Bezwinger der Namib
Von unserem Korrespondenten in Südafrika
DAS Kaokoland und das Damaraland sind riesige Gebiete, die den Norden der Namib in Afrika einnehmen. „Verlorene Welten, in die sich bis vor kurzem nur wenig Privilegierte gewagt haben“, so beschrieb Clive Walker die beiden Regionen in seinem Buch Twilight of the Giants. Sie sind die Heimat der weltweit einmaligen Steppenelefanten.
Wahrscheinlich gibt es in dieser Gegend nur noch weniger als hundert dieser Riesen. Die Niederschlagsmenge beträgt nicht einmal 15 cm jährlich, und manchmal regnet es jahrelang nicht. Wie stillen die Elefanten daher ihren Durst und ihren großen Hunger?
Sich der Wüste anpassen
Im Jahre 1895 wurde zum ersten Mal von Elefanten im Westen der Namib berichtet, und offensichtlich lebten sie dort bereits seit Generationen. Vor nicht langer Zeit herrschte fünf Jahre lang eine Dürre, aber die Elefanten blieben in der Wüste, und soweit man feststellen konnte, starb kein erwachsenes Tier aufgrund der Dürre, wohingegen zahlreiche Kudus, Spießböcke und Bergzebras sowie einige wenige Elefantenkälber verendeten. In seinem Buch The Besieged Desert kommt Mitch Reardon zu dem Schluß: „Elefanten gehören zu den anpassungsfähigsten Geschöpfen der Erde.“
Die Flußbetten im Kaokoland sind gewöhnlich ausgetrocknet, doch von den östlich gelegenen Gebirgshängen sickert Wasser durch den Sand, was die Elefanten ausnutzen. Sie graben in den Flußbetten Wasserlöcher, die sie danach auch instand halten. Die Löcher füllen sich mit Wasser, und nachdem die Elefanten ihren Durst gestillt haben, benutzen buchstäblich Myriaden anderer Tiere, auch Vögel und Insekten, die gleiche Wasserquelle und sichern so ihr Überleben.
Da Elefanten Unmengen an Pflanzen vertilgen (ein Elefant benötigt täglich über 100 kg), denken manche vielleicht, daß sie die Ökologie des jeweiligen Landstriches aus dem Gleichgewicht bringen. Man beachte jedoch, was Dr. Anthony Hall-Martin, eine Autorität auf diesem Gebiet, in dem Buch Elephants of Africa schildert: „In den an Vegetation reichen Tropen zerstören Elefanten ganze Bäume einzig und allein, um an ein paar Blätter heranzukommen; bei ihren Gefährten in der Wüste dagegen kommt es nur selten vor, daß sie einen Baum umstoßen oder entwurzeln. Würden sie das tun, hätten sie schon bald keine Nahrung mehr. Statt dessen fressen sie jedes bißchen Grün, das sie pflücken, und wir konnten kaum mehr als ein paar wenige Blätter finden, die zertreten waren und herumlagen.“
In Wirklichkeit begünstigen die Steppenelefanten die Ausbreitung des Baumbestands sogar. Sie bevorzugen unter anderem den Akazienbaum, und wenn dessen Schotenfrüchte reif sind, fressen sie davon reichlich. Beim Durchwandern des Verdauungskanals werden die harten Schoten weich; dann werden sie in einem warmen, mit Nährstoffen angereicherten Kothaufen ausgeschieden und warten auf Regen, um schließlich zu keimen. Dank der Elefanten werden Akazien somit in einem nie endenden ökologischen Kreislauf erfolgreich ersetzt.
Sich erinnern bedeutet überleben
Vielleicht ist vielen folgender Ausspruch bekannt: „Ein Elefant vergißt nichts.“ Betrachten wir einmal, inwiefern er auf das Leben der Steppenelefanten zutrifft. Sie verfügen über einen hochentwickelten Familiensinn und haben ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl. Ein Kalb bleibt z. B. bis zu zehn Jahren bei seiner Mutter; das ist eine lange Kindheit im Vergleich zu der anderer Säugetiere, und nur die Kindheit des Menschen dauert länger.
Während des Heranwachsens ist das Kalb mit Elefanten verschiedenen Alters zusammen und lernt von ihnen Geheimnisse kennen, wie man in einer unbarmherzigen Umwelt überleben kann. Ihm wird gezeigt, wo und wie man Wasser ausfindig macht, welche Pflanzen genießbar sind und wann sie Frucht tragen. Außerdem wird ihm beigebracht, wie es Menschen aus dem Weg gehen kann. Diesen Schatz an Wissen und Belehrung darf der junge Elefant nicht vergessen, wenn er erwachsen ist. „In Dürrezeiten können das Gedächtnis und die Erfahrung des Elefanten den Schlüssel zum Überleben bilden“, erklärt Reardon.
Das Leben der Elefanten wird durch das Matriarchat bestimmt, und zweifellos spielt die ältere Kuh eine Hauptrolle, was das Überleben der Herde angeht. Sie führt sowohl ihre Familie als auch die anderen Tiere der Herde bei der unaufhörlichen Wasser- und Nahrungssuche. Während ihrer vielleicht 50 Lebensjahre erwirbt sie sich ein umfangreiches Wissen, wie man überleben kann. Durch ihre Führung und ihr Beispiel gibt sie ihr Wissen an die Jüngeren weiter. Wenn daher Wilderer solch eine ältere Kuh töten, geht der Herde ein gewaltiger Wissensschatz verloren, was das Auffinden von Nahrung betrifft.
Garth Owen-Smith vom Namibia Wildlife Trust sagte über die Steppenelefanten der Namib: „Man sollte daran denken ..., daß nicht lediglich von irgendwelchen wilden Tieren die Rede ist. Dies sind Steppenelefanten ... Die Verbindung ... findet man sonst nirgendwo auf der Welt. ... Was für ein Verlust wäre es doch für die Wissenschaft und die übrige Welt, wenn man zuließe, daß sie aussterben.“ Die Riesen werden jedoch nicht einfach aus ihrer selbsterwählten Heimat verschwinden. Sie sind nicht nur überaus anpassungsfähig, sondern auch hervorragend fürs Überleben ausgerüstet.
Andere Geheimnisse, die das Überleben sichern
Wenn man eine Herde aus der Nähe beobachtet — die Tiere dürfen natürlich keine Witterung bekommen —, kann man aus erster Hand einige der Geheimnisse mitbekommen, durch die sie ihr Überleben sichern. Sie stehen zum Beispiel um eine kleine Mulde aus feinkörnigem Sand herum, fegen mit den Vorderfüßen darüber, nehmen den feinen Staub in ihren Rüssel und besprühen sich damit, bis sie gespenstisch grau aussehen. Machen sie das nur, weil sie gern schmutzig sind? Ganz und gar nicht. Die Staubschicht, ähnlich feinem Körperpuder, kühlt die Haut und schützt sie vor der sengenden Sonne.
Verhält man sich sehr ruhig, kann man beobachten, wie sich die Herde nach dem Staubbad ausruht; lediglich die Ohren bleiben nicht ruhig. Sie wedeln unaufhörlich sanft hin und her. Dadurch entsteht ein leichtes Lüftchen, das immer willkommen ist; außerdem wird das Blut, das durch die vielen hervortretenden Adern der Ohren fließt, um 6 °C kühler. Es wandert dann durch den massigen Körper und wieder zurück in die Ohren. Wünschen wir uns nicht manchmal, solch eine eingebaute Klimaanlage zu besitzen?
Wahrscheinlich schmerzen uns mittlerweile die Füße, weil wir die ganze Zeit in der Hocke saßen. Beobachten wir einmal, wie die riesige Elefantenkuh dort drüben ihre Füße entspannt. Ganz elegant beugt sie ihr vorderes Knie und stützt den Fuß auf den Hufen ab; so entlastet sie die Fußsohle. Manchmal kreuzen Elefanten ihre Hinterbeine auf lustige Weise, so als wenn sich jemand auf einen Spazierstock stützt.
Eine andere eigenartige Gewohnheit ist auf der vorherigen Seite abgebildet. Der Elefant rollt mit einem Fuß einen runden Stein hin und her. Man nimmt an, daß das den ermüdeten Fuß entspannt, fast auf die gleiche Weise, wie wenn ein Fußpfleger die Sohle eines schmerzenden Fußes seines Patienten massiert. Man muß berücksichtigen, daß die Herde wahrscheinlich schon viele Kilometer gewandert ist. Es scheint außer den erwähnten noch weitere Gewohnheiten zu geben, durch die die Elefanten ihren Fußsohlen Erleichterung verschaffen.
Wie lange wird es sie noch geben?
Die Steppenriesen können zwar den natürlichen Gefahren ihrer Umgebung trotzen, doch überstehen sie auch den Eingriff ihres einzigen Feindes, des Menschen? Anscheinend ja. Inzwischen spielen die einheimischen Stämme eine Rolle bei der Erhaltung des eigenen natürlichen Wildbestands.
Gemäß der Zeitschrift African Wildlife hat die Aufklärungskampagne zum Umweltschutz, die der Namibia Wildlife Trust gestartet hat, dazu geführt, daß „sowohl die Stammesführung der Damara als auch die der Herero ein totales Jagdverbot in dem dortigen Gebiet erlassen hat“. Auch die Häuptlinge der Himba im Kaokoland unterstützen den Wildlife Trust, indem sie Männer ihres Stammes zu Wildhütern eingesetzt haben.
Die Unterstützung der traditionellen Oberhäupter hat bei den Stammesangehörigen Stolz auf die in freier Wildbahn lebenden Tiere aufkommen lassen. „Zum ersten Mal seit fünfzehn Jahren hat die Zahl der Elefanten und der schwarzen Nashörner in dieser imposanten und faszinierenden Region zugenommen“, hieß es in der Zeitschrift African Wildlife. Man kann nur hoffen, daß das Interesse am Reich der wilden Tiere anhält.
Dann können die Wanderer der wasserlosen Einöde an den Gebirgshängen ihrer selbsterwählten Heimat umherstreifen. Dank ihrem Instinkt und ihrer „Überlebensausrüstung“ sind sie die wahren Bezwinger der Namib.
[Bild auf Seite 25]
Elefanten graben in den Flußbetten Wasserlöcher, die sie dann instand halten
[Bild auf Seite 26]
Anscheinend um die Fußsohle zu entspannen, rollen Elefanten einen runden Stein mit einem Fuß hin und her
[Bildnachweis]
Mit frdl. Gen.: Clive Kihn