Was ist mit der Ehrlichkeit geschehen?
EINE Firma in den USA mußte schließen. Über 60 Jahre hatte sie Sämereien vertrieben. Die Vertreter der Firma waren Jungen und Mädchen, die Samen bestellten, ihn an ihre Nachbarn verkauften und der Firma einen Teil des Geldes sandten, das sie erhalten hatten. Warum mußte diese Firma ihre Tätigkeit einstellen? Weil die als Vertreter tätigen Kinder unehrlich waren. Zu viele von ihnen hatten die Sämereien nicht zurückgeschickt oder das Geld behalten, das sie für den Verkauf bekommen hatten.
Zu welcher Folgerung gelangst du, wenn eine Firma, die auf die Ehrlichkeit von Kindern vertraute, 60 Jahre lang den Betrieb aufrechterhalten konnte, nun aber gezwungen war zu schließen? Anscheinend sind Kinder nicht mehr so ehrlich wie früher, nicht wahr? Kinder sind jedoch nicht die einzigen, die unehrlicher geworden sind. Leute mittleren Alters können sich noch an die Zeit erinnern, wo sie die Haustür unverschlossen lassen konnten oder ein Fahrrad auf dem Bürgersteig stehenlassen konnten, ohne daß es ihnen gestohlen wurde. An den meisten Orten ist es heute anders.
Bei einer Umfrage, die von der Zeitschrift Psychology Today durchgeführt wurde, gaben die meisten der Tausende, die sich dazu äußerten, zu, mehr oder weniger unehrlich gewesen zu sein. Dreiundneunzig Prozent bekannten, gelegentlich schneller als erlaubt zu fahren. Achtundsechzig Prozent hatten Büromaterial oder andere Dinge mitgenommen. Siebenundsechzig Prozent hatten, wenn es möglich war, bei Prüfungs- oder Schularbeiten gemogelt. Fünfundvierzig Prozent hatten ihren Ehepartner hintergangen. Und viele hatten falsche Angaben auf der Steuererklärung gemacht, hatten es versäumt, zollpflichtige Waren beim Zoll anzugeben, hatten unerlaubterweise das Geschäftstelefon benutzt, um Ferngespräche zu führen, oder hatten bei der Führung von Spesenkonten geschwindelt.
Warum ist man unehrlich?
Man hat viele Gründe für Unehrlichkeit vorgebracht. Hier folgen einige davon.
Das elterliche Beispiel: Als die Samenhandlung den Eltern der Kinder schrieb und ihnen mitteilte, daß diese Geld schuldeten, gingen zahlreiche Briefe ein, die besagten: „Sie sind eine große Firma; Sie brauchen das Geld nicht, und Sie versuchen nur, mein Kind zu betrügen.“ Es ist nicht schwer, zu erkennen, warum diese Kinder unehrlich wurden.
Weil es so einfach ist: Auf die zuvor erwähnte Umfrage eingehend, schrieb ein Schüler: „Man ist stets dem Druck ausgesetzt, andere durch gute Noten zu übertreffen, und selbst wenn ich mich auf eine Prüfung vorbereitet habe, betrüge ich vielleicht doch. ... Schüler machen kein Geheimnis daraus, daß sie betrügen, und viele Lehrer tun nichts oder sehr wenig, es zu verhindern. Kurz gesagt: Ich tue es, weil ich ungeschoren davonkommen kann.“
Armut: Zweifellos führt Armut — oder die Furcht vor Armut — häufig zu Diebstahl und Betrug, wenngleich während der Wirtschaftskrise der Vorkriegsjahre die Leute im allgemeinen trotz der verbreiteten Armut ehrlicher zu sein schienen. Und viele unehrliche Personen sind alles andere als arm. Beachte einen Fall, der aus Japan berichtet wurde. Man fand heraus, daß eine Gruppe von Männern eine Eisenbahngesellschaft betrog. Sie hatten ausfindig gemacht, wie sie nach einem Tag, den sie mit Golfspielen verbracht hatten, für die Heimfahrt etwas weniger als den regulären Fahrpreis zu bezahlen brauchten. Veranlaßte Armut sie zum Betrug? Wohl kaum. Einer der Schwindler war Direktor einer Firma.
Habsucht: Der Kolumnist einer Zeitung schrieb: „Pure Geldgier ist die Ursache vieler moralischer Probleme der Nation.“
Ein schlechtes Beispiel: Der gleiche Kolumnist fuhr fort: „Wenn Sie möchten, sehen Sie sich doch unsere Führer an. Die Mitglieder unseres Repräsentantenhauses verlassen das, was sie gern den ‚öffentlichen Dienst‘ nennen, schamlos bereichert durch Schmiergelder und verschiedenartige ‚Nebeneinkünfte‘ und mit dicken Pensionen. Und wie steht es mit den Industriekapitänen? Die Raubritter sind nicht ausgestorben. Es gibt kaum einen Industriebaron, der sein Geld nicht damit ergaunert hat, Amerika verraten und verkauft zu haben.“
Ein Klima der Unehrlichkeit: In einem Bericht der Zeitschrift Newsweek hieß es: „Viele der Amerikaner, die lautstark über die Weiße-Kragen-Kriminalität klagen, sind selbst kleine Betrüger. Minderbemittelte Amerikaner betrügen die staatliche Fürsorge, und Bürger der mittleren und oberen Einkommensschichten behandeln Spesenkonten wie ‚Mogelblätter‘ und geben dem Finanzamt gegenüber nur einen Teil ihrer steuerpflichtigen Einkünfte an. ‚In unserer Gesellschaft macht jeder mit.‘“
Wie denkst du über Unehrlichkeit, ungeachtet der Gründe dafür? Gefällt es dir, wenn du belogen oder betrogen wirst? Freust du dich darüber, daß du wegen des verbreiteten Versicherungsbetruges höhere Versicherungsprämien zahlen mußt? Oder darüber, daß du höhere Preise zahlen mußt, um für Ladendiebstähle und Diebstähle durch Betriebsangehörige aufzukommen? Wärst du damit einverstanden, wenn deine Frau oder dein Mann dich betrügen würde? Wahrscheinlich nicht. Aber all das geschieht heute, und auf diese oder jene Weise sind wir alle betroffen. Wem kannst du in einer solchen Welt vertrauen? Muß das so sein?