Wird je eine gute Regierung zustande kommen?
Hast du jemals gehört, daß jemand in einer Stellungnahme zur Lage seiner Nation sagte: „Wenn meine Leute an der Macht wären, würde manches besser werden.“? Ist dir jemand bekannt, der eine Regierung stürzte und dann selbst Mitglied der Regierung seines Landes wurde? Der folgende Bericht stammt von einem Mann, auf den all das zutrifft. Doch er machte die Erfahrung, daß es nicht einfach ist, eine gute Regierung zu bilden.
WIR schrieben den 25. Oktober 1960. Das mittelamerikanische Land El Salvador sollte eine neue Regierung erhalten. Der von uns inszenierte Staatsstreich begann um 10 Uhr vormittags.
Soldaten umstellten die Privatresidenz des Präsidenten José María Lemus und erklärten ihm, daß wir die Macht übernommen hatten. Er griff zum Telefon, doch es war tot. Unsere Leute hatten die staatliche Fernmeldezentrale unter Kontrolle.
Wenige Kilometer davon entfernt, in meinem Büro in der Festung El Zapote, gegenüber der casa presidencial (dem Amtssitz des Präsidenten), gab ich den unter meinem Befehl stehenden Offizieren schnell Anweisungen über unser Vorgehen. Von der Telefonzentrale aus rief ich dann in aller Eile die Kommandanten aller Militäreinheiten im Land an. Ich teilte jedem mit, wer bereits auf unserer Seite stand: und stellte die Frage „Stimmen Sie zu?“ Nur ein einziger wichtiger Oberst war gegen uns. Ich erinnerte ihn daran, daß er seinen Untergang heraufbeschwören könne. Es blieb ihm also keine andere Wahl, als unser Vorgehen zu billigen.
Damals war ich stellvertretender Kommandant in der Festung El Zapote. Der Kommandant, der ebenfalls nicht für die Machtübernahme war, kehrte um Mitternacht zurück. Aber einer meiner Leute, die den Eingang bewachten, riet ihm, nach Hause zu gehen. Er war so vernünftig, diesen Rat zu befolgen, und ließ sich nicht mehr blicken.
Um 6 Uhr nachmittags fanden sich alle Kommandanten und Mitglieder unserer neuen Regierung in meinem Hauptquartier in der Festung ein. Der Staatsstreich war ohne Blutvergießen gelungen. Zur Feier ertönten Böllerschüsse, und über Radio wurde dem Volk verkündet, daß eine sechsköpfige Regierung — wir nannten sie „La Junta“ — die Verantwortung übernommen hatte. Es war eine aufregende Zeit.
WESHALB WIR DIE REGIERUNG STÜRZTEN
El Salvador ist das kleinste und das fast am dichtesten besiedelte Land Mittelamerikas. In einer Zeitung wurde es als die „höchst industrialisierte und wohlhabendste zentralamerikanische Republik“ bezeichnet. Wir waren der Ansicht, daß sie eines radikalen Wechsels bedurfte, einer besseren Regierung, und diese Ansicht teilten auch andere. Kurze Zeit nach unserer Machtübernahme schrieb die New York Times vom 5. November 1960:
„Selbst Personen, die die Folgen des Sturzes von Präsident Lemus fürchten, stimmen darin überein, daß sein Regime zunehmend autoritär und brutal geworden war und den Haß gemäßigter und liberaler Kreise verdient hatte.“
Dieser Stimmung Rechnung tragend, hieß es in der Erklärung, die wir herausgaben, Lemus habe „sein Amt mißbraucht, die Verfassung und die Rechte der Bürger mit Füßen getreten, sich gesetzwidriger Handlungen schuldig gemacht und ein Klima allgemeiner Unzufriedenheit geschaffen“.
Unter seinem Regime wurden demonstrierende Studenten auf der Straße erschossen, weitere wurden gefoltert. Die Zeitungen berichteten, daß Frauen im Gefängnis vergewaltigt wurden. Waffen aus meinem Regiment wurden bei der Verhaftung eines Mannes, der beschuldigt wurde, zu viele Waffen zu besitzen, als falsche Beweise gebraucht. Lemus hatte im Land den Notstand, eine Art milderes Kriegsrecht, ausgerufen.
Ich war der Ansicht, daß diese Probleme durch eine militärische Aktion gelöst und bessere Verhältnisse geschaffen werden könnten. Vielleicht versteht man besser, weshalb ich zu dieser Ansicht gelangte, wenn man etwas über meine Herkunft erfährt.
MILITÄRISCHE VERGANGENHEIT
Ich wurde im Jahre 1925 als das dritte von sieben Kindern einer Bauernfamilie in Paraíso de Osorio (El Salvador) geboren. Mit 15 Jahren trat ich in der Escuela Militar, der Militärakademie unseres Landes, eine viereinhalbjährige Ausbildung an, die ich im Juli 1945 abschloß. Ich lernte strenge Disziplin — gehorchen und befehlen —, eine Disziplin, die bei den Streitkräften Lateinamerikas Tradition ist.
Im Alter von 19 Jahren wurde ich Offizier, mit 21 Jahren Oberleutnant, mit 25 Hauptmann. Ich ging nach Mexiko und studierte zwei Jahre lang an der Escuela Superior de Guerra, der mexikanischen Generalstabsschule. Dort lernte ich, wie man die militärische Ausbildung organisiert und leitet.
Bei meiner Rückkehr nach El Salvador erklärte man mir: „Wir brauchen eine Infanterieschule.“ Mit entsprechender Befugnis ausgestattet, wurde ich im Jahre 1954 Mitbegründer der Escuela de Armas, der Infanterieschule El Salvadors. Später, im Jahre 1958, gründete ich die Escuela de Artillería, die salvadorianische Artillerieschule.
Ich war außerdem Beobachter bei dem 504. Feldartilleriebataillon der Vereinigten Staaten in der Panamakanalzone. Als Militärberater des salvadorianischen Verteidigungsministers reiste ich nach Argentinien, Brasilien, Chile und Panama.
Wie man sieht, hatte ich eine erfolgreiche militärische Laufbahn hinter mir, in der ich viel geleistet hatte. Es war deshalb naheliegend, daß ich damals der Ansicht war, auf militärischem Wege könne für eine bessere Regierung in unserem Land gesorgt werden.
UNSERE NEUE REGIERUNG
Freunde waren an mich herangetreten — führende Politiker, die die Regierung Lemus stürzen wollten. Ich war zwar kein Politiker, doch die Aussicht, politische Macht zu erlangen, sagte mir zu. Ich hatte hohe Ideale und hielt mich für ehrlich genug, um bei einer Änderung, die notwendig geworden war, mitzuwirken. Unter der Bedingung, daß ich ein Mitglied der neuen Regierung wurde, übernahm ich die vollständige Aufsicht über Planung und Ausführung des militärischen Teils des Umsturzes.
Unsere Regierung sollte aus sechs Personen bestehen: aus drei Zivilisten, zwei Obersten und mir. Ich war Hauptmajor und stand im Rang unter einem Oberst, doch aufgrund meiner Position in der Festung El Zapote hatte ich eine strategische Stellung inne. Acht Monate arbeiteten wir an den Einzelheiten. In der Nacht vom 25. Oktober 1960 spielte sich dann alles ab.
Unsere öffentliche Absichtserklärung beinhaltete die Anerkennung aller politischen Parteien, die Einhaltung eines demokratischen Regierungsprogramms, den Verbleib im westlichen Staatenblock und die Zusicherung, nur bis zur kommenden Präsidentenwahl an der Macht zu bleiben. Wir waren wirklich davon überzeugt, die Verhältnisse in El Salvador zum Besseren wenden zu können.
Aber es kam anders als geplant. Kurze Zeit nach unserer Machtübernahme rief mich der Erzbischof zu sich. Er brachte den Wunsch zum Ausdruck, mit der Junta privat zu sprechen, und erbat sich darüber Geheimhaltung.
Der Erzbischof erklärte uns praktisch: „Sie bilden eine neue Regierung, und ich bin in der Lage, diese Regierung von der Kanzel aus zu unterstützen. Als Gegenleistung dafür können Sie uns unterstützen.“
Wir wußten, wovon er sprach. Aus den uns vorliegenden Dokumenten war uns bekannt, daß katholische religiöse Institutionen von der früheren Regierung finanzielle Unterstützung erhalten hatten. Dem Erzbischof war offensichtlich an einer Weiterführung dieser der Kirche gewährten Gegenleistung durch die neue Regierung gelegen.
Ich war zwar Katholik, doch war ich mir auch darüber im klaren, daß eine derartige Bevorzugung nicht angebracht war; sie entsprach nicht der Verfassung. Die anderen Glieder der Junta waren derselben Meinung. Wir lehnten alle sechs eine finanzielle Unterstützung der Kirche ab. Der Erzbischof war sichtlich bestürzt und meinte, wir würden unsere Entscheidung noch bedauern.
Kurze Zeit darauf wurde von den Kirchenkanzeln ein Feldzug gestartet. Die Priester behaupteten, unsere Regierung trete für Castro ein und sei prokommunistisch. Wir ließen Tonbandaufnahmen von diesen Ansprachen machen und kannten daher die Beschuldigungen. Doch diesen Feldzug zu verbieten hätte unserer Ansicht nach mehr geschadet als genützt, da die Kirche auf viele Leute großen Einfluß hatte.
WIE VERHIELT ES SICH MIT DEN ANSCHULDIGUNGEN?
Bald machten sich nachteilige Auswirkungen auf unsere Regierung bemerkbar. Man brachte unserem politischen Kurs Mißtrauen entgegen. Die Vereinigten Staaten zeigten sich besorgt und hielten ihre Anerkennung zurück. Doch war dieses Mißtrauen berechtigt?
Die von der Kirche unterstützten Anschuldigungen erwiesen sich als unbegründet, und unsere Regierung wurde von den Vereinigten Staaten anerkannt. In der New York Times vom 1. Dezember 1960 hieß es:
„Daß sich der Kommunismus und der neue Ruf nach ,Fidelismo‘ bei jedem Bestreben nach politischen und sozialen Veränderungen in Lateinamerika bemerkbar macht, ist gefährlich. ...
Die drei zivilen Mitglieder der Junta sind, obwohl man sie unbegründeterweise des ,Fidelismo‘ beschuldigt, Liberale und Demokraten. ... Alle sechs Männer haben sich einem demokratischen Programm verpflichtet und verdienen jede Chance, ihren guten Willen unter Beweis zu stellen.“
Trotz dieser Rechtfertigung war das Vertrauen in unsere Glaubwürdigkeit durch die von der Kirche geförderte Verleumdungskampagne stark erschüttert worden. Aber auch andere Kräfte bemühten sich, unsere neue Regierung zu unterminieren.
UNSERE HOFFNUNGEN ZERSCHLUGEN SICH
Die Armee war nicht zufrieden mit uns. Wir beabsichtigten, die Armee aus dem politischen Geschehen herauszuhalten, doch die Armee wollte ihre besonderen Privilegien nicht aufgeben. Eine andere Gruppe, die während unserer Vorbereitungen einen Staatsstreich geplant hatte, machte der Armee das Angebot, ihre Privilegien zu bestätigen, und zog so die Offiziere auf ihre Seite.
Offensichtlich sprachen sie mit den Kommandanten der verschiedenen Garnisonen, wie ich es zuvor getan hatte. Am 25. Januar 1961 suchte mich ein Berater zu Hause auf und berichtete, daß die Fernmeldeverbindungen abgebrochen seien. Sofort begab ich mich in die casa presidencial. Meine Männer erklärten: „Wir unterstützen Sie und werden für Sie sterben.“
Selbstverständlich wollte in Wirklichkeit niemand von uns sterben. Obwohl das Gebiet umstellt war, überquerte ich die Straße zur Festung El Zapote, wo mir ein Offizier öffnete. Ich organisierte die Verteidigung. Man gehorchte meinen Befehlen, und ich fühlte mich stark genug, um den neuen Coup abzuwenden.
Man sandte einen Oberst, einen Freund von mir, um mir mitteilen zu lassen, daß die Situation sehr ernst sei. Er sagte: „Wenn du dich ergibst, wird alles friedlich ablaufen. Wenn nicht, kommt es zum Kampf.“ Da er Frieden garantierte, ergab ich mich.
Man brachte mich zum Hauptquartier der neuen Gruppe, und das war das Ende der Junta. Die anderen Mitglieder waren bereits verhaftet worden. Ich hörte Geschrei und Maschinengewehrfeuer auf der Straße. Die Zeitungen berichteten, daß viele ihr Leben verloren. Ein junger Mann soll mit seinem eigenen Blut auf die Straße geschrieben haben: „Libertad se escribe con sangre“ (Freiheit wird mit Blut geschrieben).
Drei Tage später befand ich mich im Exil. Bis Dezember hielt ich mich in Mexiko auf, dann kehrte ich heimlich nach El Salvador zurück. Dort angekommen, machte ich meine Anwesenheit bekannt und arbeitete auf die Bildung einer neuen Regierung hin. Im September des darauffolgenden Jahres sagte man mir, ich solle entweder das Land verlassen oder man würde mich umbringen. Aufgrund dieser Drohung begab ich mich am 7. Oktober 1962 in die Vereinigten Staaten.
EIN NEUES LEBEN — EINE HERAUSFORDERUNG
Wir ließen uns in Los Angeles (Kalifornien) nieder. Mit 37 Jahren mußte ich ganz von vorn anfangen. Ich hatte mich an ganz andere Bräuche zu gewöhnen und sprach kein Englisch. In materieller Hinsicht besaß ich praktisch nichts. Es gab nur meine Familie: meine Frau Maria und meine vier Kinder — Ruben (13), Miriam (11), Jorge (9) und Gustavo (7).
Am 2. November 1962, nicht ganz einen Monat nach meiner Ankunft in Los Angeles, erhielt ich eine Stelle als Beifahrer bei der Möbeltransportgesellschaft Bekins. In meinem Herzen brannte immer noch Haß und ein überwältigendes Verlangen nach Rache an denen, die unsere Regierung gestürzt hatten. Aber ich kannte die vordringliche Aufgabe, für meine Familie zu sorgen, und nahm diese Aufgabe wahr. So kam es, daß ich hart arbeitete und ein friedliches Leben führte.
Auf diese Weise kam ich meiner Familie viel näher als je zuvor. Mir wurde bewußt, daß der plötzliche Umschwung in gewisser Hinsicht ein Glück im Unglück war. Dann geschahen Dinge, die mein Denken und schließlich meine ganze Persönlichkeit änderten. Mein Haß und das Verlangen nach Rache begannen zu schwinden. In der Frühjahrsausgabe 1972 des von der Möbeltransportgesellschaft herausgegebenen Blattes Bekinews hieß es in einem Artikel, der betitelt war: „Der Lagerist, der eine Nation regierte“, über mich:
„Er hat sowohl Englisch als auch die Tätigkeit als Lagerist schnell und gut erlernt. Im Jahre 1969 wurde er in dem für Beverly Hills/Santa Monica zuständigen Haus am Wilshire Blvd., Santa Monica, zum Lagerhausaufseher befördert. ...
,Ruben ist‘, wie der Bezirksleiter Tom Fowler sagt, ,tüchtig, höflich und zeigt guten Humor — eine Kombination, die ein vorzügliches Verhältnis zu den Kunden geschaffen hat. Jeder, der mit ihm zu tun hat, hat ihn gern, und daß wir ihn zum „Lageristen des Jahres“ nominiert haben, bezeugt seinen ausgezeichneten Ruf im Betrieb.‘“
Noch vor wenigen Jahren hätte niemand solch angenehme Worte über mich äußern können. Ich war arrogant und handelte unmoralisch. Aufgrund meiner Stellung als Offizier und aufgrund des Ansehens, das ich als solcher genoß, boten sich mir viele Gelegenheiten zu unmoralischen Beziehungen. Wie frühere Erlebnisse dazu beigetragen hatten, daß ich ein derartiges Leben führte, so war auch der radikale Wandel in meiner Persönlichkeit auf bestimmte Erlebnisse zurückzuführen, jedoch Erlebnisse ganz anderer Art.
DER EINFLUSS DER RELIGION
Ich war wie die meisten Leute in El Salvador katholisch, doch hielt mich dies nicht davon zurück, neben meiner rechtmäßigen Ehefrau mehrere Frauen zu haben. Das ist bei Männern in Lateinamerika so üblich. Gewöhnlich geben die Priester selbst das Beispiel. Mir ist bekannt, daß ein Priester in Cojutepeque, meinem früheren Wohnort, eine Frau hatte. Das war öffentlich bekannt. Er hatte sogar Söhne von ihr. Die Entschuldigung für mein Verhalten lautete daher: „Warum sollten wir anders handeln als die Priester?“
Doch nicht nur die geschlechtliche Unsittlichkeit der Priester gab den Ausschlag, sondern ihre gesamte unmoralische Haltung, wie zum Beispiel der Versuch des Erzbischofs, jenen fragwürdigen „Handel“ mit unserer neuen Regierung einzugehen. Außerdem erfuhr ich, daß der Erzbischof einen Diplomatenpaß besaß — ein Privileg, auf das er kein Anrecht hatte. Als wir an der Macht waren, zogen wir diesen Paß ein. Ich muß sagen, daß ich aufgrund meiner Beobachtungen wenig Respekt vor der Religion hatte.
Die Bibel kannte ich überhaupt nicht. Ich hatte nie darin gelesen. Ja ich besaß nicht einmal eine eigene Bibel. Die katholische Kirche hatte in El Salvador nie zum Bibellesen ermuntert. Ich hatte den Katechismus gelesen und die erste Kommunion empfangen. Meine Mutter hatte mir einige Lehren der Kirche beigebracht, wie zum Beispiel die Lehre von der Unfehlbarkeit des Papstes, vom Fegefeuer, von der Feuerhölle und von der Dreifaltigkeit. Doch keine dieser Lehren rief in mir das Verlangen wach, mehr über Gott kennenzulernen. Daher spielte die Religion, nachdem wir uns in den Vereinigten Staaten niedergelassen hatten, keine große Rolle in unserem Leben.
MEIN SOHN BEEINFLUSST MICH
Um so mehr war ich überrascht, als Ruben, der damals etwa 17 Jahre alt war, mich fragte: „Vater, hättest du etwas dagegen, wenn ich mich mit der Bibel befassen würde?“ Einer seiner Schulkameraden, mit dem ein Zeuge Jehovas studierte, hatte Ruben angesprochen. Ich hatte im Grunde genommen nichts dagegen einzuwenden. Bald bekundete Ruben reges Interesse an der Bibel und besuchte die Zusammenkünfte der Zeugen Jehovas. Schließlich hatte er den Wunsch, ein Zeuge Jehovas zu werden.
Das gefiel mir ganz und gar nicht. Ich wollte Ruben aufs College schicken und „etwas aus ihm machen“. Er wünschte aber, seine Zeit dafür zu verwenden, mit anderen über seinen neugefundenen Glauben zu sprechen. Standhaft trat er für seine Überzeugung ein, während ich mich ihm strikt widersetzte. Die Zeugen rieten ihm aber, mir als seinem Vater zu gehorchen, und das tat er. Doch er verbrachte ständig einen großen Teil seiner Zeit mit Predigen.
Rubens Verhalten beeindruckte mich und weckte in mir Neugier hinsichtlich seiner neuen Religion. Dann geschah etwas, was ich nicht vergessen werde. Ich bat Ruben, wenn ein bestimmter Freund von mir anriefe, solle er ihm sagen, ich sei nicht zu Hause. Ich war überrascht und zugegebenermaßen beeindruckt, als er mir erklärte, sein Gewissen erlaube es ihm nicht zu lügen. Ruben brachte einige Freunde mit nach Hause, und als mich einer von ihnen einlud, die Bibel zu studieren, war ich schließlich damit einverstanden.
DIE BIBEL HAT HAND UND FUSS
Die vernünftigen Lehren der Bibel beeindruckten mich tief. In vielen Lehren der Kirche, wie in der Lehre vom Fegefeuer, von der Feuerhölle und von der Dreifaltigkeit, hatte ich nicht viel Sinn entdeckt. Aber nun begriff ich, daß diese Lehren gar nicht biblisch sind. Ich fand unser Studium außerordentlich interessant, besonders als wir praktische Dinge besprachen, die mit dem Staat und der Verwaltung der Angelegenheiten auf der Erde zu tun hatten.
Aufgrund meiner Vergangenheit war ich mir bewußt, daß es einer rechtschaffenen Regierung bedurfte, die über die Macht verfügt, gerechte Gesetze durchzusetzen. Einst hatten wir gehofft, für die Bürger von El Salvador eine solche Regierung schaffen zu können. Aber nun wurde mir klar, daß Menschen ohne Gottes Hilfe einfach nicht in der Lage sind, über ihre Mitmenschen zu regieren. Ja, die Bibel hat recht, wenn sie sagt: „Es steht nicht bei dem Manne, der da wandelt, auch nur seinen Schritt zu richten“ (Jer. 10:23).
Ist es nicht eine Tatsache, daß durch menschliche Bemühungen, ganz gleich, wie gut gemeint sie gewesen sein mögen, noch nie Frieden und gerechte Verhältnisse herbeigeführt werden konnten? Die Menschen haben es jahrtausendelang mit verschiedenen Regierungsformen versucht. Aber wenn es einmal einen Mann gibt, der gute Absichten verfolgt, werden diese durch die unterschiedlichen Ideen einer anderen Interessengruppe verdrängt, und die Ungerechtigkeit bleibt bestehen. Es verhält sich so, wie die Bibel sagt: „Der Mensch [hat] über den Menschen zu seinem Schaden geherrscht“ (Pred. 8:9). Aber was ist der Grund dafür?
Einer der Gründe ist die menschliche Unvollkommenheit. Die Menschen werden nicht nur krank und alt, sondern neigen auch zu Stolz und Selbstsucht, was echte Hindernisse für die Bildung einer guten Regierung sind. Durch ein Studium der Bibel erkannte ich die Ursache für diese grundlegende Schwäche der Menschen. Sie ist darauf zurückzuführen, daß der erste Mann und die erste Frau gegen Gottes Herrschaft rebellierten und dadurch ihr kostbares Verhältnis zu Gott einbüßten. Das brachte nicht nur für sie selbst, sondern auch für alle ihre noch nicht geborenen Nachkommen Unvollkommenheit und schließlich den Tod mit sich (Röm. 5:12). Aber noch ein weiterer Grund, weshalb die Bemühungen des Menschen, sich selbst zu regieren, fehlgeschlagen sind, wurde mir klar.
Die ersten beiden Menschen wurden von einem anderen Rebellen dazu verführt, sich gegen Gottes Herrschaft aufzulehnen. Es war ein Geistsohn Gottes. Um die Streitfragen, die durch diese Rebellion aufgeworfen wurden, zu klären, ließ Gott diesem opponierenden Engel eine gewisse Zeit freie Hand. Seine Freiheit ging so weit, daß die Bibel ihn als den „Herrscher dieser Welt“ bezeichnet und sagt: „Die ganze Welt liegt in der Macht dessen, der böse ist“ (Joh. 12:31; 14:30; 2. Kor. 4:4; 1. Joh. 5:19). Angesichts dieses übermenschlichen Einflusses wurde mir klar, weshalb selbst wohlmeinende Menschen keine gute Regierung zustande bringen können. Welche Hoffnung gibt es dann?
In dieser Beziehung fand ich die Bibel wirklich vernünftig. Als Kind hatte ich das „Vaterunser“ gelernt, in dem Jesus seine Nachfolger beten lehrte: „Dein Königreich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auch auf der Erde“ (Matth. 6:10). Bei unserem Studium konnte ich erkennen, daß Gottes Königreich das Thema der Predigttätigkeit Christi war, ja daß es das eigentliche Thema der Bibel ist! Ich erkannte, daß dieses Königreich eine Regierung ist, in der Christus die höchste Stellung einnimmt. Schließlich gelangte ich zu der Überzeugung, daß Gottes Königreich die einzige Hoffnung auf eine gute Regierung für die Erde ist. Aber wie wird diese Regierung die Herrschaft übernehmen?
Die meisten Menschen sind nicht aufrichtig an Gottes Regierung interessiert. Sie sind so verblendet, daß sie ihr sogar Widerstand leisten. Daher sagt die Bibel: „Der Gott des Himmels [wird] ein Königreich aufrichten, das nie zugrunde gerichtet werden wird. ... Es wird alle diese [menschlichen] Königreiche zermalmen und ihnen ein Ende bereiten, und es selbst wird für unabsehbare Zeiten bestehen“ (Dan. 2:44).
Das mag utopisch klingen. Diesen Eindruck hatte ich jedenfalls, als ich das erste Mal davon hörte. Ich konnte einfach nicht glauben, daß Gott allen irdischen Regierungen ein Ende bereiten und seine eigene Regierung aufrichten werde. Aber je mehr ich studierte, desto vernünftiger erschien mir diese Lehre der Bibel, und schließlich überzeugte mich etwas von ihrer Wahrhaftigkeit.
EINE ZUVERLÄSSIGE AUSSICHT
Veron Long hatte ungefähr ein Jahr lang mit mir studiert. Dann nahm ich endlich seine Einladung an, einer Zusammenkunft im Königreichssaal beizuwohnen. Ich war beeindruckt, wie freundlich man mich willkommen hieß. Daß es keine Diskriminierung gab, war erstaunlich, und ich fühlte mich gedrängt, regelmäßig zu kommen.
Wieso waren diese Leute so glücklich und friedlich vereint? Es dauerte einige Zeit, bis ich dahinterkam, dann aber war ich von der Antwort überzeugt: Sie richteten ihr Leben nach Gottes Gesetzen aus, nach den Gesetzen, die für diejenigen gelten werden, die unter Gottes Königreich leben. Wenn das Königreich alle heutigen menschlichen Regierungen vernichtet, wird Jehova Gott diese Menschen als Grundstock einer neuen menschlichen Gesellschaft am Leben erhalten (1. Joh. 2:17).
Ich wollte zu dieser harmonischen Familie von Christen gehören. Deshalb symbolisierte ich im August 1969 meine Hingabe an Gott durch die Wassertaufe. Zu meiner Freude haben sich mir nicht nur alle Glieder meiner Familie, sondern auch einige Verwandte in El Salvador im Dienst für unseren liebevollen Schöpfer, Jehova Gott, angeschlossen. Ich bin glücklich über die Erkenntnis, daß sich die ganze Erde unter der Herrschaft des Königreiches Gottes bald einer guten Regierung erfreuen wird. (Von Ruben Rosales eingesandt.)
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„La Junta“ — die sechs Männer, die unsere Regierung bildeten
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Der Erzbischof im privaten Gespräch mit Mitgliedern unserer Regierung