Die Kirche — Veränderungen und Verwirrung
„Viele Gläubige sind wegen der Veränderungen, die man ihnen aufdrängt, beunruhigt“ (L’Histoire, Juli/August 1987).
„Wenn sich auch nur ein einziges Verbindungsstück löst ..., ist das Gebäude nicht mehr klar auszumachen. ... Wird die Hostie [die bei der Messe verwendete „geweihte Oblate“] in die Hand statt auf die Lippen gelegt, dann ‚zerbricht daran der Glaube einer großen Zahl von Franzosen‘“ (Voyage à l’intérieur de l’Église Catholique).
„Durch die Liturgiereform und die Einführung der Landessprache hat die Kirche anscheinend die große Masse der praktizierenden Gläubigen, die gewissen unverrückbar geglaubten Traditionen verhaftet waren, verloren. ... Plötzlich erhielt das Pflichtgefühl einen Riß, und der Glaube geriet ins Wanken“ (Nord Eclair, 24./25. April 1983).
DIE obigen Zitate zeigen deutlich, wie verwirrt viele Katholiken sind. Eine Frage taucht in ihrem Sinn immer wieder auf: „Unsere Eltern und Großeltern besuchten die in Latein gehaltene Messe und beteten auf eine ganz bestimmte Weise. Wie konnte das alles über Nacht ungültig werden?“
Auch die Annäherung der Kirche an andere Religionen verursacht Probleme. Die französische Zeitung Le Monde erklärt: „Die Gläubigen ... fühlen sich betrogen. Zu oft hat man ihnen gesagt, ihre Religion sei die einzig wahre oder zumindest die beste.“ Ein Großteil der Katholiken ist zwar dafür, mit den „von ihnen getrennten Brüdern“, ob orthodox oder protestantisch, ins Gespräch zu kommen, aber viele, denen man beigebracht hat, daß es außerhalb der Kirche kein Heil gebe, verstehen den Meinungsumschwung der Kirche nicht. Die neue Haltung ist maßgeblich an dem Schisma zwischen dem Vatikan und den Traditionalisten schuld, deren geistlicher Führer, der inzwischen verstorbene Erzbischof Marcel Lefebvre, 1988 von Papst Johannes Paul II. exkommuniziert wurde.
Zurückweisen der Autorität
Die Katholiken bringen ihre Verwirrung oft dadurch zum Ausdruck, daß sie die Autorität der Kirche in Frage stellen. Obwohl man Johannes Paul II. zugute hält, daß er für eine gerechte Welt Stellung bezieht, weigern sich viele Katholiken, sich an die moralischen Vorschriften zu halten, für die er in seinen öffentlichen Reden eintritt. So greift ein Großteil der katholischen Ehepaare zu Verhütungsmethoden, die von der Kirche verurteilt werden. Andere lassen Abtreibungen vornehmen.
Die Autorität der Kirche wird auf allen Ebenen angezweifelt. Daß der Papst und hohe Prälaten in irgendeiner Frage einen bestimmten Standpunkt einnehmen, hält Laien, Priester und sogar Bischöfe nicht davon ab, ihnen zu widersprechen. In dem Buch Die Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils heißt es dazu: „Auch in dieser Hinsicht hat die Situation, die auf dem [Zweiten Vatikanischen] Konzil bestand, im Leben der Kirche eine Fortsetzung gefunden. Die römisch-katholische Kirche ist heute ein Ort permanenter und lebendiger Auseinandersetzung. Päpstliche Weisungen werden offen und oft auch kritisch diskutiert. Immer größere Kreise in der römisch-katholischen Kirche erklären, daß sie sich mit bestimmten päpstlichen Erklärungen nur partiell oder überhaupt nicht zu identifizieren vermögen.“
Eine Reihe Katholiken hat die Veränderungen aus Treue zur Kirche hingenommen und praktiziert nach wie vor die kirchlichen Riten. Andere sind über die Situation beunruhigt und geben sich damit zufrieden, sich am Rande der Kirche aufzuhalten. Nach aktuellen Statistiken gibt es außerdem eine große Gruppe nomineller Katholiken, die der Kirche keinerlei Unterstützung mehr zukommen läßt.
Die religiöse Verwirrung beschränkt sich nicht auf die katholische Kirche in Frankreich. Auch in den Niederlanden erleben sowohl Katholiken als auch Protestanten eine Krise, wie im folgenden Artikel ausgeführt wird.
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Bürgerkrieg in der Kirche von England?
Von unserem Korrespondenten in Großbritannien
IST so etwas nicht nahezu ausgeschlossen? Nicht, wenn man der Londoner Sunday Times glauben darf. „Die Kirche von England ist entzweigerissen“, verkündete die Zeitung. „Die gespaltene Kirche bewegt sich auf einen Bürgerkrieg zu.“ Was hat dazu geführt, daß Englands fest gegründete Kirche in einen so beklagenswerten Zustand geraten ist? Es ist die beabsichtigte Ordination von Frauen.
In einer historischen Entscheidung hat die anglikanische Kirche vergangenen November mit einer Zweidrittelmehrheit dafür gestimmt, Frauen zu Priestern zu ordinieren. Rund 3 500 Geistliche, das heißt ein Drittel des gesamten Klerus der Kirche, sind angeblich gegen den Beschluß, und einige haben die Kirche in ihrer Fassungslosigkeit bereits verlassen. Unter der Leitung des ehemaligen Bischofs von London möchten andere ihr anglikanisches Selbstverständnis bewahren, während sie gleichzeitig „Gemeinschaft mit dem Stuhl Petri“ in Rom erstreben.
Der Erzbischof von Canterbury führte die Kampagne zugunsten der Reform an. „Durch die Ordination von Frauen zu Priestern“, so sagte er, „ändert sich weder etwas am Wortlaut der Glaubensbekenntnisse oder der Schriften noch am Glauben unserer Kirche.“ Weiter führte er aus: „Es kann sogar sein, daß die Kirche dadurch in den Augen der übrigen Welt an Glaubwürdigkeit gewinnt. Sie praktiziert dann tatsächlich das, was sie über Gleichheit predigt.“
Dem stimmen jedoch nicht alle zu. Ein Laie, der in Verbindung mit dem Urteil der Synode von Abtrünnigkeit sprach, verließ die Kirche, sobald das Ergebnis bekannt war, und wurde katholisch. „Die Entscheidung, Frauen zu ordinieren, ist für die Leute ein Schock gewesen. Ihr Glaube ist in Aufruhr geraten. Die meisten wissen nicht, was sie tun sollen“, klagte ein Londoner Kleriker. Währenddessen heißt der Vatikan Überläufer vorsichtig willkommen und beurteilt den kirchlichen Entschluß als „neues und gravierendes Hindernis im gesamten Versöhnungsprozeß“.
Schätzungsweise 1 400 Frauen warten auf die Ordination, doch zunächst muß das britische Parlament seine Zustimmung geben, gefolgt von der königlichen Genehmigung. Das alles kann bis zu zwei Jahre dauern. Es wird interessant sein, zu beobachten, in welchem Zustand die Kirche von England dann ist.
[Bildnachweis auf Seite 7]
Camerique/H. Armstrong Roberts