Was geschieht mit den Werten?
General Omar N. Bradley erklärte 1948 in einer Ansprache zum Jahrestag des Waffenstillstands vom 11. November 1918: „Wir haben zu viele Männer der Wissenschaft, zu wenige Männer Gottes. Wir haben das Atom erforscht und die Bergpredigt verworfen. ... Unsere Welt ist eine Welt der nuklearen Riesen und der ethischen Säuglinge. Wir wissen mehr über Krieg als über Frieden, wir wissen mehr über das Töten als über das Leben.“ „Die Menschlichkeit“, sagte er, „läuft Gefahr, von moralisch Halbwüchsigen in die Falle der Welt gelockt zu werden.“
FRÜHER gab es Wertvorstellungen, die eine biblische Grundlage hatten. Aber das ist lange her. Heute werden sie als altmodisch abgetan. Ein neuer Lebensstil ist Mode. „Wahrheit“ ist relativ. Recht und Unrecht waren einmal. Man braucht nichts mehr abzuwägen. Jeder hat seine eigenen Wertvorstellungen, entscheidet, was für ihn richtig ist, tut, was ihm gefällt. Außerehelicher Geschlechtsverkehr, Ehebruch, Scheidung, Vernachlässigung der Kinder — was ist schon dabei? Die Folgen bleiben ungerügt: überhandnehmende Teenagerschwangerschaften, Millionen Abtreibungen, das verpfuschte Leben vieler Kinder. Da nichts bemängelt oder beanstandet wird, bleibt jedes Schuldgefühl aus. Auf diese Weise wirft die Welt ihre Werte in die Mülltonne.
Das erste Menschenpaar wollte selbst entscheiden, was richtig und was falsch war (1. Mose 2:17; 3:5). Heutzutage haben Millionen für sich entschieden, daß es kein „Richtig“ oder „Falsch“ gibt. Der Wunsch, nach eigenem Gutdünken zu handeln, veranlaßt die Menschen, überlieferte Wertvorstellungen über Bord zu werfen und auszurufen: „Endlich frei! Alles ist erlaubt!“ Die „Fesseln“ haben sie zwar abgeschüttelt, aber die schmerzlichen Folgen bleiben nicht aus.
Die Schlagzeile einer bekannten Zeitschrift lautete: „Ein Volk von Lügnern?“, und darunter war zu lesen: „Regierungsbeamte heucheln. Wissenschaftler fingieren Forschungsergebnisse. Arbeiter fälschen Zeugnisse, um einen Arbeitsplatz zu bekommen. Was geht hier vor? Die Antwort, so fürchtet eine zunehmende Zahl von Sozialkritikern, ist ein alarmierender Verfall der Ehrlichkeit.“
Eine andere namhafte Zeitschrift brachte über das Thema Ethik eine Artikelreihe, die gespickt war mit Bezugnahmen auf skandalträchtige Geschäftsabschlüsse, Verrat am öffentlichen Vertrauen und alle Schattierungen menschlicher Verfehlungen. Man gibt zwar Fehler zu, aber man betrachtet sie nicht als tragisch und schon gar nicht als Sünde.
In der Serie kam man zu dem Schluß: „Wenn die Amerikaner wirklich ein ethisches Gleichgewicht anstreben wollen, werden sie wohl die Werte neu überprüfen müssen, die ihnen die Gesellschaft auf verführerische Weise vorführt: ein Traumberuf, politische Macht, sexuelle Attraktivität, eine Dachterrassenwohnung, ein Grundstück am See oder ein unerwarteter Spekulationsgewinn. Die eigentliche Herausforderung liefe dann auf eine Neudefinierung der Wünsche hinaus, so daß sie sowohl der Gesellschaft als auch einem selbst dienlich wären, auf die Definition einer einfachen Ethik, die bestimmt, mit welchen Mitteln welcher rechtmäßige Zweck erfüllt werden soll.“
Folgende Schlagzeile erschien in der New York Times: „FBI: Beamte im ganzen Staat [New York] nahmen 105 von 106 Bestechungsangeboten an“. War der 106. Bestechungsversuch an der Ehrlichkeit eines Mannes gescheitert? Nein, „die Summe war ihm nicht hoch genug“.
Matthew Troy, ehemaliger Stadtrat und führender Demokrat aus Queens (New York City), referierte vor Studenten über das Thema „Korruption und Integrität in der Regierung“ und sagte, daß Bestechungen an der Tagesordnung sind. Stimmen für die Abgeordnetenwahl werden gegen die Verleihung eines Richteramts getauscht. „Ein Richteramt am obersten Gerichtshof eines Bundesstaates war für 75 000 Dollar zu haben, niedrigere Stellungen am Gericht für 35 000 Dollar.“
Der Romanschriftsteller James A. Michener stellt folgendes heraus: die Verherrlichung von Finanzabenteurern, die anderer Leute Geld in Höhe von Hunderten von Millionen für sich aufhäufen, skandalöse Insider-Geschäfte, Finanzjongleure, die sich bereichern, ohne richtige Werte zu schaffen, skandalumwitterte religiöse Kräfte, die wegen des Geldes Amok laufen, Terroristen, die die Gesellschaft zerrütten, Politiker, die keine Rücksicht auf Naturschutzgebiete nehmen und ihre Augen vor ökologischen Katastrophen verschließen, eine Regierung, die Waffen an erklärte Feinde verkauft und die Profite in eine mittelamerikanische Revolution leitet.
Aus alldem zieht Michener den Schluß: „Die 80er Jahre werden als das häßliche Jahrzehnt in die Geschichte eingehen, da so viele Häßlichkeiten ans Tageslicht gekommen sind.“ Das alles ist einfach die Folge einer Entwicklung: Wahre Werte werden auf den Müll geworfen.
William J. Bennett, ehemaliger amerikanischer Erziehungsminister, kritisierte das Versäumnis der Schulen, moralische Werte zu vermitteln, und zählte die Probleme der Teenager, die diese Vernachlässigung nach sich zieht, Punkt für Punkt auf:
„Etwa vierzig Prozent der Mädchen, die heute 14 Jahre alt sind, werden zumindest einmal vor ihrem 20. Lebensjahr schwanger werden, und über die Hälfte der Schwangerschaften werden außerehelich sein.
Selbstmorde unter Teenagern haben eine Rekordhöhe erreicht und sind bei ihnen die zweithäufigste Todesursache.
Die Vereinigten Staaten stehen unter den Industrienationen in bezug auf den Anteil junger Drogensüchtiger an erster Stelle.
Können unsere Schulen diese Probleme lösen? Nein. Können sie helfen? Ja. Tun sie alles, was sie können? Nein.
Weshalb nicht? Zum Teil deshalb nicht, weil sie zögern, sich einem der Hauptziele der Erziehung zuzuwenden: der Moralerziehung. In einem Artikel wurden zum Beispiel kürzlich mehrere Pädagogen aus dem Bereich New York zitiert, die verkündet haben, daß sie es absichtlich vermeiden, den Schülern zu sagen, was ethisch richtig oder falsch ist.
In dem Artikel wurde über eine Beratungsstunde berichtet, an der 15 Schüler der 11. und 12. Klasse teilnahmen. Während dieser Stunde kamen die Schüler zu der Schlußfolgerung, daß eine Mitschülerin dumm war, weil sie 1 000 Dollar, die sie in einer Geldbörse in der Schule gefunden hatte, zurückgab.“ Der Ratgeber verurteilte diese Schlußfolgerung nicht und erklärte: „Wenn ich von vornherein sage, was richtig oder falsch ist, bin ich nicht ihr Ratgeber.“
Bennetts Kommentar: „Es war einmal, da gab ein Ratgeber noch Rat. Er beriet die Schüler in vielen Dingen — dazu gehörte auch die Frage, was richtig und was falsch ist.“
Familie, Schule und Kirche haben versagt
Die Verödung der Familie schreitet fort, was die Vermittlung von Werten angeht. Durch die Zerrüttung von Familien verwandelt sich das Zuhause in ein armseliges Unterrichtszimmer — beide Eltern sind berufstätig, Scheidungen, Einelternfamilien, in denen der eine Elternteil den Unterhalt verdienen muß, Kinder werden Babysittern oder Tagesmüttern überlassen oder bleiben allein in der Wohnung. Der einzige Gefährte ist das Fernsehgerät, das ihnen zur Unterhaltung Sex anbietet und sie lehrt, Probleme mit Gewalt zu lösen. Der Kolumnist Norman Podhoretz kommentierte die Ergebnisse wie folgt: „Zu den Auswirkungen gehört ein Anwachsen des kriminellen Verhaltens; ein Anstieg des Rauschgift- und Alkoholkonsums; eine Zunahme der Teenagerschwangerschaften und der Abtreibungen; die Ausbreitung der Geschlechtskrankheiten sowie eine steigende Zahl der Todesfälle bei Heranwachsenden zufolge von Verbrechen (Mord und Totschlag, schwere Verkehrsdelikte, Selbstmord). Zurückgegangen ist anscheinend nur die schulische Leistung.“
Podhoretz fuhr fort: „Zwei Soziologen finden den erdrückenden statistischen Beweis für das, was wir alle aus unserer Umgebung kennen. Sie stoßen auf mehr und mehr Menschen, bei denen ‚Selbstverwirklichung‘ vor allen anderen Werten kommt. Sie finden immer weniger Leute, denen etwas daran liegt, sich für ihre Kinder aufzuopfern oder ihnen zuliebe auf die eigene Bequemlichkeit zu verzichten. Erstaunlicherweise meinen zwei Drittel aller amerikanischen Eltern, es stehe ihnen zu, ihr eigenes Leben zu leben, selbst wenn sie deswegen weniger Zeit mit ihren Kindern verbringen könnten.“
John D. Garwood äußerte sich als Dekan der Fort-Hays-Staatsuniversität von Kansas (USA) über den Verlust an wahren Werten folgendermaßen: „Viele der heutigen Probleme gehen darauf zurück, daß Familie, Schule und Kirche es versäumt haben, den unter ihrem Einfluß Stehenden ein solides, dauerhaftes Wertsystem zu vermitteln. Der namhafte britische Historiker Arnold Toynbee sieht in der westlichen Welt einen Rückgang der Ehrlichkeit, ein Fehlen nationaler Ziele und eine verheerende Überbetonung des Materialismus, einen Rückgang des Stolzes auf Qualitätsarbeit und einen Hang zu hohem Konsum mit der Betonung auf Maßlosigkeit. Er erkennt in dem Lebensstil unserer Nation zahlreiche Elemente wieder, die dem Fall des Römischen Reiches vorausgingen.“
Nachdem die Welt ihre wahren Wertvorstellungen in die Mülltonne geworfen hat, strebt sie unvernünftigerweise danach, von allem mehr zu erhaschen. Reich an materiellen Gütern, doch arm an Geist, müht sich der Mensch ziellos ab. Seine Rettung liegt in der Rückkehr zu wahren Werten.