Wer oder was ist der Heilige Geist?
Nach der in der Christenheit allgemein bestehenden Auffassung ist der heilige Geist eine Person, „die dritte Person der Dreieinigkeit“, an Wesen und Ewigkeit Gott gleich. Zeigt die Bibel, daß der heilige Geist eine Person ist, und wenn nicht, was ist er denn?
DIE meisten Menschen in der Christenheit haben eine ziemlich unbestimmte Vorstellung vom heiligen Geist. Sie mögen sich daran erinnern, daß der heilige Geist zur Zeit, da Jesus getauft wurde, wie eine Taube erschien, und zu Pfingsten in Form von Feuerzungen — doch dies ist alles. Obwohl sie der Überzeugung sein mögen, daß der heilige Geist eine Person ist, bleibt die Tatsache bestehen, daß „eine gewisse Undeutlichkeit in den Lehren eines Justinus, des Märtyrers, und anderer der frühen Kirchenväter in bezug auf den Geist bestand“, nämlich in bezug auf die Frage, ob er eine Person sei.
Um ein biblisches Thema zu verstehen, ist es stets gut, damit zu beginnen, zur ursprünglichen Sprache zurückzukehren. So ist in den Christlichen Griechischen Schriften [der engl. NW] das Wort „Geist“ mit zwei Ausnahmen die Übersetzung des griechischen Wortes pneuma, aus dem wir die Wörter pneumatisch und Pneumonie erhalten haben. Pneuma wird indes in der Elberfelder Bibel nicht nur 371mal mit „Geist“ übersetzt, sondern auch 2mal mit „Wind“, 1mal mit „Odem“, 1mal mit „Hauch“, 1mal mit „geistliche Gaben“ usw. übersetzt.
Das griechische Wort pneuma bedeutet buchstäblich „Wind“, und wir können unser Thema besser verstehen, wenn wir beachten, daß in all den verschiedenen Arten, wie es gebraucht wird, es dem Winde ähnlich ist, nämlich unsichtbar und machtvoll, wobei es sich durch seine sichtbaren Wirkungen kundtut. So wird es gebraucht, um sich auf unsichtbare Personen zu beziehen. „Gott ist ein Geist.“ Christus Jesus, „der letzte Adam, wurde ein lebengebender Geist“ bei seiner Auferstehung. Engel sind „alle Geister zu öffentlichem Dienst“. — Joh. 4:24; 1. Kor. 15:45; Heb. 1:14, NW.
Das Wort „Geist“ bezeichnet manchmal die unsichtbare, unpersönliche Lebenskraft in Mensch und Tier. „Sie gingen … in die Arche, je zwei und zwei von allem Fleische, in welchem ein Hauch des Lebens [Lebensodem, Me; Geist des Lebens, Ro] war.“ Beim Tode kehrt diese Lebenskraft oder der unsichtbare „Geist zu Gott zurück, der ihn gegeben hat“. Das Wort „Geist“ wird auch dazu gebraucht, unsere geistige Einstellung zu bezeichnen: ‚Wer seinen Geist beherrscht, ist besser, als wer eine Stadt erobert.‘ — 1. Mose 7:15; Pred. 12:7; Spr. 16:32.
Die Fälle, in denen uns jedoch der Gebrauch von „Geist“ besonders interessiert, sind jene, wo der Begriff „Heiliger Geist“ mit großem Anfangsbuchstaben gesetzt worden ist. Ist in diesen Fällen eine besondere Person gemeint oder bezieht sich der Ausdruck auf etwas Unpersönliches, wie „Geist des Lebens“ und „der Geist des Menschen“?
MERKMALE DER UNPERSÖNLICHKEIT
Wenn in solchen Fällen auf eine besondere Person hingewiesen wird, dann haben viele Texte der Bibel einfach keinen Sinn. Zum Beispiel: Jesus sollte mit heiligem Geist und mit Feuer taufen, so wie Johannes mit Wasser getauft hatte. Personen können mit Wasser und mit Feuer getauft werden, können sie aber mit einer körperlichen Person getauft werden? Können wir uns vorstellen, daß sich eine Person aufteile und sich Stück um Stück den hundertzwanzig Jüngern mitteile, die zu Pfingsten anwesend waren und dann jeden von ihnen erfülle? Können wir denken, Jesus habe von seinem Vater diese heilige Geist-„Person“ empfangen und habe dann diese Person wie flüssiges Feuer auf jene Jünger ausgegossen? Ist diese Annahme vernünftig? — Matth. 3:11; Apg. 2:1-4, 17; 11:16, NW.
Ferner wird Christen gesagt, sie sollten den Geist nicht dämpfen. Eine Person nicht dämpfen? Von Gottes Dienern der alten Zeit wurde gesagt, sie hätten sich mit seinem Geist bekleidet. Mit einer Person bekleidet? Weitere solche Beispiele könnten angeführt werden, aber diese sollten genügen, um zu zeigen, daß es einfach keinen Sinn hat, dem „Geist“ in solchen Fällen Persönlichkeit zuzuschreiben. Was denn ist dieser heilige Geist? Er ist Gottes wirksame Kraft, nicht einfach die Gott innewohnende Kraft, sondern diese Kraft in Tätigkeit. — Richt. 6:34, Fußn.; 1. Thess. 5:19.
Was dazu beigetragen hat, diese Wahrheit zu verdunkeln, ist die Tatsache, daß Übersetzer ihre Übersetzungen gemäß ihren religiösen Vorurteilen drehten und wendeten, gleichwie sie das Wort „heilig“ im Ausdruck „Heiliger Geist“ groß schrieben. Um den heiligen Geist als eine Person erscheinen zu lassen, haben sie auch den bestimmten Artikel „der“ in 105 Fällen [im Englischen, und in vielen Fällen auch im Deutschen], wo er im Original nicht steht, vor die Wörter „Geist“ oder „heiliger Geist“ gesetzt. Entweder waren die Originalschreiber der Christlichen Griechischen Schriften äußerst nachlässig oder unehrerbietig gegenüber dem „Heiligen Geist“, indem sie den bestimmten Artikel ausließen, oder dann sind jene, die dem heiligen Geist Persönlichkeit zuschreiben, jämmerlich im Unrecht.
Jesu Worte werfen Licht auf diesen Gegenstand: „Jede Art von Sünde und Lästerung wird den Menschen vergeben werden; aber die Lästerung wider den Geist wird nicht vergeben werden. Zum Beispiel: wer irgendein Wort wider den Sohn des Menschen redet, dem wird vergeben werden; doch wer irgend wider den heiligen Geist redet, dem wird nicht vergeben werden, nein, weder im gegenwärtigen System der Dinge noch im zukünftigen.“ Jesu obige Worte sind schwer zu erklären, wenn der heilige Geist als die dritte Person einer wesensgleichen Dreieinigkeit betrachtet wird, haben aber einen Sinn, wenn wir den heiligen Geist als Gottes wirksame Kraft betrachten. Durch diese wirksame Kraft trieb Jesus Dämonen aus, und seine Gegner, die diese Kundgebung des heiligen Geistes oder der wirksamen Kraft Gottes dem Teufel zuschrieben, lästerten den heiligen Geist. Sünden wider Gott und Christus können vergeben werden, weil sie eine Folge der Unwissenheit sein könnten, aber Sünden wider eine Kundgebung des heiligen Geistes Gottes geschehen willentlich, vorsätzlich und in boshafter Weise, und so gibt es für solche keine Vergebung. — Matth. 12:31, 32; Heb. 10:26, NW.
BETRACHTUNG DER EINWENDUNGEN
Vielleicht wird nun jemand den Einwand erheben: Gebrauchte denn Jesus keine persönlichen Fürwörter [männlichen Geschlechts], um sich auf den heiligen Geist zu beziehen? Allerdings, doch nur, wenn er den heiligen Geist in seiner Rolle als Paraklet, Tröster oder Helfer darstellte, und diese Hauptwörter sind im Griechischen männlich. In dieser Eigenschaft wurde der heilige Geist zu Pfingsten auf sie ausgegossen, und dadurch erhielten sie Trost, Hilfe, Kraft und Verständnis für das Werk, das sie tun sollten. In der Schrift werden unpersönliche Dinge oft personifiziert, und so gebrauchte Jesus in diesem Zusammenhang die persönlichen Fürwörter männlichen Geschlechts, weil er den heiligen Geist als Helfer oder Tröster personifizierte. — Joh. 14:26; 15:26.
Indes gebrauchte er auch persönliche Fürwörter sächlichen Geschlechts bei seiner Bezugnahme auf diesen „Geist der Wahrheit“, was er nicht getan hätte, wenn er eine Person wäre. „Der Geist der Wahrheit, den [in Griechisch hier ein sächliches Fürwort] die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn [griech. sächlich] weder schaut, noch ihn [griech. sächlich] kennt. Ihr kennt ihn [griech. sächlich], weil er [griech. sächlich] bei euch bleibt und in euch ist.“ Während gewisse Übersetzer, auch die deutschen, in diesem Text persönliche Fürwörter männlichen Geschlechts gebrauchen, zeigt doch die Tatsache, daß im Englischen sowohl Rotherham wie Goodspeed, zwei hervorragende Griechischgelehrte, auch unpersönliche Fürwörter gebrauchen, daß im englischen Sprachgebiet der Gebrauch von persönlichen Fürwörtern [männlichen Geschlechts] in Verbindung mit Geist auf religiöser Voreingenommenheit beruht. — Joh. 14:17, NW.
Lesen wir aber nicht davon, daß der heilige Geist rede, führe und leite, und weisen nicht solche Ausdrücke auf Persönlichkeit hin? Nicht notwendigerweise. Gottes unsichtbare wirksame Kraft kann alle diese Dinge tun, auch wenn sie nicht eine Person ist. Zur Veranschaulichung: Mittels des Radios können Stadtbeamte in Berührung bleiben mit sämtlichen Polizei-Patrouillenwagen, indem sie ihnen Anweisung, Führung und Rat erteilen, doch bedeutet dies nicht, daß das Radio eine besondere Person sei, nicht wahr? Oder ein Staatsoberhaupt hält eine Rede, und ein Presseberichterstatter zitiert ihn über Radio. Es wäre ebenso richtig, dies als etwas zu erwähnen, das das Radio oder ein Presseberichterstatter oder ein Staatsoberhaupt sagte, je nach dem Gesichtspunkt.
Dasselbe gilt mit Bezug auf die Heilige Schrift. Über die Prophezeiungen wird uns gesagt, Gott habe geredet, der Geist Christi habe bezeugt und der heilige Geist habe die Weissagung hervorgebracht, was alles richtig ist, denn alle Dinge sind vom Vater durch den Sohn und durch den heiligen Geist. — Sach. 4:6; 1. Kor. 8:6; Heb. 1:1; 1. Pet. 1:11, Me; 2. Pet. 1:21.
Weil alle Dinge vom Vater sind und durch den Sohn und durch den heiligen Geist kommen, finden wir sie öfters miteinander verbunden, wie z. B. in Matthäus 28:19 und 2. Korinther 13:13. Diese Verbindung beweist jedoch nicht, daß alle drei Personen sind oder daß sie gleich sein müßten. Wie könnten sie gleich sein, wenn wir lesen, der Vater habe den Sohn und der Sohn habe den heiligen Geist gesandt? Wer jemand sendet, ist jenem stets überlegen, den er sendet.
Beweist denn die Tatsache, daß vom heiligen Geist gesagt wird, er habe Diener gesetzt in der Christenversammlung, wie in Apostelgeschichte 13:2 und 20:28, daß der Geist eine Person ist, wie einige es behaupten? Ganz und gar nicht. Da die Menschen, die solche Einsetzungen vornahmen — wie z. B. Paulus Titus anwies —, mit dem heiligen Geist erfüllt und davon getrieben waren, können wir sagen, daß solche Ernennungen vom heiligen Geist getroffen wurden. — Tit. 1:5.
Aber gewiß beweist die Erklärung „der Geist erforscht alle Dinge, selbst die tiefen Dinge Gottes“, daß er eine Person ist — so behaupten andere. Nicht notwendigerweise. Von dem, was wir selbst mit Hilfe der wirksamen Kraft Gottes tun, kann gesagt werden, es sei durch sie geschehen; wir können sagen, sie erforsche, das heißt der heilige Geist helfe uns in unserer Erforschung des Wortes Gottes. Ein ähnlicher Gedanke findet sich in der Erklärung, daß ‚der Geist selbst Zeugnis ablegt mit unserem Geist, daß wir Gottes Kinder sind‘. Dies bedeutet, daß Gottes Geist oder wirksame Kraft dadurch, daß er uns zum Verständnis seines Wortes verhilft, Zeugnis ablegt zusammen mit der geistigen Einstellung derer, die den Leib Christi bilden, daß sie in der Tat Söhne Gottes sind. — 1. Kor. 2:10; Röm. 8:16, NW.
Durch die Ansicht, der heilige Geist sei keine Person, wird dieser nicht herabgesetzt, verunglimpft oder diskreditiert, sondern es wird ihm der gebührende Platz gegeben, denn wir können schauen, wo wir nur wollen in der Bibel, so finden wir ihn nicht als eine Person behandelt. Wiederholt hatten Jehovas Diener Visionen vom Himmel, wie Daniel, Stephanus und der Apostel Johannes; jedesmal sahen sie eine Darstellung Gottes Jehovas und seines Sohnes, des Menschensohnes, des Lammes Gottes, doch sahen sie je eine Darstellung des heiligen Geistes als Person? Gerade die Tatsache an sich, daß er als Taube und als viele Feuerzungen erschien, zeigt an, daß er nicht eine Person ist.
Ja, all das biblische Zeugnis zeigt deutlich, daß der heilige Geist entweder keine Person oder von einer Art ist, die mit Unpersönlichkeit in Einklang gebracht werden kann. Es ist Jehovas wirksame Kraft, die unsichtbare und machtvolle, die ausgesandt wird, um sein Vorhaben auszuführen.