Warum treten sie aus der Kirche aus?
IN DEN 450 Jahren, seitdem Ferdinand Magellan das erste Kreuz auf der philippinischen Insel Cebu aufpflanzte und dort der ersten Messe beiwohnte, sind die Philippinen oft als „das einzige christliche Land im Fernen Osten“ gepriesen worden und offenbar nicht ohne guten Grund, denn 83 Prozent der Filipinos sind heute katholisch, und weitere 10 Prozent bekennen sich ebenfalls zum christlichen Glauben.
Die Filipinos sind ein sehr religiöses Volk. Sie strömen an Sonn- und Feiertagen zu Millionen in die Kirchen, so daß man denken könnte, das Christentum auf den Philippinen sei stark und gedeihe. Im Gegensatz zu England, wo man, wie die Zeitschrift Time berichtet, den Kirchenbesuch als „eine veraltende Lebensweise“ bezeichnen könnte, sind die Kirchen auf den Philippinen sehr oft überfüllt.
Doch trotz dieses anscheinend gesunden Zustandes der philippinischen Kirchen lassen gewisse Anzeichen erkennen, daß nicht alles in Ordnung ist. Viele Gläubige treten aus der Kirche aus und suchen etwas, was ihre Bedürfnisse mehr befriedigt. So trat zum Beispiel vorletztes Jahr in Tayabas (Quezon) eine 68jährige Katholikin, die fast ihr ganzes Leben als Leiterin einer katholischen Laienorganisation tätig war, aus ihrer Kirche aus und nahm einen anderen Glauben an. In Caloocan City wechselte im Jahre 1969 ein Mann, der sich seit seiner Jugend (in der er Chorknabe gewesen war) in der katholischen Kirche betätigt hatte und Leiter der Katholischen Aktion an der Universität Araneta gewesen war, ebenfalls seinen Glauben. Im gleichen Jahr trat auch eine fromme Katholikin, die jeweils auf den Knien von der Kirchentür zum Altar gerutscht war und eine Zeitlang im Kloster gelebt hatte, aus der Kirche aus.
Warum treten solche frommen Leute aus der Kirche aus? Ist die Kirche irgendwie daran schuld? Daß dies durchaus möglich ist, geht aus einer Äußerung Maximo Solivens hervor, der in der Manila Times vom 27. März 1970 in seiner täglichen Rubrik „Nebenbei bemerkt“ folgendes schrieb: „Das Christentum ist auf den Philippinen leider so bequem und so alltäglich geworden wie ein alter Schuh.“ Er fügte noch hinzu: „Nachdem die christliche Kirche behäbig und selbstgefällig und ein wesentlicher Bestandteil des Establishments geworden ist, beginnt sie, lahm und schwach zu werden.“ Diesen Zustand mit Christus vergleichend, führte er weiter aus: „Jesus kam auf die Erde, um im Herzen der Menschen eine Revolution zu entfachen; er war ein mannhafter und energischer Christus, nicht ein verweichlichter und zartfingeriger Asket. Er forderte seine Nachfolger nicht nur zum Beten, sondern auch zum Handeln auf.“
Zwei Tage später erschien von führender protestantischer Seite in derselben Zeitung ein Artikel, in dem dieser Zustand ebenfalls bedauert wurde. Der leitende Sekretär der Landesgemeinschaft für die Evangelisation auf den Philippinen schrieb unter anderem: „Wir geben zwar vor, an die Auferstehung und an die übrigen Sätze des Apostolischen Glaubensbekenntnisses zu glauben, aber wir leben nicht nach dem, was wir glauben. ... Die christliche Kirche unserer Zeit hat ihre Aufgabe den Menschen und der Gesellschaft gegenüber nicht erfüllt. Ich gebe jedoch zu, daß das Problem nicht darin liegt, daß die Lebensweise Jesu nicht erprobt worden wäre und sich nicht bewährt hätte, sondern darin, daß sie nicht gründlich genug, nicht vollständig erprobt worden ist.“
Daß diese Kommentare über die Kirchen der Christenheit nicht übertrieben sind, ist daraus ersichtlich, daß der Durchschnittskatholik auf den Philippinen die Bibel kaum kennt Nur wenige haben eine Bibel im Haus. Ein Mann in Santa Cruz (Manila) sagte: „Ich bin jetzt sechzig Jahre alt. Meine Eltern und meine Großeltern waren katholisch. Trotzdem bin ich nun in diesem Alter noch aus der katholischen Kirche ausgetreten, weil ich darin höchstens gelernt habe, wie man das Gebetbuch und den Rosenkranz benutzt, etwas, was immer gleichgeblieben ist, woran sich bis heute nichts geändert hat.“
Viele Geistliche und führende Laien sind sich der geistigen Vernachlässigung der katholischen Laien bewußt. „Soweit wir uns erinnern können“, sagte Jeremias Montimayor, ein führender Laie, „erwartete man von den Bischöfen und Priestern, daß sie reden, und von den Laien, daß sie zuhören. Von den Bischöfen und Priestern erwartete man, daß sie bestimmten, und von den Laien, daß sie gehorchten“ (Kursivschrift von ihm). In dem Bemühen, dies zu ändern, führte man im Jahre 1964 den cursillo (einen dreitägigen Kursus zur Einführung von Laien in die katholische Lehre) ein. Nach einer Tagung, an der zweihundert Leiter der cursillo-Bewegung in Manila teilgenommen hatten, sagte der Priester Ben A. Carreon, O.M.I.: „Einige Leiter, darunter Bischöfe und Priester, müssen zugeben, daß viele Cursillistas [Absolventen des cursillo] dazu neigen, ihren Erfolg nach der Zahl der Bekehrungen zu beurteilen statt danach, wieweit sie den Glauben bereits überzeugter Christen vertiefen konnten.“ Hast du das Empfinden, daß deine Kirche mehr darauf bedacht ist, Mitglieder zu gewinnen, als darauf, deinen Glauben zu vertiefen?
Kardinal Rufino Santos von der Erzdiözese Manila sagte letztes Jahr in seiner „Oster“-Botschaft: „Obwohl die Mutterkirche den Vorrang des Geistes betont, ist sie auch bemüht gewesen, das irdische Wohl des Menschen und dessen Entwicklung zu fördern.“ Hat die Kirche in ihrem Bemühen, das „irdische Wohl des Menschen“ zu fördern, etwa ihre Hauptaufgabe — die Förderung des Glaubens und der Gottesfurcht — versäumt? Ein ehemaliger Leiter der Katholischen Aktion kam zu dieser Schlußfolgerung, als er auf sein Leben als Katholik zurückblickte. Er sagte: „Mein katholischer Glaube hatte nichts mit Gottesfurcht zu tun. Wir waren nur darauf bedacht, einen jeden möglichst zu erfreuen durch Picknicks, Unterhaltungsprogramme und Partys.“
Andere aufrichtige Katholiken befürchten, daß sich ihre Kirche zu sehr in weltliche Angelegenheiten einmischt. Einer schrieb: „Ich persönlich kann Priestern, die sich in nationale Streitfragen und vor allem in die gegenwärtigen Auseinandersetzungen mit den Studenten einmischen, keinen Glauben schenken.“ Glaubst du, Christus, der sagte: „Mein Königreich ist kein Teil dieser Welt“, würde sich, wenn er heute auf der Erde wäre, in solche Dinge einmischen? — Joh. 18:36.
Nicht wenige Filipinos wundern sich heute offensichtlich, warum in einem Land, dessen Bevölkerung angeblich zu 93 Prozent christlich ist, Verbrechen und Gewalttat überhandnehmen, warum die Gefängnisse ebenso voll sind wie die Kirchen und warum mehr Nachdruck auf materielle als auf geistige Werte gelegt wird. Viele Katholiken beschweren sich über die Heuchelei in der Kirche, und Tausende und aber Tausende gehen nicht mehr in die Kirche, weil sie enttäuscht sind. Sie bleiben aber dem Namen nach katholisch, weil sie wahrscheinlich denken, sie würden Gott, der Kirche und ihren Eltern untreu, wenn sie einen anderen Glauben annehmen würden. Stimmt das aber? Ist es verkehrt, seine Religion zu wechseln?