Dem Altern mit Weisheit begegnen
DIE Lebensgeschichte eines alten Mannes aus dem Nahen Osten, der viele Härten und Unglücksschläge erlebt hatte, schließt mit der Versicherung, er sei gestorben, „alt und mit Tagen gesättigt“. Er war weit über 140 Jahre alt geworden (Hiob 42:16, 17).
Ein anderer Mann im Nahen Osten erreichte das hohe Alter von 175 Jahren. In dem Bericht heißt es: „[Er] starb in gutem Alter, alt und mit Tagen gesättigt.“ Ja, es ist möglich, selbst in fortgeschrittenem Alter ein befriedigendes Leben zu führen (1. Mose 25:7, 8).
In einem Alter, das wir heute als außergewöhnlich hoch bezeichnen würden, war einer von diesen beiden Männern bereit, das bequeme Stadtleben aufzugeben und mit seiner ganzen Hausgemeinschaft in ein fremdes Land zu ziehen. Die erste Etappe führte über etwa 1 000 Kilometer — und das ohne die heutigen Beförderungsmittel. Der andere Mann hatte sehr ernste gesundheitliche Probleme. Beide mußten noch in fortgeschrittenem Alter Kinder großziehen.
Einer von ihnen erlebte, wie ein Teil des Landes, in dem er wohnte, von den vereinten Invasionstruppen von vier Königen überrannt wurde. Er musterte etwa 300 Mann, um mit ihnen den Eindringlingen nachzujagen und einen geliebten Verwandten zu befreien. Später sah er, wie zwei blühende Städte durch das Eingreifen Gottes vernichtet wurden. Zweimal wurde seine schöne Frau von mächtigen Königen vorübergehend weggenommen.
Beide älteren Männer — Hiob und Abraham — mußten in ihrem Leben viel mitmachen, dennoch lebten sie lange und führten ein zufriedenes Leben. Was war ihr Geheimnis?
Heutige Probleme des Alters
Unterscheiden sich die Probleme, denen sich ältere Menschen heutzutage gegenübersehen, wirklich so sehr von denen vergangener Zeiten? Verlieren nicht auch heute einige ältere Menschen ihr Vermögen oder sogar die Mittel zum Lebensunterhalt?
Einige verlieren ihre Wohnung oder ihr Haus und müssen in eine unbekannte Umgebung ziehen. Nahe Angehörige und Freunde sowie Ehepartner sterben. Gesundheitliche Probleme gehören zu den unangenehmsten Erscheinungen, mit denen sich viele abfinden müssen. Traurigerweise ziehen sich einige Kinder von ihren Eltern zurück, unterstützen sie nicht und überlassen sie sich selbst mit ihren Problemen.
Wir brauchen nicht weiter auf diese Problematik einzugehen, denn sie ist uns allen nur zu gut bekannt. Wir können jedoch nach vernünftigen Lösungen suchen.
Einstellung gegenüber dem Altern
Manch einer muß seine Einstellung korrigieren; sie könnte die Ursache dafür sein, daß er unglücklich ist. Zum Beispiel bestehen einige ältere Menschen darauf, allein zu leben, obwohl sie sich eigentlich nicht mehr selbst versorgen können. Eine behinderte Frau, die allein auf einem großen Grundstück lebte, brachte ein Schild an der Tür an mit der Aufschrift: „Draußen bleiben!“ Sie war der Meinung, alle würden es auf ihr Geld und auf ihr Land abgesehen haben; sie mißtraute jedem.
Eine solche Person begegnet dem Altern nicht mit Weisheit. Was für eine traurige Situation! Natürlich kann man nicht jedem vertrauen. Aber wieviel besser ist es doch, erstens die Tatsache zu akzeptieren, daß man einigen sehr wohl vertrauen kann, und zweitens die Freundschaft und Unterstützung von Personen anzunehmen, die wirklich helfen möchten.
Manche Ältere denken, sie hätten ihr Leben gelebt. Doch sie leben noch, und sie werden verspüren, wie gut es ist, den Sinn aktiv zu halten und das Denkvermögen voll auszunutzen. Das Lernen übersteigt nicht ihre Fähigkeiten, im Gegenteil, es kann sie bereichern, auch wenn es etwas länger dauert als in jüngeren Jahren.
Das Alter — eine Welt für sich
Im Lehrmaterial einer Berufsschule wird unter dem Thema Geriatrie gesagt, Ältere brauchten das Gefühl der körperlichen und geistigen Unabhängigkeit. Sie müßten auch das Gefühl haben, geliebt und gebraucht zu werden, jemandem nützlich zu sein und etwas für sich selbst tun zu können. Weiter heißt es, Ältere benötigten das Gefühl, zu jemandem — seien es Angehörige oder Freunde — zu gehören; auch würden sie von religiöser Gemeinschaft profitieren.
Was für eine Einstellung ist somit für ältere Menschen am besten? Von großem Wert ist eine optimistische Einstellung. Eine Frau, die offensichtlich auf den Lebensabend als einen neuen Abschnitt ihres Lebens blickte, war die 90jährige Mutter eines früheren amerikanischen Präsidenten. In ihren Memoiren schrieb sie: „Das Alter braucht nicht gefürchtet zu werden ... Es kann kostbar und befriedigend sein ... Der Herbst unseres Lebens wird von dem Leben geformt, das wir bis dahin geführt haben.“ Durch eine solche Einstellung werden die späteren Jahre des Lebens an Bedeutung gewinnen.
Wie aus dem oben erwähnten Lehrmaterial weiter hervorgeht, sind glückliche ältere Menschen Personen, die es schaffen, sich selbst weiterzubilden, indem sie neuen und befriedigenden Interessen nachgehen, anspruchsvolle Hobbys haben oder sich zulegen, etwas Sinnvolles unternehmen, tiefgehende Freundschaften pflegen und es lernen, das Leben zu schätzen sowie innerhalb der Grenzen ihrer körperlichen Möglichkeiten zu leben.
Wie steht es mit den unausweichlichen Problemen des Lebens? In dem Buch Seelische Wandlungen beim alternden Menschen heißt es: „Es ist wohl selbstverständlich, daß jede Bindung an höhere Werte, besonders die Kraft, die im Glauben liegt, den Menschen hilft, Konflikte und Verluste zu tragen ...; gerade beim alternden Menschen sollten die religiösen Bindungen gefestigt ... werden.“
Einige halten es für das wichtigste, das Leben bis zur Neige auszukosten. Eine weißhaarige 61jährige frönt ihrer Leidenschaft für PS-starke Motorräder als Mitglied eines Motorradklubs, der nur Personen aufnimmt, die über 40 sind. Natürlich empfiehlt Erwachet! älteren Menschen hiermit nicht, Motorrad zu fahren.
Ein älteres Ehepaar hat das Motto: „Gräm dich nicht über dein Alter — und werde nicht inaktiv, wenn du auf Rente gehst.“ Getreu diesem Motto radelten sie 1980 von Los Angeles nach New York. 1976 waren sie in den Ruhestand getreten. In den vier Jahren danach radelten der Mann (69) und seine Frau (64) mehr als 25 000 Kilometer durch Kanada, die Vereinigten Staaten, Norwegen, Belgien, die Niederlande, Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Wiederum empfehlen wir niemandem, sein Leben mit solchen Unternehmungen auszufüllen, denn dies würde einem wahrscheinlich nur wenig oder gar keine Zeit lassen, die wahre Anbetung Gottes kennenzulernen und auszuüben. Das Beispiel zeigt jedoch, daß einige ältere Menschen noch sehr viel aus ihrem Leben machen können.
Produktive Betätigungen und Dinge, die man für andere tut, können einem helfen, mit Würde alt zu werden. Eine Gruppe von zum Teil über 70jährigen Handwerkern im Ruhestand bewahrten sich ihre Fähigkeiten, indem sie bei anderen älteren Menschen im Großraum Vancouver (Kanada) kostengünstig Hausreparaturen ausführten. Im Hinblick auf die Auswirkungen dieser Arbeit auf die Handwerker selbst sagte ein Mann: „Es ist eine gute Therapie. Es hält sie beschäftigt.“ In einem Zeitungsbericht hieß es, sie seien nicht ausgelaugt, sondern einfach nur auf Rente. Diese Männer sind der Ansicht, den Rest des Lebens vor dem Fernsehgerät zu verbringen sei nur etwas für diejenigen, die nichts anderes mehr machen könnten.
Die Rolle der Wertschätzung
Auch die Wertschätzung für das Leben ist von Bedeutung. Ein geistig reger 87jähriger aus Britisch-Kolumbien (Kanada) zeigte für das Leben an sich große Wertschätzung. Seine Maxime für das Älterwerden in Weisheit lautete: „Bewahr dir einen regen Geist, und bleib im Herzen jung. Lebe einen Tag nach dem anderen.“ Er hatte sich nie auf das Alter vorbereitet, sondern blieb einfach mit der Pflege seiner Obstbäume an der frischen Luft beschäftigt. Um sich seiner veränderten Situation anzupassen, bewahrte er sich sein echtes Interesse an anderen und war stets bemüht, mit den Weltereignissen auf dem laufenden zu bleiben.
Auch wenn die Stellung Älterer in der Familie und in der Gesellschaft dem Wandel unterworfen ist, so müssen sie deshalb noch lange nicht jegliches Interesse am Leben verlieren oder in schwere Depressionen verfallen. Werden sie während dieser Zeit von Freunden und Angehörigen unterstützt, kann sich das sehr positiv auswirken, da sie dann ihre Erfahrungen und ihre Freuden mit anderen teilen können. Ein alleinlebender älterer Mann in Britisch-Kolumbien sagte: „Wenn ältere Menschen von ihren Angehörigen vernachlässigt werden, neigen sie dazu, in der Vergangenheit zu leben, und das ist nicht gut.“ Er schätzt seine weitverstreut lebende Familie und ihr treues Bemühen, mit ihm in Kontakt zu bleiben. „Das Telefon ist“, wie er erklärte, „für ältere Menschen etwas Wunderbares.“
Ein Mann, der wegen ernster Probleme mit dem Herzen vorzeitig in den Ruhestand gehen mußte, äußerte sich zu der Gefahr, in der Vergangenheit zu leben. Sein Leben war sehr ausgefüllt, er hatte erfolgreich einen Betrieb geleitet und als Ältester in einer Versammlung der Zeugen Jehovas gedient. Trauerte er nun ständig dem hinterher, was er nicht mehr tun konnte? „Nein“, erklärte er, „eigentlich nicht. Ich bin zufrieden, mein Bestes getan zu haben. Ich habe das Fundament gelegt, auf dem andere weiterbauen.“
Sein Verhältnis zu seinen verheirateten Töchtern und ihren Familien wurde im Laufe der Jahre eine, wie er sagte, „immer nähere Nähe“. Er und seine Frau schätzen ihre lieben Angehörigen und haben es gelernt, Entscheidungen für die Familien ihrer Kinder denjenigen zu überlassen, denen es zusteht, sie zu treffen — ihren erwachsenen Kindern. Ansonsten käme es nur zu Reibereien und Kummer sowie zu den allgemein bekannten Problemen zwischen angeheirateten Verwandten.
Wieviel Freude geht Großeltern doch verloren, wenn ihre Rolle nicht geschätzt wird! Aber wie glücklich es sie doch macht, beispielsweise das zu hören, was ein Enkelkind zu seinem Großvater sagte, der längere Zeit im Krankenhaus war: „Bompa! Wo warst du? Du hast uns gefehlt!“
Da in der heutigen Welt Selbstsucht und ein Mangel an natürlicher Zuneigung vorherrschend sind, bekommen nicht alle alternden Menschen die moralische und physische Unterstützung, die sie brauchen, um Problemen mit Ruhe und Gelassenheit zu begegnen. Die Leiterin eines Akutpflegezentrums in Kanada beurteilte die Situation folgendermaßen: „Viele dieser älteren Menschen verlassen ein nettes Zuhause und kommen hierher, wo sie nur ein Bett und einen Schrank haben. Wenn das Beerdigungsinstitut sie dann abholt, bleibt nur ein Kästchen zurück, in dem sich alles befindet, was sie noch besessen haben. Es ist erschütternd, das mitzuerleben.“ Doch in einigen Fällen sind solche Einrichtungen für Familien, die für die Betreuung eines geliebten älteren Angehörigen sorgen möchten, der einzige Ausweg.
Der Zukunft mit Weisheit begegnen
Manchen Prognosen zufolge soll es irgendwann einmal Medikamente geben, durch die das Altern besiegt werden kann, so wie man heute bestimmte Krankheiten unter Kontrolle hält. Bieten jedoch solche Illusionen unvollkommener Menschen, jemandem, dessen Lebensdauer sich den biblischen siebzig oder achtzig Jahren nähert, eine echte, stärkende Hoffnung? (Psalm 90:10).
Tausende von älteren Menschen haben in Gottes Wort, der Bibel, eine Hoffnung gefunden, die ihre Lebenskraft stärkt. Sie vertrauen jetzt auf die sicheren Verheißungen des „Alten an Tagen“ — Jehova Gott (Daniel 7:9, 13). Eine dieser Verheißungen besagt, jemandes „Fleisch werde frischer als in der Jugend“ werden. Und: „Er kehre zurück zu den Tagen seiner Jugendkraft“ (Hiob 33:25). Selbst diejenigen, die im Tod schlafen, werden zu einem solchen Leben in Gottes gerechter neuer Welt erwachen, einer Welt, die bald das gegenwärtige unbefriedigende System der Dinge ersetzen wird (Apostelgeschichte 24:15; 2. Petrus 3:13). Diese zuverlässige Hoffnung war es, die es Abraham und Hiob ermöglichte, „alt und mit Tagen gesättigt“ zu werden.
Lebt man heute gemäß solchen zutiefst zufriedenstellenden Werten, zahlt man sozusagen auf ein Bankkonto für die Zukunft ein. Hat ein älterer Mensch außerdem Angehörige und Freunde, die ihn unterstützen, und hat er etwas Sinnvolles zu tun, so kann es ihm relativ gut gehen. Vor allem ein enges Verhältnis zu Jehova — dem einen, der Befreiung vom Altern und vom Tod verheißen hat — ermöglicht es, dem Altern mit Weisheit zu begegnen. Ja, diejenigen, die in Gottes Gunst stehen, „werden noch fortfahren zu gedeihen, während sie ergraut sind“ (Psalm 92:14).