Junge Leute fragen sich:
Was kann ich gegen meine Schüchternheit tun?
DER junge Mann war groß und stattlich. Es hieß sogar, es habe keinen stattlicheren Mann als ihn gegeben. Doch er war extrem schüchtern. Als ihm einmal ein Kompliment gemacht wurde, wehrte er bescheiden ab. Insgeheim wurde er in eine führende Stellung eingesetzt, doch er sagte niemandem etwas davon, nicht einmal seinen Angehörigen. Und als er öffentlich in das Amt eingeführt werden sollte, verbarg er sich. Daraufhin sprachen einige aus Eifersucht verächtlich über ihn. „Er aber war fortan wie ein Verstummter.“
Seine Schüchternheit war bestimmt groß, aber er wurde mit seinem Problem fertig, denn man liest später nichts mehr davon. Bist du auch schüchtern? Möchtest du deine Schüchternheit ebenfalls überwinden?
Wie der Artikel in der letzten Ausgabe dieser Zeitschrift gezeigt hat, kann ein Mensch aufgrund gewisser Erfahrungen mit seinen Mitmenschen schüchtern werden. Vielleicht hast du starke Hemmungen entwickelt, oder du läßt dein Handeln von negativen Gedanken und Erwartungen beherrschen. Schüchternheit mag eine eingefleischte Verhaltensweise von dir geworden sein. Deshalb ist es vor allem wichtig, daß du den Wunsch hast, dich zu ändern, und die Überzeugung, daß es möglich ist.
Schüchternheit überwinden
Deine Schüchternheit zu überwinden wird Zeit und Mühe erfordern. Du wirst lernen müssen, anders zu denken und anders zu handeln. Lebe nicht immer in dem Gedanken, daß dich ein anderer kritisch beobachtet. Vermutlich ist er viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt und damit, was er sagen und tun möchte. Bemühe dich, positiv zu denken. Niemand ist vollkommen; jeder von uns hat Stärken und Schwächen. Selbst Personen, die sehr attraktiv aussehen, haben gewöhnlich irgendwelche Fehler, die sie verdecken. Arbeite also daran, Selbstachtung zu gewinnen.
Lerne aus deinen früheren Fehlern, denke jedoch nicht ständig daran. Vergiß auch nicht, daß man verschiedener Auffassung sein kann und daß es unterschiedliche Geschmäcke gibt. Nicht immer teilt man die Meinung des anderen. Eine unterschiedliche Auffassung bedeutet nicht, daß du als Mensch abgelehnt wirst. Niemand ist auf allen Gebieten erfolgreich. Jeder von uns erleidet ab und zu einen Fehlschlag, aber das kann uns helfen, uns realistische Ziele zu setzen. Und nimm nicht alles für bare Münze, was andere über dich sagen. Ihre Beurteilung mag ganz falsch sein.
Andererseits sollten wir unsere Mitmenschen auch nicht falsch einschätzen, denn solche Fehleinschätzungen sind eine verbreitete Ursache dafür, daß Menschen sich zurückziehen und schüchtern sind. Ein junger Mann, der außerordentlich schüchtern war, diese Schwäche aber später überwand, sagte: „Ich stellte fest, daß ich zwei falsche Vorstellungen hatte; und als ich mir darüber klargeworden war, konnte ich meine Schüchternheit überwinden. Erstens war ich zu ichbezogen. Ich dachte viel zuviel an mich und fürchtete mich zu sehr davor, daß andere meine Äußerungen negativ beurteilen würden. Und zweitens unterschob ich meinen Mitmenschen schlechte Motive — ich hatte kein Zutrauen zu ihnen und glaubte, sie würden auf mich herabschauen. Ich beurteilte sowohl sie als auch mich falsch.“
Was half diesem jungen Mann, sich diesbezüglich zu ändern? Er besuchte die Zusammenkünfte der Zeugen Jehovas. „Dort“, erzählte er weiter, „hörte ich einen Vortrag, der mir eine echte Hilfe war. Er handelte von der Liebe. Der Redner wies darauf hin, daß Liebe einen zum Handeln antreibt, daß man, wenn man von Liebe erfüllt ist, von seinem Nächsten nichts Schlechtes, sondern Gutes denkt. Deshalb bemühte ich mich, meinen Mitmenschen keine schlechten Beweggründe mehr zu unterschieben. Im Gegenteil, ich schrieb ihnen gute Beweggründe zu. Ich sagte mir: ,Sie werden Verständnis haben, sie werden freundlich und rücksichtsvoll sein.‘ So entwickelte ich eine ganz andere Einstellung und fing an, den Menschen zu vertrauen. Ich merkte, daß ich nun mit ihnen sprechen konnte und daß sie nicht auf mich herabschauten. Mir war zwar klar, daß mich einige vermutlich falsch beurteilten, aber ich dachte, das sei schließlich ihr Problem.“
Was unternahm er noch, um seine Schüchternheit zu überwinden? „Ich begriff auch, daß ich beginnen mußte, meine Liebe durch Taten zu bekunden — ich mußte anderen Gutes erweisen“, erklärte er. „Zuerst versuchte ich es bei den Jüngeren. Später begann ich, andere sogar in ihrer Wohnung zu besuchen. Ich lernte, ein Gefühl für ihre Bedürfnisse zu entwickeln, dar über nachzudenken, wie ich ihnen helfen könnte, und mich so zu verhalten, daß sie sich in meiner Gegenwart wohl fühlten.“
Dieser junge Mann erkannte, wie wahr Jesu Worte sind, die wir in Lukas 6:37, 38 lesen: „Hört ... auf zu richten, und ihr werdet bestimmt nicht gerichtet werden; und hört auf zu verurteilen, und ihr werdet bestimmt nicht verurteilt werden. Fahrt fort freizulassen, und ihr werdet freigelassen werden. Übt euch im Geben, und man wird euch geben. ... Denn mit dem Maß, mit dem ihr meßt, wird euch wieder gemessen werden.“
Der Anfang
Wenn man sich bemüht, anders denken zu lernen, so heißt das noch lange nicht, daß man das Gelernte im Umgang mit anderen auch praktiziert. Doch einmal muß man damit beginnen Es ist erforderlich, zum Nächsten eine Brücke zu schlagen.
Gewöhne dir an, freundlich zu sein, dem andern „einen guten Tag“ zu wünschen und mit ihm ein paar Worte zu wechseln.a Es kann eine Bemerkung über das Wetter sein, über etwas, was gerade vorgeht, eine Frage oder ein Kompliment. Damit ein Gespräch nicht ins Stocken gerät, muß man Anteilnahme bekunden und zuhören. So weiß man dann, was man als nächstes sagen oder fragen kann. Du darfst nicht entmutigt sein, wenn du Schwierigkeiten hast, mit jemandem ins Gespräch zu kommen. Vielleicht ist derjenige, den du ansprichst, noch schüchterner als du!
Eine wichtige Rolle beim Überwinden von Schüchternheit spielen auch die Körperhaltung und die Art und Weise, wie man sich kleidet. Das hat viel damit zu tun, welches Bild man dem anderen vermittelt und wie man sich selbst fühlt. Kleide dich, so gut es dir möglich ist, aber übertreibe nicht. Kleide dich einfach so, daß du dich wohl fühlst, und achte darauf, daß die Kleidung sauber und gebügelt ist. Du bist weniger gehemmt, wenn du weißt, daß deine äußere Erscheinung in Ordnung ist, und kannst dich besser auf das Gespräch mit anderen konzentrieren.
Deine Körperhaltung kann ebenfalls bewirken, daß du dich sicherer fühlst. Sie sollte aufrecht, aber dennoch locker und natürlich sein. Die Arme sollen nicht ineinander verschränkt, die Beine nicht übereinandergeschlagen und die Hände nicht gefaltet sein. Schau den anderen liebenswürdig lächelnd an. Bemühe dich, einen freundlichen Augenkontakt mit ihm aufrechtzuerhalten, und nicke ab und zu, während er spricht, oder äußere ein paar kurze Worte dazu.
Das alles mag dir, besonders am Anfang, schwerfallen. Ab und zu wirst du auch entmutigt sein und dich wieder in dein Schneckenhaus zurückziehen wollen. Vergiß jedoch eins nicht: Du trägst nur 50 Prozent der Verantwortung. Die übrigen 50 Prozent trägt der andere. Versprichst du dich einmal, dann denke nicht, du hättest dich jetzt unglaublich blamiert. Wenn andere lachen, lache mit ihnen. Sag: „Das war nicht ganz richtig!“ So kommst du besser über den Lapsus hinweg und kannst das Gespräch fortsetzen. Außerdem gibt es noch etwas, was dir hilft, Streß und Angst zu bewältigen: Vorbereitung und Übung.
Ist dir bekannt, daß viele berühmte Leute — Staatsmänner, Sport- und Filmgrößen — sich für schüchtern halten? Wieso können sie dennoch vor einem großen Publikum auftreten und reden? Sie haben gelernt, ihre Schüchternheit zu überwinden — zu entspannen und sich auf ihre Aufgabe zu konzentrieren. Sie üben jeweils so lange, bis sie sich bei dem, was sie tun, wohl fühlen und sie das Bewußtsein haben, daß sie es können. Wenn du also im voraus weißt, was dich erwartet, dann bereite dich so gut wie möglich auf diese Situation vor. Überlege dir, was du sagen wirst. Stell dir die Szene vor, und geh alles im Geiste durch. Auch Schwierigkeiten beim Sprechen kann man durch Übung überwinden oder auf ein Minimum beschränken. Das wird Zeit erfordern wie alles, was man erlernen möchte. Sobald du jedoch die guten Ergebnisse siehst, wirst du angespornt werden, deine Bemühungen fortzusetzen.
Man darf aber auch nicht vergessen, daß Gott einem helfen kann. Der am Anfang des Artikels erwähnte junge Mann war kein anderer als Saul, der erste König des Volkes Israel (1. Samuel, Kapitel 9 und 10). Er war schüchtern, doch als er handeln mußte, wurde „der Geist Gottes ... über Saul“ wirksam, und er erfocht mit dem Volk einen Sieg (1. Samuel, Kapitel 11).
Wenn man sich darauf konzentriert, anderen zu helfen, denkt man nicht soviel an sich selbst. Welch eine schöne Aufgabe ist es doch, seinen Mitmenschen zu helfen, etwas über Gott und sein verheißenes neues System der Dinge zu erfahren! Du gewinnst Sicherheit, wenn du, als Vertreter der höchsten Autorität im Universum, anderen die gute Botschaft überbringst.
[Fußnote]
a Siehe den Artikel „‚Was soll ich denn sagen?‘ Die Kunst der Unterhaltung meistern lernen“ in Erwachet! vom 22. April 1982.
[Kasten auf Seite 15]
Du kannst deine Schüchternheit überwinden, wenn du ...
● dich ändern willst und du überzeugt bist, daß es möglich ist;
● anstatt negativ zu denken, positiv handelst;
● dir realistische und sinnvolle Ziele setzt;
● lernst, dich zu entspannen und deine Befangenheit zu überwinden;
● dich auf eine Situation vorbereitest;
● durch Erfolgserlebnisse Selbstvertrauen gewinnst;
● daran denkst, daß unterschiedliche Meinungen bestehen und daß auch andere sich irren können;
● dich bemühst, auf bestimmten Gebieten tüchtig zu werden und Neues zu erlernen;
● ein Herz hast für andere und ihnen hilfst;
● dich sauber und ordentlich kleidest und sicher auftrittst;
● dich auf die Hilfe verläßt, die Gott zugesichert hat.
[Bild auf Seite 14]
Gewöhne dir an, andere freundlich zu begrüßen und mit ihnen ein paar Worte zu wechseln.