Das Sehnen der Menschheit nach einer neuen Welt
NOCH nie hat man sich so sehr nach einer neuen Welt gesehnt wie heute. Die vergangenen acht Jahrzehnte der Kriege, Aufstände, Hungersnöte, Seuchen, der Kriminalität und der Umweltverschmutzung sind ein einziger Alptraum gewesen. Nur zu gern würde die Menschheit in einer neuen Welt des Friedens erwachen. Auf dieses Bedürfnis gehen die Weltführer ein, wenn sie davon sprechen, eine solche Welt zu schaffen.
Die meisten von uns haben wahrscheinlich schon Reden prominenter Persönlichkeiten gehört oder gelesen, in denen es hieß, eine neue Welt sei am Horizont zu sehen. Der amerikanische Präsident George Bush sagte in einer Ansprache im September 1991: „Heute abend, während ich sehe, wie sich das Schauspiel der Demokratie auf der ganzen Erde entfaltet, sind wir vielleicht — vielleicht der neuen Welt näher als je zuvor.“
Als Beweis für die Nähe einer neuen Welt führen die Weltführer das Ende des kalten Krieges zwischen dem Westen und dem Ostblock an. Und tatsächlich atmete die Welt ein wenig auf, als die Abrüstungsprogramme anliefen. Der Abbau der Atomwaffen stärkt bei vielen die Hoffnung auf eine neue Welt des Friedens und der Sicherheit.
Im April dieses Jahres erklärte George McGhee, Unterstaatssekretär in der Regierung Präsident John F. Kennedys: „Wir haben jetzt die Chance — ja die Verpflichtung —, die Blaupause für ein neues Weltsystem anzufertigen, das sich auf neue Sicherheitskonzepte stützt.“ Und er fügte hinzu: „Für ein erfolgreiches neues Weltsystem ist es meiner Meinung nach das Vielversprechendste, wenn man die Bande der internationalen Gemeinschaft stärkt.“
Frankreichs Atomteststopp bis Ende 1992 sei, so McGhee, „ein Versuch, die anderen Atommächte zum Mitmachen zu überreden“. Er verwies auch auf russische „Initiativen zur Verkleinerung der Atomwaffenarsenale und dazu, das Damoklesschwert des Daueralarmzustandes für die strategischen Atomstreitkräfte zu beseitigen“.
Darüber hinaus erklärten im Juli 1991 bei einem Treffen in London sieben der anwesenden Weltführer, die Koalition im Krieg am Persischen Golf habe „die Fähigkeit der internationalen Gemeinschaft bewiesen, zusammenzuarbeiten, ‚um internationalen Frieden und Sicherheit wiederherzustellen und Konflikte zu lösen‘“.
Was für eine neue Welt?
All das hört sich ermutigend an. Aber man sollte sich fragen, was für eine neue Welt die Nationen zu schaffen hoffen. Handelt es sich dabei um eine Welt ohne Waffen und Kriege?
McGhee gibt folgende Antwort: „Amerika muß genügend militärische Stärke bewahren, um seinen Teil zu jeglichen künftigen vereinten militärischen Einsätzen beizutragen oder um sich durchzusetzen, falls ein Krieg unvermeidlich ist.“ Die Weltführer treten also nicht für eine vollständige Abrüstung ein, noch schließen sie militärische Einsätze aus, wenn, wie sich McGhee ausdrückt, „ein Krieg unvermeidlich ist“. Die Regierungen können einfach keine neue Welt ohne Krieg versprechen. Ihnen ist klar, daß sie eine solche Welt nicht errichten können.
Betrachten wir beispielsweise, was bereits geschehen ist. Unter der Überschrift „Die neue Weltordnung“ schrieb der Kolumnist Anthony Lewis in der New York Times vom 17. Mai 1992: „Als ich die Fernsehbilder von den [auf Sarajevo (Bosnien-Herzegowina)] niedergehenden Granaten und den sich ängstlich zusammendrängenden Zivilisten sah, wurde mir bewußt, daß die Zivilisation keine Fortschritte gemacht hat, seit die Bomben der Nazis auf Rotterdam fielen. Eine schöne neue Weltordnung!“
Doch neben dem Krieg gibt es noch viele andere Probleme, die auf dem Weg zu einer zufriedenstellenden neuen Welt gelöst werden müssen. Denken wir zum Beispiel an die schleichende Umweltverschmutzung, die Luft, Land und Meere ruiniert; die mächtigen Verbrecherringe und Drogenkartelle, die Millionen Menschen um ihren Besitz und ihre Gesundheit bringen; die rücksichtslose Zerstörung der Regenwälder, die zur Bodenerosion beiträgt und letztendlich zu Überschwemmungen und dadurch zur Vernichtung ganzer Ernten führt.
Außerdem warten furchtbare körperliche Leiden wie Herzerkrankungen, Krebs, Aids, Leukämie und Diabetes darauf, geheilt zu werden. Und wie sieht es mit Armut, Obdachlosigkeit, Wasser- und Nahrungsmittelknappheit, Fehlernährung, Analphabetismus und der Zerstörung der Ozonschicht aus? Ja, die Liste ist endlos. Die kritischen Probleme sind wie ein Haufen tickender Zeitbomben. Der Mensch muß sie entschärfen, bevor sie in einer Kettenreaktion von Katastrophen explodieren, die seine eigene Vernichtung bedeuten könnten. Kann er noch rechtzeitig eine neue Welt errichten?
Seit Jahren arbeitet man in Organisationen und auf Konferenzen hart an einer Lösung der Weltprobleme. Doch die Probleme sind nicht nur gewachsen, sondern immer neue und noch kompliziertere tauchen auf. Bedeutet des Menschen Unfähigkeit, diese Probleme zu lösen, daß das Sehnen der Menschheit nach einer friedlichen, sicheren neuen Welt vergebens ist? Zuversichtlich können wir mit Nein antworten. Wir laden alle ein, zu prüfen, warum wir das sagen können.