„Glückselig die Sanftmütigen“
JESUS Christus, der größte Mensch, der je gelebt hat, zeigte in seiner Lehre und durch sein Beispiel, daß er großen Wert auf Sanftmut legte. „Glückselig die Sanftmütigen, denn sie werden das Land ererben“, sagte er, und bei einer anderen Gelegenheit forderte er seine Zuhörer auf: „Lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig.“ Da jedoch viele Menschen nicht wissen, was unter Sanftmut zu verstehen ist, machen sie sich von Jesus Christus ein ganz falsches Bild. So erscheinen in The Catholic Encyclopedia, Band 8, gegenüber der Seite 384 Darstellungen von zwanzig Künstlern, die zeigen, wie sich diese Jesus vorgestellt haben. Mit einer oder zwei Ausnahmen stellen sie ihn alle als femininen Typ oder als Asketen dar. — Matth. 5:5; 11:29.
Jesus war aber eine starke, männliche Persönlichkeit, ja er war die stärkste Persönlichkeit, die je auf Erden gelebt hat. Jederzeit beherrschte er seine Gedanken und Gefühle sowie die Bewegungen seines Körpers in vollkommener Weise. Er setzte seine Zuhörer durch die Autorität, mit der er sprach, in Staunen, und er schreckte nicht davor zurück, die Heuchelei und Habsucht der religiösen Führer seiner Tage durch scharfe Reden zu geißeln. Soldaten, die ausgesandt wurden, um ihn zu verhaften, waren von ihm so beeindruckt, daß sie unverrichteter Dinge umkehrten. Zweimal trieb er Geldwechsler und andere Gimpelfänger aus dem Tempel seines Vaters hinaus. Als sich ihm in der letzten Nacht seines Lebens auf Erden ein bewaffneter Pöbelhaufe nahte, um ihn festzunehmen, veranlaßten seine kühnen Worte und sein Benehmen, daß dieser zurückwich. Ohne Zweifel war Jesus nicht der schüchterne Schwächling, den sich die meisten Leute unter einem „sanftmütigen“ Menschen vorstellen.
Was bedeutet es also, sanftmütig zu sein? Es wurde schon gesagt, daß ein sanftmütiger Mensch lernbereit sei. Das stimmt, doch schließt Sanftmut noch viel mehr ein. Das kommt in den verschiedenen Definitionen des Wortes „sanftmütig“ zum Ausdruck. „Sanft oder mildherzig; beherrscht und freundlich; nicht leicht gereizt oder erzürnt; nachsichtig, wenn man dich schädigt oder belästigt.“ In modernen Bibelübersetzungen wird das in den älteren Versionen erscheinende Wort „sanftmütig“ oft durch die Ausdrücke „mild“ und „sanft“ ersetzt. Jesus war ohne Zweifel sanftmütig. Und ein weiteres bemerkenswertes Beispiel der Sanftmut, von dem wir in der Heiligen Schrift lesen, ist Mose, der von Gottes heiligem Geist inspiriert wurde, folgende Worte niederzuschreiben: „Der Mann Mose aber war sehr sanftmütig, mehr als alle Menschen, die auf dem Erdboden waren.“ — 4. Mose 12:3.
Sanftmut oder Milde ist die Frucht des heiligen Geistes Gottes. „Die Frucht des Geistes ist Liebe … Milde.“ Sanftmütig zu sein bedeutet, das Gegenteil von stolz, habsüchtig, ungeduldig, unbarmherzig, streitsüchtig oder aggressiv zu sein. Wer der Milde oder Sanftmut ermangelt, brüstet sich gern, ist barsch, schroff, leicht erzürnt und schwer zu befriedigen; er weiß seine Ellbogen zu gebrauchen, um sich durchzusetzen, und ist stets zum Zanken bereit. Aus diesem Grunde wird besonders den Frauen Milde oder Sanftmut als ein Teil ihres Schmuckes empfohlen. „Euer Schmuck sei … im unvergänglichen Gewand des stillen und milden Geistes, der in Gottes Augen von hohem Wert ist.“ — Gal. 5:22, 23; 1. Pet. 3:4, NW.
WESHALB WIR SANFTMÜTIG ODER MILDE SEIN SOLLEN
Weshalb denn? Weil diese Eigenschaft zum Wege der Gerechtigkeit und Liebe gehört. Sie ist in Übereinstimmung mit Gottes Gebot: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“, und mit dem Gebot Jesu: „Alles daher, was ihr wollt, daß euch Menschen tun, sollt ihr gleicherweise auch ihnen tun; dies ist in der Tat das, was das ‚Gesetz‘ und die Propheten bedeuten.“ — Matth. 22:39; 7:12, NW.
Sanftmut oder Milde gehört auch zum Wege der Weisheit. Die Sanftmut erleichtert es uns, die Unterweisung anzunehmen, die zu ewigem Leben führt. Sie macht uns milde, freundlich, erquickend und verträglich. Sie erleichtert es unseren Mitmenschen, an uns heranzutreten. Jesus benahm sich auf diese Weise. „Kommt alle zu mir, die ihr euch abmüht und die ihr beladen seid, und ich will euch erquicken. Nehmt mein Joch auf euch und werdet meine Jünger, denn ich bin mildgesinnt und von Herzen demütig, und ihr werdet Erquickung finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.“ — Matth. 11:28-30, NW.
Daß Sanftmut oder Milde den Weg der Weisheit kennzeichnet, zeigt uns Jakobus in folgenden Worten: „Wer ist weise und verständig unter euch? Er zeige aus seinem rechten Wandel seine Werke mit einer Sanftmut, die zur Weisheit gehört. Wenn ihr aber bittere Eifersucht und Streitsucht in euren Herzen habt, so prahlt nicht und lügt nicht wider die Wahrheit. Dies ist nicht die Weisheit, die von oben herabkommt, sondern ist die irdische, animalische, dämonische.“ — Jak. 3:13-15, NW.
Ein weiser Mensch hat Erfolg, und wenn wir im Umgang mit unseren Mitmenschen Erfolg haben wollen, müssen wir Strenge und Streit meiden. Der Mensch hat es von Natur nicht gern, wenn er unter Druck gesetzt wird, weil Gott die Liebe zur Freiheit in sein Herz gepflanzt hat. Druck erweckt in ihm das Gefühl, von stolzen, lieblosen Menschen geknechtet zu werden. Deshalb wird jemand, der über andere die Aufsicht innehat, eher unterstützt werden, wenn er milden Sinnes ist, denn dadurch wird die Zusammenarbeit zu einem Vergnügen; sie ist nicht mehr ein Muß, sondern entspringt dem freien Willen. Milde ist besonders erforderlich für jemanden, der andere zu unterweisen hat, zum Beispiel für Eltern, Schullehrer, Musiklehrer oder christliche Prediger. Bisweilen mögen die Grundsätze von uns verlangen, daß wir entschieden und unnachgiebig sind, aber wir brauchen niemals streng, herrisch und eisern zu sein, als ob wir den Personen, die wir belehren möchten, etwas mit Gewalt eintrichtern wollten.
Ein weiser Mensch wendet eine gewinnende, milde, liebreiche und freundliche Methode an. Er verläßt sich auf den Anklang, den die Grundsätze, die Logik und die Schönheit seiner Botschaft bei seinen Zuhörern finden, und den Einfluß, den diese auf sie ausüben. Deshalb gab Petrus Christen den Rat: „Seid allezeit bereit zu einer Verteidigung vor jedermann, der von euch einen Grund für die Hoffnung verlangt, die in euch ist, doch tut dies mit Milde und tiefem Respekt.“ Ja es kann sogar gesagt werden, daß, je schwerer es uns in einer Lage fällt, Milde an den Tag zu legen, es um so notwendiger ist, dies zu tun, denn der Apostel Paulus mahnt uns: „Ein Sklave des Herrn aber soll nicht streiten, sondern soll gegen alle taktvoll sein, lehrfähig, der sich unter üblen Verhältnissen zusammennimmt, der mit Milde die Widerstrebenden unterweist.“ — 1. Pet. 3:15; 2. Tim. 2:24, 25, NW.
GOTT SORGT FÜR DIE SANFTMÜTIGEN
Gottes Wort verheißt den Sanftmütigen viele Segnungen. „Die Sanftmütigen werden essen und satt werden.“ „Er lehrt die Sanftmütigen seinen Weg.“ „Jehova befreit die Sanftmütigen.“ „Er [Christus] wird die Geringen richten in Gerechtigkeit und den Sanftmütigen des Landes Recht sprechen in Geradheit.“ Was schließen alle diese Verheißungen ein? Gerechtigkeit und Wohlfahrt für Sanftmütige, ohne daß sie ihre Sanftmut im Verkehr mit ihren Mitmenschen preisgeben müssen! — Ps. 22:26; 25:9; 147:6, NW; Jes. 11:4, Fußn.
Da wir nun kurz vor dem Tag des Zornes Gottes leben, ist folgende Verheißung für die Sanftmütigen von besonderem Interesse: „Suchet Jehova, alle ihr Sanftmütigen des Landes, die ihr sein Recht gewirkt habt; suchet Gerechtigkeit, suchet Demut [Sanftmut, KJ]; vielleicht werdet ihr geborgen am Tage des Zornes Jehovas.“ Dieser Tag seines Zornes wird an anderer Stelle als der „Krieg des großen Tages Gottes, des Allmächtigen“, oder als „Harmagedon“ bezeichnet. — Zeph. 2:3; Off. 16:14, 16, NW.
Nachdem unsere Erde durch Harmagedon ebenso von aller Gewalttat und Bosheit gesäubert worden sein wird, wie es in den Tagen Noahs durch die Flut geschah, wird ein neues System der Dinge seinen Anfang nehmen, ‚neue Himmel und eine neue Erde, in denen Gerechtigkeit wohnt‘. Dann wird die ganze Erde zu einem Paradies gemacht werden, wie es der Garten Eden einst war, und dies in Übereinstimmung mit dem ursprünglichen Zweck, zu dem Jehova die Erde erschaffen hat. In dem Auftrag, den er unseren Ureltern gab, wies er auf diesen Zweck hin: „Seid fruchtbar, werdet viele und füllt die Erde und unterwerft sie euch.“ In der neuen Welt werden Liebe, Friede und Glück herrschen. Menschen, die nicht sanftmütig werden wollen, werden nicht darin bleiben dürfen, denn sie würden nicht nur das Glück der anderen gefährden, sondern wären dabei selbst nicht glücklich. — 2. Pet. 3:13; 1. Mose 1:28, NW.
Wird das die Erfüllung der Verheißung Jesu bedeuten: „Glückselig die Sanftmütigen, denn sie werden das Land [die Erde] ererben“? Nein, wenigstens nicht in erster Linie. Diese Worte, die ursprünglich von dem Psalmisten David geäußert wurden, beziehen sich vor allem auf Jesus Christus, den hervorragendsten aller Sanftmütigen, zu dem sein Vater, Jehova Gott, sagte: „Fordere von mir, und ich will dir zum Erbteil geben die Nationen, und zum Besitztum die Enden der Erde.“ Dieses Erbteil gehört zu der Belohnung, die Christus für seine Sanftmut und Treue empfängt, welche er während seines irdischen Laufes an den Tag legte. — Matth. 5:5; Ps. 2:8.
Seine „Braut“, das heißt seine Fußstapfen-Nachfolger, deren Zahl auf 144 000 beschränkt ist und die eine himmlische Belohnung empfängt, wird dieses Erbe mit Jesus Christus teilen. (Off. 14:1, 3) Deshalb sagt der Apostel Paulus zu ihnen: „Wenn wir also Kinder sind, sind wir auch Erben: nämlich Erben Gottes, doch Miterben mit Christus.“ Jesus spricht von dieser Klasse seiner besonders begünstigten Nachfolger als von einer „kleinen Herde“. Der in Matthäus 5:5 niedergelegte Grundsatz bezieht sich aber auch auf Jesu andere Schafe, die als Sanftmütige ewiges Leben auf Erden erlangen werden. Inwiefern denn? Indem sie die Erde für Christus und seine Braut sozusagen ewig als ein ihnen anvertrautes Gut verwalten werden. — Röm. 8:17; Luk. 12:32; Joh. 10:16, NW.
So werden denn alle, die Jehovas Segnungen in seiner neuen Welt genießen möchten ermuntert, ihren Glauben an ihn sowie ihre Liebe zu ihm und zu ihren Mitmenschen zu bekunden und „nach Gerechtigkeit, Gottergebenheit, Glauben, Liebe, Ausharren, Mildherzigkeit“ zu streben. — 1. Tim. 6:11, NW.