Wir stellten den Dienst für Gott allem voran
MEIN Vater war ein Landwirt in Westfinnland. Ungefähr im Jahre 1911 nahm er Literatur von Bibelforschern entgegen, die behaupteten, daß im Jahre 1914 ein Weltwechsel eintreten würde. Im Jahre 1912 abonnierte er die Zeitschrift Der Wachtturm in Finnisch und erhielt die Ausgabe vom 1. Dezember 1912, die erste Nummer, die in finnischer Sprache veröffentlicht wurde.
Ich besitze immer noch die Wachtturm-Ausgaben meines Vaters, von der ersten Nummer an. Die Ereignisse im Jahre 1914 und danach zeigten meinem Vater deutlich, daß sich die Vorhersagen erfüllten. So wurde er ein eifriger Bibelforscher, wie man Jehovas Zeugen damals nannte.
Ich wurde am 7. September 1914 geboren. Mit meiner Kindheit verbinden sich viele Erinnerungen an die Predigttätigkeit meines Vaters. Er war in der Kommunalverwaltung tätig und benutzte all seinen Einfluß in der Gemeinde, um die gute Botschaft von Gottes Königreich unter den Menschen bekanntzumachen. Selbst sein graues Pferd, mit dem er am Sonntag ausritt, um öffentliche Vorträge zu halten, war weit und breit bekannt.
AUSWIRKUNGEN FRÜHER KONTAKTE
Im Alter von 13 Jahren verließ ich mein Elternhaus, um in einem anderen Bezirk eine Schule zu besuchen. Die Folge war, daß die Belehrung durch meinen Vater abriß und mein Denken völlig von weltlichen Lehren beeinflußt wurde. Als Menschen schätzte ich meinen Vater zwar sehr, doch seine biblisch begründeten Lehren versuchte ich mit allem, was ich in der Schule lernte, zu widerlegen.
Im Jahre 1935 begann ich das Studium an der Technischen Hochschule in Helsinki, um meine Ausbildung fortzusetzen. In Helsinki befindet sich auch die Zentrale der Zeugen Jehovas für Finnland, und damals war dort ein Zimmer frei. Da mein Vater ein Zeuge Jehovas war, gestattete man mir, solange ich die Universität besuchte, vorübergehend dort zu wohnen.
Wiewohl meine Studien und das Hochschulleben den größten Teil meiner Zeit beanspruchten, hinterließen die Kontakte mit den Gliedern der Bethelfamilie (wie man die Gemeinschaft der Mitarbeiter in der Zentrale nennt) bei mir einen tiefen Eindruck. Hier konnte ich selbst den wunderbaren Einfluß beobachten, den die biblischen Wahrheiten auf das Leben von Menschen ausüben können. Die christliche Atmosphäre, die im Bethel herrschte, formte allmählich meine Einstellung, und schließlich ließ ich mich im September 1939 taufen, um zu symbolisieren, daß ich mich Jehova Gott hingegeben hatte, um ihm zu dienen. Seit dieser Zeit hat Jehova mich überaus gesegnet und mir in großem Maße unverdiente Güte erwiesen.
DIE TÄTIGKEIT WÄHREND DES ZWEITEN WELTKRIEGES
Im Spätherbst jenes Jahres brach zwischen Finnland und Rußland Krieg aus. Mein Glaube wurde, sooft ich erklärte, weshalb ich mich als Christ nicht an politischen oder kriegerischen Handlungen beteiligen konnte, auf die Probe gestellt. Schließlich arbeitete ich in der technischen Abteilung der Staatseisenbahnen in Helsinki als ziviler Ingenieur.
Den Kriegszustand nutzte man, um die öffentliche Predigttätigkeit der Zeugen Jehovas fast ganz zu unterbinden. Durch eine gerichtliche Verordnung wurde unsere christliche Organisation aufgelöst, man verbot unsere Zeitschriften und beschlagnahmte unsere Literatur. Der Zweigaufseher wurde in Schutzhaft genommen, und viele Zeugen warf man ins Gefängnis. All das widerfuhr Jehovas Zeugen, weil sie neutral blieben und sich nicht am Krieg beteiligten.
Doch Zeugen, die noch frei waren, taten weiterhin, was sie konnten. Zum Beispiel beteiligte sich eine kleine Gruppe von uns an einem besonderen Werk zugunsten jener Inhaftierten. Der Gruppe gab man den Namen „Treuhänder der Zeugen Jehovas“ und mitunter auch andere Namen. Worin bestand die besondere Tätigkeit dieser Gruppe?
Jedermann, vom Präsidenten der Republik bis zum einzelnen Abgeordneten, unterbreiteten wir während des Krieges Petitionen. In diesen Petitionen forderten wir dazu auf, das Verbot der Zeugen Jehovas aufzuheben und den Zeugen, die verfolgt wurden, Hilfe zu leisten. Im Verlauf des Krieges wurden meistens keine wahrnehmbaren Ergebnisse erzielt, doch anscheinend gelang es uns, ein sehr gutes Zeugnis zu geben. Regierungsbeamte, die wir besuchten, achten uns deswegen heute noch und bewundern uns sogar.
Um nur ein Beispiel anzuführen: Gegen Ende des Krieges wurden drei Zeugen in Jugoslawien zum Tode verurteilt. Ein aus Zeugen Jehovas bestehendes Komitee begab sich in dieser Angelegenheit zum Außenminister, doch dieser sagte, er könne sich nicht in die Angelegenheiten eines anderen Landes einmischen. Darauf gingen wir zum Verteidigungsminister, den wir von früheren Unterredungen her gut kannten. Er sagte uns erstaunlicherweise Hilfe zu und schrieb an Präsident Tito einen persönlichen Brief, in dem er sich für unsere christlichen Brüder einsetzte. Die Todesurteile wurden aufgehoben.
Vor einigen Jahren lud mich dieser frühere Verteidigungsminister, der nun ein bekannter Schriftsteller und Dozent in Finnland ist, zu sich ein. Er erinnerte sich noch sehr gut daran, daß er im Interesse unserer christlichen Brüder an Präsident Tito geschrieben hatte. Er sagte zu mir, selbst wenn er in seinem Leben keine andere gute Tat vollbracht hätte, wisse er wenigstens in diesem Fall, daß er das Leben dreier Menschen gerettet habe, und darüber freue er sich heute noch.
ZUSAMMENKÜNFTE WÄHREND DES KRIEGES
Während des Krieges waren auch alle unsere christlichen Zusammenkünfte verboten, dennoch wurden sie regelmäßig abgehalten. Wir hatten sogar größere Kongresse. Man mag sich fragen, wie wir das anstellten.
Die Zusammenkünfte wurden in Form eines privaten Zusammenseins durchgeführt. Zum Beispiel gab man einer Person, für die zwei vertrauenswürdige Zeugen bürgten, eine von mir unterzeichnete Einladungskarte. Auf diese Weise erhielten in sehr kurzer Zeit alle Zeugen in Helsinki eine solche Einladung zu einem „privaten Zusammensein“. Diese Zusammenkünfte wurden regelmäßig in den Räumen einer bestimmten Studentenorganisation abgehalten. Größere Kongresse wurden auf dieselbe Weise organisiert. Wir fühlten, daß diese Vorkehrungen den Schutz Jehovas hatten, denn nicht ein einziges Mal wurde eine solche Zusammenkunft verhindert.
Manchmal sandten wir von diesen Zusammenkünften sogar einen Brief an Regierungsbeamte. Einige Tage nachdem ein solcher Brief von 580 Zeugen abgesandt worden war, erhielt ich von der Staatspolizei eine Vorladung. Der Vernehmungsbeamte hatte unseren Brief in der Hand und forderte Auskunft über unsere Zusammenkünfte. Er sagte, die Polizei sei sonst über fast alles informiert, was sich die Leute auf der Straße erzählten, und fragte mich: „Wie ist es möglich, daß Sie eine solche Zusammenkunft im Zentrum von Helsinki abhalten können, ohne daß davon jemand etwas erfährt?“ Und diese Zusammenkunft hatte nur wenige Häuserblocks vom Polizeipräsidium entfernt stattgefunden!
HEIRAT UND FAMILIE
Im Jahre 1941, während der Krieg noch andauerte, heiratete ich Kaisa Alastalo. Sie war ebenso lange ein Zeuge Jehovas wie ich und hatte als „Pionier“ gedient (jemand, der monatlich wenigstens 100 Stunden im Predigtwerk verbringt). Schließlich hatten wir fünf Kinder, eine Tochter und vier Söhne. Wir waren fest entschlossen, unser möglichstes zu tun, um unseren Kindern Liebe zu Jehova Gott einzuflößen und den Wunsch, ihm zu dienen.
Als erstes versuchte ich, bei ihnen eine tiefe Wertschätzung für Jehova und die Versammlung seines Volkes zu wecken. Wir begannen jeden Tag mit der Besprechung eines Bibeltextes und mit Gebet. Und wir versäumten keine der wöchentlichen Zusammenkünfte der Versammlung, außer im Fall von Krankheit. „Gefühle führen zum Verlust des Lebens“, lautete das Schlagwort meiner Frau, sooft mütterliche Gefühle gegenüber unseren Kindern die Oberhand über das zu gewinnen drohten, was für sie in Wirklichkeit am besten war. Und wie wurden wir gesegnet!
Als unser ältestes Kind, unsere Tochter, 13 Jahre alt war, bat sie uns darum, Pionier zu werden. Wir gaben unsere Einwilligung unter der Voraussetzung, daß weder ihre Leistungen in der Schule noch ihre Gesundheit darunter leiden würden. Und keines von beiden war während der zwei Jahre der Fall, in denen sie als Schülerin im Pionierdienst stand. Im Jahre 1957 verließ sie die Schule und wurde in Mittelfinnland, weit von zu Hause weg, als Sonderpionier eingesetzt. Später heiratete sie, und nun dient sie mit ihrem Ehemann als Glied der finnischen Bethelfamilie.
IN EIN NEUES GEBIET GEZOGEN
In den 1950er Jahren wurden Zeugen Jehovas eingeladen, an Orte zu ziehen, wo Königreichsverkündiger dringender benötigt wurden. Immer wieder unterhielten wir uns in der Familie darüber. Aber ich hatte eine gute Arbeitsstelle, und wir besaßen ein hübsches Haus in einem schönen Vorort von Helsinki, einer idealen Umgebung für Kinder. Doch eines Tages fiel mir eine Zeitungsanzeige der Staatseisenbahnen ins Auge, die Ingenieure suchten. Ich hatte bereits Erfahrung auf diesem Gebiet, und die angebotenen Arbeitsstellen waren in Städten, wo es nur wenige Zeugen gab. Wenn wir wirklich ernsthaft daran dachten, dorthin zu ziehen, wo wir dringender benötigt wurden, war jetzt die Zeit dafür gekommen.
An einem Wintertag im Jahre 1960 hielt ein großer Lastwagen vor dem Haus, in dem wir zehn Jahre gewohnt hatten, und lud unsere Habe auf. Wir zogen nach Seinäjoki, ungefähr 400 Kilometer nordwestlich von Helsinki, wo ein kleinerer Eisenbahnknotenpunkt lag. Damals gab es in dieser 20 000 Einwohner zählenden Stadt eine Versammlung von zwölf Zeugen Jehovas. Mein monatliches Einkommen auf der neuen Arbeitsstelle betrug nur etwas mehr als ein Drittel meines früheren Verdienstes, doch dadurch wurde die Freude unserer Familie nicht getrübt. Im darauffolgenden Jahr bauten wir ein Haus, und der Versammlung halfen wir, im selben Block einen kleinen Königreichssaal zu errichten.
Unsere Jungen lebten sich in der neuen Schule gut ein, und das Leben in der ländlichen Umgebung war gesünder als in Helsinki. Wir hielten unseren Jungen den Pionierdienst ständig als ein erstrebenswertes Ziel vor Augen. Und als sich unser ältester Sohn im Jahre 1961, nachdem er die Schule abgeschlossen hatte, in den kleinen Gebrauchtwagen setzte, den wir ihm gekauft hatten, und in seine Pionierzuteilung nach Nordfinnland fuhr, traten mir Freudentränen in die Augen. Sein jüngerer Bruder folgte ihm später. Als unser dritter Sohn an der Reihe war, waren ihm die anderen anscheinend etwas behilflich. „Wir würden uns nicht mit dir auf der Straße sehen lassen, wenn du nicht Pionier wirst“, erklärten sie ihm.
Unser jüngster Sohn wurde bereits im Alter von einem Jahr sehr schwer krank, und seine Krankheit verschlimmerte sich im Laufe der Jahre. Heute ist er mit zwanzig Jahren ans Bett gefesselt. Er ist auch geistig zurückgeblieben und kann nicht sprechen. Wir sorgten für ihn zu Hause, bis er neun Jahre alt war. Doch dann war die Arbeit für uns nicht mehr zu schaffen. Wir konnten ihn in ein nahe gelegenes modernes Krankenhaus einliefern, wo wir ihn regelmäßig besuchen können. Nachdem unsere anderen Jungen alle das Haus verlassen hatten, um als Pionier zu dienen, ergab sich im Jahre 1970 für meine Frau die Gelegenheit, den Pionierdienst aufzunehmen. Das war schon lange ihr Ziel gewesen, und die ganze Familie schätzt ihren Eifer für den Dienst Jehovas.
JEHOVAS REICHEN SEGEN VERSPÜRT
Stets war es mein Wunsch gewesen, den Gliedern meiner Familie behilflich zu sein, im Vollzeitpredigtdienst zu stehen, und zu diesem Zweck habe ich mich auch in meiner weltlichen Arbeit verändert. Im Jahre 1967 lud mich der Generaldirektor der Staatseisenbahnen ein, als Abteilungsleiter nach Helsinki zu kommen und dem Direktorium der Staatseisenbahnen beizutreten. Ich nahm unter zwei Bedingungen an.
Erstens, daß ich am Wochenende früh genug wegfahren konnte, um zu den Wochenendzusammenkünften der Versammlung rechtzeitig zu Hause zu sein. Und zweitens, daß ich nach Beendigung der organisatorischen Reformen, die ich für notwendig hielt, an meine frühere Arbeitsstelle in Seinäjoki zurückkehren konnte. Sechs Monate danach wurde ich jedoch zum stellvertretenden Generaldirektor berufen. Ich nahm diese Beförderung unter denselben Bedingungen an.
Diese neue Stellung brachte für mich viele Gelegenheiten mit sich, Menschen Zeugnis zu geben, die sonst vielleicht nicht mit der Königreichsbotschaft erreicht worden wären. Das Apartment, das ich in Helsinki mietete, wurde auch zum Stützpunkt für meine Kinder, die im Pionierdienst standen und aus verschiedenen Teilen des Landes nach Helsinki zu Besuch kamen oder um Kongressen beizuwohnen. Während dieser Zeit konnte ich mich immer noch meiner Aufgaben in der Versammlung Seinäjoki annehmen (wiewohl ich viel unterwegs sein mußte), und meine Frau hatte genug Zeit für den Pionierdienst.
Nach einigen Jahren hielt ich es jedoch für angebracht, nach Seinäjoki zurückzukehren und dort zu bleiben. Ich erinnerte daher den Generaldirektor an unsere Abmachung, die er noch sehr gut im Sinn hatte. Aber er hatte nie geglaubt, daß ich eine solch prominente Stellung aufgeben und an meinen früheren Arbeitsplatz zurückkehren würde. Als ich es im Jahre 1973 tat, erregte es großes Aufsehen, und in führenden finnischen Zeitschriften erschienen Artikel darüber, in denen Jehovas Zeugen in günstigem Sinne erwähnt wurden.
Unsere Versammlung in Seinäjoki ist so gut gewachsen, daß der Königreichssaal, den wir 1961 in unserem Block gebaut hatten, zu klein wurde. Im Frühjahr vergangenen Jahres begann daher unsere Versammlung, die aus sechzig Königreichsverkündigern besteht, mit dem Bau eines neuen Königreichssaales auf einem größeren von der Stadt gepachteten Grundstück. Dieser große, schöne Saal wurde zum Erstaunen aller nach nur sechs Monaten Bauzeit Anfang September fertiggestellt.
Die Bestimmungsübergabe des Saales war für mich ein besonders zu Herzen gehender Anlaß. Denn unter den Anwesenden im vollbesetzten Königreichssaal befanden sich acht Glieder meiner Familie: außer mir und meiner Frau drei unserer Kinder mit ihren Ehepartnern. Sechs von unserer Familie dienen nun als Pionier, und zwei sind im Bethel.
Wenn ich heute zurückblicke, kann ich sagen, daß wir, meine Frau und ich, im Dienste Gottes stets ebenso glücklich und von unserem Leben befriedigt gewesen sind, wie es mein Vater war und wie es jetzt unsere Kinder sind. Und wir blicken nach vielen weiteren Segnungen im Dienste Gottes aus. Wenn wir Jehovas Einladung, ihm zu dienen, annehmen, erfüllt er mit Sicherheit seine Verheißung, die er einen seiner Propheten in alter Zeit aufzeichnen ließ: „Stellt mich bitte darin auf die Probe, . . . ob ich euch nicht die Schleusen der Himmel auftun und tatsächlich Segen über euch ausschütten werde, bis kein Bedarf mehr ist“ (Mal. 3:10). (Eingesandt.)