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g85 22. 8. S. 9-11

Hiroschima — Mein Haß ist erloschen

Erzählt von Taeko Enomoto aus Hiroschima

EIN Fremder kam in unser Haus und brachte uns ein versengtes, zerrissenes Hemd, das ein Schuljunge getragen hatte. Von dem Hemd war nur noch der obere Teil mit dem Kragen übrig. Auf der Brustseite konnte man aber noch deutlich den Namen Miyakawa Shiro lesen. Es war das Hemd meines Bruders.

Am Morgen des 6. August 1945 war ich wie gewöhnlich zur Arbeit gegangen. Als 19jähriges Mädchen war auch ich von dem Patriotismus besessen, der das Land in jener Zeit erfaßt hatte, und hatte mich der weiblichen Freiwilligenarmee angeschlossen. Mein Bruder, noch ein Schuljunge, hatte eine Arbeit im Zentrum der Stadt aufgenommen. Mein Vater war in Manchuria gefallen. Somit war meine Mutter allein zu Hause.

Früh an jenem Morgen hatte man feindliche Militärflugzeuge in der Nähe von Hiroschima gesichtet und Luftschutzwarnungen gegeben. Gerade als wir unsere Übungen beendet hatten und ins Gebäude zurückgingen, wurde das Gelände von einer gewaltigen Explosion erschüttert. Alles, was ich sah, nahm eine rote Farbe an. Die Hitze der Explosion war so groß, daß ich das Gefühl hatte, ich sei in einen glühenden Ofen gefallen — im selben Moment wurde ich bewußtlos.

Als ich wieder zu mir kam, dachte ich zuerst an meine Angehörigen. Obwohl es mitten am Tag war, sah alles wegen der niedergehenden Explosionswolke unheimlich aus. Bald danach fiel ein rußiger Niederschlag herab, und das hielt ungefähr zwei Stunden an. Was ich auf dem Heimweg zu sehen bekam, war erschütternd. Ich sah Leute, denen das Blut aus dem Hals spritzte, und andere, die sich die Hände vor die Augen hielten und denen Blut zwischen den Fingern hervorquoll. Viele waren am ganzen Körper rot — alles Verbrennungen! Bei einigen hing die Haut der Hände und der Arme von den Fingerkuppen herab, während andere die Haut hinter sich herzogen, die sich von ihren Beinen abgelöst hatte. Das Haar mancher Leute war gekräuselt und stand in die Höhe.

Zu Hause angekommen, stellte ich fest, daß die ganze Gegend, auch unser Haus, durch die Explosion dem Erdboden gleichgemacht worden war. Wie glücklich ich war, als ich meine Mutter noch am Leben fand, obwohl sie durch umherfliegende Glassplitter schwere Schnittwunden erlitten hatte! Aber was war mit meinem Bruder geschehen? Wir entschlossen uns, bis zum Sonnenaufgang zu warten und dann in die Stadt zu gehen, um nach ihm zu suchen.

Die Suche nach meinem Bruder

Das, was ich am nächsten Tag in der Stadt sah, machte mir klar, daß es sich nicht um einen gewöhnlichen Luftangriff gehandelt hatte. Diese Bombe war etwas Außergewöhnliches. Die Verwüstung war beispiellos.

Auf der Brücke, die in die Stadt führte, waren auf beiden Seiten verkohlte Körper aufgestapelt, und es blieb nur noch ein schmaler Durchgang in der Mitte. Manchmal drang aus den aufgehäuften Körpern ein Stöhnen, und hier und dort bewegte sich auch plötzlich etwas. Ohne zu überlegen, lief ich hin, um zu sehen, ob es mein Bruder war. Aber alle hatten so schlimme Verbrennungen erlitten und waren so verschwollen, daß kaum zu erkennen war, um wen es sich handelte. In den verschiedenen Sammellagern rief ich ständig den Namen meines Bruders aus, doch er war nicht zu finden.

Nach zwei oder drei Tagen stellte man erstmals Listen mit den Namen der Toten auf. Soldaten sammelten die verkohlten Leichen ein, übergossen sie mit Benzin und verbrannten sie. Für Verletzte und Sterbende konnte so gut wie gar nichts getan werden. Man versorgte sie mit etwas Wasser und teilte ihnen einen Reiskloß als tägliche Ration zu. Eine medizinische Versorgung oder Behandlung gab es nicht.

Einige Tage später fielen den Leuten die Haare aus. Fliegen und Maden krabbelten über die offenen Wunden derer, die zu schwach waren, sich ihrer zu wehren. Die Luft war erfüllt von dem üblen Geruch der unbehandelten Wunden und der verbrennenden Körper. Ohne ersichtlichen Grund starb bald darauf einer nach dem anderen von denjenigen, die noch gesund genug waren, sich um die Verletzten zu kümmern. Offensichtlich erlagen sie der Wirkung der Strahlung. Auch bei mir stellte sich Durchfall ein, ich wurde schwach und hatte nervöse Störungen.

Ungefähr nach zwei Monaten erfuhr ich schließlich, was meinem Bruder widerfahren war. Der Fremde, den ich eingangs erwähnte, kam uns besuchen. Er erklärte, daß er einem Jungen Wasser gegeben hatte, der sehr schlimme Verbrennungen erlitten hatte und durch die Explosion der Bombe erblindet war. Als mein Bruder schließlich gestorben war, zog dieser Fremde ihm das Hemd aus und war so freundlich, die Mühe auf sich zu nehmen, uns zu suchen und es uns zu bringen.

All das wirkte sich auf mich als 19jähriges Mädchen erschütternd aus. Ich konnte über nichts mehr nachdenken. Außerdem war mein Furchtempfinden wie betäubt. Ich weinte und weinte nur. Jedesmal, wenn ich die Augen schloß, sah ich die Opfer mit ihrem starren Gesichtsausdruck ziellos in der Dunkelheit umherirren. Wie ich den Krieg haßte! Ich haßte die Amerikaner, weil sie die Bombe abgeworfen hatten, und ich haßte die japanische Regierung, weil sie es so weit hatte kommen lassen.

Ich fand etwas Besseres

Im Verlauf der nächsten zehn Jahre heiratete ich und hatte schließlich drei Kinder. Aber mein Herz brannte weiterhin vor Haß. Obwohl ich verzweifelt versuchte, mich von diesen Haßgefühlen zu befreien, fragte ich mich, ob ich all das jemals vergessen könnte.

Ich ging zu verschiedenen religiösen Gemeinschaften und schloß mich der Seicho-No-Ie-Religionsgemeinschaft an, da ihre Mitglieder für mich die liebevollsten und großzügigsten Menschen zu sein schienen. Aber sie konnten mir meine Fragen nicht befriedigend beantworten. Wenn ich sie fragte, warum mein Bruder sterben mußte, pflegten sie nur zu sagen: „Menschen, die Gutes tun, sterben in jungen Jahren. Es war sein Schicksal.“

Dann zogen wir nach Tokio. Eines Tages klopfte ein Zeuge Jehovas an unsere Tür. Er sprach über Gottes Königreich und las mir aus der Bibel etwas über Menschen vor, die ihre Schwerter zu Pflugscharen schmieden würden (Jesaja 2:4). Seine Freundlichkeit und seine Bibelkenntnis beeindruckten mich, und ich nahm von ihm zwei Zeitschriften entgegen. Später erfuhr ich, daß auch er die meisten seiner Angehörigen bei der Bombardierung Hiroschimas verloren hatte. Er richtete es ein, daß eine Frau mich besuchte.

Die Frau kam viele Male, lächelte stets und war freundlich. Doch ich war immer noch verbittert und unzugänglich. Obwohl ich ihrer Botschaft aus der Bibel zuhörte, konnte ich mir einfach nicht vorstellen, daß ein Glaube, der aus dem Land stammte, das an jenem Tag dieses Elend über Hiroschima gebracht hatte, zu retten vermag. Aber die Frau hatte irgend etwas an sich, was mich veranlaßte, ihr weiterhin zuzuhören.

„Denken Sie, daß es für jemanden wie mich, dessen Herz voller Haß ist, möglich ist, ein so warmherziger Mensch zu werden wie Sie?“ fragte ich sie eines Tages.

„Ja, das ist möglich“, antwortete sie voller Zuversicht. „Ich bin so geworden, nachdem ich die Bibel studiert hatte“, erklärte sie.

Daher begann ich ein systematisches Studium der Bibel anhand der Broschüre „Siehe! Ich mache alle Dinge neu“. Durch das Studium lernte ich, daß die Handlungsweise der sogenannten christlichen Nationen mit dem Christentum, das die Bibel lehrt, nicht übereinstimmt und daß der Christenheit das Gericht Gottes bevorsteht.

Je länger ich studierte, desto mehr wuchs meine Begeisterung. Mir wurde klar, warum Gott das Böse bis heute zugelassen hat und daß nur Gottes Königreich die Menschheit von allem Leid befreien kann. Tief bewegt war ich auch von der Liebe Jesu Christi, die er dadurch zeigte, daß er sein Leben an einem Marterpfahl zum Nutzen aller Menschen hingab. Nach und nach veränderte die Botschaft der Bibel meine inneren Empfindungen, und bald war der Haß in meinem Herzen erloschen. Statt dessen empfand ich eine herzliche Liebe zu anderen und den dringenden Wunsch, ihnen von Gottes Königreich zu erzählen.

Ich besuchte regelmäßig die Zusammenkünfte im Königreichssaal, und im Juni 1964 wurde ich getauft. Danach konnte ich sieben Jahre lang als Pionier (ein Vollzeitprediger der Zeugen Jehovas) tätig sein und hatte das Vorrecht, zwölf Menschen zu helfen, den allein wahren Gott, Jehova, kennenzulernen.

Mein Erlebnis hilft anderen

Mein Mann und ich sind jetzt nach Hiroschima zurückgekehrt. Hier kommen wir mit vielen Leuten zusammen, die sich ebenfalls noch an den Abwurf der Bombe erinnern können. Da ich dasselbe wie sie erlebt habe, kann ich ihnen helfen, zu erkennen, daß die einzig wahre Hoffnung auf eine Welt ohne Krieg die in der Bibel verheißene Königreichsherrschaft Jesu Christi ist.

Heute sind die Schäden, die der Bombenabwurf auf Hiroschima angerichtet hat, weitgehend beseitigt. Für mich ist aber weit wichtiger, daß ich den Haß und den nagenden Kummer, den ich so viele Jahre in meinem Herzen trug, durch Hoffnung und Liebe ersetzen konnte. Nun sehne ich mich nach der Zeit, wo Gott alle auferwecken wird, an die er sich gern erinnert. Mein Wunsch ist es, die unvergleichliche Freude, die ich jetzt empfinde, mit den vielen zu teilen, die vor 40 Jahren in Hiroschima ihr Leben verloren haben — auch mit meinem lieben kleinen Bruder.

[Herausgestellter Text auf Seite 10]

Die Luft war erfüllt von dem üblen Geruch der unbehandelten Wunden und der verbrennenden Körper

[Herausgestellter Text auf Seite 10]

Jedesmal, wenn ich die Augen schloß, sah ich die Opfer mit ihrem starren Gesichtsausdruck

[Bild auf Seite 9]

Taeko als 19jährige im Jahre 1945

[Bild auf Seite 11]

Taeko mit ihrer Tochter

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