Bist du nur für Zusammenarbeit, wenn es nach deinem Willen geht?
DIE Liebe des Menschen zur Freiheit ist natürlich. Doch zu sehr auf seiner Unabhängigkeit zu bestehen ist unvernünftig. Wir sollten auch bereit sein nachzugeben. Das Leben an sich bedingt, daß wir zusammenwirken und zusammenarbeiten.
Das veranschaulicht zum Beispiel eine Meldung, die in der New York Times vom 12. Oktober 1965 unter der Überschrift „Amerikaner wegen Streit um Hausbau aus der Schweiz ausgewiesen“ erschien. Die Ausweisung erfolgte, weil sich der Amerikaner mit den Ortsbehörden wegen Kleinigkeiten überworfen hatte. Unter anderem wollte er sein Haus unbedingt 25 cm höher bauen, als es die Vorschriften gestatteten. Die Regierung bezeichnete ihn als Querulant, der sich den Ortsverhältnissen nicht anpassen wolle oder sich nicht anpassen könne. Seine Frau und seine vier kleinen Kinder wurden nicht ausgewiesen.
Wie töricht, sich wegen Kleinigkeiten zu streiten und sich selbst und anderen deswegen Unannehmlichkeiten zu bereiten! Warum handelte dieser Mann so? Weil er zu sehr auf seiner Unabhängigkeit bestand. Er hatte kein Einfühlungsvermögen; er konnte sich nicht in die Lage der Bürger seines Gastlandes versetzen. Alles sollte nach seinem Willen gehen, und weil er sich nicht anpassen wollte und sich weigerte, sich den Ortsbehörden zu fügen, wurde er ausgewiesen. Das ist allerdings ein extremer Fall, aber er beleuchtet eine allgemeine menschliche Schwäche.
Daß wir einander brauchen, steht fest, und wir tun gut, uns entsprechend zu verhalten. Ein weiser König schrieb schon vor langer Zeit: „Zwei sind besser daran als einer, weil sie eine gute Belohnung für ihre Mühe haben, denn wenn sie fallen, so richtet der eine seinen Genossen auf ... und eine dreifache Schnur zerreißt nicht so bald.“ — Pred. 4:9-12.
Selbst die Tiere lehren uns, daß es gut ist, diesen Grundsatz zu beachten, obwohl sie es nicht von sich aus tun, sondern weil der Instinkt sie dazu treibt. Der bekannte Biologe William A. Wheeler schreibt in seinem Buch Philosophical Biology, alle Lebensformen hätten etwas grundlegend Gesellschaftliches an sich. „Es muß sich dabei um ein charakteristisches Merkmal alles Lebendigen handeln“, sagt er, „denn jeder Organismus ist mindestens zeitweise mit anderen Organismen verbunden.“ Das könne sogar von Tieren gesagt werden, schreibt er weiter, „die einzeln leben, wie Löwen, Adler, Haie, Tiger, Käfer und Spinnen“. Der führende amerikanische Anthropologe Ashley-Montague steht auf dem Standpunkt, daß bei den Tieren das Gemeinschaftsgefühl ausgeprägter ist und eine größere Rolle spielt als der Kampf ums Dasein, und obwohl er ein überzeugter Evolutionist ist, bezeichnet er Darwins Theorie vom Überleben des Tüchtigsten als „Darwins Trugschluß“.a
Bei den Tieren beruht das Zusammenwirken oder die Zusammenarbeit auf dem Instinkt, beim Menschen dagegen auf Freiwilligkeit. Zusammenzuarbeiten heißt mit einem anderen oder mit mehreren ein gemeinsames Ziel anzustreben. Um dieses Ziel zu erreichen, muß man auch nachgeben oder sich fügen können. Mit anderen Worten, man muß bereit sein, kleine Dinge zugunsten größerer Dinge aufzugeben.
Wenn zum Beispiel ein Mann und eine Frau heiraten, dann möchten sie glücklich werden. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen aber beide bereit sein, zugunsten des anderen gewisse Opfer zu bringen. Denken beide, es müsse stets alles nach ihrem Willen gehen, dann erreichen sie ihr Ziel nicht; sie werden nicht glücklich. Doch wie viele Verheiratete begehen gerade diesen Fehler und machen dadurch sich selbst und ihren Ehegefährten unglücklich!
Eine Frau mag ihren Mann zum Beispiel überreden, ihre Verwandten zu besuchen; da er diese aber nicht besonders gut leiden mag, verhält er sich vielleicht so, daß der Besuch alles andere als erfreulich ausfällt. Oder ein Mann möchte vielleicht einige Freunde zum Abendessen einladen oder hätte gern eine bestimmte Speise. Sind der Frau diese Freunde aber nicht sympathisch oder ißt sie die Speise selbst nicht gern, dann bereitet sie das Essen möglicherweise ohne jede Liebe zu, um ihrem Mann zu zeigen, daß sie nicht einverstanden ist. Sie versagt ihm also ihre ganzherzige Unterstützung. So handelt jeder von ihnen dem anderen gegenüber nicht so, wie er möchte, daß der andere ihm gegenüber handelt. Wir töricht! Denn ebensowenig, wie man andere glücklich machen kann, ohne sich selbst glücklich zu machen, kann man andere unglücklich machen, ohne sich selbst unglücklich zu machen. — Luk. 6:31.
Auch am Arbeitsplatz mag es sich zeigen, ob du bereit bist, mit anderen zusammenzuwirken oder zusammenzuarbeiten. Du siehst vielleicht nicht ein, warum etwas so und nicht anders gemacht werden soll. Das heißt jedoch nicht, daß du dich deswegen nicht anstrengen solltest, nach bestem Vermögen deinen Teil zu tun. Ist die Arbeitsmethode nicht gut, so wird es sich mit der Zeit herausstellen; doch bis dahin solltest du dein Bestes tun, um die Sache gelingen zu lassen. Der Apostel Paulus gab den ersten Christen den Rat: „Was immer ihr tut, arbeitet daran mit ganzer Seele als für Jehova und nicht für Menschen.“ — Kol. 3:23.
Die Bereitschaft zusammenzuarbeiten ist besonders bei freiwilligen Unternehmungen wichtig. Sobald gemeinsame Anstrengungen zum Nutzen der Allgemeinheit unternommen werden und jeder freiwillig mitarbeitet oder von seinen Gütern beisteuert, ist der einzelne oft gern geneigt, sich selbst zu wichtig zu nehmen und nur dann mitzuarbeiten, wenn alles nach seinem Willen geht oder er entsprechend mitreden darf. Bei einer solchen Gelegenheit zeigt es sich, ob jemand einer Sache, einer Gruppe oder einer Organisation wirklich treu ergeben ist.
Wer nur für Zusammenarbeit ist, wenn es nach seinem Willen geht, bringt sich um viele Segnungen. Ja, solange kein Grundsatz der Gerechtigkeit verletzt wird, ist es stets zum Segen, nachzugeben oder sich zugunsten der Allgemeinheit zu fügen. Der Mensch unterscheidet sich dadurch, daß er aus freien Stücken mit anderen zusammenarbeiten kann, aus Liebe und seinem Gewissen folgend, und weil es vernünftig ist. Zusammenarbeit ist eine Art des Gebens, und Jesus Christus, der Sohn Gottes, sagte: „Beglückender ist Geben als Empfangen.“ Sei also nicht nur für Zusammenarbeit, wenn es nach deinem Willen geht, sondern sei bereit, zugunsten des Wohls und des Glücks anderer nachzugeben. — Apg. 20:35.
[Fußnote]
a Darwin: Competition and Cooperation (1950).