Läßt sich die Reinkarnationslehre begründen?
GEGEN die Lehre der Reinkarnation spricht unter anderem, daß die allermeisten der heute lebenden Menschen nicht die geringste Erinnerung an ein früheres Leben haben. Zudem denken sie noch nicht einmal an die Möglichkeit, bereits mehrmals gelebt zu haben.
Manchmal hat man allerdings das seltsame Gefühl, einem Menschen, den man zum ersten Mal sieht, bereits früher begegnet zu sein. Ein Haus, eine Stadt oder eine Landschaft mag einem bekannt vorkommen, obwohl man weiß, daß man noch nie zuvor dort gewesen ist. Solch ein Gefühl des Vertrautseins läßt sich jedoch erklären, ohne auf die Lehre der Reinkarnation zurückgreifen zu müssen.
Bestimmte Gegenden beispielsweise, die weit voneinander entfernt liegen, können sich in gewisser Hinsicht ähneln, so daß man, wenn man sich zum ersten Mal in einer solchen Gegend aufhält, das Gefühl hat, man wäre dort früher schon gewesen, obwohl das nicht der Fall ist. Viele Häuser, Büros, Geschäfte, Städte und Landschaften in verschiedenen Teilen der Welt haben miteinander eine gewisse Ähnlichkeit. Die Tatsache, daß sie dem ähneln, was man schon einmal gesehen hat, beweist hingegen nicht, daß man sie aus einem früheren Leben kennt. Sie gleichen lediglich Örtlichkeiten, die einem vertraut sind.
Das gleiche trifft auf Menschen zu. Manche Personen ähneln sich ziemlich stark, womöglich hat der eine oder andere sogar einen Doppelgänger. Jemand mag eine Eigenart haben, die uns an eine andere Person erinnert oder auch an einen Verstorbenen. Doch diese Menschen haben wir während unseres jetzigen Lebens kennengelernt und nicht im Laufe irgendeines früheren Daseins. Stellen wir Gemeinsamkeiten im Aussehen oder in der Persönlichkeit fest, bedeutet das nicht, daß wir den Betreffenden aus einem früheren Leben kennen. Zweifellos verwechseln wir alle von Zeit zu Zeit eine Person mit einer anderen. Doch beide Personen leben zur gleichen Zeit wie wir; wir kennen sie nicht aus einem früheren Leben. Mit Reinkarnation hat das nichts zu tun.
Die Rolle der Hypnose
Selbst Erfahrungen, die jemand macht, der in Hypnose versetzt wird, lassen sich erklären, ohne die Lehre von der Reinkarnation zu Hilfe nehmen zu müssen. Unser Unterbewußtsein gleicht einem Informationsdepot, das ein weitaus größeres Fassungsvermögen hat, als wir uns vorstellen mögen. Dieses „Depot“ erhält seine Informationen durch Bücher und Zeitschriften, durch Fernsehen und Radio sowie durch Beobachtungen und Erfahrungen.
Ein Großteil der Informationen wird in einem versteckten Winkel unseres Unterbewußtseins gespeichert, weil wir keine direkte oder sofortige Verwendung dafür haben. Das Unterbewußtsein ähnelt Büchern einer Bibliothek, die in irgendein Regal gestellt werden, weil die gegenwärtige Nachfrage gering ist.
Unter Hypnose findet jedoch eine Bewußtseinsänderung statt, so daß verschüttete Erinnerungen an die Oberfläche gelangen. Einige interpretieren diese als Bestandteil eines früheren Lebens, doch sie sind nichts weiter als Erfahrungen, die wir in unserem gegenwärtigen Leben gemacht haben, die aber vorübergehend in Vergessenheit geraten waren.
Es gibt allerdings einige wenige Fälle, die sich nicht so leicht auf natürliche Weise erklären lassen. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn eine hypnotisierte Person in einer anderen „Sprache“ redet. Manchmal ist diese Sprache zu verstehen, oft aber bleibt sie unverständlich. Befürworter der Reinkarnation werden wahrscheinlich sagen, es handle sich hierbei um die Sprache, die der Betreffende in seinem früheren Leben gesprochen habe.
Es ist weithin bekannt, daß Menschen „in Zungen reden“, wenn sie in einen Zustand mystischer oder religiöser Ekstase geraten. Diese Personen sind allerdings davon überzeugt, daß dieses Phänomen nicht mit einem früheren Leben zusammenhängt, sondern daß sie in ihrem jetzigen Leben unter dem Einfluß irgendeiner unsichtbaren Macht stehen.
Die Meinungen, worum es sich bei dieser Macht handelt, gehen auseinander. In einer gemeinsamen Erklärung des Fountain Trust und des Rates der Evangelikalen der Kirche von England hieß es im Hinblick auf das Zungenreden: „Wir wissen auch, daß ein ähnliches Phänomen unter dem Einfluß okkulter/dämonischer Kräfte auftreten kann.“ Es wäre daher falsch, zu schlußfolgern, ein solches Phänomen sei der Beweis für ein früheres Leben.
Todesnähe-Erlebnisse
Was läßt sich nun aber zu den Todesnähe-Erlebnissen sagen, von denen einige berichten? Manche deuten sie als Beweis dafür, daß der Mensch eine Seele habe, die nach dem Tod des Körpers weiterlebe. Die „Todeserfahrungen“ lassen sich jedoch auf verschiedene logische Weise erklären.
In einer Ausgabe des französischen Wissenschaftsmagazins Science & Vie (März 1991) werden die unterschiedlichen Stadien der Sterbeerfahrung als „Universalprototyp der Halluzination“ bezeichnet, von dem man schon lange Kenntnis hat. Nicht nur Beinahetote haben solche Erlebnisse. Sie können ebenfalls in Verbindung mit „Müdigkeit, Fieber, epileptischen Anfällen und Drogenmißbrauch“ auftreten.
Wilder Penfield, ein Pionier auf dem Gebiet der Neurochirurgie, machte eine interessante Entdeckung, als er Epileptiker operierte, die nur örtlich betäubt worden waren. Indem er mit Hilfe einer Elektrode auf verschiedene Punkte des Gehirns einen Reiz ausübte, bewirkte er, daß der Patient das Gefühl hatte, sich außerhalb seines Körpers zu befinden, durch einen Tunnel zu reisen oder verstorbene Angehörige zu treffen.
Besonders interessant in dieser Hinsicht ist, daß Kinder, die Todesnähe-Erlebnisse hatten, nicht verstorbene Angehörige, sondern Schulkameraden oder Lehrer „trafen“ — Menschen also, die noch am Leben waren. Das läßt vermuten, daß solche Erlebnisse in einer gewissen Verbindung mit dem Kulturkreis des Beinahetoten stehen. Das Erlebte hängt mit dem jetzigen Leben zusammen, nicht mit etwas, was nach dem Tod folgt.
Dr. Richard Blacher schrieb im Journal of the American Medical Association: „Zu sterben oder in Lebensgefahr zu schweben ist ein Vorgang; der Tod dagegen ist ein Zustand.“ Er führte das Beispiel einer Person an, die zum ersten Mal von den Vereinigten Staaten nach Europa fliegt. „Der Flug dorthin ist nicht das gleiche wie [ein Aufenthalt in] Europa“, schrieb er. Genausowenig, wie ein Tourist, der nach Europa reisen will, dessen Flugzeug jedoch wenige Minuten nach dem Start wieder umkehrt, etwas über Europa berichten kann, kann derjenige, der aus einem Koma erwacht, etwas vom Tod erzählen.
Mit anderen Worten: Diejenigen, die dem Tod nahe gewesen sind, waren nie wirklich tot. Sie haben etwas erlebt, während sie noch am Leben waren. Und selbst Sekunden bevor der Tod eintritt, ist man noch am Leben. Sie waren dem Tod nahe, aber noch nicht tot.
Sogar derjenige, dessen Herz kurzzeitig ausgesetzt hat und der wiederbelebt wurde, hat in Wirklichkeit nicht die geringste Erinnerung an den Moment der Bewußtlosigkeit, an die Zeit, in der er „tot“ war. Und wenn überhaupt, dann erinnert er sich an die Zeit, die dem Herzstillstand unmittelbar vorausging, und nicht an den Moment des Herzstillstands selbst.
Die veröffentlichten Todesnähe-Erlebnisse werden fast immer als etwas Positives geschildert, obwohl bekannt ist, daß auch negative Erfahrungen gemacht werden. Die französische Psychoanalytikerin Catherine Lemaire erklärt dies wie folgt: „Wer ein ... [Todesnähe-Erlebnis] gehabt hat, das nicht dem von der IANDS [Internationale Gesellschaft für Todesnähe-Studien] erstellten Muster entspricht, hat kein Interesse daran, darüber zu berichten.“
Keine Erinnerung
Tatsache ist, daß wir weder ein früheres Dasein hatten noch nach dem Tod weiterleben. Somit können wir uns richtigerweise nur an etwas erinnern, was wir während unseres gegenwärtigen Lebens erlebt haben.
Nach Meinung der Verfechter der Reinkarnation liegt der eigentliche Sinn einer Wiedergeburt darin, jemandem eine zweite Chance zu geben, seine Situation zu verbessern. Wenn wir wirklich bereits mehrmals gelebt hätten, diese früheren Leben jedoch aus unserer Erinnerung gelöscht wären, wäre das ein großer Nachteil. Nur wenn wir uns an unsere Fehler erinnern, können wir aus ihnen lernen.
Die Befürworter der sogenannten Reinkarnationstherapie sind außerdem der Ansicht, man werde mit heutigen Problemen besser fertig, wenn man sich mit Hilfe von Hypnose an frühere Leben erinnere. Gemäß ihrer Lehre werden wir wiedergeboren, um etwas zu verbessern; allerdings haben wir vergessen, um was es sich dabei handelt.
Heutzutage gilt es als Handicap, wenn jemand sein Gedächtnis verliert. Was die Wiedergeburt angeht, muß es ebenso sein. Das Argument, ein solcher Gedächtnisverlust sei nicht weiter schlimm, da sowieso nur gute Menschen wiedergeboren würden, ist in einer Zeit, in der das Böse die Weltszene in einem noch nie dagewesenen Ausmaß beherrscht, nicht gerade vernünftig zu nennen. Woher kommen denn all die bösen Menschen, wenn nur gute wiedergeboren werden? Müßte die Zahl der Bösen nicht kontinuierlich abnehmen? Die Wahrheit ist: Niemand, ob gut oder böse, wird zu irgendeinem Zeitpunkt wiedergeboren, um als Mensch oder als eine andere Daseinsform eine neue Existenz zu beginnen.
„Ist die Reinkarnation aber nicht eine biblische Lehre?“ mag jemand einwenden. Diese Frage wird im nächsten Artikel behandelt.
[Herausgestellter Text auf Seite 6]
Das Unterbewußtsein gleicht einer Informationssammlung, die beiseite gestellt wurde, zu einem späteren Zeitpunkt aber wieder hervorgeholt werden kann
[Herausgestellter Text auf Seite 7]
„Der Tod ... ist ein Zustand“, kein Vorgang (Dr. Richard Blacher im Journal of the American Medical Association)