Höre auf, alles aufzuschieben
SOEBEN bist du mit dem Abendessen fertig geworden. Du nimmst dir vor, heute abend einen Schrank oder die Garage oder deinen Schreibtisch aufzuräumen oder endlich eines jener Vorhaben anzupacken, die du schon seit Wochen oder gar seit Monaten vor dir herschiebst.
„Doch warum sollte ich mich nicht“, sagst du dir, „vorher noch einen Augenblick entspannen?“ Schließlich hast du ja eben erst zu Abend gegessen. Du machst es dir also auf der Couch bequem und schaltest das Fernsehgerät ein — „nur für ein paar Minuten“. Ehe du dich’s versiehst, kommen schon die Spätnachrichten. Der Abend ist vorbei. Die Arbeit, die du dir vorgenommen hattest, muß wieder warten.
Wenn du dich in der oben geschilderten Situation wiedererkennst, kannst du dich zumindest damit trösten, daß du viele „Leidensgenossen“ hast. Etwas aufzuschieben oder hinauszuzögern ist sicher eine der häufigsten menschlichen Schwächen. Es gibt kaum jemand, der sich nicht schon das eine oder andere Mal gesagt hat: „Ich weiß, daß ich das jetzt tun sollte, aber ...“
„Beim nächsten Mal mache ich es besser“
Das Hinauszögern hat viele Ausdrucksformen — manche tragische, manche weniger schwerwiegende. Einige Verhaltensforscher glauben, daß das Hinauszögern, gerade weil es in vielen Fällen nicht so schwerwiegend ist, leicht zu einer eingefleischten Gewohnheit wird.
Du magst beispielsweise den festen Vorsatz gehabt haben, den Freunden, die dir auf deiner letzten Reise Gastfreundschaft erwiesen haben, einen Dankbrief zu schicken. Doch die Zeit vergeht. Bevor du es merkst, sind Wochen und Monate verstrichen, und aus deinem Brief ist immer noch nichts geworden. Aber es scheint, daß dadurch kein echter Schaden entsteht. „Beim nächsten Mal mache ich es besser“, sagst du dir. Das ist bereits der Anfang einer verlorenen Schlacht.
Es mag nicht immer ein „nächstes Mal“ geben. Eine 25jährige Frau, die jahrelang damit zögerte, ihrer Schwester ihre Zuneigung zu zeigen, schrieb: „Ich wollte sie oft umarmen und küssen, aber nie ließ ich sie wissen, wie ich empfand. ... Am 25. Februar starb meine Schwester. In mir brach eine Welt zusammen. Wie traurig, daß sie niemals erfuhr, wie sehr ich sie liebte! ... Die Liebe, die du gegenüber deinen Verwandten verspürst, ... zeige sie ihnen! Verschiebe es nicht auf später. Es könnte sonst zu spät sein.“
Man muß jedoch bemerken, daß nicht jeder Aufschub notwendigerweise schädlich ist. Manche verwenden lieber die Bezeichnung „Bedachtsamkeit“. Es braucht seine Zeit, bis Ideen gereift und Pläne herauskristallisiert sind. Eine Entscheidung zu verschieben, bis sich eine günstigere Gelegenheit ergibt, kann an sich schon eine gute Entscheidung sein.
Eine schwerwiegendere Form des Hinauszögerns, obwohl viele es nicht als solche erkennen, ist chronische Unpünktlichkeit. Dazu kann Verspätung bei Verabredungen, bei geselligen Anlässen und bei Sitzungen sowie unpünktliches Erscheinen am Arbeitsplatz gehören. Oder es handelt sich um eine zögernde Erfüllung von Aufgaben oder um die Einhaltung von Terminen. Es kann einen Freundschaften, den Arbeitsplatz und sogar, wie jemand einmal sagte, die Ehe kosten.
Warum man etwas aufschiebt
Da das Hinauszögern etwas mit dem Faktor Zeit zu tun hat, mag einem zuerst die Erklärung in den Sinn kommen, daß Zauderer nicht zeitbewußt sind und nicht wissen, wie sie ihre Zeit einteilen sollen. Daher bemühen sich oft Abteilungsleiter in großen Firmen, den Arbeitnehmern gewisse Techniken der Zeiteinteilung beizubringen. Aber nicht selten stellen sie enttäuscht fest, daß die meisten Zauderer nach wie vor zaudern, wenn es darum geht, die neugelernten Techniken anzuwenden. Noch etwas anderes scheint dabei eine Rolle zu spielen.
In dem Buch Decision Making (Entscheidungen treffen) schrieben die Autoren Irving Janis und Leon Mann: „Wer unter dem Druck steht, eine wichtige Entscheidung zu treffen, die sein künftiges Wohl angeht, betrachtet es als unangenehm, sich festzulegen, weil ja gewisse Kosten und Risiken zu erwarten sind, ganz gleich, wie er sich nun entscheidet. Eine Möglichkeit, mit einem solch schmerzlichen Dilemma fertig zu werden, besteht darin, einer Entscheidung aus dem Weg zu gehen.“
Ein weiterer Grund, warum viele etwas hinausschieben, ist das Gefühl der Unzulänglichkeit oder Unfähigkeit. „Etwas hinauszuschieben dient ihnen als Puffer für ihr angeschlagenes Selbstwertgefühl“, sagte die Psychologin Jane Burka. Statt das Risiko einzugehen, schlecht abzuschneiden, zögern sie lieber die Sache hinaus. Ihre Angst vor Kritik hindert sie daran, überhaupt erst damit anzufangen.
Experten, die das Problem des Hinauszögerns erforscht haben, weisen auf andere Ursachen hin, die womöglich weniger offensichtlich sind. Vielleicht rebelliert ein Untergebener gegen die Vorschriften, Termine und gegen andere Forderungen seines Vorgesetzten, indem er alles hinauszögert. Dadurch, daß er es bis zur letzten Minute aufschiebt, hat er eine Entschuldigung für seine mangelhafte Arbeit, denn er kann sagen: „Hätte ich nur mehr Zeit gehabt!“ Andere sind angesichts des Gesamtumfangs ihrer Aufgabe oder des Zeitaufwands, den sie erfordert, so eingeschüchtert, daß sie denken, es habe gar keinen Sinn, damit anzufangen.
Es gibt wirklich viele Gründe, warum man etwas aufschiebt, und jeder von uns ist auf seine Weise davon betroffen. Was kann man daher tun, um die heimtückischen Formen des Hinauszögerns und der chronischen Unpünktlichkeit zu verhindern?
Wie man aufhört, alles aufzuschieben
Sofern du jemals Bücher über dieses Thema gelesen hast, ist dir wahrscheinlich aufgefallen, daß die meisten voller Aufforderungen sind, wie zum Beispiel „Pack es sofort an!“ „Steh auf und fang an!“ Doch nur wenige Leser wurden dadurch angeregt, mehr zu tun, als aufzustehen und das Buch beiseite zu legen. Warum? Weil die meisten dieser Bücher über die Verbesserung der Persönlichkeit die Angelegenheit von einem egoistischen Standpunkt aus behandeln. Warum kümmert es dich, was andere denken oder sagen? Mach einfach deinen Kram, und tu, was dir beliebt.
Bei dieser Betrachtungsweise bleibt unberücksichtigt, daß die Gewohnheit, alles aufzuschieben und sich vor Verantwortung zu drücken, und vor allem Unpünktlichkeit zum großen Teil auf mangelnder Rücksicht gegenüber anderen beruhen. Darüber hinaus wäre jemand, der sich gewissenhaft bemüht, alles zu tun, was für ihn selbst gut ist, von vornherein kein Zauderer.
Das Dringendste zuerst
Da das Hinauszögern, wie wir erkannt haben, damit zu tun hat, daß man sich vor etwas drücken will, muß man zuerst einmal die Notwendigkeit und den wahren Wert der betreffenden Aufgabe sehen und feststellen, wie wichtig sie im Vergleich zu den vielen anderen Dingen ist, die man tun muß oder tun möchte. Es geht also um die Frage der Dringlichkeit.
Welche Dinge sind für dich im Leben wirklich wichtig? Was würdest du als das Dringendste bezeichnen? Heute nehmen bei vielen die Selbstentfaltung und das Vorwärtskommen den ersten Platz im Leben ein. Doch die Akten in den Beratungszentren sind voll von Berichten über ehrgeizige Männer und Frauen mit vielversprechender Karriere, die plötzlich auf große Schwierigkeiten stießen und dadurch zu Zauderern wurden und sogar ihre Zukunft gefährdeten. Unter der Belastung durch den Konkurrenzgeist und unter dem Druck, etwas produzieren zu müssen, zweifelten sie an ihren eigenen Fähigkeiten. Sie fingen an, sich Zeit zu lassen und vieles aufzuschieben. Ein junger Rechtsanwalt drückte es wie folgt aus: „Es ist die Angst vor dem Urteil der anderen und davor, ausgelacht zu werden. Es ist besser, man hat nichts vorzuweisen als etwas Stümperhaftes.“
Sicher gehörte König Salomo zu den Menschen, die ganz oben auf der Erfolgsleiter standen. Doch über das Erfolgsstreben sagte er folgendes: „Ich habe selbst all die harte Arbeit und all die Tüchtigkeit in der Arbeit gesehen, daß es Wetteifer des einen gegenüber dem anderen bedeutet; auch das ist Nichtigkeit und ein Haschen nach Wind“ (Prediger 4:4). Gewiß ist es leicht, etwas aufzuschieben, was „Nichtigkeit und ein Haschen nach Wind“ ist, wenn man den „Wetteifer des einen gegenüber dem anderen“ zu verspüren beginnt. Der Mensch will also aus dem Teufelskreis ausbrechen, wenn er merkt, daß es zu beschwerlich wird.
Offensichtlich ist das persönliche Vorwärtskommen nur bis zu einem gewissen Grad ein Ansporn. Damit etwas als wirklich wichtig eingeschätzt und nicht aufgeschoben wird, muß also mehr als bloßer Eigennutz dahinterstehen. Es muß einen umfassenderen und wirklich wertvollen Zweck haben.
Wenn du dich wieder einmal fragst, warum du gewisse Arbeiten, die du dir vorgenommen hast, so oft aufschiebst, dann halte inne und frage dich: „Sind diese Dinge wirklich wichtig? Dienen sie einem nützlichen Zweck? Wenn ja, was hindert mich daran, sie zu tun?“
Überprüfe deine Gewohnheiten
Wir leben in einer schnellebigen Welt, und für die meisten von uns gibt es viele Dinge zu tun. Manche davon müssen wir tun. Andere möchten wir gern tun. Wieder andere tun wir mehr oder weniger aus Gewohnheit. „Hartgesottene“ Zauderer schieben Angelegenheiten der ersten Kategorie hinaus. Die meisten Leute zögern mit Dingen der zweiten Kategorie. Aber sehr oft sind es Belange der dritten Gruppe, bei denen wir in Verzug geraten und zu Zauderern werden.
Zum Beispiel kann chronische Unpünktlichkeit als eine Form des Hinauszögerns betrachtet werden. Wer ständig zu spät kommt, weiß gewöhnlich, wie wichtig das ist, was er zu tun hat, und hat sogar Freude daran, sobald er einmal damit angefangen hat. Aber er kommt immer zu spät. Experten glauben, daß man sich diese Gewohnheit schon früh im Leben aneignet. Meist übernimmt man sie von den Eltern und den Geschwistern. Zuerst „schleppt“ man sie zur Schule, dann zur Arbeit und in andere Lebensbereiche. Bei solchen Leuten geht es nicht nur darum, zu lernen, wie sie ihre Zeit einteilen müssen. „Statt zu denken ‚Besser zu spät als nie‘, sollten sie sich an den Gedanken ‚Besser rechtzeitig als zu spät‘ gewöhnen“, sagte der Psychologe Pierre Haber.
Interessanterweise schrieben Tony und Robbie Fanning, die gemeinsam als Berater tätig sind, in ihrem Buch Get It All Done (Wie man alles schaffen kann): „Unpünktlichkeit hat nichts mit der Zeit an sich zu tun; es ist die Gewohnheit, den Termin hinauszuschieben.“ Wer chronisch unpünktlich ist, kommt selbst dann zu spät, wenn ihm genügend Zeit zur Verfügung steht. Deshalb schlägt das Ehepaar Fanning vor, man sollte, um mit der Gewohnheit brechen zu können, den Termin in Gedanken vorverlegen. Wenn du um 19 Uhr zu einer Zusammenkunft erwartet wirst, so solltest du dich auf 18.30 Uhr oder 18.45 Uhr einstellen. Vielleicht verspätest du dich genauso wie sonst, kommst aber rechtzeitig zu der Zusammenkunft.
Es gibt Hilfen
Viele zögern damit, sich von gewissen schädlichen Gewohnheiten zu trennen, weil es ihnen an einer echten Motivation fehlt. Ein Mann, der 11 Jahre lang bis zu drei Schachteln Zigaretten am Tag rauchte, erzählte: „Ich machte mindestens ein Dutzend ernsthafte Versuche aufzuhören, aber alle schlugen fehl. Jedesmal, wenn ich mich bemühte aufzuhören, machte ich eine qualvolle Zeit durch ... und fing dann schließlich wieder an zu rauchen.“ Ein Mann, der etwa 10 Jahre der Spielleidenschaft ergeben war, sagte: „Ich versuchte mehrmals, mit der Gewohnheit zu brechen, konnte aber höchstens zwei Tage durchhalten.“ Die wiederholten Mißerfolge bewogen diese Männer, erneute Versuche hinauszuschieben. Doch schließlich fanden beide die Motivation, die sie brauchten.
Der ehemalige Raucher berichtete: „Bei einem Studium der Bibel mit Jehovas Zeugen fand ich eine Menge Schriftstellen, die sowohl von der körperlichen als auch von der geistigen Reinheit handelten. Außerdem gibt es den fundamentalen Grundsatz, einander zu lieben und andere so zu behandeln, wie man selbst behandelt werden möchte. Wie könnte jemand dasitzen und einem anderen Rauch ins Gesicht blasen und gleichzeitig behaupten, er befolge diesen Grundsatz?“
Was bedeutete diese neuerlangte Motivation für ihn? „Ich beschloß, ein für allemal aufzuhören“, sagte er. „Jedesmal, wenn ich das Verlangen nach einer Zigarette verspürte, bat ich Jehova um Hilfe. Zu meiner Überraschung war es leichter, als ich vorher gedacht hatte.“
Wie erging es dem Spieler? „Meine Frau begann, die Bibel zu studieren“, sagte er. „Sie lud mich mit zu dem Studium ein, und ich stimmte zu. Die Folge war, daß ich schnell erkannte, daß das Spielen verkehrt ist.“ Die biblische Wahrheit vermittelte ihm die nötige Motivation. Innerhalb von drei Monaten gelang es ihm, das aufzugeben, was er zehn Jahre lang hinausgeschoben hatte.
„Wer auf den Wind achtet, wird nicht Samen säen; und wer nach den Wolken schaut, wird nicht ernten“, heißt es in der Bibel in Prediger 11:4. Ob dein Problem nun darin besteht, alles aufzuschieben, oder darin, immer unpünktlich zu sein, ist es vernünftig, ernsthaft zu überprüfen, was das Dringendste in deinem Leben ist und welche Gewohnheiten du hast. Höre dann auf, alles aufzuschieben.
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Bevor du es merkst, ist der Abend vorbei. Die Arbeit, die du dir vorgenommen hattest, muß wieder warten.
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Immer zu spät zu kommen ist eine schlechte Gewohnheit
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Druck kann dazu führen, daß man alles aufschiebt