Die Ortskirche als Geselligkeitsverein
WARREN ASHBY, außerordentlicher Professor der Philosophie an der Hochschule für Mädchen der Universität von North Carolina, schreibt in einem Artikel der Januarausgabe 1957 der Theology Today, er finde, wie in einem redaktionellen Kommentar gesagt wird, „eine alarmierende Parallele zwischen einem Geselligkeitsverein und der Ortskirche“.
Professor Ashby schreibt: „Was sind einige dieser Bedürfnisse und der Interessen, die die Geselligkeitsvereine befriedigen und wahren? Zuerst offenbar das Bedürfnis nach geselligem Beisammensein … Die Vereine wahren eine gewisse Exklusivität und erhöhen so den Wunsch der Mitglieder nach gesellschaftlichem Ansehen. Manchmal muß man, um aufgenommen zu werden, zu einem gewissen Stand gehören oder ein gewisses Einkommen haben; manchmal muß man einer bestimmten Kaste oder Rasse angehören; manchmal spielt der Beruf eine Rolle oder das Hobby. Die Bedingungen zur Aufnahme in einen Geselligkeitsverein sind ohne Ausnahme äußerlicher Art und richten sich nicht nach dem, was eine Person wirklich ist, sondern nach dem, was sie besitzt. Es mag Geld, aber nicht Tugend erfordern, um Mitglied eines Vereins mit Klubhaus auf dem Lande zu werden; es mag eine gewisse Stellung erfordern, aber es bedarf keiner besonderen Intelligenz, um Mitglied eines Rotary-Klubs zu sein. … Man braucht nicht viel Glauben zu haben, um Kolumbus-Ritter oder Freimaurer zu werden …
Die Aufnahmebedingungen einer Kirche sind wie diejenigen eines Geselligkeitsvereins hauptsächlich äußerlicher Art, und wenn ihnen entsprochen wird, erlangt der Betreffende ein gewisses gesellschaftliches Ansehen … Die Erfordernisse mögen in dem Sinne äußerlicher Art sein, daß man sich vor Menschen zu einem bestimmten Glauben bekennen muß; aber dies bedeutet nicht unbedingt, daß dieses Bekenntnis oder das, was man sagt, auch in der Tat zum Ausdruck kommt. Und wenn man wiederum, wie beim Geselligkeitsverein, einmal den Aufnahmebedingungen entsprochen hat, ist es nicht schwer, den Bedingungen, die das Verbleiben in einer Kirche an uns stellt, zu entsprechen. Es ist nicht schwer, Mitglied eines Rotary-Klubs zu sein, und es ist auch nicht schwer, Mitglied einer Ortskirche zu sein.
In der Kirche eines bestimmten Ortes werden ebenso wie in einem Geselligkeitsverein Ansichten ausgetauscht, und es wird ein Minimum an intellektuellen Anforderungen gestellt. Die Ansichten, die man austauscht, sind gewöhnlich jene, die im allgemeinen in der Gemeinde anerkannt werden. Zumindest sollen die Gedanken, die in einer Kirche am häufigsten geäußert werden, nicht die gesellschaftliche oder religiöse Ordnung stören. Das Minimum an intellektuellen Anforderungen bezieht sich auf die Tatsache, daß Zweifel zu hegen und peinliche Verstandesfragen zu stellen in der Kirche nicht Mode ist. Einer großen Zahl von jungen Intellektuellen wird irgendwie die Meinung eingeflößt, daß der Zweifel, weil er Mangel an Glauben darstellt, sündhaft sei und deshalb wie andere Sünden unterdrückt oder mindestens nicht offen praktiziert werden sollte. Vor kurzem äußerte sich der Besucher einer Universität darüber wie folgt: ‚Wer vier Jahre lang eine höhere Schule besucht und nie tiefgreifende religiöse Fragen gestellt hat oder nie von religiösen Zweifeln geplagt worden ist, der hat keine höhere Schule, sondern eine Kirche besucht.‘“