Eine ausgeglichene Ansicht über Unterhaltung
„IMMER Arbeit, nie ein Spiel, wird dem Knaben Hans zuviel.“ Dieses Sprichwort mag zwar simpel klingen, doch leicht kann man vergessen, wie wahr es ist. „Immer Arbeit, nie ein Spiel“ könnte viel Schlimmeres bewirken, als Hans einfach zuviel zu werden. Es könnte ihn zu einem Workaholic, einem Arbeitssüchtigen, werden lassen, der nichts anderes mehr im Sinn hat.
Sehen wir uns zum Beispiel ein Problem an, das sich in Japan, einem Land, das für seine hohe Arbeitsmoral bekannt ist, eingestellt hat. Von Arbeitnehmern wird oft erwartet, jeden Abend Überstunden zu machen und auch an den Wochenenden zu arbeiten. Das kanadische Nachrichtenmagazin Maclean’s berichtete, daß der japanische Arbeiter im Durchschnitt jährlich 2 088 Stunden auf der Arbeit verbringt, verglichen mit den nur 1 654 Stunden seines kanadischen Kollegen. Doch in dem Magazin hieß es auch: „Japanische Firmen haben mit einem anderen Problem zu kämpfen: Arbeitnehmer, die ein Opfer von karoshi (Tod durch Überarbeitung) werden. In Zeitungen wird von Männern in den 40ern berichtet, die Herzanfälle oder Infarkte bekommen haben, nachdem sie 100 Tage hintereinander gearbeitet hatten, ohne einen Tag dazwischen freizuhaben.“ Das japanische Arbeitsministerium sah sich sogar zu einer Kampagne mit Werbespots veranlaßt, in denen — mit eingängigen Melodien unterlegt — die Leute aufgefordert werden, die Wochenenden frei zu nehmen und auszuspannen. Was für ein Gegensatz zu einigen Ländern der westlichen Welt, in denen die Leute überredet werden müssen, eine ganze Woche zu arbeiten!
Der Nutzen des Spiels
Interessanterweise betrachten Fachleute im allgemeinen die Arbeitssucht als Krankheit und nicht als Tugend. Hans muß spielen — und das nicht nur, solange er ein „Knabe“ ist; Erwachsene haben die gleichen Bedürfnisse wie Kinder. Inwiefern? Was hat der Mensch von der Freizeit oder dem Spiel? In einem Fachbuch ist folgende Auflistung zu finden: „Ausdruck der eigenen Persönlichkeit, Gemeinschaft, Integration von Körper und Geist oder Ganzheit, körperliche Gesundheit, der notwendige Kontrast oder Rhythmus im arbeitsbestimmten Zeitplan, Ruhe und Entspannung, die Möglichkeit, etwas Neues zu probieren, andere Menschen kennenzulernen, Beziehungen aufzubauen, die Familienbande zu stärken, mit der Natur in Kontakt zu kommen ... und sich einfach nur gut zu fühlen, ohne wissen zu wollen, warum. All dies gehört zu dem, was die Menschen an der Freizeit schätzen.“
Soziologen haben dem Thema Freizeit und Spiel unzählige Bücher gewidmet, und sie stimmen darin überein, daß Freizeit sowohl für den einzelnen wie auch für die Gesellschaft unentbehrlich ist. Sicherlich versteht keiner die menschliche Natur besser als der Schöpfer des Menschen. Wie denkt er über dieses Thema?
Im Gegensatz zu der Ansicht einiger ist die Bibel nicht gegen Spaß und Erholung. Sie läßt uns wissen, daß Jehova ein glücklicher Gott ist und daß er auch seine Diener glücklich sehen möchte (Psalm 144:15b; 1. Timotheus 1:11). Wie wir aus Prediger 3:1-4 erfahren, „gibt es eine bestimmte Zeit ... zum Lachen“ und „eine Zeit zum Herumhüpfen“. Das hebräische Wort, das mit „Lachen“ wiedergegeben wird, ist mit Wörtern verwandt, die die Bedeutung von „Spielen“ haben. Das gleiche Bibelbuch sagt: „Für einen Menschen gibt es nichts Besseres, als daß er essen und trinken und seine Seele Gutes sehen lassen sollte wegen seiner harten Arbeit“ (Prediger 2:24).
Heutzutage besteht eine der beliebtesten Freizeitbeschäftigungen darin, sich zurückzulehnen und sich von anderen unterhalten zu lassen. Aber auch das ist nicht neu. Die Bibel zeigt, daß die Menschen schon vor Jahrtausenden Freude daran fanden, anderen beim Tanzen, Singen, Musizieren oder Sporttreiben zuzuschauen.
Als Form der Entspannung kann die Unterhaltung Großartiges leisten. Wer hat nicht zumindest ein wenig Freude an den Leistungen eines guten Sportlers, an der schwebend leichten Grazie einer Ballerina, an der prickelnden Spannung eines guten Abenteuerfilms oder an der heiteren Melodie, die einem noch durch den Kopf geht, wenn die Musik längst verklungen ist? Zweifellos haben sich auch schon die meisten bei einem guten Buch entspannt und dabei die Seiten immer schneller umgeblättert, während die gut erzählte Geschichte sie in ihren Bann schlug.
Bei solcher Unterhaltung können wir uns entspannen. Doch das ist nicht alles. Sie kann uns anregen, aufrichten, sie kann unser Herz berühren, uns zum Lachen bringen — und sie kann uns sogar geistig weiterbringen. Literatur beispielsweise kann uns einiges über die menschliche Natur vermitteln. Die Werke Shakespeares sind ein gutes Beispiel hierfür.
Die Gefahren der Unterhaltung
Um eine ausgeglichene Ansicht über die heutige Unterhaltung zu haben, muß man allerdings nicht nur ihren Nutzen kennen, sondern auch ihre Gefahren. Es ist schon viel über den verderblichen Einfluß der Unterhaltung gesagt worden, doch im großen und ganzen können die Gefahren in zwei Kategorien eingeteilt werden: Quantität und Qualität — die Menge der zur Verfügung stehenden Unterhaltung und ihren jeweiligen Inhalt. Wenden wir uns zunächst der Qualität zu.
Wir leben heute in düsteren Zeiten, die in der Bibel „kritische Zeiten“ genannt werden, „mit denen man schwer fertig wird“ (2. Timotheus 3:1). Es überrascht daher nicht, wenn die heutige Unterhaltung unsere Zeit widerspiegelt, und zwar oft in ihren häßlichsten Aspekten. Sadistische Gewalt, offene Unmoral und die niedrigsten menschlichen Denk- und Handlungsweisen — wie etwa Rassismus — finden Eingang in die populäre Unterhaltung und verseuchen sie in unterschiedlichem Ausmaß. Am unteren Ende des Spektrums ist das, was eigentlich Unterhaltung sein sollte, kaum mehr als Pornographie und Schmutz. Betrachten wir einige Beispiele.
Filme: Drei der Männer, die dieses Jahr für die größte Auszeichnung Hollywoods, den Oscar, in der Kategorie „bester Schauspieler“ nominiert worden waren, spielten einen psychopathischen Mörder und zeigten im Film einen Mord in allen Einzelheiten. Ein Darsteller soll dabei einer Frau ein Stück aus dem Gesicht gebissen haben, während er sie vergewaltigte. Einer der Kassenschlager dieses Jahres war Basic Instinct. Den Rezensionen nach zu urteilen, ist der Titel geradezu beschönigend. Der Film beginnt mit einer unverhüllten Sexszene, in der die Frau mit einer Eisspitze wiederholt auf ihren gefesselten Liebhaber einsticht und dabei über und über mit Blut bespritzt wird.
Musik: Sowohl Rap wie auch Heavy metal sind in jüngster Zeit wegen ähnlicher Inhalte unter heftigen Beschuß gekommen. In beiden Musikrichtungen sind Stücke zu finden, in denen die sexuelle Erniedrigung und die Mißhandlung von Frauen, Haß und Gewalttat gegenüber Polizisten und gegenüber anderen Rassen, ja sogar der Satanismus verherrlicht werden. In einigen Gebieten müssen Tonträger mit solchen Inhalten einen Warnaufkleber tragen. Der Rap-Musiker Ice-T soll jedoch zugegeben haben, daß seine Songs absichtlich so schockierende Texte haben, damit sie diesen Aufkleber bekommen; das würde die Neugierigen garantiert anziehen. Der Rockstar Prince pries in seiner Musik den Inzest zwischen Bruder und Schwester. Oftmals verleihen Musikvideos der schreienden Unmoral einfach nur eine sichtbare Dimension. Das Video Justify My Love von dem Popstar Madonna ist dafür bekannt geworden, Sadomasochismus und homosexuelle Handlungen zu zeigen. Selbst MTV, ein amerikanischer Fernsehkanal, der sich den Ruf erworben hat, manchmal unmoralische Videos ohne große Bedenken zu senden, lehnte es ab, dieses Video auszustrahlen.
Bücher: Betrachten wir einige aus den letzten Buchrezensionen zusammengetragene Beispiele. American Psycho beschreibt detailliert die grauenvollen Handlungen eines Serienmörders, der die Körper seiner Opfer auf unvorstellbar grausige Weise mißhandelt — Kannibalismus eingeschlossen. Vox handelt von einem langen Telefongespräch, bei dem sich ein Mann und eine Frau, die sich nie zuvor begegnet sind, gegenseitig durch erotisches Reden sexuell stimulieren. Raptor spielt im sechsten Jahrhundert und erzählt von den perversen sexuellen Abenteuern zweier Hermaphroditen (Zwitter). In Liebesromanen wird gewöhnlich Ehebruch und Hurerei beschrieben und verherrlicht. Comichefte, einst relativ harmlos und für Kinder, präsentieren heute oft in plastischer Weise Sex, Gewalt und Okkultismus.
Sport: Die Forderungen nach einem Boxkampfverbot halten an. Doch trotz sich häufender Beweise, daß jeder K.-o.-Schlag zu irreversiblen Gehirnschädigungen führt, locken riesige Preisgelder und Millionen von Zuschauern weiterhin die Kämpfer in den Ring. So sind buchstäblich Hunderte von Boxern zu Tode geprügelt worden.
Es gibt allerdings Sportarten mit noch höheren Todesraten. So ist es nichts Ungewöhnliches, von Gewalttaten zu lesen, die auf den Spielfeldern oder unter den Zuschauern ausbrechen. Unruhen, die durch Nationalismus oder fehlgeleiteten „Teamgeist“ entfacht wurden, haben weltweit in den Stadien Hunderten das Leben gekostet. Der Stierkampf, den die Wochenzeitung Die Zeit „die wohl bestialischste Spielveranstaltung, die sich in die Neuzeit gerettet hat“, nannte, hat in jüngster Zeit in Spanien und Südfrankreich stark an Popularität gewonnen. Nachdem ein Stier den berühmten 21 Jahre alten Matador José Cubero tödlich am Herzen verwundet hatte, wurde der gefallene Held in einem Sarg unter den Rufen von 15 000 Verehrern durch eine Stierkampfarena Madrids getragen. Sein Tod wurde vom spanischen Fernsehen immer und immer wieder gezeigt.
Zugegeben, das sind extreme Fälle, und sie bedeuten natürlich nicht, daß alle Unterhaltung dieser verschiedenen Kategorien schlecht ist. Doch wenn man eine ausgeglichene Ansicht über Unterhaltung haben will, muß man anerkennen, daß diese Extreme existieren und populär sind. Warum? Nun, ist uns schon aufgefallen, daß das, was vor einigen Jahren als extrem galt, heute den Menschen nur noch ein gelangweiltes Gähnen entlockt? Die Allgemeinheit neigt dazu, Extreme langsam, aber sicher zu akzeptieren; die Menschen gewöhnen sich daran. Woran werden wir uns gewöhnen?
Die Frage der Quantität
Selbst wenn alle Unterhaltung völlig einwandfrei wäre, bliebe immer noch die Frage der Menge. Die Unterhaltungsindustrie hat einen ungeheuren Ausstoß. Zum Beispiel wurden in den Vereinigten Staaten allein 1991 über 110 000 Buchtitel veröffentlicht. Könnte man jeden Tag ein Buch von vorn bis hinten durchlesen, brauchte man über 300 Jahre, nur um die Bücher eines einzigen Jahres zu bewältigen. Die amerikanische Filmindustrie produziert jedes Jahr gut 400 Kinofilme, und viele Länder importieren diese Filme und stellen daneben auch noch selbst Filme her. Die indische Filmindustrie dreht jährlich Hunderte von Hindi-Filmen. Und wer zählt die Schallplatten, CDs und Kassetten, die jedes Jahr auf den Markt geworfen werden? Dazu kommt noch das Fernsehen.
In einigen Industrieländern stehen jede Menge Fernsehkanäle zur Verfügung — Kabelanbieter, Satellitenkanäle und die herkömmlichen Sender. Das bedeutet, daß ein ständiger Unterhaltungsstrom 24 Stunden am Tag ins Haus gelangen kann. Sport, Musik, Dramen, Komödien, Science-fiction, Talk-Shows, Spielfilme, alles auf Knopfdruck. Mit einem Videorecorder gibt es dann noch zusätzlich unzählige Ratgeber- und Musikvideos sowie Unterrichtsvideos über Natur, Geschichte und Wissenschaft.
Doch woher die Zeit nehmen für all diese Unterhaltung? Die Technik ist vielleicht in der Lage, uns das Wunder der Unterhaltung auf Knopfdruck zu bescheren — wie erstaunt Mozart wohl wäre, würde er eine seiner Sinfonien aus einem Radiorecorder hören! Allerdings kann die Technik nicht die Zeit beschaffen, die erforderlich wäre, um all das Gute zu genießen. In einigen Ländern mit hochentwickelter Technologie scheint sogar immer weniger statt mehr Freizeit zur Verfügung zu stehen.
Sofern wir es zulassen, kann die Unterhaltung leicht unsere gesamte Freizeit beanspruchen. Und wir sollten daran denken, daß die Unterhaltung nur e i n e Form der Entspannung ist, und zwar für gewöhnlich die passivste. Die meisten von uns müßten auch an die frische Luft gehen und etwas Aktiveres tun, mitmachen, statt einfach nur herumzusitzen und sich unterhalten zu lassen. Man kann spazierengehen, Freundschaften pflegen und Spiele spielen.
Wenn es schon ein Fehler ist, sich von der Unterhaltung die gesamte Freizeit besetzen zu lassen, wieviel schlimmer ist es dann wohl, ihr Zeit zu widmen, die eigentlich höheren Verpflichtungen gehört, wie denen gegenüber unserem Schöpfer, unserer Familie, unserer Arbeit oder unseren Freunden! Es ist daher absolut notwendig, eine ausgeglichene Ansicht über Unterhaltung zu haben. Wie entscheiden wir, welche Unterhaltung schlecht für uns ist und wieviel zu viel ist?
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Manche Unterhaltung kann unser Herz berühren und uns geistig weiterbringen