Geschmack — Gabe eines liebevollen Schöpfers
„UNTER den [fünf] Sinnen“, sagte Linda Bartoshuk, eine führende Geschmacksforscherin, „ist der Geschmack das Höchste.“ Etwas zu schmecken ist ein angenehmes Erlebnis; es schützt uns auch, da es uns hilft, zwischen Annehmbarem und Schädlichem zu unterscheiden.
Das Wunder des Geschmackssinnes ermöglicht es uns, die Süße einer frischen Orange, die belebende Kühle von Pfefferminzeis, den anregend herben Geschmack einer morgendlichen Tasse Kaffee oder eine nach einem Geheimrezept raffiniert gewürzte Sauce zu genießen. Der Geschmack ist derart bedeutungsvoll, daß man sogar bestimmte Persönlichkeitsmerkmale damit verbindet.
Vielleicht hat man schon einmal eine Person richtig süß gefunden. Oder aber man hat von jemandem gesagt, er sei ein Sauertopf. Ein nachtragender Mensch wird womöglich als verbittert bezeichnet. Die Bibel spricht zum Beispiel von „Männer[n], die bitterer Seele sind“, und sie bezieht sich außerdem auf „bittere Rede“ (Richter 18:25; Psalm 64:3; 2. Samuel 17:8).
Geschmack und Weltgeschichte
Bei den Entdeckungsreisen des 15. und 16. Jahrhunderts spielte der Geschmack eine wesentliche Rolle. Vor etwa 500 Jahren umsegelte Vasco da Gama die Spitze Afrikas auf dem Weg nach Indien und kehrte mit einer Ladung Gewürze nach Portugal zurück. In den folgenden 3 Jahrhunderten wurden von europäischen Völkern Konflikte heraufbeschworen, da Frankreich, Großbritannien, Holland, Portugal und Spanien um die Vorherrschaft in den Gewürzländern wetteiferten.
Man fragt sich vielleicht, weshalb ganze Völker für Gewürze gekämpft und Menschen wegen Gewürzen ihr Leben verloren haben. Um den Geschmackssinn zu befriedigen! Daß die Europäer Geschmack an den Gewürzen gefunden hatten, übte tatsächlich einen derart starken Einfluß aus. Bis auf den heutigen Tag ist die moderne Industrie, der Kommerz und die Wissenschaft darauf eingestellt, unseren Geschmackssinn zu befriedigen.
Was genau ist Geschmack? Und wie funktioniert er in Zusammenarbeit mit den anderen Sinnen?
Die Rolle der Zunge
Der Zunge kommt beim Geschmackssinn eine Schlüsselrolle zu. Dort sitzen die meisten Geschmacksknospen, wenngleich man einige auch an anderen Stellen im Mund findet sowie in der Speiseröhre. Sehen wir uns die Zunge einmal im Spiegel etwas näher an. Da wären die zahlreichen kleinen Erhebungen, die der Zunge eine samtartige Oberfläche geben. Man nennt sie Papillen. Winzige Geschmacksknospen liegen dicht an dicht in den Papillen der Zungenoberfläche. „Jede Knospe enthält um die 100 Geschmackssinneszellen“, heißt es in der Zeitschrift Science, „die, wenn sie angeregt werden, eine Nervenzelle reizen, die das Signal wiederum an das Gehirn weiterleitet.“
Die Anzahl der Geschmacksknospen kann von Person zu Person verschieden sein, was sich dementsprechend auf den Geschmackssinn auswirkt. Unsere Zunge kann bis zu 10 000 Geschmacksknospen aufweisen oder auch nur 500. Inglis Miller, der die Anatomie der Geschmacksknospen studiert hat, bemerkte: „Menschen mit mehr Geschmacksknospen schmecken mehr. Menschen mit weniger Geschmacksknospen schmecken weniger.“
Wie der Geschmackssinn funktioniert
Der Geschmack ist eine überaus komplexe Sinnesempfindung. Strenggenommen findet er auf chemischer Ebene statt. Im Mund gelöste chemische Schmeckstoffe stimulieren Geschmacksrezeptoren, die in den Geschmacksporus der Zunge hineinragen. Die Rezeptorzellen reagieren und stimulieren Nervenzellen (Neuronen), um die Erregung der Geschmacksknospen an das Gehirn weiterzuleiten.
Frappierenderweise kann eine Geschmacksknospe viele verschiedene Neuronen reizen, und ein Neuron kann Meldungen von mehreren Geschmacksknospen erhalten. Niemand weiß ganz genau, wie das komplizierte System der Geschmacksrezeptoren das alles auseinanderhält und verwertet. In der Encyclopedia Americana heißt es: „Die Wahrnehmungen des Gehirns resultieren offensichtlich aus einer komplexen Verschlüsselung elektrischer Impulse, die von den Rezeptorzellen übermittelt wurden.“
An der Wahrnehmung, die wir als Geschmack bezeichnen, sind noch andere Sinne beteiligt. In dem Werk The New Book of Popular Science wird dazu ausgeführt: „Manchmal weiß man kaum, ob man einen Stoff nun schmeckt oder riecht.“ Wir kommen beispielsweise an einer Bäckerei vorbei und schnuppern den Duft frisch gebackenen Brotes. Uns läuft das Wasser im Mund zusammen. Wenn wir dann den Laden betreten, das Brot sehen und vielleicht seine Kruste berühren, werden unsere Sinne noch mehr angeregt. Wenn wir doch endlich hineinbeißen könnten!
Was also ist der Geschmackssinn? In der Zeitschrift Omni wird erklärt: „Was der Laie als Geschmack bezeichnet, ist eigentlich die verwirrende Synthese einer Reihe von Sinnesempfindungen, bei der Geruch, Geschmack, Fühlen, Konsistenz, Aussehen, chemische Reize (das Brennen von Cayennepfeffer, die Kühle von Pfefferminz) und Temperatur eine Rolle spielen.“
Andererseits verhält es sich, wie es in dem Artikel weiter heißt, „mit dem Geschmack ... ganz einfach. Man unterscheidet vier (nicht mehr) Geschmacksqualitäten: süß, salzig, sauer und bitter.“ Zwar hat man diese Empfindungen gern unterschiedlichen Regionen der Zunge zugeordnet, aber heute ist man der Ansicht, daß jede Geschmacksknospe irgendwo auf der Zunge verschiedene oder sogar alle vier Geschmacksqualitäten wahrnehmen kann.
Doch vieles über die chemische Komponente des Geschmacks ist immer noch unbekannt. Man versteht zum Beispiel nicht, warum das Hinzufügen einiger Tropfen sauren Zitronensafts den salzigen Geschmack einer Speise verstärkt. Und es ist interessant, daß die Geschmacksqualitäten süß, sauer und salzig in den Geschmacksknospen elektrische Signale auslösen, die Geschmacksqualität bitter hingegen diese Zellen offenbar veranlaßt, eine chemische Meldung abzugeben.
Die Heranbildung des Geschmacks
Wahrscheinlich munden uns heute Speisen, die wir früher nicht mochten. Bei Oliven, Blauschimmelkäse, Rüben, scharfen Gewürzen und Bitterstoffen kann das leicht der Fall sein. Schon früh haben „bitter schmeckende Grünpflanzen“, wie Endivie und Chicorée, Gerichten und Salaten eine besondere Note verliehen. Unser Geschmackssinn muß jedoch erst an Bitteres herangeführt werden, damit wir es mögen (2. Mose 12:8).
Ob man den Geschmack einer Speise mag oder nicht, hat, wie Studien nahelegen, viel damit zu tun, unter welchen Umständen man mit ihr Bekanntschaft macht. Eine Frau hatte beispielsweise noch niemals Mortadella probiert. Sogar der Anblick und der Geruch von Mortadella war ihr zuwider, denn schon ihre Mutter hatte eine derartige Abneigung dagegen. Eines Tages jedoch — sie war schon in den Zwanzigern — hatte die Frau tüchtig Hunger, und außer Mortadella fand sie nichts zu essen. Also nahm sie etwas davon und war erstaunt, daß sie wirklich mochte, was sie aß.
Wenn wir an einer neuen Speise Geschmack finden möchten, probieren wir sie also am besten, wenn wir so richtig hungrig sind. Und falls wir Kinder haben, dürfen wir nicht vergessen, daß sie dadurch beeinflußt werden können, wie wir persönlich auf bestimmte Speisen reagieren und unter welchen Umständen wir Gerichte einführen. Bringen wir etwas Neues auf den Tisch, sollten wir dabei eine nette Atmosphäre schaffen. Beziehen wir unser Kind mit ein. Eine Verfasserin empfiehlt:
„Haben Sie Ihr Baby oder Kleinkind in einem Laufstall oder Kindersitz bei sich in der Küche, wenn Sie das Essen zubereiten! Dadurch sieht und riecht das Kind das, was die Familie ißt, in einem frohen, gemütlichen Umfeld — und es erfährt etwas über die Speisen, noch bevor es alt genug ist, diese zu probieren. Einige Monate später können Sie ihm Häppchen von dem geben, was Sie gerade zubereiten, roh oder halbgar.“
Sie fügt hinzu: „Auch wenn es zusätzlichen Zeitaufwand und Vorausplanung bedeutet, sollte man hier und da Möglichkeiten finden, wie das Kind einem auf einfache Weise bei der Zubereitung eines neuen oder abgelehnten Gerichts zur Hand gehen kann. Ermutigen Sie das Kind, während der Vorbereitungen von dem Gericht zu naschen. Der kleine Helfer wird froh und hungrig sein, wenn er das Gericht kostet — eine ideale Voraussetzung, um eine Speise erfolgreich einzuführen.“
Wenn der Geschmackssinn nicht richtig funktioniert
Traurigerweise kann der Geschmackssinn im Alter beeinträchtigt werden, wie Davids betagter Freund Barsillai andeutete, als er sagte: „Ich bin heute achtzig Jahre alt. Könnte ... dein Knecht schmecken, was ich essen und was ich trinken würde ...?“ (2. Samuel 19:35). Noch weitere Faktoren spielen bei einer Beeinträchtigung oder gar dem Verlust des Geschmackssinnes eine Rolle.
Die Ursache können eine Kopfverletzung, eine Allergie, eine Infektion, ein Arzneimittel, giftige Chemikalien, denen man ausgesetzt ist, oder sogar eine simple Erkältung sein. Wie stark die Verzweiflung ist, wenn man nicht mehr schmecken und riechen kann, wurde von einer Betroffenen bewegend geschildert. Sie schrieb: „Man nimmt das volle Aroma von Kaffee und den süßen Duft von Orangen so für selbstverständlich, daß, wenn man diese Sinnesempfindungen verliert, es fast so ist, als hätte man vergessen, wie man atmet.“
Der sogenannte Phantomgeschmack ist eine lästige Störung, bei der man ständig etwas schmeckt, was gar nicht vorhanden ist. Krebspatienten, die sich einer Chemotherapie unterziehen, erleben manchmal, daß sich ihr Geschmacks- und Geruchssinn verändert.
Ein Segen Gottes
Was für ein Vergnügen einem doch ein ausgeprägter Geschmackssinn bereiten kann! Viele Ältere erinnern sich gern an all das zurück, was ihnen in der Jugend gut geschmeckt hat — reife Früchte, direkt vom Baum gepflückt, oder besondere Gerichte. Unser Schöpfer wünscht, daß wir solche Gaumenfreuden genießen. Das ist daran zu erkennen, daß er für die gerechte neue Welt, in der Leid, Alter und Tod nicht mehr sein werden, ein Festmahl „von Gerichten, reich an Öl, mit Mark gefüllt“, verheißt (Jesaja 25:6-9; Hiob 33:25; Offenbarung 21:3, 4).
Der Geschmack bereichert unser Leben ungemein. Ohne ihn wäre die Nahrungsaufnahme so langweilig wie das Auftanken eines Fahrzeugs. Der Geschmackssinn ist ein echter Segen unseres allweisen und liebevollen Schöpfers!
[Bild auf Seite 24]
Man kann Kindern beibringen, nahrhafte Speisen zu mögen