Vorsicht, Spione!
SIE wußte, daß ihr Mann ein Spion war. Jahrelang hatte er Informationen an eine fremde Macht weitergegeben. Er brüstete sich sogar vor ihr damit. Sollte sie es der Polizei melden, oder sollte sie schweigen? Was würdest du unter solchen Umständen tun? Würde deine Grundsatztreue oder deine Treue zur Familie die Oberhand gewinnen? Wie steht es mit der Angst vor einem Skandal? Schließlich benachrichtigte die Frau die Behörden. Sie sollte jedoch eine große Überraschung erleben.
Die obige Begebenheit ist eine von vielen Spionagegeschichten, die in den letzten Jahren für Schlagzeilen gesorgt haben. Vielleicht erinnerst du dich an die folgenden:
Norwegen, Januar 1984: Ein norwegischer Spitzendiplomat wird verhaftet und beschuldigt, streng vertrauliche Unterlagen an eine ausländische Macht weitergeleitet zu haben.
Indien, Januar 1985: Regierungsbeamte und Geschäftsleute werden angeklagt, das Gesetz zum Schutz von Staatsgeheimnissen verletzt zu haben.
Bundesrepublik Deutschland, Sommer 1985: Eine Anzahl verdächtiger Agenten, einschließlich des Chefs der Spionageabwehr, setzen sich in die Deutsche Demokratische Republik ab.
Sowjetunion und Großbritannien, September 1985: Jedes Land weist 31 Diplomaten, Journalisten und kaufmännische Angestellte des anderen Landes aus, von denen viele der Spionage beschuldigt werden.
Schweiz, Dezember 1986: Ein Ehepaar wird der Spionage angeklagt.
Frankreich, März 1987: Mitglieder eines Spionagenetzes werden verhaftet, weil man sie verdächtigt, eine fremde Macht mit geheimen Spezialinformationen aus einem Raumfahrtzentrum versorgt zu haben.
Vereinigte Staaten, April 1987: Wachsoldaten der US-Marine werden aus der Sowjetunion, aus Österreich und aus Brasilien abberufen, weil Ermittlungen wegen Spionageverdachts laufen.
Man wird mit Berichten wie diesen überflutet und mag sich fragen, was Begriffe wie „Maulwürfe“ und „Spionageabwehr“ bedeuten. Gibt es heutzutage wirklich mehr Spione, oder werden einfach mehr entlarvt? Könnte dies Auswirkungen auf dich persönlich haben? Du bist vielleicht überrascht, zu erfahren, wie sehr die Welt der Spionage dein Leben berührt.
Zurück in das Spinnengewebe der Spionage
Ein Blick in die Vergangenheit lenkt unsere Aufmerksamkeit auf eine alte Partnerschaft: die Politik und das Militär. Im Wörterbuch von Webster wird Spionage folgendermaßen definiert: „das Auskundschaften der Tätigkeiten oder Unternehmungen von Angehörigen einer fremden Nation durch besondere Agenten ... sowie die Speicherung von [solchen] Informationen ... zu politischen oder militärischen Zwecken“.
Zu den ersten, die einen Geheimdienst organisierten, gehörten die Ägypter. König Thutmosis III. benutzte Spione, um 200 in Mehlsäcke eingenähte Soldaten in die Stadt Jaffa zu schmuggeln. Um das Jahr 400 v. u. Z. verfaßte der Chinese Sun Tzu ein Buch mit dem Titel Ping Fa (Die Kunst des Krieges), in dem er die Wichtigkeit eines gut organisierten Geheimdienstes betonte. Im 15. Jahrhundert u. Z. begannen europäische Länder, ihre Botschaften in ausländischen Hauptstädten für die Spionage zu nutzen. Diplomatie und Spionage schlichen Hand in Hand über europäische Grenzen. Mit den Farben des Nationalismus geschmückt, wurden aus den einstigen Reisegefährten Verwandte.
Der Nationalismus fegte durch ganz Europa, was einen großen Bedarf an Streitkräften, Diplomaten und Agenten zur Folge hatte. Man entwickelte Techniken für die Herstellung und das Knacken verschlüsselter Nachrichten. Der Geheimdienst (sammelt und analysiert Informationen) und die Spionageabwehr (soll verhindern, daß geheime Informationen anderen in die Hände fallen) wurden getrennte Teile des Spionagenetzes. Kardinal Richelieu (Frankreich) und Friedrich der Große (Preußen) spannen beachtliche Spionagenetze. Die Fäden des britischen Geheimdienstes wurden einst von Daniel Defoe, dem Autor von Robinson Crusoe, gesponnen.
Alle Entwicklungen wurden jedoch durch ein großes Hindernis gebremst: Nachrichtenübermittlung. Die Agenten waren auf Schiffe, Pferde oder Brieftauben angewiesen, um Botschaften weiterzuleiten. Es kam immer noch vor, daß sich feindliche Streitkräfte unweit voneinander zusammenzogen, ohne es zu wissen. Im Jahre 1815 zog Napoleon falsche Schlußfolgerungen aus den Bewegungen feindlicher Truppen, die nur ein paar Kilometer entfernt waren. Er verlor Waterloo und ein Weltreich. Der Geheimdienst wurde viel später durch die Technologie unseres Jahrhunderts revolutioniert.
Den Kinderschuhen entwachsen
Dieses Jahrhundert der Konflikte hat für die Geheimdienste neue Herausforderungen mit sich gebracht. Ableger des Geheimdienstes gedeihen in einem Klima des Mißtrauens. „Angst ist die Seele des Spionage-Geschäfts“, heißt es in dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel. „Je unsicherer die Weltlage, desto gesicherter ist ihre berufliche Existenz [als Spione].“ Und das Ergebnis: „Keine Nation der Welt glaubt ohne Geheimdienst auskommen zu können.“ Spionage schürt Argwohn, und Argwohn fördert die Spionage. Folglich ist der Geheimdienst auf vielen verschiedenen Gebieten tätig: Kriegsstrategie (wichtig für Spitzenplaner), Militär (Landstreitkräfte, Marine, Luftwaffe), Wirtschaft, Wissenschaft, Geographie usw. Jeder Bereich trägt sein Steinchen zum Mosaik bei.
Der Geheimdienst hat seine Horizonte wirklich erweitert. Einst befanden sich Geheimakten hauptsächlich in den Unterlagen von Staatsmännern oder auf militärischem Gelände. Doch heute ist das Wurzelgeflecht nationaler Geheimnisse wesentlich weiter verzweigt. Weshalb?
Das seit dem 2. Weltkrieg aufgebaute riesige Waffenarsenal läßt darauf schließen, daß mehrere Nationen hochtechnisierte Waffen herstellen. Aber das Land, das außerdem über die Technologie verfügt, blitzschnell Entscheidungen auszuführen oder seine Feuerkraft noch treffsicherer einzusetzen, hat natürlich einen Trumpf. Dieses Know-how befindet sich in den Händen von allen möglichen Herstellern — von Kugellager-Fabrikanten bis zu Videospiel-Produzenten.
Auf diese Weise sind Hunderte von Firmen und Millionen von Angestellten das Ziel von Industriespionen geworden. Allein in den Vereinigten Staaten haben über vier Millionen Personen Zugriff zu rund 20 Millionen geheimen Unterlagen. Arbeitest du oder ein Familienangehöriger mit geheimen Informationen? Sie könnten für jemanden von Wert sein, der an Geheimakten interessiert ist.
Sie sind die Siegesbeute der geheimen Kriegführung. Der Spionagering, der heimlich Sachkenntnisse stiehlt, die unter enormem Kostenaufwand in einem anderen Land entwickelt worden sind, kann sich mit wertvollen Trophäen schmücken. Ja, mit Hilfe von Geheimdienstorganisationen können riesige Summen Geld gespart werden. Andererseits schnellen auch ihre Ausgaben stark in die Höhe. Aus einer Buchbesprechung in der Sunday Times geht hervor, daß nach einer Schätzung die Geheimdienste weltweit jährlich die schwindelerregende Summe von 29 Milliarden Dollar kosten. Laut Berichten beschäftigen sie über eine Million Personen. Sogar das Budget der Vereinten Nationen wird durch solche Zahlen in den Schatten gestellt. Gemäß dem Fischer Weltalmanach beträgt es weniger als 1 Milliarde Dollar, und die Zahl der Beschäftigten liegt bei 40 000. Die kolossalen Ausgaben der Geheimdienste werden aus öffentlichen Mitteln bestritten, nämlich den Steuern, die du bezahlst.
Langfinger, die Nervenkitzel brauchen
Früher betrieben Agenten ihr Handwerk aus Prinzip — aus Vaterlandsliebe oder aus ideologischen Gründen. Zum Beispiel soll Oleg Penkowsky, ein berühmter Spion der 60er Jahre, an den Westen Einzelheiten über die militärische Situation der Sowjetunion zur Zeit der Raketenkrise in Kuba weitergegeben haben. Der Spiegel schrieb damals, er habe es aus politischem Idealismus getan, und fuhr dann fort: „Er hat nur einmal für Spesen 3 000 Rubel bekommen [die derzeit einen Wert von ungefähr 3 300 Dollar hatten], von denen er 2 000 wieder zurückgab.“
Heute haben Spione niedrigere Beweggründe. In der Time war zu lesen: „Die meisten vor kurzem zur Spionage Bekehrten machen sich wenig Gedanken über Politik und werden selten durch Erpressung in eine Falle gelockt. Oftmals sind sie entweder schlecht bei Kasse oder geldgierig.“
Die Sunday Times berichtet: „Die Öffentlichkeit hat aufgehört, sich für Geheimnisse zu interessieren, weil sie annimmt, daß sie schon lange ausgeplaudert worden sind.“ Warum bröckelt der Respekt der Öffentlichkeit vor Vertrauenssachen immer mehr ab? Zum Teil weil einige führende Politiker ihres persönlichen Vorteils wegen Geheimnisse an die Medien durchsickern lassen. Und viele folgen diesem Beispiel. Unlängst geschah es, daß bei einem Streit zwischen zwei Ministern in Großbritannien einer der beiden Auszüge eines vertraulichen Briefes veröffentlichte, um den anderen zu blamieren.
In dem eingangs erwähnten Fall hinterging der Ehemann nicht nur seinen Arbeitgeber, sondern auch seine Familie. Ohne Wissen seiner Frau hatte er den eigenen Sohn in das Spionagenetz hineingezogen. Beide Männer kamen ins Gefängnis.
In Büchern und Filmen wird die Welt der Spionage mit sonnengebräunten Helden, Minikameras und heimlichen Rendezvous dargestellt. Zeitungen stellen die neuste Enttarnung eines Maulwurfs groß heraus, d. h. eines Agenten, der in den gegnerischen Geheimdienst eingeschleust wird und sich dort den Weg in eine Schlüsselposition gräbt. Dieses von den Medien geschaffene Bild stimmt ganz und gar nicht mit der Wirklichkeit überein. Maulwürfe und Minikameras werden nur in sehr kleinem Umfang benutzt. Das Sammeln von Geheiminformationen ist zumeist eine langweilige Angelegenheit. Dazu gehört das Durchforschen von Wirtschafts- und Finanzzeitschriften sowie wissenschaftlichen Magazinen, um scheinbar unbedeutende Einzelheiten herauszufischen, die zusammen ein sinnvolles Ganzes ergeben. Und dennoch fühlen sich manche auf der Suche nach Nervenkitzel immer noch von dem Bereich im Untergrund angezogen.
Keine Lügen mehr, keine Spione mehr
Das Spionagenetz wirft einen breiten Schatten, der sogar das Leben von Außenstehenden berührt. Sie bezahlen dafür. Sie leben in einer Atmosphäre des Mißtrauens, die die Spionage fördert und gedeihen läßt. Sie werden mit ihrem verwirrenden Bild konfrontiert. Es ist weise, wenn sich Christen völlig von der habsüchtigen, unehrlichen und unsittlichen Welt der Spionage distanzieren. (Vergleiche 1. Timotheus 6:7-10; Kolosser 3:5-10.)
Wie anders sähe es doch aus, wenn es eine Weltregierung gäbe, die den Nationalismus beseitigen und ihre Bürger nicht entzweien, sondern vereinen würde! Wie großartig wäre es, wenn Beamte ein leuchtendes Beispiel der Vertrauenswürdigkeit und Ehrenhaftigkeit gäben und wenn Liebe, nicht Furcht vorherrschen würde! Genau das ist es, was Gottes Königreich herbeiführen wird (Offenbarung 7:9, 10, 16, 17; 2. Petrus 3:13).
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Was berichtet die Bibel über Spione?
Das Spionieren war in Ägypten und in Kanaan schon mindestens seit dem 18. Jahrhundert v. u. Z. bekannt. Joseph, der damals der oberste Nahrungsmittelverwalter Ägyptens war, bediente sich einer List, um die Beweggründe seiner zehn Halbbrüder herauszufinden, indem er behauptete, sie seien Spione (1. Mose, Kapitel 42).
Über zweihundert Jahre später ging Moses auf die Bitte der Israeliten ein und sandte zwölf Männer aus, die das Land Kanaan auskundschaften sollten (4. Mose, Kapitel 13; 5. Mose 1:22-25).
Josua beauftragte jeweils vor der Schlacht einige Israeliten, sich die Städte Jericho und Ai anzusehen (Josua 2:1; 7:2).
Von einem Spion erwartete man, daß er das Land genau erforschte, um Informationen darüber zu sammeln. Das mit „Späher“ oder „Spion“ übersetzte hebräische Wort bezeichnet jemanden, der zu Fuß durch das Land geht, wobei er alles genau beobachtet.
Bemerkenswert ist auch, daß der Stamm Joseph, als er Einzelheiten über die Stadt Bethel wissen wollte, bevor er versuchte, sie einzunehmen, Späher oder Spione benutzte (Richter 1:22, 23). In verschiedenen Bibelübersetzungen heißt es, daß er „Kundschafter aus[schickte]“ (Die Gute Nachricht) oder die Stadt „erkunden“ (Herder-Bibel) oder „auskundschaften“ (Lutherbibel) ließ.
Somit besteht zwischen dem in der Bibel erwähnten Spionieren und der überaus unsittlichen Welt der Spionage von heute ein gewaltiger Unterschied.
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Napoleon zog falsche Schlußfolgerungen. Er verlor Waterloo und ein Weltreich.