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Erwachet! 1984
g84 8. 12. S. 24-27

Warum ich meinen Traumberuf aufgab

ES WAR im Jahre 1950. Eine Bergstraße windet sich zwischen Tannenwäldern talwärts. Hier und da gibt eine Lichtung den Blick auf eine grandiose Landschaft frei. An einem besonders schönen Aussichtspunkt, hoch über dem Tal, steht an einem bewaldeten Hang ein Gerüst, auf dem ein paar Männer, darunter auch ich, arbeiten. Wir meißeln an großen Steinblöcken, die zu einem fünfzehn Meter hohen Gebilde zusammengebaut sind. Allmählich entsteht eine menschliche Gestalt. Was soll das Ganze werden? Ein Denkmal für die Maquisarden (französische Widerstandskämpfer), die im Kampf gegen die deutschen Besatzungstruppen gefallen sind. In dieser Region zwischen Lyon und Genf, dem südlichen Teil des Französischen Jura, ist im Zweiten Weltkrieg heftig gekämpft worden.

Später ließ ich mich umschulen. Aber immer noch läßt das Hämmern eines Bildhauers mein Herz höher schlagen. Warum habe ich meinen Traumberuf aufgegeben?

Eine Leidenschaft von Jugend an

So weit ich zurückdenken kann, waren mir die Stunden, die ich mit Modellieren oder Zeichnen verbringen konnte, die liebsten. Ich war im Fach Kunsterziehung so gut, daß ich 1945 im Alter von siebzehn Jahren die Kunstschule in Lyon besuchen durfte. Dort erlernte ich die verschiedenen Techniken der Bildhauerkunst. Man zeigte uns, wie man eine Nachbildung macht, z. B. von der „Venus von Milo“, der „Nike von Samothrake“ oder von einem der Sklaven von Michelangelo. Wir lernten auch, nach dem lebenden Modell zu arbeiten. Dabei mußten wir in Ton eine Person vom Kopf bis zu den Schultern, in Halbfigur oder ganz darstellen. Unsere Werke waren freistehende Figuren, das heißt dreidimensional, also nicht an eine Hintergrundfläche gebunden wie bei einem Relief, bei dem sich die Figuren mehr oder weniger hoch aus dem Hintergrund erheben.

Unter dem wachsamen Auge von Monsieur Bertola, einem berühmten Bildhauer, lernten wir auch, ein Gefühl für Plastizität und Volumen zu bekommen, wir lernten, wie man Ausdruck und Bewegung einfängt und wie man Wechsel von Licht und Schatten durch Variieren von Rundungen und Vertiefungen erzeugt. Im letzten Schuljahr hatten wir jeden Nachmittag praktischen Unterricht im Bildhaueratelier. Die Skulptur wurde meine Spezialität.

Zu Beginn des Jahres 1950 fing ich an, stundenweise in einem Atelier für religiöse Kunst zu arbeiten, doch nebenbei verfolgte ich auch weiter meine Studien der Bildhauerei. Ich blieb dort nur wenige Monate, denn ich hatte ein ganz anderes Kunstverständnis als mein Chef.

Die Technik

Ich will versuchen, kurz zu erklären, wie aus einem Steinblock durch Behauen eine Statue entsteht. Der Bildhauer fertigt zuerst einige Skizzen an, um Form und Proportion abschätzen zu können. Darauf modelliert er aus Ton ein verkleinertes Modell im Groben, das es ihm ermöglicht, die Hauptformen und den Aufbau seines Kunstwerkes festzulegen. Der nächste Schritt ist der wichtigste und beansprucht am meisten Zeit, denn nun wird ein Tonmodell, gewöhnlich in der beabsichtigten Größe der Plastik, angefertigt. Das Tonmodell wird, solange es noch feucht ist, in Gips abgegossen, weil der Ton schnell trocknet und die Arbeit leicht Risse bekommt. Dieser Abguß wird dann in Marmor oder in anderen Stein übertragen.

Die Größe unseres Gipsmodells betrug ein Fünftel der beabsichtigten Größe der Statue, war also drei Meter hoch. Unser kleines Team bestand aus zwei tüchtigen Steinmetzen, die die Hauptzüge der Gestalt herausarbeiteten, und aus zwei Hilfskräften, die, wie ich, die Skulptur immer mehr verfeinerten, so daß der Meisterbildhauer ihr dann nur noch den letzten Schliff zu geben hatte.

Wir arbeiteten über drei Monate vor Ort. Alles taten wir selbst, angefangen vom Aufstellen des Gerüsts bis zur Herstellung der verschiedenen Meißel und Spitzeisen. Wir lernten, den Fäustel (Eisenhammer) mit viel Geschick zu führen, vor allem deshalb, weil wir erfahrene Steinmetzen zum Vorbild hatten. Hier zu arbeiten war etwas ganz anderes als im Bildhaueratelier, wo das Meißeln nur leichte Hammerschläge erforderte und der Stein auf einer drehbaren Unterlage in der richtigen Höhe lag, so daß man ihn müheloser bearbeiten konnte.

Ich erinnere mich noch gut an die Schwierigkeiten, die wir mit dem Gerüst hatten, speziell an der obersten Spitze des Monuments. Die hohen Gerüststangen waren bis zu einem gewissen Grad biegsam und gaben nach. Dadurch wurde die Arbeit schwierig, besonders als ich in fünfzehn Meter Höhe bemüht war, den feinen Haaransatz der Dame zu meißeln. Das leichte Gerüst schwankte, und ich hatte jedesmal, wenn ich mit dem Fäustel auf den Meißel schlug, das Gefühl, die Statue weiche zurück.

Mit der Zeit lernten wir jedoch, so gut auf dem Gerüst herumzuklettern wie die Affen auf den Bäumen, und es bereitete uns diebische Freude, Besucher aufzufordern, zu uns hochzukommen und sich unser Werk näher zu betrachten. Oben angelangt, wurden sie von der herrlichen Aussicht und den schwankenden Brettern, auf denen sie standen, so abgelenkt, daß sie gar keinen Sinn mehr für unser Meisterwerk hatten. Ich muß allerdings auch zugeben, daß eine vierzig Zentimeter große Nase oder ein ebenso großes Ohr, aus der Nähe gesehen, keinen besonderen Kunstgenuß bietet.

Geistiger Hunger gestillt

Beruflich kam ich weit besser voran als in geistiger Hinsicht. Ich war katholisch erzogen worden, hatte aber große Schwierigkeiten, bestimmte Lehren anzunehmen, z. B. die von der Transsubstantiation, denn diese Lehre besagt, daß den Gläubigen in der Messe Christi buchstäblicher Leib gereicht wird. Ich unterhielt mich häufig mit dem Priester. Eines Tages, als er nicht mehr wußte, was er mir entgegnen sollte, erklärte er, ich würde wie ein Protestant argumentieren. Ich dachte, daß es mir an Glauben mangle, und betete zu Gott, mich im Glauben zu stärken.

Diese Situation bestand noch im August 1950, als mir das Buch „Gott bleibt wahrhaftig“ wieder in die Hände fiel. Meine Mutter, die wußte, daß ich mich für Religion interessierte, hatte es ein Jahr zuvor von einem Zeugen Jehovas erworben. Damals hatte ich es lediglich durchgeblättert und es dann in den Bücherschrank gestellt. Doch jetzt begann ich, es zu lesen, und konnte nicht mehr damit aufhören. Ich las es von Anfang bis Ende durch. Als ich zu den Kapiteln über die verschiedenen biblischen Lehren kam, wurde mir klar, daß dieses Buch sämtliche Fragen, die mich seit Jahren beschäftigt hatten, beantwortete. Ich schrieb sofort an das Büro der Zeugen Jehovas in Paris und bat um weiteren Aufschluß.

An einem Abend im September kam ein Zeuge Jehovas zu uns und fragte meine Mutter, ob ich zu Hause sei. Sie entgegnete ihm, daß ich wochentags nie da sei. Ich stand nämlich als Gehilfe im Dienst des Lyoner Bildhauers Charles Machet. Seit Wochen arbeiteten wir — wie eingangs erwähnt — an der riesigen Skulptur zu Ehren der Maquisarden des Departements Ain im südlichen Jura. Sie stellte eine Frau dar, die anscheinend aus einer Felswand hervortritt und ihre Ketten zerreißt. Daneben stehen in Französisch die Worte des Schriftstellers Aragon: „Où je meurs renaît la patrie“ („Wo ich sterbe, ersteht das Vaterland neu“).

Prüfung auf Herz und Nieren

Am Wochenende kehrten wir jeweils nach Lyon zurück, und dort kam ich mit den Zeugen Jehovas in Kontakt. An einem Samstag sagte meine Mutter, daß die Zeugen mich besuchen würden; und sie kamen auch — ganz pünktlich. Wir hatten ein langes, angeregtes Gespräch; ich bombardierte sie mit Fragen über die Dreieinigkeit, die Entstehung des Bösen, das Ende der Welt usw. Sie antworteten immer anhand der Bibel. Zum Schluß vereinbarten wir ein Studium.

Im November 1950, als wir mit den Arbeiten an der riesigen Skulptur im südlichen Jura fertig waren, besuchte ich wieder die Kunstschule in Lyon. Damals begann ich, die Bibel zu studieren, und nahm mir sehr viel Zeit, Gottes Vorsätze kennenzulernen. Nach meiner anfänglichen Begeisterung aber kam es häufig zu heißen Diskussionen.

Die Prüfung auf Herz und Nieren kam, als wir uns mit den Zehn Geboten befaßten. Ich stolperte über das zweite Gebot, das gemäß 2. Mose 20:4, 5 wie folgt lautet: „Du sollst dir kein geschnitztes Bild machen, noch irgend ein Gleichnis dessen, was oben im Himmel, und was unten auf der Erde, und was in den Wassern unter der Erde ist. Du sollst dich nicht vor ihnen niederbeugen ...; denn ich, Jehova, dein Gott, bin ein eifernder Gott“ (Elberfelder Bibel).

Natürlich entgegnete ich, daß ich religiöse Statuen und Ehrenmäler lediglich verfertigte; ich würde sie nicht verehren, sondern mir nur auf diese Weise meinen Lebensunterhalt verdienen. Roger und Yolande, die beiden Zeugen Jehovas, die damals mit mir studierten, benutzten die gleiche Widerlegung wie „Kirchenvater“ Tertullian im zweiten Jahrhundert. Er schrieb: „Dann pflegt die Redensart vorgeschützt zu werden: ‚Ich habe anders nichts, wovon ich lebe‘. Sie kann entschieden zurückgewiesen werden mit der Frage: Also du hast doch zu leben? ... Ich fabriziere sie wohl, entgegnet man mir da, verehre sie aber nicht, — das klingt, als ob die Ursache, warum man sie nicht zu verehren wagt, die sei, um derentwillen man sie auch nicht verfertigen darf. ... so gibt es doch noch andere Arten von Künsten, welche ohne Übertretung der Moral, d. h. ohne Verfertigung von Idolen, den Lebensunterhalt gewähren. ... Wer ein Götterbild zeichnet, kann noch viel leichter einen Rechentisch anstreichen“ (Über den Götzendienst, Kap. 5, 6, 8).

Mit der Zeit war ich gezwungen, zuzugeben, daß ich keine religiösen Skulpturen mehr verfertigen konnte, aber auch keine Ehrenmäler mehr, denn dann würde ich ‘eher der Schöpfung Verehrung und heiligen Dienst darbringen als dem Schöpfer’ (Römer 1:25). Das führte dazu, daß ich nur noch wenig Aufträge annehmen konnte, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Doch andererseits teilte ich auch Tertullians Ansicht, daß ich meine Kunst ausüben könne „ohne Übertretung der Moral“.

Höhen und Tiefen

Das war meine Einstellung, als ich im März 1951 erfuhr, daß die Stadt Saint-Étienne (in der Nähe von Lyon) einen Lehrer für den Unterricht im Modellieren und in der Bildhauerei suchte. Der Kandidat sollte aufgrund seiner Qualifikationen und einer praktischen Prüfung ausgesucht werden. Ich glaubte, diese Arbeit sei ideal für mich, deshalb bewarb ich mich um die Stelle. Leider bekam ich sie nicht, weil ich mich 1948 wegen Tuberkulose einer Behandlung hatte unterziehen müssen.

Ich war bitter enttäuscht, aber Roger und Yolande standen mir bei und trösteten mich. Nun begann ich, die Zusammenkünfte im Königreichssaal zu besuchen. Einen wichtigen Schritt tat ich im Jahre 1951: Ich besuchte einen Kongreß in Paris — den ersten Landeskongreß für Frankreich seit dem Zweiten Weltkrieg. Ich war begeistert und fühlte mich ganz als Teil der Schar glücklicher Kongreßbesucher. Zum erstenmal beteiligte ich mich am Predigtdienst, und als ich nach Hause zurückkehrte, war ich entschlossen, mich Jehova hinzugeben.

Zu Hause angekommen, fand ich einen Brief der Kommunalbehörden von Saint-Priest (im Gebiet von Lyon) vor, in dem sie aufgrund eines von mir eingereichten Modells ein Fresko bestellten. Das Thema des Flachreliefs war Bildung; es sollte eine Schule schmücken, die damals im Bau war. Das war eine gute Nachricht, denn es bedeutete, daß ich nun mehrere Monate zu tun hatte, und außerdem würde diese Arbeit es mir erleichtern, die Verbindung mit meinen alten Bekannten zu lösen. In dieser Zeit besuchte ich die Zusammenkünfte der Ortsversammlung regelmäßiger. Ein paar Wochen später, im November 1951, wurde ich getauft.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte mein Vater große Opfer gebracht, damit ich die schwierige Kunst der Bildhauerei erlernen konnte, und er begriff nicht, warum ich nicht mehr alles daransetzte, mir eine Karriere zu sichern. Ich mußte deshalb mein Elternhaus verlassen. Auch konnte ich, als ich die Arbeit an dem Fresko fertig hatte und das Honorar dafür aufgebraucht war, keinen der wenigen Aufträge, die hereinkamen, annehmen, weil ich an den Grundsätzen der Bibel festhielt.

Schließlich faßte ich einen Entschluß, den ich bis dahin immer hinausgeschoben hatte, weil er mir sehr schwer fiel. Ja, ich gab meinen Traumberuf auf und machte kein „Gebilde der Kunst und Findigkeit des Menschen“ mehr (Apostelgeschichte 17:29). Ich nahm eine Stelle im Büro einer Versicherungsgesellschaft an, und heute, dreißig Jahre später, arbeite ich immer noch dort.

Ich bereue meine Entscheidung nicht, denn sie hat sich für uns, meine Familie und mich, die wir zu Jehovas Volk gehören, in vieler Hinsicht als ein Segen erwiesen. Allerdings bleibe ich bis auf den heutigen Tag allem, was mit Bildhauerei zu tun hat, fern, aus Angst, meine alte Leidenschaft könnte wieder erwachen. Ich hoffe, daß ich in der von Jehova verheißenen neuen Ordnung die Möglichkeit haben werde, mich meiner Kunst zu widmen. Wenn ja, dann werde ich freudig die Werkzeuge meines Traumberufs — Fäustel und Meißel — wieder zur Hand nehmen, doch dann wird es zur Ehre Jehovas sein. (Eingesandt von Dominique Aimo-Boot.)

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