Die Bedrohung durch die Atombombe
„Über dem Trümmerhaufen im Urakamital türmte sich eine monströse Rauchsäule, die unheimlich schnell aus dem Mittelpunkt der Explosion emporgeschossen war. Wie ein Erdgeist, der nach jahrhundertelanger Gefangenschaft freigelassen wird, stieg die Säule, sich windend und drehend, bis in die Stratosphäre auf. ... Die schreckliche Erscheinung wallte zu den kreisenden Flugzeugen empor. Sie änderte Aussehen und Farbe — zuerst war sie violett, dann wurde sie lachsrot, dann goldgelb und schließlich mattweiß“ (The Fall of Japan von William Craig).
DIESES Bild bot sich am Morgen des 9. August 1945 wenige Minuten nach dem Abwurf einer Atombombe über Nagasaki. Die Explosion, überwältigend anzusehen, war grauenhaft. Grauenhaft war auch das, was sich unterhalb des Feuerballs zutrug. „Auf den Straßen, auf den Feldern, unter den Trümmern lagen Hunderte von Menschen und schrien nach Wasser. Geschöpfe, die undeutlich an einen Menschen erinnerten, wankten benommen einher, die Haut hing in Fetzen herab, der Rumpf schwarzgebrannt.“ An jenem Morgen starben vierzigtausend Menschen den gleichen Tod, der drei Tage zuvor fast hunderttausend in Hiroschima ereilt hatte.
Die auf Hiroschima und Nagasaki abgeworfenen Atombomben — im Verhältnis zu den heutigen Kernwaffen müssen sie als primitiv bezeichnet werden — sind die einzigen, die bisher auf Männer, Frauen und Kinder abgeworfen wurden. Die feurigen, tödlichen Atompilze sind jedoch im Kollektivbewußtsein der Menschheit zu einem bleibenden Schreckensbild geworden. Mit entsetzlicher Deutlichkeit ließen sie erkennen, was der Menschheit bevorstehen würde, falls es zu einem Atomkrieg käme.
Es überrascht daher nicht, daß viele energisch gegen die nicht abreißende Produktion von Kernwaffen protestiert haben, bisher allerdings ohne Erfolg. Nun haben seit einiger Zeit die Gegner des Wettrüstens unerwartet Unterstützung erhalten — durch Kirchenführer und kirchliche Organisationen.
Das hat für manche eine erstaunliche Kehrtwendung bedeutet. Noch im Jahre 1950 berichtete die New York Times: „Durch seine Tageszeitung L’Osservatore Romano versicherte der Vatikan der Regierung und dem Volk der Vereinigten Staaten heute, daß er volles Verständnis für die Gründe habe, warum Präsident Truman den Entschluß gefaßt habe, eine Wasserstoffsuperbombe bauen zu lassen.“ Im Jahre 1958 wurde aus Dänemark gemeldet, daß ein Organ des protestantischen Ökumenischen Rates der Kirchen den Standpunkt vertrat: „Ein Christ könnte den Einsatz von Atomwaffen in einem begrenzten Krieg mit seinem Gewissen vereinbaren.“
Bestimmte Kirchenführer sprachen sich noch deutlicher für die Atombombe aus. Im Jahre 1958 erklärte der Erzbischof von Canterbury: „Soviel ich weiß, soll sich nach göttlicher Vorsehung das Menschengeschlecht auf diese Weise [durch Atombomben] selbst vernichten.“ Und im Jahre 1961 meldete die englische Zeitung Daily Express: „England soll die Wasserstoffbombe behalten, ... sagte gestern der Erzbischof von Wales. Vielleicht führt sie die Menschen zu Christus.“
Es ist daher recht bemerkenswert, feststellen zu müssen, daß man jetzt von protestantischer und katholischer Seite gegen die Kernwaffen protestiert. Warum diese Kehrtwendung? Was sagen sie jetzt? Wird das auf lange Sicht wirklich etwas ändern?