Unsere geschundene Erde — Angriffe an allen Fronten
IM Juni letzten Jahres fand in Rio de Janeiro (Brasilien) der Erdgipfel Umwelt statt. Aus diesem Anlaß brachte das Nachrichtenmagazin India Today im selben Monat einen Leitartikel des Mitherausgebers Raj Chengappa. Der Artikel war überschrieben: „Die verwundete Erde“. Die einleitenden Absätze zeichnen ein plastisches Bild der Situation:
„Als Edgar Mitchell 1971 an Bord von Apollo 14 zum Mond flog, ließ ihn der erste Anblick der Erde vom Weltraum aus poetisch werden. ‚Sie sieht aus wie ein funkelnder blau-weißer Edelstein ... Verziert mit langsam kreisenden Schleiern in Weiß ... Wie eine kleine Perle in dem dichten schwarzen Meer des Geheimnisvollen‘, funkte er überschwenglich nach Houston.
Wenn Mitchell heute, 21 Jahre später, wieder in den Weltraum geschickt würde, diesmal ausgerüstet mit einer Spezialbrille, die es ihm erlaubte, die unsichtbaren Gase der Erdatmosphäre zu sehen, es würde sich ihm ein völlig anderer Anblick bieten. Er würde in dem schützenden Ozonschild riesige Löcher über der Antarktis und über Nordamerika entdecken. Statt eines funkelnden blau-weißen Edelsteins sähe er eine glanzlose, dreckige Erde, bedeckt mit dunklen, wirbelnden Schwefel- und Kohlendioxydwolken.
Würde Mitchell seine Kamera zur Hand nehmen und Bilder von den Wäldern schießen, die unsere Erde bedecken, und würde er diese Aufnahmen mit denen vergleichen, die er 1971 gemacht hat, so wäre er betäubt von dem Ausmaß des Rückgangs. Und öffnete er sein Spezialteleskop, das ihn die Verschmutzung des Wassers auf der Erde wahrnehmen ließe, so sähe er Giftbänder, die sich zwischen den Kontinenten erstrecken, und dunkle Teerkugeln, die den Meeresgrund bedecken. ‚Houston‘, würde er zur Erde funken, ‚was um alles in der Welt haben wir da angerichtet!‘
Wir brauchen allerdings nicht 36 000 Kilometer in den Weltraum aufzusteigen, um zu erkennen, was wir angerichtet haben. Heute können wir die Verschmutzung trinken, atmen, riechen und sehen. In den letzten 100 und besonders in den letzten 30 Jahren haben die Menschen die Erde an den Rand der Katastrophe gebracht. Indem wir riesige Mengen Treibhausgase in die Atmosphäre blasen, beschwören wir wissentlich Klimaveränderungen herauf. Gase, mit denen unsere Kühlschränke und Klimaanlagen funktionieren, sind jetzt für den Abbau der schützenden Ozonschicht verantwortlich, was zu Hautkrebs führt und in kleineren Tieren die Genstruktur verändert. Inzwischen haben wir ganze Landstriche veröden lassen, Wälder in selbstmörderischem Tempo zerstört, gedankenlos tonnenweise Gift in die Flüsse geleitet und tödliche Chemikalien ins Meer gepumpt.
Heutzutage geht die Bedrohung der Menschheit eher von der Zerstörung der Umwelt als von irgend etwas anderem aus. Und es ist eine Bewegung planetarischen Ausmaßes vonnöten, um diesen Holocaust aufzuhalten.“
Nachdem Raj Chengappa eine ganze Liste von Problemen erwähnt hat, auf die sich die Nationen zum Schutz der Umwelt konzentrieren müßten, schließt er seinen Leitartikel mit den Worten: „All das muß, ohne zu zögern, getan werden. Denn die Bedrohung gilt nicht mehr nur der Zukunft unserer Kinder. Sie ist jetzt präsent. Und zwar hier.“
So versammeln sich die Weltdoktoren. Konferenzen werden abgehalten, Heilmethoden angepriesen, doch einigen können sie sich nicht. Sie streiten lieber miteinander. „Sie ist nicht wirklich krank“, meinen die einen. „Sie liegt im Sterben!“ schreien die anderen. Die Rededuelle eskalieren, die Heilmittelvorschläge stapeln sich, die Doktoren zaudern, während sich der Zustand des Patienten immer mehr verschlimmert. Nichts wird getan. Sie müssen erst noch weitere Untersuchungen anstellen. Rezepte werden ausgestellt, aber nie eingelöst. Ach, so viel davon ist einfach nur Verzögerungstaktik, damit die Verschmutzung weitergeht und die Gewinne weiter fließen. Der Patient bekommt nie seine Medizin, seine Beschwerden nehmen zu, die Krise verschlimmert sich, und die Mißhandlung der Erde hält an.
Die Erde und das Leben darauf sind äußerst komplex und aufs komplizierteste miteinander verknüpft. Die Millionen in Wechselbeziehung stehenden Lebewesen sind als Lebensnetz bezeichnet worden. Zerschneidet man einen Faden, löst sich möglicherweise das ganze Netz auf. Stößt man einen Dominostein um, fallen mit ihm Dutzend andere. Die Rodung der tropischen Regenwälder ist ein Beispiel hierfür.
Mit Hilfe der Photosynthese entzieht der Regenwald der Luft Kohlendioxyd und gibt dafür Sauerstoff ab. Er nimmt Unmengen von Regenwasser auf, gebraucht davon aber nur sehr wenig für sich selbst zur Nahrungsherstellung. Der allergrößte Teil wird in Form von Dampf wieder an die Atmosphäre abgegeben. Dort bilden sich daraus neue Regenwolken, die den nötigen Regen für den Regenwald und die Millionen von Pflanzen und Tieren liefern, welche unter dem grünen Baldachin Nahrung finden.
Doch dann wird der Regenwald abgeholzt. Das Kohlendioxyd bleibt wie eine Decke über dem Gebiet und hält die Sonnenwärme gefangen. Nur wenig Sauerstoff wird zum Nutzen der Tiere an die Atmosphäre abgegeben. Nur wenig Feuchtigkeit wird wieder zurück in die Atmosphäre gebracht. Statt dessen ergießt sich alles Regenwasser in die Flüsse und nimmt dabei den Mutterboden mit, der für das Wachstum neuer Pflanzen notwendig wäre. Flüsse und Seen verschlammen, Fische sterben. Schlamm wird in die Meere gespült und bedeckt tropische Riffe, worauf diese ebenfalls sterben. Millionen von Pflanzen und Tieren, die einst unter dem grünen Baldachin gediehen, verschwinden, die schweren Regenfälle, die einst das Land bewässerten, werden immer schwächer, und der lange, langsame Prozeß der Versteppung setzt ein. Vergessen wir nicht, die riesige Sahara in Afrika war einstmals grün, doch heute greift diese größte Sandausdehnung der Erde sogar auf Teile Europas über.
Auf dem Erdgipfel versuchten die Vereinigten Staaten und weitere wohlhabende Länder, Druck auf Brasilien und andere Entwicklungsländer auszuüben, die Rodung ihrer Regenwälder einzustellen. „Die Vereinigten Staaten argumentierten“, wie einem Bericht der New York Times zu entnehmen war, „Wälder und insbesondere tropische Wälder würden in den Entwicklungsländern in alarmierendem Ausmaß zerstört werden, wobei der Planet als Ganzes der Verlierer sei. Die Wälder, so erklärten sie weiter, seien ein globales Kapital, das durch Absorbierung des Wärme bindenden Kohlendioxyds zur Klimaregulierung beitrage, außerdem beherbergten sie den größten Teil der auf der Erde lebenden Arten.“
Der Vorwurf der Heuchelei ließ von seiten der Entwicklungsländer nicht lange auf sich warten. „Sie sträuben sich“, so die New York Times, „gegen das, was sie als einen Versuch betrachten, ihre Souveränität zu beschneiden, und das von Ländern, die vor langer Zeit ihre eigenen Bäume um des Profits willen abgeholzt haben, aber jetzt die Hauptlast für die Bewahrung der Wälder dieser Erde Ländern aufbürden wollen, die um ihr wirtschaftliches Überleben kämpfen.“ Eine malaysische Diplomatin sagte unumwunden: „Wir werden sicherlich nicht unsere Wälder für diejenigen bewahren, die ihre eigenen Wälder zerstört haben und jetzt versuchen, die unsrigen zum Erbe der Menschheit zu erklären.“ An der Pazifikküste im Nordwesten haben die Vereinigten Staaten nur noch 10 Prozent ihrer ursprünglichen Regenwälder übriggelassen, und selbst diese Reste werden weiter abgeholzt; doch die gleichen Vereinigten Staaten verlangen von Brasilien, das noch 90 Prozent seiner Amazonaswälder besitzt, jeglichen Holzeinschlag zu stoppen.
Wer anderen predigt: „Zerstört nicht eure Wälder“, dabei aber gleichzeitig seine eigenen zerstört, erinnert an denjenigen, der in Römer 2:21-23 beschrieben wird: „Du aber, der du einen anderen lehrst, lehrst dich selbst nicht? Du, der du predigst: ‚Stiehl nicht‘, stiehlst du? Du, der du sagst: ‚Begeh nicht Ehebruch‘, begehst du Ehebruch? Du, der du Abscheu vor den Götzen zum Ausdruck bringst, beraubst du Tempel? Du, der du deinen Stolz auf das Gesetz setzt, verunehrst du Gott durch deine Übertretung des GESETZES?“ Oder in der Terminologie des Umweltschutzes: „Du, der du predigst: ‚Bewahre deine Wälder‘, holzt du deine eigenen ab?“
In engem Zusammenhang mit der Waldzerstörung steht die Sorge um eine globale Erwärmung. Die chemischen und thermischen Mechanismen sind hochkomplex, aber die Sorgen drehen sich in erster Linie um einen speziellen Stoff in der Atmosphäre, um Kohlendioxyd. Es spielt bei der Erwärmung der Erde die Hauptrolle. Forscher am Byrd Polar Research Center berichteten letztes Jahr, daß „alle Berggletscher in mittleren und niedrigeren Höhenlagen schmelzen und sich zurückziehen — manche mit ziemlichem Tempo — und daß die aus dem Gletschereis gewonnenen Daten zeigen, daß die letzten 50 Jahre weit wärmer waren als irgendeine andere 50-Jahr-Periode“, über die Berichte vorliegen. Zuwenig Kohlendioxyd könnte ein kälteres Klima bedeuten; zuviel könnte ein Schmelzen der polaren Eiskappen und Gletscher bewirken und damit eine Überflutung von Küstenstädten.
Über das Kohlendioxyd hieß es in India Today:
„Es bildet zwar nur einen Bruchteil der Atmosphärengase, nämlich 0,03 Prozent. Doch ohne dieses Gas wäre unser Planet so kalt wie der Mond. Indem es die Wärme einfängt, die von der Erdoberfläche abgestrahlt wird, reguliert es die weltweite Durchschnittstemperatur auf lebenserhaltende 15 Grad Celsius. Nimmt jedoch die Menge des Kohlendioxyds zu, könnte sich die Erde in ein riesiges Saunabad verwandeln.
Kann man der internationalen Meteorologengemeinschaft auch nur ein wenig Glauben schenken, dann kommen wir wirklich ins Schwitzen. Die 80er Jahre sahen sechs der sieben heißesten Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnungen vor etwa 150 Jahren. Der offensichtlich Schuldige: ein 26prozentiger Anstieg des atmosphärischen Kohlendioxyds über den vorindustriellen Wert.“
Als Ursache gelten die 1,8 Milliarden Tonnen Kohlendioxyd, die jährlich bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe in die Luft geblasen werden. Ein erhoffter Vertrag, der die Kontrolle über die Kohlendioxydemissionen verbessern sollte, wurde auf dem Erdgipfel so verwässert, daß bei den anwesenden Klimatologen „die Temperatur hochgeschnellt“ sein soll. Einer von ihnen erhitzte sich zu der Äußerung: „Wir können doch nicht einfach so tun, als sei nichts geschehen. Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß das globale Gaskonto aus dem Gleichgewicht geraten ist. Es muß etwas unternommen werden, oder wir werden bald Millionen von Umweltflüchtlingen haben.“ Damit bezog er sich auf die Menschen, die aus überfluteten Gebieten fliehen würden.
Eine andere brennende Frage betrifft die sogenannten Löcher in der Ozonschicht, die unsere Erde vor der krebserregenden ultravioletten Strahlung schützt. Schuld sind in erster Linie die FCKWs (Fluorchlorkohlenwasserstoffe). Sie finden in Kühlgeräten, Klimaanlagen, Reinigungsmitteln und Aufschäummitteln für Kunststoffe Verwendung. In vielen Ländern kommen sie immer noch aus Sprühdosen. Wenn sie die Stratosphäre erreichen, werden sie von der ultravioletten Sonnenstrahlung aufgebrochen, wobei freies Chlor abgegeben wird; ein einziges dieser Chloratome kann mindestens 100 000 Ozonmoleküle zerstören. Zurück bleiben Löcher in der Ozonschicht — Gebiete mit drastisch reduzierten Ozonwerten — sowohl über der Antarktis wie auch in nördlichen Breiten, was bedeutet, daß mehr ultraviolette Strahlung die Erde erreicht.
Durch diese Strahlung stirbt das Phytoplankton und der Krill, die ersten Glieder der maritimen Nahrungskette. In den DNS-Molekülen, die den genetischen Code des Lebens enthalten, entstehen Mutationen. Feldfrüchte werden geschädigt. Die Strahlung löst bei Menschen grauen Star und Hautkrebs aus. Als NASA-Forscher hohe Chlormonoxydkonzentrationen über den nördlichen Gebieten der Vereinigten Staaten, Kanadas, Europas und Rußlands feststellten, sagte einer der Wissenschaftler: „Jeder sollte dadurch alarmiert sein. Es ist viel schlimmer, als wir dachten.“ Lester Brown, Präsident des Worldwatch Institute, führte aus: „Nach Einschätzung der Wissenschaftler wird ein beschleunigter Abbau der Ozonschicht in der nördlichen Hemisphäre innerhalb der nächsten 50 Jahre allein in den Vereinigten Staaten zusätzlich 200 000 hautkrebsbedingte Todesfälle verursachen. Weltweit steht das Leben von Millionen auf dem Spiel.“
Die Biodiversität, das heißt die Bewahrung von so vielen Pflanzen- und Tierarten in ihrem natürlichen Habitat wie möglich, bereitet gegenwärtig ebenfalls einiges Kopfzerbrechen. Die Zeitschrift Discover veröffentlichte einen Auszug aus Edward O. Wilsons jüngstem Buch The Diversity of Life, in welchem er die Ausrottung von Tausenden von Vogel-, Fisch- und Insektenarten sowie anderer Spezies, die gewöhnlich als unwichtig abgetan werden, aufführt. Es hieß dort: „Viele der verschwundenen Arten sind Mykorrhiza-Pilze, symbiotische Formen, die die Absorption von Nährstoffen durch das Wurzelsystem der Pflanzen erhöhen. Ökologen fragen sich seit langem, was wohl mit Landökosystemen passiert, wenn diese Pilze aus den Systemen genommen werden — bald werden wir es wissen.“
In dem Buch wirft Wilson in Verbindung mit der Bewahrung der Artenvielfalt folgende Frage auf, um sie dann selbst zu beantworten:
„Was macht es aus, wenn einige Arten ausgerottet werden, wenn selbst die Hälfte aller Arten auf der Erde verschwindet? Ich will einige Gesichtspunkte auflisten. Neue wissenschaftliche Informationsquellen werden verlorengehen. Ein riesiges Potential an biologischem Reichtum wird zerstört. Noch unentdeckte Heilmittel, Feldfrüchte, Pharmaka, Nutzhölzer, Fasern, Zellstoffe, bodenverbessernde Pflanzen, Erdölersatzstoffe sowie andere nützliche und angenehme Dinge werden nie ans Licht gelangen. Mancherorts ist es Mode, das Kleine und Unbekannte, die Insekten und Unkräuter, mit einer Handbewegung abzutun, wobei vergessen wird, daß eine unbekannte Motte aus Lateinamerika die Weidegebiete Australiens davor bewahrte, von Kakteen überwuchert zu werden, daß die Catharanthus roseus ein Heilmittel für die Lymphogranulomatose und die lymphatische Leukämie im Kindesalter zur Verfügung stellt, daß die Rinde der Pazifikeibe Frauen mit Eierstock- oder Brustkrebs Hoffnung bietet, daß eine Substanz im Speichelsekret von Blutegeln die Blutgerinnung bei Operationen unterbindet ..., und so geht die Liste immer weiter, die trotz des geringen Forschungsaufwandes schon lang und beeindruckend ist.
In vergeßlicher Träumerei kann man auch leicht die Dienste übersehen, die die Ökosysteme der Menschheit leisten. Sie reichern den Erdboden an und sorgen für die Luft, die wir einatmen. Ohne diese Annehmlichkeiten wäre die verbleibende Herrschaftszeit der menschlichen Rasse scheußlich und kurz.“
Doch das bisher Erwähnte ist — um die zwar durch häufigen Gebrauch banal gewordene, aber eben auch so wunderbar passende Redewendung zu gebrauchen — nur die Spitze des Eisbergs. Wann wird die Mißhandlung der Erde aufhören? Und wer wird der Mißhandlung ein Ende machen? Der nächste Artikel beantwortet diese Fragen.
[Herausgestellter Text auf Seite 4]
Die riesige Sahara in Afrika war einstmals grün
[Herausgestellter Text auf Seite 5]
„Du, der du predigst: ‚Bewahre deine Wälder‘, holzt du deine eigenen ab?“
[Herausgestellter Text auf Seite 5]
Zuwenig Kohlendioxyd — kälteres Klima
Zuviel davon — schmelzende Gletscher
[Herausgestellter Text auf Seite 6]
„Was macht es aus, wenn einige Arten ausgerottet werden?“
[Herausgestellter Text auf Seite 6]
Ohne Mikroorganismen wäre die verbleibende Herrschaftszeit der menschlichen Rasse kurz und scheußlich
[Bilder auf Seite 7]
Regenwald des Amazonas in all seiner ursprünglichen Schönheit
Regenwald nach der Mißhandlung durch den Menschen
[Bildnachweis]
Abril Imagens/João Ramid
F4/R. Azoury/Sipa
[Bild auf Seite 8]
Giftige chemische Abfälle verseuchen Luft, Wasser und Boden
[Bildnachweis]
Feig/Sipa