt und zog zwei Küken heraus. Sie erklärte lächelnd, sie würde sie so warm halten.

KEINE ANGST VOR UNBEKANNTEN GERICHTEN. Es ist wichtig, daß man sich den in dem Land herrschenden Sitten anpaßt und auch seine Küche kennenlernt. Wie wär’s mit rohem Seeigel? Oder vielleicht mag jemand Schafszahnsuppe oder Schafshoden mit Zwiebeln und Zitrone. Natürlich ist die Mehrzahl der Gerichte nicht so ausgefallen. Und die peruanische Küche gilt als die schmackhafteste und abwechslungsreichste von allen Küchen Lateinamerikas. Ein beliebtes Gericht wird ocopa genannt — Salzkartoffeln mit einer Soße aus Weißkäse, gerösteten gemahlenen Nüssen, Chilipfeffer und weiteren Gewürzen. Köstlich!

Manche Europäer, die nach Lateinamerika kommen, vermissen anfänglich ihre Pflaumen, Aprikosen, Himbeeren, Kirschen und anderes Obst der gemäßigten Zone. Kehren sie dann wieder in ihr Heimatland zurück, so vermissen sie ebensosehr die frischen süßen Ananas, die rosa- und orangefarbigen Papayas, die saftigen Mangos, die butterweichen Avokados und die große Auswahl an Frischgemüse, das es das ganze Jahr über gibt. Hier braucht man nichts einzuwecken oder einzufrieren!

TÄNZE FÜR JEDEN GESCHMACK. Die Peruaner tanzen fürs Leben gern. Ich dachte stets, ihnen liege das Tanzen im Blut. Sobald die Kinder auch nur auf den Beinen stehen können, beginnen sie, im Takt der Musik mit den Hüften zu wackeln, und wenn sie älter werden, tun sie es erst recht. Bei jedem geselligen Beisammensein schwingen Alt und Jung das Tanzbein. Es gibt Tänze für jeden Geschmack: den schnellen Paso doble, den peruanischen Walzer, den salsa, den cumbia, den huayno, bei dem der Tänzer taktmäßig rhythmisch stampft, und die Hochlandtänze. Die Leute freuen sich, wenn sie merken, daß man ihre Musik mag und mit ihren Tänzen und Liedern vertraut ist.

Einmal besuchte ich eine ärmliche Familie, die in einer kleinen Bauernhütte wohnte. Nach unserem Bibelstudium wollten die Leute, daß ich einen huayno zu Grammophonmusik tanzte. Aber es mußte alles richtig sein. Deshalb brachten sie mir einen langen indianischen Rock, einen Umhang und einen großen Hut. Noch nicht zufrieden mit meinem Aussehen, steckten sie mir zwei schwarze Roßhaarzöpfe unter den Hutrand. Dann begann ich zu tanzen und dabei heftig aufzustampfen. Die Zuschauer kugelten sich vor Lachen. Als ich das erstemal bei diesen Leuten vorgesprochen hatte, waren sie sehr schüchtern gewesen. Nun war ich richtig glücklich, daß wir uns durch meine Freude an ihren Sitten und Bräuchen näherkamen. Noch näher kamen wir uns, als sich viele Glieder dieser Familie als Zeugen Jehovas taufen ließen.

VON DEN ARMEN LERNEN. Da ich aus einem Land komme, wo man in großen Mengen einkauft, überraschte es mich, zu sehen, wie diese armen Leute einkaufen, und ihre Sparsamkeit beeindruckte mich. Zum Beispiel kaufen sie jeweils nur sechs Haarklemmen oder 100 Gramm Mehl oder Salz oder Kaffee, ein Ei oder eine Tasse Öl. Auch werden keine Papiertüten oder Zeitungen weggeworfen, sondern sie werden für tausend verschiedene Zwecke verwendet, bis sie total zerfetzt sind. Auf dem eigenen Zwei- oder Dreirad fahren, Rollschuh laufen, Musikunterricht oder einen Schwimmkurs nehmen oder in der Bibliothek Bücher ausleihen — das alles sind bescheidene Vergnügen, die aber Millionen Kinder entbehren müssen.

Zahllose Kinder können keine Schule besuchen, weil ihren Eltern das Geld dafür fehlt. Oder sie gehen mit leerem Magen in die Schule, was das Lernen nicht gerade erleichtert. Andere müssen sich daran gewöhnen, in der Schule zu stehen, weil nicht genügend Bänke vorhanden sind. Ich kann mich an eine Familie erinnern, in der es für zwei schulpflichtige Kinder nur ein Paar Schuhe gab. Es waren schwarze Lederschuhe; die Tochter trug sie vormittags, wenn sie in die Schule ging, und der Sohn nachmittags, wenn er Unterricht hatte. Natürlich gibt es Familien, die nicht einmal ein Paar Schuhe zur Verfügung haben.

Den Leuten ist es egal, wenn sie nicht das Neueste besitzen; sie sind schon froh, etwas zu haben, was sie gebrauchen können, und mit großem Geschick flicken sie es immer und immer wieder. Wie viel habe ich als Kind doch für selbstverständlich genommen!

ABENTEUERLICHES REISEN. Das Reisen war manchmal eine haarsträubende Angelegenheit. Unsere denkwürdigste Fahrt machten wir vor neun Jahren. Die Abfahrt war um 17 Uhr. Als der Bus voll war, fuhren wir erst tanken. (Das ermöglichte es denen, die den Bus verpaßt hatten, doch noch zuzusteigen.) Von Zeit zu Zeit hielt der Bus, um weitere Fahrgäste zusteigen zu lassen. Diese setzten sich jeweils in den Gang. Die Frau, die sich neben mir auf einen Holzhocker plumpsen ließ, war offensichtlich geistesgestört. Sie befand sich in Begleitung eines Polizisten, der sie in ihr Dorf zurückbrachte. Für mich war sie eine äußerst schwierige Reisegefährtin. Ungefähr nach zwei Stunden mußte sie aussteigen; wir waren an einem Straßenabschnitt angekommen, der von der Polizei überwacht wird. An dieser Stelle ist die Straße so schmal, daß nur Einbahnverkehr möglich ist. Alle südwärts fahrenden Fahrzeuge müssen deshalb bis Mitternacht auf die nordwärts fahrenden warten.

Um Mitternacht ging die Fahrt dann weiter die Andenstraße hinan, aber kurze Zeit später kam uns ein langsam fahrender Lkw entgegen. An einer Kurve versuchten die beiden Fahrzeuge, aneinander vorbeizukommen. Dabei streifte der Lastwagen unseren Bus und drängte uns an den Rand der Straße, hoch über dem Abgrund. Aus der Schlucht herauf klang das Donnern des Mantaro an unser Ohr. Der Beifahrer stand draußen und rief dem Fahrer zu, daß der Randstreifen der Straße das Gewicht des Busses schon zu tragen vermöge. Einige Fahrgäste wollten aussteigen, aber der Fahrer erlaubte es ihnen nicht. Offensichtlich sollten wir als Ballast dienen. Irgendwie gelang es den beiden Fahrzeugen, aneinander vorbeizukommen, und dann ging die Fahrt weiter.

Etwa zwei Stunden später trafen wir auf eine Autoschlange — die Straße war durch einen Erdrutsch blockiert. Wir reihten uns in die Schlange ein und warteten und warteten — insgesamt sechs Stunden. Als die Straße wieder frei war, versuchte jeder Fahrer die verlorene Zeit einzuholen; jeder wollte der erste sein. Diese mehrere Stunden dauernde Raserei wurde immer wieder durch scharfes Bremsen unterbrochen. Von Huancayo, wo wir wohnten, bis Ayacucho sind es nur 350 km, die Fahrt dauerte jedoch 16 Stunden!

Wir waren erleichtert, als wir glücklich an unserem Bestimmungsort eintrafen. Doch keiner von uns ahnte, daß die Rückfahrt noch schlimmer werden würde. Aber den Bericht darüber möchte ich dem Leser ersparen.

Ich kann mich noch sehr gut an das Leben in den Bergen erinnern, an den Geruch der Eukalyptusbäume, den uns die klare Bergluft zutrug, an die jungen Alpakas, die ich streicheln durfte, an die unvergeßlichen Lieder der Indianer, an die braunen, grünen und goldenen Felder an den steilen Hängen hoch oben in den Bergen. Ich erinnere mich aber auch an Krawalle, an Ausgehverbote und nächtliche Schießereien, an die Tropenkrankheiten und an unsere Sprachschnitzer, über die wir uns köstlich amüsierten, an die vielen Freunde, an die traurigen Abschiede und ganz besonders an die glaubensstärkenden Segnungen, die wir von Jehova empfingen, während wir anderen die gute Botschaft von seinem Königreich überbrachten. Alles das ist in mir lebendig geblieben, während andere Ereignisse und Erlebnisse meiner Erinnerung entfallen sind. Deshalb meine etwas traurigen Worte: „Hätte ich doch nur ein Tagebuch geführt!“ (Eingesandt.)

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