Fragen von Lesern
◼ Warum unterscheidet sich die Wiedergabe von Sprüche 11:16 in der Neuen-Welt-Übersetzung von dem Wortlaut in einigen anderen Übersetzungen, und wie ist dieser Vers zu verstehen?
Gemäß der Neuen-Welt-Übersetzung lautet Sprüche 11:16: „Eine Frau von Anmut ist die, die Herrlichkeit erlangt, aber die Tyrannen ihrerseits erlangen Reichtum.“
Dies ist eine sorgfältige Wiedergabe des Verses gemäß dem hebräischen massoretischen Text, und ähnlich wird er auch in vielen anderen modernen Übersetzungen wiedergegeben (Elberfelder Bibel, Luther, Revised Standard Version, Moffatt).
Doch einige Bibelübersetzer, die mit dem Verständnis dieses Verses Schwierigkeiten hatten, haben versucht, ihn deutlicher zu formulieren. Sie sind dabei dem Beispiel der Septuaginta gefolgt, einer frühen Übersetzung aus dem Hebräischen ins Griechische. In folgendem Zitat aus der Herder-Bibel, die sich bei der Wiedergabe dieses Verses auf die Septuaginta stützt, haben wir für die Teile, die im hebräischen Text nicht erscheinen, die Kursivschrift gewählt:
„Eine anmutige Frau macht ihrem Mann Ehre; doch ein Weib, das Redlichkeit haßt, ist ein Thron der Schande. Die Faulen werden arm an Habe; aber Reichtum erlangen die Fleißigen [„Kraftvollen“, Fußnote]“ (Spr. 11:16, Herder).
Die katholische Einheitsübersetzung und die Today’s English Version sind zwei neuere Übersetzungen, die diesen Vers ebenso erweitern. Das trifft auch auf das Göttinger Bibelwerk zu, das jedoch erläuternd dazu bemerkt: „Die griechische Übersetzung, der hier gefolgt worden ist, hat durch die Ergänzung von zwei Zeilen zwei voneinander unabhängige Sprüche geschaffen, die beide einen guten Sinn ergeben: ob sie aber dem Urtext entsprechen, bleibt zweifelhaft“ (Band 16, Seite 51).
Es besteht keine Notwendigkeit, einer „zweifelhaften“ Wiedergabe zu folgen. Der Sinn dieses Verses geht aus dem hebräischen Text, wie dem der Biblia Hebraica von Rudolf Kittel, auf die sich die Neue-Welt-Übersetzung stützt, hervor. Der Vers stellt die dauerhafte Herrlichkeit, die eine gottergebene Frau erlangen mag, dem zeitweiligen Reichtum gegenüber, den ein Tyrann erlangt.
Die Bibel zeigt, daß praktische Weisheit, Denkvermögen und der richtige Gebrauch der Zunge zum Wert und zur Anmut einer Person beitragen (Spr. 3:21, 22; 4:7-9; 22:11; Ps. 45:1, 2). Das trifft bestimmt auch auf eine Frau zu, was im Falle Abigails, der Frau des törichten Nabal, zu sehen ist. Sie war sowohl „gut hinsichtlich Verständigkeit“ als auch „schön von Gestalt“, doch David pries sie besonders wegen ihrer „Verständigkeit“ (1. Sam. 25:3, 33).
Eine gottergebene Frau, die aufgrund ihrer Weisheit, ihrer Verständigkeit und des weisen Gebrauchs ihrer Zunge Anmut hat, erlangt „Herrlichkeit“. Sie wird, sofern sie verheiratet ist, in den Augen ihres Mannes „Herrlichkeit“ erlangen, und auch andere werden gut von ihr reden. Das wirft ein günstiges Licht auf die ganze Familie und verleiht dieser „Herrlichkeit“. Es sollte auch keine flüchtige Herrlichkeit sein. In Sprüche 22:1 heißt es: „Eher ist ein Name zu erwählen als Reichtum in Fülle; Gunst ist besser als selbst Silber und Gold.“ Der Name eines wahren Anbeters ist in den Augen unseres Gottes und Lebengebers von bleibendem Wert. (Siehe Apostelgeschichte 9:36-39.)
Man stelle nun einen Vergleich mit einem Tyrannen an, wie das in dem Spruch geschieht. Die Bibel reiht Tyrannen in die Kategorie der „bösen Menschen“ ein und derer, die „Widersacher“ von Anbetern Jehovas sind (Hiob 6:23; 27:13). Tyrannen „haben Gott nicht vor sich gesetzt“ (Ps. 54:3). Es sind Menschen, die „Silber wie Staub selbst aufhäufen“, indem sie die Unschuldigen unterdrücken und ausbeuten. Doch irgendwann mag sich ein Tyrann niederlegen und nicht wieder aufstehen. Oder irgendein Tag, an dem er die Augen öffnet, mag sein letzter sein. Dann sind sein Reichtum und seine Errungenschaften zunichte (Hiob 27:16, 19; vergleiche Lukas 12:16-21).
Ein Tyrann mag sich zwar Reichtum angeeignet haben und darauf vertrauen, doch dieses Vertrauen ist umsonst. Denn wir lesen in Sprüche 11 auch: „Wer auf seinen Reichtum vertraut — er selbst wird fallen“ (Vers 28).
Aus Sprüche 11:16 sollten wir also etwas Wichtiges lernen: Der Reichtum des Tyrannen, der in der Welt als ein Zeichen des Erfolgs angesehen werden mag, ist in den Augen Gottes nicht von bleibendem Wert. Es besteht aber die Möglichkeit, Gottes Anerkennung zu erlangen. Die „Herrlichkeit“ derer, die Gott fürchten — gut veranschaulicht durch christliche Frauen — kann zu endlosem Segen führen (1. Pet. 3:1-6).