Ein Besuch bei glücklichen Gefangenen
GEFANGENE sind gewöhnlich unglücklich. Man kann auch verstehen, warum, denn sicher möchte niemand seiner Freiheit und der Gemeinschaft mit seiner Familie und seinen Freunden beraubt sein. Das trifft vor allem dann zu, wenn sich die Haft über Jahre erstreckt. (Vergleiche Matthäus 5:25.)
Die Geschichte berichtet uns jedoch von glücklichen Gefangenen in Philippi, einer Stadt des Altertums im Norden Griechenlands. Es handelte sich um den Apostel Paulus und seinen Begleiter Silas. Sie befanden sich wegen ihrer christlichen Anbetung dort im Gefängnis, doch die Bibel zeigt, daß sie glücklich waren und „beteten“ und Gott „lobsangen“ (Apostelgeschichte 16:25).
Im September 1982 besuchten zwei Prediger vom Hauptbüro der Zeugen Jehovas in New York auch ein griechisches Gefängnis. Sie kamen mit mehr als 100 ergebenen Christen zusammen, die ebenfalls glücklich waren.
Sie besuchten das Militärgefängnis in Avlona — ein moderner Gebäudekomplex etwa 50 Kilometer nördlich von Athen. Obwohl das Gefängnis für alle Arten von Militärgefangenen gedacht ist, besteht seit kurzem ein beträchtlicher Teil der Inhaftierten aus jungen Männern, die Zeugen Jehovas sind. Warum befinden sie sich im Gefängnis?
Diese Zeugen wurden inhaftiert, weil sie an Glaubensansichten festhalten, die denen der ersten Christen entsprechen (Jesaja 9:6; 2:4; Matthäus 26:52). In dem Werk A Short History of Rome von Ferrero und Barbagallo heißt es: „Noch im zweiten Jahrhundert hatte das Christentum erklärt, daß ‚es sich nicht geziemt, ein Mann des Schwertes zu sein ...‘, und daß ‚ein Sohn des Friedens, für den es sich nicht einmal geziemt, sich in Rechtshändel einzulassen, schon gar nicht an einer Schlacht teilnehmen‘ sollte; es hatte bestätigt, daß Kriegsdienst und Christentum miteinander unvereinbar seien“ (S. 382).
Die inhaftierten Zeugen in Griechenland bekommen gewöhnlich viereinhalb Jahre Gefängnis. Nachdem sie sechs bis acht Monate in Avlona verbracht haben, verbüßen sie den Rest ihrer Strafe in anderen Gefängnissen, wo sie ebenfalls gut und respektvoll behandelt werden.
Die Prediger, die Avlona besuchten, wurden von einem leitenden Offizier des Gefängnisses herzlich empfangen. Der gastfreundliche Offizier bot den Besuchern griechischen Kaffee an und äußerte sich lobend über das hervorragende Betragen der jungen Prediger. Sie seien respektvoll und vertrauenswürdig. Man habe ihnen sogar die Verantwortung für die Küche und die Lebensmittelvorräte übertragen.
Der Offizier machte mit den Besuchern freundlicherweise eine Führung durch das Gefängnis einschließlich einiger Bereiche, in denen die inhaftierten Zeugen untergebracht sind. Je nach den Platzverhältnissen wohnen vier oder mehr Zeugen in einem Raum, wodurch es ihnen ermöglicht wird, eine Bibliothek mit Bibeln und Bibelstudienhilfen zu haben. Zu dem Gefängnis gehören Basketball- und Fußballfelder, die allen Gefangenen offenstehen, aber die Zeugen schätzen vor allem eine andere Einrichtung. Ihnen steht ein großer Raum mit 150 Sitzplätzen zur Verfügung, der ausschließlich für ihre wöchentlichen christlichen Zusammenkünfte verwendet wird. Obwohl es Mittagszeit war, wurde den 101 inhaftierten Zeugen gestattet, mit ihren Brüdern aus Brooklyn zusammenzukommen und sich einer erbaulichen geistigen Gemeinschaft zu erfreuen.
Die beiden besuchten auch Räume, in denen einige schöne Kunstwerke aus Kupfer, Holz, Wolle oder Ölfarbe ausgestellt waren, die die Gefangenen angefertigt hatten.
Obwohl es etwas Befriedigendes ist, künstlerisches Geschick zu entwickeln, sind die inhaftierten Zeugen besonders darüber glücklich, die Bibel studieren und ein tieferes Verständnis der biblischen Grundsätze erlangen zu können, nach denen sie leben. Für jeden Tag, an dem sie Gartenarbeit oder andere Arbeiten verrichten, werden ihnen zwei Tage ihrer Haftstrafe erlassen. Auf diese Weise können sie auf eine vorzeitige Entlassung hinarbeiten. Dann werden sie größere Freiheit haben und vielen anderen die gute Botschaft vermitteln können, die sie aus der Bibel erfahren haben. Daß Gott bald jegliches Leid und jegliche Unterdrückung von der Erde beseitigen wird, ist sicher eine gute Botschaft (Offenbarung 21:4, 5). Gegenwärtig trifft das zu, was der Apostel Paulus in Römer 8:22 erwähnte, nämlich „daß die gesamte Schöpfung zusammen fortgesetzt seufzt und zusammen in Schmerzen liegt bis jetzt“. Aber die Christen, die ihres Glaubens wegen in Avlona inhaftiert sind, wissen, daß alle, die Gott treu dienen, der Zeit entgegenblicken können, wo „die Schöpfung selbst auch von der Sklaverei des Verderbens frei gemacht werden wird zur herrlichen Freiheit der Kinder Gottes“ (Römer 8:21).
Als die beiden Besucher wieder gingen, nahmen sie von Avlona wertvolle Erinnerungen an ergebene junge Männer mit, die glücklich darüber sind, Gott unter allen Bedingungen zu dienen, und entschlossen sind, Gott noch mehr öffentlich zu preisen, sobald sie dazu in der Lage sind.