Wachtturm ONLINE-BIBLIOTHEK
Wachtturm
ONLINE-BIBLIOTHEK
Deutsch
  • BIBEL
  • PUBLIKATIONEN
  • ZUSAMMENKÜNFTE
  • g99 8. 10. S. 12-15
  • Meine Erwartungen wurden übertroffen

Kein Video für diese Auswahl verfügbar.

Beim Laden des Videos ist ein Fehler aufgetreten.

  • Meine Erwartungen wurden übertroffen
  • Erwachet! 1999
  • Zwischentitel
  • Ähnliches Material
  • Die Suche wird belohnt
  • Unsere Tätigkeit in den Niederlanden
  • Dienst in unserer neuen Heimat
  • Was ich gelernt habe
  • Was uns geholfen hat weiterzumachen
  • „Ich wollte für Jehova arbeiten“
    Der Wachtturm verkündigt Jehovas Königreich (Studienausgabe) 2022
  • Leserbriefe
    Erwachet! 2000
  • Eine einigende Kraft in Surinam
    Erwachet! 1980
  • Ein lohnendes Leben, selbst in der Abgeschiedenheit
    Erwachet! 1993
Hier mehr
Erwachet! 1999
g99 8. 10. S. 12-15

Meine Erwartungen wurden übertroffen

VON WILLEM VAN SEIJL ERZÄHLT

Man schrieb das Jahr 1942. Die Niederlande befanden sich mitten im Zweiten Weltkrieg. Gemeinsam mit vier anderen jungen Männern versteckte ich mich in Groningen vor den Nationalsozialisten. Wir saßen in einem kleinen Zimmer und begannen über unsere Überlebenschancen zu reden.

ES LAG auf der Hand, daß wir keine besonders guten Überlebenschancen hatten. Tatsächlich starben später drei aus unserer Gruppe eines gewaltsamen Todes. Und ich bin der einzige, der es geschafft hat, alt zu werden. Nicht nur auf diesem Gebiet sind meine Erwartungen übertroffen worden.

Als sich das eingangs geschilderte Erlebnis zutrug, war ich erst 19 Jahre alt und wußte kaum etwas über die Bibel oder über Religion. Mein Vater lehnte Religion sogar völlig ab. Meine Mutter hatte sich auf der Suche nach einer Religion dem Spiritismus zugewandt. Ich selbst hatte keinerlei Hoffnung. Falls ich bei einem Bombenangriff oder auf andere Weise ums Leben käme, so fand ich, hätte Gott keinen Grund, sich an mich zu erinnern. Ich hatte mich ja nicht einmal bemüht, ihn kennenzulernen.

Die Suche wird belohnt

Kurz nach der anfangs erwähnten Unterhaltung mit den vier jungen Männern wurde ich von den Nationalsozialisten gefangengenommen und in ein deutsches Arbeitslager bei Emmerich gebracht. Wir mußten unter anderem Schutt wegräumen und Schäden reparieren, die durch die Bombardierungen der Alliierten entstanden waren. Ende 1943 gelang mir die Flucht, und obwohl der Krieg nach wie vor tobte, schlug ich mich bis nach Hause in die Niederlande durch.

Irgendwie bekam ich eine kleine Broschüre in die Hände, die viele Fragen und Bibeltexte enthielt. Sie wurde zum Studium des Buches Die Rettung verwendet, das von Jehovas Zeugen herausgegeben worden war. Die Fragen zu lesen und die Bibelstellen nachzuschlagen weckte bei mir ein starkes Interesse an der Erfüllung der biblischen Prophetie.

Ich erzählte Gré, meiner Verlobten, von dem, was ich las, doch sie zeigte anfangs kaum Interesse. Meine Mutter hingegen vertiefte sich in die Broschüre. „Das ist die Wahrheit, nach der ich mein Leben lang gesucht habe!“ rief sie aus. Ich sprach auch mit Freunden, und einige wollten gern mehr erfahren. Einer wurde sogar ein Zeuge Jehovas, und wir schrieben und besuchten uns regelmäßig bis zu seinem Tod 1996.

Auch Gré fing nach einer Weile an, die Bibel zu studieren, und im Februar 1945 ließen wir uns gemeinsam taufen. Wenige Monate später endete der Krieg. Nachdem wir geheiratet hatten, wollten wir Pioniere werden (Vollzeitprediger der Zeugen Jehovas). Aber da gab es Hindernisse: Krankheit und finanzielle Schwierigkeiten. Außerdem boten sich uns Gelegenheiten, sehr viel Geld zu verdienen. Sollten wir erst einmal arbeiten gehen und uns eine gewisse finanzielle Sicherheit aufbauen, bevor wir den Pionierdienst aufnehmen würden, oder sollten wir sofort damit beginnen?

Unsere Tätigkeit in den Niederlanden

Wir entschieden uns, direkt in den Pionierdienst einzutreten, und zwar am 1. September 1945. Am ersten Tag betrat ich auf meinem Nachhauseweg spätabends ein Gasthaus, wo ich mir etwas zu trinken bestellte. Ich gab dem Kellner einen Einguldenschein, so dachte ich jedenfalls, und sagte ihm, er könne das Wechselgeld behalten. Als ich nach Hause kam, merkte ich, daß ich ihm einen 100-Gulden-Schein gegeben hatte! So blieb uns noch genau ein Gulden, um mit dem Pionierdienst zu beginnen.

Als ich 1946 anfing, öffentliche biblische Vorträge zu halten, besaß ich nur eine Lederjacke. Ein Freund, der etwa die gleiche Statur hatte wie ich, kam, sobald er als Vorsitzender meinen Vortrag angekündigt hatte, schnell hinter die Bühne und gab mir sein Jackett. Dann ging ich auf die Bühne und hielt den Vortrag. Anschließend lief das Ganze wieder umgekehrt ab.

Im März 1949 wurden Gré und ich gebeten, den Kreisdienst aufzunehmen, das heißt, Versammlungen der Zeugen Jehovas zu besuchen, um sie geistig zu stärken. Fritz Hartstang, der vor und während des Krieges treu gedient hatte, schulte mich für den Kreisdienst. Er gab mir den guten Rat: „Wim, befolge die Anweisungen, die du durch Jehovas Organisation erhältst, auch wenn sie dir zu Anfang nicht empfehlenswert vorkommen. Du wirst es nie bereuen.“ Er sollte recht behalten.

Im Jahr 1951 besuchte Nathan H. Knorr, der damalige Präsident der Watch Tower Bible and Tract Society, die Niederlande. Damals bewarben Gré und ich uns darum, in den Vereinigten Staaten als Missionare geschult zu werden. Kurz darauf wurden wir eingeladen, die 21. Klasse der Wachtturm-Bibelschule Gilead zu besuchen. Als wir 1945 mit dem Pionierdienst begonnen hatten, hatte es in den Niederlanden etwa 2 000 Zeugen Jehovas gegeben; jetzt, 1953, waren es über 7 000 — das übertraf unsere Erwartungen bei weitem!

Dienst in unserer neuen Heimat

Wir sollten ursprünglich nach Niederländisch-Neuguinea gesandt werden, heute eine Provinz von Indonesien, doch als uns die Einreise verwehrt wurde, sandte man uns nach Suriname — ein Land in den Tropen Südamerikas. Dort kamen wir im Dezember 1955 an. Es gab damals nur etwa 100 Zeugen Jehovas in Suriname; sie waren jedoch äußerst hilfsbereit. Schnell fühlten wir uns zu Hause.

Natürlich mußten wir uns an vieles, was uns fremd war, erst gewöhnen, und das war manchmal gar nicht so einfach. Gré hatte zum Beispiel immer Angst gehabt vor allem, was krabbelt und kriecht. Wenn sie zu Hause in den Niederlanden eine kleine Spinne in unserem Schlafzimmer entdeckt hatte, hatte sie sich geweigert, schlafen zu gehen, bis ich das Tier entfernt hatte. In Suriname gibt es aber Spinnen, die zehnmal so groß sind, sogar giftige! Außerdem gab es in unserem Missionarheim Kakerlaken, Ratten, Ameisen, Stechmücken und Grashüpfer. Und manchmal kamen auch Schlangen zu Besuch. Gré hat sich so an diese Tiere gewöhnt, daß der Kampf, sie sich vom Leibe zu halten, mittlerweile zu ihrem normalen Tagesablauf gehört.

Nach über 43 Jahren kennen wir das Land besser als so mancher, der hier geboren ist. Wir haben die Flüsse, den Regenwald und die Sümpfe an den Küsten liebengelernt. Auch die vielfältige Tierwelt ist uns vertraut geworden, unter anderem die Stachelschweine, Faultiere, Jaguare, ja sogar die vielen Arten von Schlangen in oft wunderschönen Farben. Besonders schätzengelernt haben wir aber das bunte Spektrum der Menschen in diesem Land. Die Vorfahren einiger kamen aus Ländern wie Indien, Indonesien, China oder aus Afrika. Und nicht wenige sind indianischer Herkunft, stammen also von den amerikanischen Ureinwohnern ab.

In unserem christlichen Dienst von Haus zu Haus treffen wir Menschen all dieser Herkunft an. Auch in unseren Königreichssälen finden wir diese wunderbare Vielfalt unter den christlichen Brüdern und Schwestern. Im Vergleich zu einem einzigen, heruntergekommenen Königreichssaal bei unserer Ankunft 1953 gibt es mittlerweile über 30 attraktive Königreichssäle, einen schönen Kongreßsaal und sehenswerte Zweiggebäude, die im Februar 1995 eingeweiht wurden. All dieses Wachstum haben wir miterleben dürfen.

Was ich gelernt habe

Tief im Landesinnern von Suriname gibt es einige Versammlungen von sogenannten Buschnegern, Nachkommen afrikanischer Sklaven, die von den Plantagen wegliefen und so weit wie möglich die Flüsse hinauf flohen. Immer wieder war ich erstaunt, wozu Buschneger fähig sind, beispielsweise wie sie den Fluß zum Transport nutzen und den Regenwald zu ihrem Zuhause machen. Sie fällen Bäume, bauen Boote und steuern diese durch Wasserfälle und Stromschnellen hindurch. Nahrung beschaffen sie durch Jagen und Fischen, sie kochen ohne jegliche moderne Gerätschaften und können so vieles, was uns sehr schwer fallen würde.

Auch die anderen Völker, die hier in Suriname leben, haben wir über die Jahre hinweg kennengelernt, ebenso ihre jeweiligen Bräuche, ihre Denk- und ihre Lebensweise. Ich kann mich erinnern, wie ich in den 50er Jahren ein Indianerdorf besuchte. Mitten in der Nacht kam ich mit meinem indianischen Führer in einem verlassenen Lager im Regenwald an, von wo aus wir die Reise in einem Boot fortsetzen wollten. Er machte Feuer, kochte das Essen, befestigte die Hängematten. Für ihn war es normal, alles für mich mit zu erledigen, denn er wußte, daß ich keine Ahnung davon hatte.

Als ich nachts aus meiner Hängematte fiel, lachte er mich nicht aus. Statt dessen säuberte er meine Kleider und befestigte die Matte aufs neue. Als wir auf dem schmalen Fluß fuhren, war es so dunkel, daß ich nicht einmal die Hand vor den Augen erkennen konnte, aber mein Führer lenkte das Boot mühelos um die vielen Biegungen und Hindernisse. Ich fragte ihn, wie er das mache, worauf er antwortete: „Du schaust in die falsche Richtung. Sieh mal nach oben. Fällt dir der Unterschied zwischen den Baumwipfeln und dem Himmel auf? Daran kannst du eine Flußbiegung erkennen. Schau aufs Wasser, und achte darauf, ob sich die Wellen kräuseln. So kannst du herausfinden, ob sich Felsen oder andere Hindernisse unter der Oberfläche verbergen. Und halte die Ohren offen. Auch Geräusche verraten, was auf uns zukommt.“

Eine Reise im Einbaum — über Stromschnellen hinweg und an Wasserfällen vorbei — ist mitunter gefährlich und auch ermüdend. Doch wenn man dann bei christlichen Brüdern und Schwestern eintrifft, die darauf warten, einen herzlich willkommen zu heißen und zu bewirten, fühlt man sich gleich erfrischt. Für Gäste steht immer etwas zu essen bereit, beispielsweise ein Teller Suppe. Das Leben als Missionar war oft aufreibend und schwierig, aber ich bin nie enttäuscht worden.

Was uns geholfen hat weiterzumachen

Wir sind beide nicht mit einer außergewöhnlich guten Gesundheit gesegnet. Und von Angehörigen erhielten wir auch nicht viel Ermunterung, denn meine Mutter war die einzige Verwandte, die eine Zeugin Jehovas wurde. Doch unsere Bedürfnisse sind immer gestillt worden durch den Beistand und die Ermunterung von seiten lieber Freunde, und das hat uns geholfen, in unserer Zuteilung zu bleiben. Besonders meine Mutter hat uns immer ermuntert.

Wir waren gerade etwa sechs Jahre in dem uns zugeteilten Gebiet, da wurde meine Mutter schwer krank. Freunde wollten, daß wir nach Hause kämen, um sie noch ein letztes Mal zu sehen, aber Mutter schrieb: „Bitte bleibt in Eurer Zuteilung. Behaltet mich so im Gedächtnis, wie ich war, bevor ich krank wurde. Ich hoffe, Euch in der Auferstehung wiederzusehen.“ Sie war eine Frau mit einem starken Glauben.

Erst 1966 war es uns möglich, in den Ferien in die Niederlande zurückzukehren. Wir haben es sehr genossen, alte Freunde wiederzusehen, aber unsere Heimat war nun Suriname geworden. Wir haben erkannt, wie weise der Rat ist, den die Organisation Missionaren gibt, mindestens drei Jahre in dem ihnen zugeteilten Gebiet zu bleiben, bevor sie zu einem Urlaub in ihr Heimatland zurückkehren.

Einen Sinn für Humor zu bewahren hat uns ebenfalls geholfen, uns in unserer Zuteilung wohl zu fühlen. Man muß über manches lachen können — auch über sich selbst. Sogar in die Schöpfung hat Jehova einigen Humor gelegt. Schimpansen und Ottern und besonders Jungtieren aller Arten bei ihren Kapriolen zuzusehen entlockt einem unwillkürlich ein Schmunzeln. Wichtig ist auch, allem eine positive Seite abzugewinnen und sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen — etwas, was wir im Lauf der Jahre gelernt haben.

Vor allem aber war es die lohnende Tätigkeit im Predigtdienst, die uns geholfen hat, in unserer Zuteilung zu bleiben. Gré begann in einem Altersheim in Paramaribo mit neun Männern die Bibel zu studieren. Alle waren über 80 Jahre alt. Sie alle waren einst entweder balatableeder (Kautschukzapfer) oder Goldgräber gewesen. Jeder von ihnen lernte die Wahrheit lieben, ließ sich taufen und beteiligte sich bis zum Tod treu am Predigtwerk.

Ein alter Prediger der Neuen Kirche von Swedenborg namens Rivers hörte beim Studium zu und ließ sarkastische Bemerkungen fallen. Doch jede Woche rückte er ein Stück näher heran, und sein Spott ließ nach. Schließlich setzte er sich zu den anderen dazu und beteiligte sich am Studium. Er war 92 Jahre alt und konnte nur noch schlecht sehen und hören, war aber imstande, fast wörtlich aus der Bibel zu zitieren. Schließlich fing er an, sich mit uns am Predigtdienst zu beteiligen, und predigte allen, die ihm zuhörten. Kurz bevor er starb, ließ er uns ausrichten, wir sollten bitte zu ihm kommen. Als wir bei ihm eintrafen, war er schon tot, doch unter seinem Kopfkissen fanden wir seinen Predigtdienstbericht für jenen Monat.

Nach über 25 Jahren im Vollzeitpredigtdienst wurde ich 1970 mit der Aufsicht über das Zweigbüro in Suriname betraut. Es fiel mir schwer, an einem Schreibtisch zu sitzen, und ich beneidete Gré, die nach wie vor jeden Tag in den Predigtdienst ging. Nun arbeitet auch sie im Zweigbüro, und wir beide verrichten hier eine lohnende Tätigkeit, obwohl wir langsam älter werden.

Wenn ich darüber nachdenke, daß es heute auf der ganzen Welt ungefähr 6 000 000 Königreichsverkündiger gibt, und die Zahl mit den weniger als 160 000 im Jahr 1945 vergleiche, sehe ich deutlich, daß meine Erwartungen weit übertroffen wurden. In Suriname ist die Zahl derer, die sich am Predigtwerk beteiligen, seit unserer Ankunft 1955 sogar um mehr als das 19fache gestiegen: von knapp 100 Verkündigern damals auf über 1 900 heute.

Ich bin zuversichtlich, daß wir in Zukunft noch weit großartigere Entwicklungen erleben werden, während Jehova seine Vorsätze verwirklicht — sofern wir unserem Gott treu bleiben. Und dazu sind wir fest entschlossen.

[Bild auf Seite 13]

Bei unserer Ankunft 1955 in Suriname

[Bild auf Seite 15]

Mit dem Einbaum in den Predigtdienst

[Bild auf Seite 15]

Meine Frau und ich

    Deutsche Publikationen (1950-2025)
    Abmelden
    Anmelden
    • Deutsch
    • Teilen
    • Einstellungen
    • Copyright © 2025 Watch Tower Bible and Tract Society of Pennsylvania
    • Nutzungsbedingungen
    • Datenschutzerklärung
    • Datenschutzeinstellungen
    • JW.ORG
    • Anmelden
    Teilen