Reis — Parboiled Reis oder lieber Rohreis?
VON UNSEREM KORRESPONDENTEN IN INDIEN
„MÖCHTEST du parboiled Reis oder Rohreis?“ Diese Frage wird dir möglicherweise gestellt, wenn du in einem indischen Haus zu Gast bist. Über 60 Prozent des Reises, der in Indien gegessen wird, ist parboiled (halb gekocht). Interessanterweise bezeichnen Inder den Reis, der in den westlichen Ländern vorwiegend verzehrt wird, als Rohreis.
Das Ganze klingt vielleicht nicht mehr so verwirrend, wenn man weiß, daß wir hier nicht von der Zubereitung des Reises sprechen, sondern davon, wie die Inder die Reiskörner nach der Ernte verarbeiten. Was geschieht also bei der Verarbeitung, und warum geht man so vor? Eine eingehendere Betrachtung des Reiskorns und seiner Verarbeitung als Nahrungsmittel gibt darüber Aufschluß.
Grundnahrungsmittel für Millionen
Archäologische Funde und alte Aufzeichnungen lassen erkennen, daß Reis in Indien und in China bereits im dritten Jahrtausend v. u. Z. kultiviert wurde. Die alten Inder nannten den Reis dhanya, „Erhalter der Menschheit“. Diese Bezeichnung ist nach wie vor gerechtfertigt, denn von Reis ernähren sich mehr Menschen als von irgendeiner anderen Feldfrucht. Die meisten dieser Menschen leben in Asien, wo gemäß einer Veröffentlichung über 600 Millionen Menschen die Hälfte ihres täglichen Kalorienbedarfs allein durch Reis decken und wo über 90 Prozent des Reises produziert und konsumiert werden.
Das feuchte, tropische Gangesdelta ist eines der Hauptanbaugebiete für Reis. Da es dort reichlich regnet und warm ist und es außerdem an Arbeitskräften nicht fehlt, eignet sich dieses Gebiet ideal zur Reiskultivierung. Folgen wir doch der Einladung unserer Freunde, die in einem Dorf in dieser Gegend wohnen, und erleben wir die Ernte und die Weiterverarbeitung von Reis hautnah mit.
Die Reisernte
Wir fahren mit dem Bus bis nach Jaidercote (West Bengal); von dort aus geht unsere Reise ins Landesinnere mit der Fahrradrikscha weiter. Bald darauf kommen wir zu den Reisfeldern, auf denen reger Betrieb herrscht. Hier ist weit und breit kein Mähdrescher zu sehen. Statt dessen sind Väter, Söhne, Onkel und Brüder auf den Feldern damit beschäftigt, die Halme sicher und geschickt mit einer kleinen Sichel büschelweise zu ernten. Als ein Erntehelfer unsere Kamera entdeckt, bindet er schnell sein Reisbündel mit Strohhalmen zusammen und wirft sich in Pose. Wir finden es amüsant, wie gern sich die Dorfbewohner inzwischen fotografieren lassen.
Die Reisbündel läßt man einige Tage in der Sonne liegen, damit sie trocknen. Dann können auch die jüngeren Familienmitglieder helfen; geschickt tragen sie die raschelnden, getrockneten Reisgarben auf dem Kopf nach Hause.
Schließlich kommen wir im Dorf an. „Wie geht’s, Dada?“ begrüßen wir unseren Gastgeber respektvoll. Sein Lächeln verrät uns, daß alles in Ordnung ist, und wir sehen seine Frau weghuschen, um Tee zu kochen.
Während wir unseren Morgentee trinken, erkundigen wir uns danach, wie die Ernte in diesem Jahr bis jetzt ausgefallen ist. „Nicht so übel“, antwortet er mit der für einen Landwirt typischen Zurückhaltung, doch dann klagt er über das Hochleistungssaatgut, das man in den letzten Jahren verwendet hat und das zu Bodenmüdigkeit führt. Zuerst schien man damit die reinsten Wunderernten zu erzielen, doch inzwischen sieht es ganz anders aus. Der Kunstdünger, den man für das Hochleistungssaatgut benötigt, ist teuer und für unseren Gastgeber unerschwinglich.
Dreschen und Herstellen von parboiled Reis
Nachdem wir einen kleinen Imbiß zu uns genommen haben, bitten wir die Familie, sich bei der Ernte nicht weiter aufhalten zu lassen, denn wir wollten ihnen ja dabei zusehen. Unsere Gastgeber haben den Reis bereits gedroschen. Aber nicht weit entfernt in einem Nachbarhaus sind die Frauen noch dabei. Sie schlagen mit den einzelnen Garben auf ein Gestell aus Bambusrohren, so daß die Körner durch die Ritzen fallen. Das übriggebliebene Stroh wird in einem Schober gelagert.
Ungeschälter Reis, der sogenannte Paddy, ist noch von harten Spelzen umhüllt, die ziemlich schwer verdaulich sind. Für alle, die gern Rohreis essen, muß der Reis also nur noch entspelzt und für den anspruchsvollen ausländischen Markt vielleicht noch poliert und geschliffen werden.
Der Reisertrag hier soll jedoch nicht exportiert, sondern von den Bauernfamilien selbst gegessen werden. Sie lagern die Körner im tikri, einem strohgedeckten Silo, der für die Vorräte der Familie groß genug ist. Im Gangesdelta wird in der Regel parboiled Reis gegessen; spaßeshalber schlagen wir unserem Gastgeber jedoch vor, es dieses Jahr einmal mit Rohreis zu versuchen.
„Auf keinen Fall“, antwortet er. „Hierzulande ist man an parboiled Reis gewöhnt, für Rohreis können wir uns nicht so begeistern.“
Wir haben zwar gehört, daß parboiled Reis eingeweicht und halb gekocht wird, aber wie das genau vor sich geht, wissen wir nicht. Deshalb nehmen wir das Angebot unseres Freundes, uns einmal vorzuführen, wie seine Familie parboiled Reis herstellt, freudig an. Man braucht dazu keine spezielle Ausrüstung, denn es wird immer nur so viel hergestellt, wie die Familie für ein bis zwei Wochen benötigt. Hierzu holt man bespelzten Reis aus dem tikri, wo er gelagert wird, gibt ihn in einen großen hanri oder Kochtopf und fügt ungefähr einen Liter Wasser hinzu. Das Ganze wird auf einem mit Stroh befeuerten Ofen, dem sogenannten oonoon, bei schwachem Feuer gekocht, bis das Wasser verdunstet ist. Der Reis wird dann über Nacht in einer Wanne mit frischem Wasser eingeweicht; nach dem Abseihen wird er wieder in den hanri gegeben, wo er noch einmal köchelt, bis keine Flüssigkeit mehr da ist. Schließlich werden die Körner auf dem Boden ausgebreitet, damit sie in der Sonne hart werden; von Zeit zu Zeit werden sie mit dem Fuß gewendet.
Wir haben den Eindruck, mit diesem Vorgang sei jede Menge zusätzliche Arbeit verbunden; aber parboiled Reis hat etwas für sich und trifft den Geschmack der Familie. Durch die spezielle Behandlung werden bestimmte Vitamine und Nährstoffe in das Endosperm oder Nährgewebe des Paddys gebracht. Sie gehen dann nicht so leicht verloren, wenn man den Reis später wäscht und kocht. Als Folge davon hat man eine nahrhaftere Mahlzeit. Dieser zusätzliche Nährwert kann bei Menschen, die sich hauptsächlich von Reis ernähren, buchstäblich über Leben oder Tod entscheiden.
Ein weiterer Vorteil, der den Landwirten fast noch mehr einleuchtet, besteht darin, daß sich parboiled Reis besser aufbewahren und leichter schälen läßt. Da die Körner außerdem härter sind, gibt es weniger Bruchreis.
Eine Kostprobe
„Jetzt ist es wieder Zeit für etwas Tee und einen Imbiß“, sagt unser Gastgeber. Wir gehen zurück zu seinem Haus, wo Dida — das bedeutet Omi — gerade moori zubereitet. Dieser frisch geröstete Puffreis ist bei allen sehr beliebt, besonders bei den Kindern. Dida hockt sich vor den oonoon, röstet einige Tassen geschälten parboiled Reis, den sie zuvor angefeuchtet und mit etwas Salz vermischt hat. Ist der Reis dann trocken und körnig, wirft sie jeweils eine Handvoll in eine Eisenpfanne mit heißem Sand. Während sie den Sand heiß hält, quillt der Reis auf das Vielfache seiner normalen Größe auf. Damit der fertige moori nicht verbrennt, wird er schnell mit einem Strohbüschel vom Sand gefegt. Mit dem Büschel können auch die kleinen Händchen in Schach gehalten werden, die in den Korb mit heißem moori wandern möchten.
Wir lassen uns den moori schmecken und essen dazu frische Kokosnuß, aber wir achten darauf, nicht zuviel zu essen, denn bald gibt es Mittagessen.
Als letztes befassen wir uns noch mit dem Schälvorgang. Bis vor kurzem geschah das mit Hilfe von Mörser und Stößel, dhenki genannt, eine Vorrichtung, die mit dem Fuß betrieben wurde; heute werden sogar in abgelegenen Gebieten Schälmaschinen eingesetzt, die viel schneller arbeiten. Einige Ältere bedauern das, denn als der Reis mit Hilfe des dhenki geschält wurde, blieb ein Großteil der roten inneren Haut (Epidermis) des Korns intakt, wodurch der Reis seinen charakteristischen Geschmack erhielt und mehr Nährstoffe hatte. Die Maschine reißt jedoch alles ab — die Schale oder Kleie und einen beträchtlichen Teil des Keimlings —, so daß nur das heutzutage so gefragte weiße, stärkehaltige Endosperm übrigbleibt.
Die Damen möchten jetzt, daß wir das Festmahl essen, das sie vorbereitet haben. Der parboiled Reis ist gekocht und liegt dampfend auf Tellern aus Bananenblättern. Zum Reis gibt es noch Linsen, einheimisches Gemüse und Fisch. Wir sind uns alle darin einig, daß das der schönste Teil unseres Besuchs ist.
Ja, Reis — ob parboiled Reis oder Rohreis — ist ein köstliches Nahrungsmittel, eine Frucht der grünen Gräser, die Gott „zum Dienst der Menschheit“ geschaffen hat (Psalm 104:14).
[Kasten auf Seite 26]
Jhal moori
In vielen Gegenden Indiens wird auf den Straßen von farbenprächtig gekleideten Verkäufern ein Imbiß aus Puffreis angeboten. Der schmackhafte und nahrhafte Jhal moori kann mühelos zubereitet werden und ist eine schöne Abwechslung zu den gewöhnlichen vorgefertigten Imbissen.
Pro Tasse knusprigen, ungesüßten Puffreis nimmt man je nach Geschmack etwas feingeschnittene Tomaten, Zwiebeln, Gurken, grüne Chili (wahlweise), einige Erdnüsse, Kichererbsen (wahlweise), chaat masala (eine Mischung verschiedener gemahlener Gewürze, die es in indischen Geschäften gibt) oder eine Prise Salz und Pfeffer, einen halben Teelöffel Senföl oder anderes Salatöl. Das Ganze wird kräftig miteinander verrührt und sofort gegessen.
Da jeder einen anderen Geschmack hat, läßt der moori-Verkäufer den Kunden entscheiden, was und wieviel er von dem großen Angebot an Gemüse und Gewürzen in den Reis haben möchte. Als Gastgeber kann man diesen Imbiß auch als eine Art Fondue reichen, das heißt, man läßt die Gäste ihr moori-Gericht selbst zusammenstellen.
[Bilder auf Seite 24, 25]
1 Dreschen der Reisgarben; 2 Worfeln; 3 Dida bei der Zubereitung von „moori“; 4 Gefäß voll „moori“ mit verschiedenen Beilagen