Religiöse Traditionen — Wird Gott dadurch in Wahrheit angebetet?
„SALGA, salga, salga“ (Komm heraus, komm heraus, komm heraus). Der klagende Ruf schallt über den dunklen Friedhof auf der Insel Janitzio im Pátzcuarosee (Mexiko). Dort beschwört ein frommer Indianer vom Stamm der Tarasken einen toten Verwandten mit Hilfe eines schriftlich festgehaltenen Gebets. „Möge der heilige Rosenkranz die Ketten zerbrechen, die dich binden“, fleht er.
Es ist der Tag der Toten. Seit den frühen Morgenstunden haben Frauen und Kinder die Familiengräber mit Blütenblättern und dekorierten Holzgestellen geschmückt und Gaben in Form von Früchten und Gebäck vor die Gräber gestellt. Nun trotzen sie der Kühle der Nacht und sprechen Gebete oder halten schweigend Wache im schwachen Licht Tausender flackernder Kerzen, die für die Toten angezündet wurden.
Was einem außenstehenden Beobachter seltsam oder sogar absonderlich erscheinen mag, ist für diese Menschen eine altehrwürdige religiöse Tradition: die katholische Feier des Allerseelentages. In vielen lateinamerikanischen Ländern veranlaßt diese Tradition Tausende von Gläubigen, mit aufgeschriebenen Gebeten und Gaben für ihre toten Angehörigen auf die Friedhöfe zu strömen.
In Lateinamerika gibt es auch zahllose Traditionen, was religiöse Bildnisse betrifft. Bilder von Christus und Maria sind überall zu finden und schmücken die meisten Wohnungen und Geschäfte. Besteigt man einen Bus, wird man so gut wie immer über dem Fahrersitz kleine Marienbildnisse entdecken. Marienstatuen, die anstelle von Kerzen mit blinkenden bunten Lichtern geschmückt sind, sind in den Bussen so angebracht, daß sie vom Mittelgang aus zu sehen sind.
Riesige Standbilder von Christus oder Maria blicken von hohen Bergen auf viele kolumbianische Städte herab. Auf dem Wallfahrtsberg Monserrate steht eine Kirche voller Bildnisse, denen höchste Verehrung dargebracht wird. Während besonderer heiliger Wochen erklimmen Tausende von Einwohnern Bogotás diesen Berg, und einige kriechen sogar auf aufgerissenen, blutigen Knien hinauf.
Bildnisse, Kruzifixe, Feste — sie gehören überall in der Welt zu den religiösen Traditionen, die einen festen Bestandteil im Leben der Menschen bilden. Die Traditionen werden von einer Generation zur nächsten weitergegeben, und man neigt dazu, sie als heilig zu betrachten.
Anbetung in Wahrheit?
Die meisten mögen sich zwar bedenkenlos an die Traditionen halten, doch es gibt auch zahlreiche gläubige Christen, die durch solches Brauchtum in ein schweres Dilemma geraten. Denn Jesus Christus sagte ja: „Die wahren Anbeter [werden] den Vater mit Geist und Wahrheit anbeten“ (Johannes 4:23). Aber viele religiöse Traditionen sind ganz offensichtlich von nichtchristlichen religiösen Riten abgeleitet worden oder ihnen zumindest erstaunlich ähnlich. So hat beispielsweise der Allerseelentag eine genaue Entsprechung im buddhistischen „Ullambana“-Fest, einem Tag, der dazu dient, „den verstorbenen Ahnen seine kindliche Ergebenheit zu zeigen und die Geister von der Knechtschaft der Welt zu erlösen“ (The New Encyclopædia Britannica, Ausgabe 1976, Micropædia, 1. Band, Seite 260). Beten die Anhänger solcher Traditionen Gott wirklich in Wahrheit an?
Einige argumentieren, daß Traditionen allein schon durch die Aufnahme in die Kirche geheiligt seien. Im Jahre 1965 wurde auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil gesagt: „Die Kirche [kann] ihre Gewißheit über alle Offenbarungsgehalte nicht aus der Heiligen Schrift allein schöpfen. Beide, Schrift und Überlieferung, sind mit gleicher Kindesgesinnung und Achtung anzunehmen und zu verehren.“
Wie verhält es sich jedoch, wenn zwischen menschlichen Traditionen und der von Gott inspirierten Heiligen Schrift grundlegende Widersprüche bestehen? Bei der Beantwortung dieser Frage möchten wir nun einige Traditionen im Licht der Bibel genauer unter die Lupe nehmen.