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  • Im nationalsozialistischen Deutschland die Lauterkeit bewahrt
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Erwachet! 1993
g93 8. 2. S. 20-23

Im nationalsozialistischen Deutschland die Lauterkeit bewahrt

AN EINEM kalten Apriltag des Jahres 1939 wurde ich in das Konzentrationslager Sachsenhausen eingeliefert. Zusammen mit den anderen Neuankömmlingen mußte ich vor dem Lagerkommandanten erscheinen, einem niederträchtigen Mann, der wegen seiner stämmigen Erscheinung den Spitznamen „Vierkant“ trug. In seiner „Willkommensrede“ beschimpfte er uns und beschrieb die grausame Behandlung, die wir zu erwarten hatten.

„Ihr könnt bei mir alles haben!“ rief er. „Kopfschuß, Brustschuß, Bauchschuß!“ Und er sagte warnend: „Meine Jungs schießen gut! Dann kommt ihr auch gleich in den Himmel. Hier kommt ihr nur in einem Sarg heraus!“

Danach brachte man mich in die Isolierung, ein eingezäuntes Gebiet innerhalb des Lagers. Dort wurden Jehovas Zeugen und andere Häftlinge festgehalten, die als gefährlich galten. Ein junger SS-Mann empfing mich mit mehreren Ohrfeigen, weil ich mich geweigert hatte, eine Erklärung zu unterschreiben, wodurch ich meinem Glauben abgeschworen hätte.

Otto Kamien aus Herne nahm sich meiner an und half mir, an die Häftlingskleidung meine Häftlingsnummer und den lila Winkel anzunähen, an dem Jehovas Zeugen im Lager zu erkennen waren. Er zeigte mir auch, wie ich mein Bett zu machen hatte — wenn ein Häftling sein Bett nicht richtig machte, wurde er geschlagen oder sogar getötet.

Otto sagte mir schon im voraus: „Von Zeit zu Zeit werden sie dich fragen, ob du noch ein Zeuge Jehovas bist. Sei konsequent, bleib standhaft, und sag laut und deutlich: ‚Ich bin noch ein Zeuge Jehovas.‘“ Und er fügte hinzu: „Wenn du konsequent und standhaft bleibst, läßt dich der Teufel in Ruhe“ (Jakobus 4:7). Ottos Ermunterung half mir, in den folgenden sechs Jahren, die ich in drei verschiedenen Konzentrationslagern verbrachte, meine Lauterkeit zu bewahren.

Denke ich an jene prüfungsreiche Zeit zurück, erkenne ich heute mehr denn je, daß ich nur mit Gottes Hilfe meine Lauterkeit bewahren konnte. Wie kam es dazu, daß ich am 20. Januar 1938 zum ersten Mal verhaftet wurde?

Meine Vorgeschichte

Einige Jahre vor meiner Geburt im Jahre 1911 wurden meine Eltern, die in Königsberg (Ostpreußen) lebten, Bibelforscher, wie man Jehovas Zeugen damals nannte. Meine Mutter nahm meine drei Brüder, meine zwei Schwestern und mich häufig mit in die Zusammenkünfte. Leider verließ mein Vater nach einiger Zeit die wahre Anbetung. Meine Brüder und eine meiner Schwestern wurden eifrige Königreichsverkündiger, aber meine Schwester Lisbeth und ich hörten auf, der biblischen Wahrheit, die wir kennengelernt hatten, unsere volle Aufmerksamkeit zu schenken.

Als ich Anfang Zwanzig war, kam Hitler an die Macht, und auf die Menschen wurde großer Druck ausgeübt. Damals arbeitete ich in einer großen Reparaturwerkstatt in Königsberg als Automechaniker. Wenn der „Führer“ zu besonderen Anlässen eine Rede hielt, mußten sich alle Arbeiter einfinden, um am Radio zuzuhören. Außerdem wurde der Hitlergruß eingeführt. Schließlich erhielt ich die Aufforderung, an einer vormilitärischen Ausbildung teilzunehmen, also mußte ich mich fragen, auf welcher Seite ich eigentlich stand.

Ich kannte den Text aus Apostelgeschichte 4:12 und wußte daher, daß „Heil“ oder „Rettung“ nicht durch Hitler, sondern nur durch Jesus Christus kommt. Deswegen konnte ich einfach nicht „Heil Hitler!“ sagen, und ich habe es auch nie getan. Außerdem ignorierte ich den Befehl, an der vormilitärischen Ausbildung teilzunehmen.

Im Laufe der Jahre 1936 und 1937 wurden meine Mutter, Helene, die jüngere meiner beiden Schwestern, sowie meine Brüder Hans und Ernst verhaftet. Von dieser Zeit an wollte ich ebenfalls für den wahren Gott Stellung beziehen. Ich las abends in der Bibel und bat Jehova um Hilfe. Auch Lisbeth zeigte wieder mehr Interesse.

Stellung beziehen

Ich war zwar noch nicht getauft, aber als der Zeitpunkt kam, entschieden für Jehova Stellung zu beziehen, tat ich das und weigerte mich, in Hitlers Armee zu dienen. Ich wurde festgenommen und dem Militär übergeben. Fünf Wochen später verurteilte mich ein Militärgericht in Rastenburg zu einem Jahr Gefängnis.

Im Zentralgefängnis in Stuhm (Westpreußen) kam ich in Einzelhaft. Wie gut es tat, bei Rundgängen im Gefängnishof mit anderen treuen Zeugen aus Königsberg, die ich aus meiner Kindheit kannte, Blicke zu wechseln! Dann kamen auch Paul, Hans und Ernst, meine drei Brüder, wegen ihres Glaubens an Gott in jenes Gefängnis. Während meiner Einzelhaft beschaffte Hans mir manchmal heimlich ein Stück Brot.

Nach Ende meiner Haftzeit wurde ich wiederholt von der Gestapo in Königsberg verhört. Da ich meine Einstellung nicht änderte, kam ich in das Konzentrationslager Sachsenhausen. Dort wurde ich dem Garagenbau zugeteilt und arbeitete von sechs Uhr morgens bis sechs Uhr abends. Die Mißhandlungen waren so schrecklich, daß einige Insassen versuchten zu flüchten, obwohl sie wußten, daß sie erschossen werden würden, wenn man sie faßte. Einmal sah ich, wie ein Häftling Selbstmord beging, indem er sich gegen den elektrischen Zaun warf.

Der Druck nimmt zu

Im September 1939 brach der Zweite Weltkrieg aus, und in Sachsenhausen nahm der Druck zu. Wir mußten mehr arbeiten, und man nahm uns unsere warme Wollkleidung weg. Am 15. September statuierten die Nationalsozialisten an unserem christlichen Bruder August Dickmann ein Exempel, weil er den Militärdienst verweigert hatte. Anläßlich seiner Hinrichtung wurde eine besondere Versammlung organisiert.

Mehrere hundert von uns Zeugen sahen, wie die Soldaten des Erschießungskommandos schossen und August tot umfiel. Danach mußten alle Häftlinge, bis auf Jehovas Zeugen, in ihre Baracken zurückgehen. „Vierkant“ fragte, wer jetzt die Erklärung unterschreiben wolle, durch die man seinem Glauben abgeschworen und sich bereit erklärt hätte, Soldat zu werden. Da kein einziger unterschrieb, wurde er fuchsteufelswild.

Der Winter 1939/40 war sehr hart. Wir waren unzureichend bekleidet und unterernährt, so daß der Tod seine Opfer forderte. Viele unserer älteren Brüder starben, aber im Vergleich zu anderen Häftlingsgruppen gab es unter uns Zeugen Jehovas wenig Todesfälle. Selbst der robuste „Vierkant“ wurde krank und starb im Februar 1940.

In ein anderes Lager

Wenige Tage nach „Vierkants“ Tod wurden 70 von uns in das kleine Lager Wewelsburg bei Paderborn verlegt. Wir hatten gehofft, es dort leichter zu haben, doch genau das Gegenteil war der Fall. Man gab uns weniger zu essen, und die Arbeit im Steinbruch war härter. An manchen Tagen waren wir vom Schnee und vom Regen bis auf die Haut durchnäßt. In dieser besonders schweren Zeit zog ich mir abends oft die Bettdecke über den Kopf und schüttete Jehova unter Tränen mein Herz aus. Jedesmal überkam mich dann eine innere Ruhe und ein innerer Frieden — „Hilfe zur rechten Zeit“ von Gott (Hebräer 4:16).

Jehova sorgte für unsere geistige Gesundheit. Zeugen aus dem Konzentrationslager Buchenwald kamen nach Wewelsburg, und sie brachten geistige Speise in Form von biblischer Literatur mit. In kleinen Gruppen gingen wir in den Schlafsaal, wo die Brüder heimlich ein Wachtturm-Studium abhielten. Selbst die Lagerverpflegung wurde etwas besser.

Ich dankte Jehova für seine Güte, als ein Bruder dafür sorgte, daß ich mit ihm in der Schmiede arbeiten konnte. Denn in den Werkstätten, wo hauptsächlich Brüder arbeiteten, bekamen die Häftlinge größere Essenrationen. Außerdem war es dort warm, und man wurde nicht zur Arbeit angetrieben. Meine Gesundheit profitierte in solch einem Maße davon, daß ich nach einem halben Jahr wieder bei Kräften war, obwohl ich vorher nur noch aus Haut und Knochen bestanden hatte.

Nachricht über meine Brüder

In Wewelsburg erhielt ich von meiner Schwester Lisbeth die Nachricht, daß mein Bruder Ernst seine Lauterkeit gegenüber Jehova bis in den Tod bewahrt hatte. Nach vier Jahren Gefängnis war er am 6. Juni 1941 in Berlin enthauptet worden. Als die anderen Zeugen dies hörten, kamen sie und gratulierten mir. Ihre positive Einstellung berührte mich tief. Treu zu bleiben war für uns wichtiger, als zu überleben.

Zwei Jahre darauf, am 1. Februar 1943, wurde mein Bruder Hans in Quednau bei Königsberg erschossen. Er war 34 Jahre alt und hatte fünf Jahre im Gefängnis verbracht. Später erzählte mir ein Augenzeuge seiner Hinrichtung, daß der Offizier meinen Bruder nach seinem letzten Wunsch gefragt habe. Hans bat darum, beten zu dürfen, was ihm auch gestattet wurde. Das Gebet beeindruckte die Soldaten so sehr, daß keiner feuerte, als der Offizier den Befehl dazu gab. Er wiederholte den Befehl, woraufhin ein Schuß fiel, der Hans in den Bauch traf. Dann zielte der Offizier mit seiner eigenen Pistole auf Hans und tötete ihn.

Weitere Beispiele der Lauterkeit

Von den Zeugen, die aus Buchenwald nach Wewelsburg gekommen waren, wurden 27 für den Militärdienst gemustert und verschiedenen Einheiten zugeteilt. Alle lehnten den Kriegsdienst ab; nur ein Bruder war bereit, waffenlosen Dienst zu leisten. Man drohte ihnen mit der Hinrichtung, doch vergebens. Nachdem sie wieder in Wewelsburg angekommen waren, drohte ihnen der Kommandant: „In vier Wochen ist über euch Gras gewachsen.“

Diese treuen Brüder wurden dann besonders grausam behandelt. Die SS dachte sich alle möglichen Schindereien für sie aus, um sie zu zermürben und zu Tode zu quälen. Trotzdem blieben alle 26 am Leben! Später wurde einigen Nichtzeugen die gleiche Behandlung zuteil, und unter ihnen gab es sogar schon nach kurzer Zeit etliche Todesfälle.

Meine Schwestern bewahren die Lauterkeit

Im April 1943 kam ich in das Lager Ravensbrück. Grundsätzlich war es für Frauen gedacht, doch gab es auch ein kleines Männerlager. Ich arbeitete in der Autowerkstatt genau gegenüber dem Frauenlager. Bald erkannten Schwestern, die vorbeigingen, meinen lila Winkel. Welche Freude löste es aus, sich heimlich zu grüßen oder sich ein freundliches Lächeln zu schenken! Nach kurzer Zeit sprach sich herum, daß ich der Sohn von Oma Rehwald war. Ja, meine Mutter war ebenfalls in jenem Frauenlager zusammen mit meiner Schwester Helene und meiner Schwägerin, der Frau meines verstorbenen Bruders Hans.

Unsere christlichen Schwestern ließen mir Unterwäsche zukommen und manchmal auch ein Stück Brot. Einmal sorgten sie dafür, daß ich heimlich mit meiner lieben Mutter sprechen konnte. Wären wir entdeckt worden, hätte es großen Ärger gegeben. Wie überglücklich wir waren, uns wiederzusehen! Einige Monate später, kurz vor unserer Befreiung, starb meine Mutter. Sie hatte ihre Lauterkeit bis in den Tod bewahrt.

Endlich befreit!

Im April 1945 kamen die Amerikaner und die Russen dem Lager Ravensbrück immer näher. Mir wurde eine Zugmaschine mit Anhänger anvertraut, um beim Evakuieren des Lagers mitzuhelfen. Nach einer abenteuerlichen Fahrt informierte uns der verantwortliche SS-Mann, daß die Amerikaner in der Nähe seien und wir jetzt tun könnten, was wir wollten.

Wir erreichten schließlich Schwerin (Mecklenburg), wo wir mehrere Zeugen aus dem Lager Sachsenhausen trafen, unter anderem auch meinen Bruder Paul. Er hatte sowohl den Todesmarsch von Sachsenhausen als auch andere Torturen überlebt. Ein paar Tage später konnten wir mit dem Zug nach Berlin fahren, wo wir eine Familie von Zeugen ausfindig machten, die uns gastfreundlich aufnahm.

Jene Familie war Brüdern und Schwestern, die aus Konzentrationslagern und Gefängnissen freigelassen worden waren, eine große Hilfe. 1946 heiratete ich Elli, eine Tochter dieser Familie. Dann endlich wurde ich getauft, denn das war in den Konzentrationslagern nicht möglich gewesen.

Es ist immer wieder eine große Freude gewesen, auf Kongressen Brüder zu treffen, mit denen ich in den Konzentrationslagern zusammen war. Diejenigen, die ihr Leben für ihre Brüder riskiert hatten, standen mir besonders nahe. Die sechs Glieder unserer Familie, die verhaftet worden waren — meine Mutter, meine Schwester Helene, meine Brüder Paul, Hans und Ernst sowie ich selbst —, haben zusammengerechnet 43 Jahre in Haft zugebracht. Auch meine Schwester Lisbeth bewahrte ihre Lauterkeit gegenüber Gott bis zu ihrem Tod im Jahre 1945.

Von Jehovas Kraft abhängig

Nach unserer Heirat durften Elli und ich einige Jahre im Magdeburger Bethel dienen sowie den Pionierdienst durchführen, bis wir dann unsere beiden Söhne großzuziehen hatten. Wir sind wirklich dankbar, daß unser Sohn Hans-Joachim als Ältester dient und seine Frau Pionier ist. Leider hat unser anderer Sohn nicht am christlichen Lauf festgehalten.

Seit meinen Erlebnissen im Konzentrationslager sind über 45 Jahre vergangen. Doch selbst heute hat der Gott aller unverdienten Güte meine Schulung keineswegs beendet (1. Petrus 5:10). Oft werde ich an die Worte des Apostels Paulus aus 1. Korinther 10:12 erinnert: „Wer daher denkt, er stehe, der sehe zu, daß er nicht falle.“

Heute, mit 81 Jahren, bin ich dankbar, daß ich immer noch als Ältester dienen und im Werk des Zeugnisgebens tätig sein kann. Außerdem bin ich glücklich, daß ich einer Anzahl Menschen helfen durfte, sich Jehova hinzugeben und sich taufen zu lassen. Auch das betrachte ich als einen Ausdruck der unverdienten Güte Jehovas. (Von Josef Rehwald erzählt.)

[Bild auf Seite 20]

Josef Rehwald im Jahre 1945

[Bild auf Seite 21]

Die Familie Rehwald um das Jahr 1914. Die Mutter hat den kleinen Josef auf dem Schoß.

[Bild auf Seite 23]

Josef und Elli Rehwald mit ihrem Sohn Hans-Joachim und dessen Frau Ursula 1991 auf dem Kongreß in Berlin

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