Aids — in der Geschichte einmalig
NOCH im Jahre 1981 war Aids (erworbenes Immundefektsyndrom) im allgemeinen unbekannt. Jetzt dagegen ist diese Krankheit auf fast allen Kontinenten verbreitet und versetzt die ganze Welt in Schrecken.
Aids greift das Immunsystem des Menschen an — den „Schutzschild“, mit dem der Körper Krankheiten abwehrt. Wer an Aids erkrankt, ist lebensbedrohlichen Krankheiten, unter anderem seltenen Krebsformen, hilflos ausgesetzt. Bislang haben sich vermutlich nicht weniger als eine Million Amerikaner und Hunderttausende in anderen Ländern mit dem Erreger dieser schrecklichen Krankheit infiziert.
In den Jahren 1980 und 1981 mußten Ärzte in Los Angeles und in New York Fälle der seltenen Pneumocystis-carinii-Pneumonie und des Kaposi-Sarkoms, eines normalerweise langsam wachsenden Krebses, behandeln. Bei den Erkrankten handelte es sich ausnahmslos um junge männliche Homosexuelle und um Drogensüchtige. Die Symptome ihrer Krankheit bezeichneten die Ärzte als „die immunologischen Konsequenzen irgendeines unbekannten Prozesses“.
Dr. Ward Cates vom amerikanischen Seuchenkontrollzentrum (CDC) sagte später, daß diese Krankheit „viel schlimmer verläuft als alle Krankheiten, die die Menschheit je kennengelernt hat“. Dr. John Seale, Experte für Infektionskrankheiten, pflichtete dem bei. Im vergangenen Sommer schrieb er in der britischen Fachzeitschrift Journal of the Royal Society of Medicine, Aids könne „in den dichtbevölkerten Städten und Dörfern der dritten Welt eine tödliche Pandemie hervorrufen, und zwar in einem Ausmaß, das in der Menschheitsgeschichte ohne Beispiel ist“.
Weltweite Ausbreitung
Aids wurde erstmals 1981 in den Vereinigten Staaten diagnostiziert. Ausgehend von diesem kleinen Anfang, ist die Zahl der Fälle rasch gestiegen: allein in den USA auf 10 000 im April 1985 und auf über 16 500 im Januar 1986. Über 8 400 Patienten sind bereits gestorben, und für die übrigen Erkrankten besteht keine Hoffnung, denn Aids gilt als ausnahmslos tödlich.
In jüngerer Zeit hat sich, wie verlautet, die Zahl der Erkrankten alle neun Monate verdoppelt. Bliebe diese Rate konstant, würden am Ende des Jahrzehnts ungefähr eine halbe Million Amerikaner an Aids erkrankt sein. Das sind ungefähr so viele, wie in diesem Land der spanischen Grippe (1918/19) erlagen. Begreiflicherweise bezeichnete man Aids als „eine der heimtückischsten Infektionskrankheiten unseres Jahrhunderts und aller Jahrhunderte davor“.
Anfangs gab es die meisten Aids-Fälle in den Vereinigten Staaten, aber bald breitete sich die Krankheit in der ganzen Welt aus. Die New York Times berichtete: „Die Aids-Häufigkeit in Genf und Paris konkurriert jetzt mit der in Los Angeles — ein Anzeichen für den Anstieg der Zahl der Fälle außerhalb der Vereinigten Staaten.“ Und die Zeitschrift Time meldete in ihrer Ausgabe vom 28. Oktober 1985: „In der Bundesrepublik Deutschland, wo bisher 300 Fälle aufgetreten sind, schätzt man am Robert-Koch-Institut die Zahl der mit dem HTLV-III-Virus Infizierten auf 100 000.“
Gemäß einem Bericht vom letzten Frühjahr starben in Europa innerhalb eines Jahres 61 Prozent der Aids-Patienten; im Verlauf von drei Jahren waren es 83 Prozent.
Dem Erreger auf der Spur
Anfang 1984 gaben zwei Forschergruppen, die auf verschiedenen Kontinenten getrennt voneinander arbeiteten, bekannt, daß sie das Aids-Virus isoliert hatten. So berichteten Professor Luc Montagnier am Pasteur-Institut in Paris und Dr. Robert Gallo am Nationalen Krebsinstitut der USA unabhängig voneinander von der Isolierung eines Virus, das möglicherweise Aids verursacht. Das Virus greift die T-4-Lymphozyten an, eine Untergruppe weißer Blutkörperchen. Die französische Forschergruppe nannte das Virus aus diesem Grund LAV (Lymphadenopathie-assoziiertes Virus), die Amerikaner gaben ihm dagegen die Bezeichnung HTLV-III (humanes T-Zell lymphotropes Virus Typ III).
Woher stammt die international um sich greifende Krankheit? Wieso breitete sie sich so rasch aus? Und welche Vorsichtsmaßnahmen sollte man vernünftigerweise treffen? Diese wichtigen Fragen werden in den folgenden Artikeln behandelt.
[Bild auf Seite 3]
Das Aids-Virus bei der Entstehung in weißen Blutkörperchen
[Bildnachweis]
Centers for Disease Control, Atlanta (Georgia)