Wachtturm ONLINE-BIBLIOTHEK
Wachtturm
ONLINE-BIBLIOTHEK
Deutsch
  • BIBEL
  • PUBLIKATIONEN
  • ZUSAMMENKÜNFTE
  • g99 8. 12. S. 24-27
  • Die „Unterwelt“ von Paris

Kein Video für diese Auswahl verfügbar.

Beim Laden des Videos ist ein Fehler aufgetreten.

  • Die „Unterwelt“ von Paris
  • Erwachet! 1999
  • Zwischentitel
  • Ähnliches Material
  • Zugang zum „Darm“
  • Mit den Römern fing es an
  • Die Kanalisation erhält Gestalt
  • Kirchen verpesten die Luft
  • Ein Besuch in den Pariser Katakomben
  • Die Katakomben — Was waren sie?
    Erwachet! 1995
  • Das Zeugnis der Katakomben
    Der Wachtturm verkündet Jehovas Königreich 1958
  • „Triumphierendes Königreich“ — Kongresse 1955
    Der Wachtturm verkündet Jehovas Königreich 1956
  • Leserbriefe
    Erwachet! 1995
Hier mehr
Erwachet! 1999
g99 8. 12. S. 24-27

Die „Unterwelt“ von Paris

VON UNSEREM KORRESPONDENTEN IN FRANKREICH

ICH wähle die Nummer und hoffe inständig, daß jemand ans Telefon geht. „Hallo! Hallo!“ rufe ich. „Mir sind gerade meine Autoschlüssel in den Gully gefallen! Bitte kommen Sie schnell!“ Eine Sondereinheit von Kanalarbeitern ist rasch zur Stelle. Ihre Arbeit besteht darin, Abwasserkanäle zu reinigen, überflutete Keller auszupumpen und all die Schlüssel, Brillen, Geldbeutel und sogar Haustiere zu „retten“, die regelmäßig in den 18 000 Gullys von Paris verschwinden. Sie holen mir meine Schlüssel heraus, und mit einem Seufzer der Erleichterung bringe ich ihnen meinen tiefsten Dank zum Ausdruck.

Am nächsten Tag beschließe ich, das Musée des Égouts (ein Museum zum Thema Kanalisation) am linken Ufer der Seine gegenüber der Anlegestelle für die berühmten Stadtrundfahrtsschiffe unweit des Eiffelturms zu besuchen. Seit rund 130 Jahren präsentiert Paris stolz seine Unterwelt. Den Grund dafür finde ich heraus, als ich es den mehr als 90 000 neugierigen Besuchern gleichtue, die jedes Jahr dieses außergewöhnliche Museum besichtigen. Ich werde mir jetzt den „Darm des Leviathan“, wie der berühmte französische Schriftsteller Victor Hugo im 19. Jahrhundert die Kanalisation von Paris nannte, etwas näher ansehen. Möchte mich jemand dabei begleiten?

Zugang zum „Darm“

Nachdem ich nach unten gestiegen bin und mich 5 Meter unter dem Erdboden befinde, sehe ich das erste Ausstellungsstück des Museums — eine ausgestopfte Ratte. Es läuft mir kalt über den Rücken. Man sagt, daß auf jeden Einwohner von Paris drei Ratten kommen; ihr Magen verdaut selbst die stärksten Gifte unglaublich gut. Die Ratten sind offensichtlich wohlgenährt. Sie verputzen jeden Tag 100 Tonnen Abfall, das heißt ein Drittel der Abfälle, die in die Kanalisation gelangen.

Steine, Nägel, Schlüssel und sonstige schwerere Gegenstände werden mit dem Abwasser und durch den Regen in die Kanalisation geschwemmt. Ich inspiziere die Maschinen, die den riesigen, 2 100 Kilometer langen „Darm“ säubern. Im Hintergrund höre ich das Wasser tropfen. 15 000 Kubikmeter Abfall werden hier jedes Jahr von ungefähr 1 000 Kanalarbeitern entsorgt. Dunkelheit, herunterplatschendes Schmutzwasser, glitschige Wände und ein abrupter Anstieg des Wasserspiegels können die Arbeit eines Kanalarbeiters ziemlich erschweren.

Übrigens ziehen sich in Deckennähe weitere Röhrensysteme entlang, durch die sich ein riesiges Netz von Wasserrohren, Telefonleitungen und Kabeln für die Verkehrsampeln erstreckt.

Mit den Römern fing es an

Die Römer waren die ersten, die in Paris eine Kanalisation anlegten. Unter den Ruinen des römischen Thermalbads im Quartier Latin liegen noch rund 18 Meter Kanalisation aus der Zeit der Römer. Doch als das Römische Reich unterging, geriet die Hygiene in Vergessenheit. Paris war über Jahrhunderte hinweg eine schmutzige und unhygienische Stadt, die nur die nötigsten Abwasserkanäle (Rinnen in der Mitte der Straße) oder lediglich Gräben besaß, in denen die flüssigen Abfälle weggeschwemmt wurden. Die Gräben stanken und waren Brutherde für Infektionskrankheiten. Der älteste Sohn König Ludwigs VI. starb 1131 an einer Infektionskrankheit, nachdem er in einen offenen Abwasserkanal gefallen war.

Die offenen Abflußrinnen dienten außerdem der Müllentsorgung, ebenso wie die wenigen abgedeckten Abflußkanäle, die schnell verstopft waren. Verschlimmert wurde die Situation dadurch, daß die Kanäle beim Anschwellen der Seine übelriechenden Schlamm und Abfall nach oben spülten. Damals war das „Verdauungssystem“ von Paris sehr klein. 1636 war der Darm gerade einmal 23 Kilometer lang und für 415 000 Einwohner ausgelegt. Eineinhalb Jahrhunderte später war er ganze 3 Kilometer länger. Zur Zeit Napoleons litt das System an akuten „Verdauungsstörungen“.

Im 19. Jahrhundert wurde das vorhandene Kanalisationssystem inspiziert und kartographiert. Man stellte fest, daß es nahezu 200 Tunnel umfaßte, von denen viele bis dahin in Vergessenheit geraten waren. Wie wurden die vielen Tonnen jahrhundertealter Schlamm beseitigt? Es wurde gemunkelt, daß unter den Straßen von Paris Wertgegenstände zu finden seien, und so setzte sich eine Masse von Menschen auf der gierigen Jagd nach Wertsachen in Marsch. Sie stapften durch den Morast und durchsuchten ihn nach Münzen, Schmuck und Waffen.

Die Kanalisation erhält Gestalt

Schließlich wurden die Kloaken modernisiert und ausgebaut, und jedes Haus wurde an das Kanalnetz angeschlossen. Man verlegte Rohre, die groß genug waren, um auch eine unerwartete Überschwemmung zu überstehen. 1878 war die Strecke der befahrbaren Kanäle in den riesigen Gewölben 650 Kilometer lang. Damals war nach Aussage von Victor Hugo „der Kanal reinlich, ... wie aus dem Ei gepellt“.

Im 20. Jahrhundert ist das Kanalsystem doppelt so groß geworden. Und die Kanäle wurden ein Spiegelbild der Stadt. Wieso kann man das sagen? Jeder Kanal trägt den Namen der Straße, der er folgt, und die Hausnummern der darüber befindlichen Gebäude. Weitere Verbesserungen kamen hinzu, als man 1991 mit einem 330 Millionen Dollar teuren Sanierungsprojekt begann. Die für 10 Jahre veranschlagte Sanierung dieser wichtigen Anlage, die pro Tag 1,2 Millionen Kubikmeter Wasser bewältigen kann, schließt auch das Installieren von automatischen Reinigungsgeräten und computerisierten Steuerungen ein.

Am Ende des Rundgangs freue ich mich schon darauf, wieder die normale Pariser Luft einzuatmen. Doch meine Erkundung der Unterwelt ist noch nicht zu Ende. „Um die tiefsten Tiefen von Paris zu sehen, müssen Sie in die Katakomben gehen“, rät mir ein Souvenirhändler. „Zwanzig Meter unter der Erde liegen die Gebeine von sechs Millionen Menschen aufgestapelt.“ Woher stammen sie?

Kirchen verpesten die Luft

Die Katakomben von Paris fungieren erst seit dem 18. Jahrhundert als unterirdischer Friedhof. Vom Mittelalter an wurden die Toten in Kirchen oder in der Nähe einer Kirche beigesetzt. Das brachte der Kirche Geld ein, war aber höchst unhygienisch, weil sich die Friedhöfe mitten in der Stadt befanden. Ein Alptraum war es beispielsweise für die Anwohner des Friedhofs Saints-Innocents, des größten Friedhofs von Paris, der 7 000 Quadratmeter umfaßte und auf dem die Verstorbenen von ungefähr 20 Kirchengemeinden sowie nichtidentifizierbare Leichen und Seuchenopfer begraben wurden.

Im Jahr 1418 wurden auf dem Friedhof zirka 50 000 Leichen begraben; diese Menschen waren vom Schwarzen Tod hinweggerafft worden. Und 1572 wurden die Leichen von Tausenden von Menschen, die dem Gemetzel in der Bartholomäusnacht zum Opfer gefallen waren, in Massengräbern auf dem Friedhof Saints-Innocents beigesetzt.a Stimmen wurden laut, die die Schließung des Friedhofs forderten. Auf Grund der rund zwei Millionen Leichen, die zum Teil bis in 10 Meter Tiefe übereinandergestapelt waren, lag das Niveau des Friedhofs bereits über 2 Meter höher als das der Stadt. Er war eine Brutstätte für Infektionskrankheiten und verbreitete einen Fäulnisgeruch, der angeblich Milch und Wein sauer werden ließ. Die Geistlichkeit war jedoch gegen die Schließung der Friedhöfe in der Stadt.

Im Jahr 1780 zerbarst ein Gemeinschaftsgrab und schleuderte zig Leichen in die anliegenden Keller. Damit war das Maß voll! Der Friedhof wurde geschlossen, und Bestattungen in Paris wurden untersagt. Die Massengräber wurden geleert und die Toten in die stillgelegten Steinbrüche von Tombe-Issoire umgebettet. 15 Monate lang transportierten gespenstische Konvois Abend für Abend die Gebeine dorthin. Dann wurde beschlossen, auch die Toten von weiteren 17 Friedhöfen und 300 Andachtsorten dorthin zu verlegen. Die Gebeine wurden einen 17,5 Meter langen Schacht hinuntergeworfen; heute führt dort eine Treppe von der Straße hinunter in die Katakomben.

Ein Besuch in den Pariser Katakomben

Vom Place Denfert-Rochereau aus, südlich vom Quartier Latin, gehe ich die 91 Stufen hinunter in die Katakomben. Die Frauen des königlichen Hofes waren 1787 unter den ersten, die diese unterirdische Grabstätte im Licht brennender Fackeln besichtigten. Heute kommen jedes Jahr 160 000 Besucher.

Hinter der Treppe erstreckt sich eine schier endlose Reihe von Stollen und Galerien, wo die Leichen aufbewahrt sind. Ich bewege mich behutsam vorwärts; mir wird bewußt, daß die Katakomben eine Fläche von über 11 000 Quadratmetern einnehmen. Ein Mann namens Philibert Aspairt gelangte zu trauriger Berühmtheit, als er 1793 versuchte, sich in den Hunderte von Kilometern langen Stollen zurechtzufinden. Er verirrte sich in dem Labyrinth. Sein Skelett wurde 11 Jahre später entdeckt. Man identifizierte ihn an Hand seiner Schlüssel und der Kleidung.

Ungefähr 30 Prozent der Fläche von Paris sind durch Steinbrüche unterhöhlt. Lange Zeit wurde die Arbeit in den Steinbrüchen nicht kontrolliert — bis dann 1774 ein 300 Meter langes Stück der Rue d’Enfer (die Höllenstraße, der heutige Place Denfert-Rochereau) 30 Meter in die Tiefe stürzte. Paris stand in Gefahr einzustürzen. Die Steine, die „wir oben sehen“, erklärte ein Schreiber, „fehlen unter unseren Füßen“. Um die unterirdischen Galerien abzustützen, baute man sie zu prachtvollen Gewölben aus.

„Schade! Wenn sie doch schon einmal dabei waren, hätten sie auch gleich die Wege pflastern können“, jammere ich beim Anblick meiner schmutzigen Schuhe. Ich rutsche in einer Pfütze aus, schaffe es aber, mich an einer schweren Bronzetür festzuhalten. Hinter der Tür liegt ein Gang, dessen Wände aus Menschenknochen bestehen. Die in Reih und Glied aufgeschichteten oder in der Form eines Kreuzes oder eines Kranzes angeordneten, grimassenhaften Schädel und brüchigen Oberschenkel- und Schienbeinknochen bieten einen makabren Anblick. Auf Tafeln sind Bibelverse und Gedichte eingeritzt, die die Reflexionen des Menschen über den Sinn des Lebens und des Sterbens widerspiegeln.

Nachdem ich die Katakomben verlassen habe, streife ich an einem Gully den Schlamm von meinen Schuhen ab; diesmal achte ich jedoch sorgfältig darauf, daß meine Schlüssel sich nicht noch einmal dazu entschließen, der Pariser Kanalisation einen Besuch abzustatten. Mein Rundgang durch die faszinierende Unterwelt von Paris war eine ungewöhnliche Erfahrung, die ich nicht so schnell vergessen werde. Ohne Frage hat Paris mehr zu bieten, als man auf den ersten Blick sehen kann!

[Fußnote]

a Siehe Erwachet! vom 22. April 1997, Seite 7, 8.

[Bild auf Seite 25]

Eröffnung eines Abschnitts der Pariser Kanalisation

[Bildnachweis]

Valentin, Musée Carnavalet, © Photothèque des Musées de la Ville de Paris/Cliché: Giet

[Bild auf Seite 25]

Besichtigung der Kanalisation

[Bildnachweis]

J. Pelcoq, The Boat, Musée Carnavalet, © Photothèque des Musées de la Ville de Paris/Cliché: Giet

[Bild auf Seite 25]

Querschnitt durch die Kanalisation von Paris

[Bildnachweis]

Ferat, Musée Carnavalet, © Photothèque des Musées de la Ville de Paris/Cliché: Briant

[Bild auf Seite 26]

Grimassenhafte Schädel und brüchige Oberschenkel- und Schienbeinknochen liegen in Reih und Glied aufgeschichtet oder sind in der Form eines Kreuzes oder Kranzes angeordnet

[Bild auf Seite 26]

Eine Inschrift vor dem Ausgang lautet: „Der Stachel des Todes ist die Sünde“ (1. Korinther 15:56, „Lutherbibel“)

[Bild auf Seite 26]

Maschinen für die Reinigung der Kanalisation

[Bildnachweis auf Seite 24]

Map background on pages 24-7: Encyclopædia Britannica/9th Edition (1899)

    Deutsche Publikationen (1950-2025)
    Abmelden
    Anmelden
    • Deutsch
    • Teilen
    • Einstellungen
    • Copyright © 2025 Watch Tower Bible and Tract Society of Pennsylvania
    • Nutzungsbedingungen
    • Datenschutzerklärung
    • Datenschutzeinstellungen
    • JW.ORG
    • Anmelden
    Teilen